Wort zum Wort zum Sonntag: Angstmacher – Mutmacher, Verstand Gott-gegeben?

Lesezeit: ~ 5 Min.

Wort zum Wort zum Sonntag: Angstmacher – Mutmacher, Beitrag gesprochen von Elisabeth Rabe-Winnen (die behauptet, der menschliche Verstand sei Gott-gegeben), verkündigt im öffentlich-rechlichen (!) Fernsehen am 30.7.16

[…] Es braucht auch: Mut, den Mut, sich seines Verstandes zu bedienen. Den wir haben. Gott-gegeben.*

Verstand: Gott-gegeben?
Verstand: Gott-gegeben?

Frau Elisabeth Rabe-Winnen (ev.): Tun Sie’s! Nehmen Sie all Ihren Mut zusammen. Bedienen Sie sich Ihres Verstandes. Den Sie haben. Und dann überlegen Sie bitte mal ganz scharf, wie Sie darauf kommen, dass der menschliche Verstand „Gott-gegeben“ sein soll. Oder sonst irgendwas.

Was macht Sie so sicher, dass Sie das einfach so im öffentlich-rechtlichen Fernsehen behaupten, als sei es eine allgemein anerkannte und belegbare Wahrheit? Und nicht ein religiöser Wahngedanke aus einer biblischen Mythensammlung?

Natürlich ist es Ihnen selbst überlassen, wie Sie sich Ihre persönliche Wirklichkeit gestalten. Wenn Sie der Meinung sind, Sie hätten Ihren Verstand von Gott bekommen – warum nicht. Ist Ihr Gehalt eigentlich auch Gott-gegeben?

Gott-gegeben – von welchem Gott?

Nebenbei: Von welchem Gott eigentlich? Vom Provinzial-Wüsten-Wetter-Berge-Kriegsgott Jahwe, den sich ein primitives Wüstenvolk in der Bronzezeit als Ehemann der Fruchtbarkeitsgöttin Aschera ausgedacht hatte? Der heute zumeist als „lieber Gott“ gedacht wird?

Und der aber trotz seiner angeblichen Allmacht nichts, aber auch gar nichts gegen das reale Leid und Elend in der Welt tut? Und der sich deswegen entweder Ignoranz, Unvermögen oder Sadismus vorwerfen lassen muss? Dessen einzige Entschuldigung ist, dass er nicht existiert? Oder von welchem Gott haben Sie Ihrer Meinung nach Ihren Verstand erhalten?

Zurück zu Ihrer Behauptung: Was um alles in der Welt treibt Sie dazu, Ihre absurden Illusionen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wie etwas Reales zu verkünden? In der realen Wirklichkeit, also dort, wo Sie sich lieber auf die Polizei als auf Ihren Gott verlassen, ist bis zum Beweis des Gegenteils und nach aktueller Sach- und Faktenlage nichts „Gott-gegeben.“

Weder Ihr Verstand, noch der Verstand von Attentätern oder Amokläufern. Oder von sonstwem. Daran ändert sich bis zum Beweis des Gegenteils auch dann nichts, wenn sich manche Menschen das so vorstellen.

Schlicht gelogen

Um redlicherweise behaupten zu können, dass etwas „Gott-gegeben“ ist, bedarf es einiger Voraussetzungen, die Sie zunächst erfüllen müssten. Wichtigste Voraussetzung wäre ein wie auch immer gearteter, aber belastbarer Beleg für die Existenz des von Ihnen behaupteten Gottes.

Solange Sie diesen nicht erbringen können, lassen sich keine sinnvollen Aussagen über diesen Gott machen. Bis heute wurde dieser Nachweis nicht erbracht. Damit rangiert die Vorstellung, etwas sei Gott-gegeben, unter „Phantasie“, „Fiktion“ oder „Hypothese“ – und sollte entsprechend hypothetisch behandelt werden. Und nicht, wie in Ihrer Aussage, wie eine Tatsache behauptet werden.

Bis zum Beweis des Gegenteils ist die Aussage, dass unser Verstand Gott-gegeben ist, schlicht gelogen. Und Lügen war sogar schon in den Geboten Ihres erfundenen biblischen Wüstengottes damals in der Bronzezeit untersagt.

Man könnte nun einwenden, dass es in Ihrem „Wort zu Sonntag“ ja primär nicht um Ihre Behauptung geht, dass der menschliche Vestand Gott-gegeben sei. Ich möchte an diesem Beispiel zeigen, wie problematisch die Vermischung der religiösen Scheinwahrheit und den Herausforderungen der echten Welt ist. Und dass es kaum möglich ist, sicher gut gemeinte Überlegungen ernst zu nehmen, wenn sie von Leuten verkündet werden, die einerseits an den Verstand appellieren und die andererseits gleichzeitig an Götter und Geister glauben.

Geist der Furcht

Solchen Mut, der sich mit dem Verstand paart, nennt die Bibel „Besonnenheit“. „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den (…) der Besonnenheit.“ Heißt es da. Ich glaube, solche Besonnenheit hilft, die eigenen Emotionen zu prüfen.

Wie praktisch immer, wenn Bibelzitate das Gesagte untermauern sollen, lohnt sich ein Blick auf den Kontext, aus dem der Vers herausgepickt worden war. In diesem Fall fordert Paulus im selben Brief dazu auf, für das Evangelium zu leiden:

  • Schäme dich also nicht, dich zu unserem Herrn zu bekennen; schäme dich auch meiner nicht, der ich seinetwegen im Gefängnis bin, sondern leide mit mir für das Evangelium. (Quelle: 2. Tim 1,8 EU)

Besonnenheit oder Furcht? Die Bibel bietet beides

Und es überrascht kaum, dass sich bei Bedarf auch das genaue Gegenteil mit der Bibel „belegen“ lässt. Genauso Gott-gegeben wie die Besonnenheit ist deshalb auch die Behauptung, dass Gott Furcht bringt:

  • Da sagte Mose zum Volk: Fürchtet euch nicht! Gott ist gekommen, um euch auf die Probe zu stellen. Die Furcht vor ihm soll über euch kommen, damit ihr nicht sündigt. (Quelle: 2. Mo 20,20 EU)
  • Da sprach der Herr: Hiermit schließe ich einen Bund: Vor deinem ganzen Volk werde ich Wunder wirken, wie sie auf der ganzen Erde und unter allen Völkern nie geschehen sind. Das ganze Volk, in dessen Mitte du bist, wird die Taten des Herrn sehen; denn was ich mit dir vorhabe, wird Furcht erregen. (Quelle: 2. Mo 34,10 EU)
  • Du sollst nicht erschreckt zurückweichen, wenn sie angreifen; denn der Herr, dein Gott, ist als großer und Furcht erregender Gott in deiner Mitte. (Quelle: 5. Mo 7,21 EU)
  • Lasst euch also von der Furcht des Herrn leiten und handelt gewissenhaft; denn beim Herrn, unserem Gott, gibt es keine Ungerechtigkeit, kein Ansehen der Person, keine Bestechlichkeit. (Quelle: 2. Chronik 19,7 EU)

Gottes oberstes Gebot ist Furcht – nämlich Ehrfurcht vor ihm selbst. Wer noch mehr biblische Beispiele für „Furcht – Gott-gegeben“ braucht, findet sie im Wort Gottes. Dass die Kirche von Furcht und Angst lebt, lässt sich bei Bedarf ebenfalls umfassend belegen.

Gott-gegeben ist eine Fiktion – das Gegenteil von „klar sehen“ und „ehrlich sein“

Es geht nicht darum, die Angst aufzulösen. Sondern darum, sie klar zu sehen. Und manchmal dann auch bewusst gegen sie zu handeln. Das braucht Zeit. Und Übung. Ehrlich zu sein. Sich selbst gegenüber.

Klar sehen. Bewusst handeln. Ehrlich sein. Sich selbst gegenüber. Das alles sind reale, menschliche Fähigkeiten. Und nicht Eigenschaften eines Verstandes, der Gott-gegeben sein soll. Auch dann nicht, wenn das in einer vormittelalterlichen Legende so steht. Die Vermischung von religiöser Fiktion und realer Wirklichkeit führt immer wieder zu Missverständnissen, Unklarheiten, Vernebelung, Verwirrung.

Und sie ist nicht zur Lösung realer Probleme geeignet, weil sie sich nicht an die reale Wirklichkeit hält, sondern von einer um fiktive, überirdische Wesen erweitert ist. Ehrlich sein sich selbst gegenüber und „Gott-gegeben“ passt nicht zusammen. Damit machen Sie keinen Mut, Sie erzeugen mit Ihrer Vermischung von religiösem Wunsch und irdischer Wirklichkeit bestenfalls eine hoffnungsvolle Illusion.

Geister-Erfahrungen

Und viele Christen machen die Erfahrung: Gott hilft dabei. Er gibt „den Geist der Kraft und Liebe und Besonnenheit.“

Welche Erfahrung haben Sie konkret gemacht, die Sie so sicher macht, dass es genau der von Ihnen verehrte Gott war, der seinen Anhängern „Geist der Kraft und Besonnenheit“ gegeben hat? Und nicht die Evolution, deren Wirkungsweise Sie in Ihrer Verkündigung lustigerweise ja in Bezug auf die evolutionäre Bedeutung von Angst auch kurz angeschnitten hatten? Die Ihnen somit also doch irgendwie bekannt sein dürfte?

Wieso ist die Angst evolutionär entstanden und nicht Gott-gegeben, der Verstand aber schon? Woher wissen Sie das Eine, warum behaupten Sie das Andere? Machen Sie sich solche Gedanken nicht, bevor Sie Ihr „Wort zum Sonntag“ öffentlich verkündigen?

Bedeutet Ihre Aussage, dass Menschen, die nicht Jahwe, sondern irgendeinen anderen oder gar keinen Gott verehren, über weniger Kraft und Liebe und Besonnenheit verfügen? Oder gibt Gott auch diesen seinen „Geist der Kraft und Liebe und Besonnenheit?“ Wie stellen Sie sich das konkret vor?

Und wie kriegen Sie das mit Ihrer intellektuellen Redlichkeit, Ihrem (von wem auch immer gegebenen) Verstand und der von Ihnen geforderten Selbstehrlichkeit in Einklang?

Möglichkeiten dieser Welt

Wenn wir die Angst beherrschen, bleibt unsere Gesellschaft offen und bleiben wir frei: Für die Möglichkeiten dieser Welt.

Die größte Möglichkeit dieser Welt ist meiner Meinung nach das Überwinden religiöser Wahngedanken und die gemeinsame Arbeit an einer modernen Ethik, die für alle Menschen dieser Welt verbindlich gelten kann. Mit der Würde und Freiheit des Individuums an oberster Stelle. Götter, Geister, Gottessöhne und Gottesmütter sind dafür schon längst nicht mehr erforderlich. Weil der Verstand eben nicht Gott-gegeben ist.

Frau Elisabeth Rabe-Winnen, wenn Sie schon öffentlich, auf Staats- und damit auch auch auf meine Kosten dazu aufrufen, den Verstand zu verwenden, klar zu sehen und ehrlich zu sein, dann halten Sie sich doch bitte auch selbst daran und trennen Sie zwischen Ihrer religiösen Scheinwirklichkeit und der realen Welt. Klar denken bedeutet: Nicht an Götter glauben!  Ehrlich sein bedeutet: Menschen nicht in die Irre führen!

Sie könnten jedenfalls enorm an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn Sie auf Glaubensinhalte in Ihren Verkündigungen verzichten würden.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten „Wort zum Sonntag“.
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