Für Anfang 2017 ist eine neue Einheitsübersetzung der Bibel angekündigt.
Auf dem Cover werden die drei Key Features der überarbeiteten Ausgabe genannt: Genau, Komplett und Verständlich sei die neueste Interpretation des „Wort Gottes.“
Das legt die Vermutung nahe, dass die bisherigen Ausgaben möglicherweise ungenau, unvollständig und unverständlich waren. Sonst hätte man diese Attribute ja kaum augenfällig auf die Umschlagvorderseite gedruckt.
Andere Eigenschaften, die die Bibel bei Bedarf in den Augen von gläubigen Menschen angeblich auch hat, werden nicht genannt, wie zum Beispiel:
- „vollumfänglich von Jahwe geoffenbart“
- „heute noch relevant“
- „plausibel“
- „in sich schlüssig“
- …oder gar „wahr“
Auch diesmal fehlen wieder die dringend erforderlichen Warnhinweise, die die Bibel als jugendgefährdende Schrift ausweisen.
Änderungen in der neuen Einheitsübersetzung
Wie einigen Presseberichten zu entnehmen ist, scheint die Bibel jetzt an manchen Stellen „durchgegendert“ worden zu sein. Aus Brüdern wurden Brüder und Schwestern.
Um das möglicherweise homosexuelle Apostelpaar Andronikus und Junias zu entschärfen, wurde aus Junias Junia, Begründung: Es sei deutlich geworden, dass es sich bei den Beiden um ein Ehepaar gehandelt habe.
Ob das Dogma der Jungfrauengeburt noch gilt, nachdem die Jungfrau jetzt zur Jungen Frau umbenannt wurde, ist eine spannende Frage. Schließlich würde das bedeuten, dass der biblische Jesus so eine seiner angeblich göttlichen Eigenschaften einbüßen würde. Viele andere Göttersöhne waren auch vor Jesus schon angeblich von Jungfrauen geboren worden.
Aus den obskuren Wundern wurden in der neuen Einheitsübersetzung scheinbar handfeste Machttaten.
Aus der angeblichen Verwerfung mit den Juden, auf die sich Menschen zur Rechtfertigung eines millionenfachen Mordes berufen konnten, wurde eine Zurückweisung.
Lass dir Zeit…
Eine Prophezeiung, dass Gott angeblich einen Bund mit den Menschen schließt, wurde vorsorglich mal ins Futur 2 verlegt. So kann sich der Allmächtige noch ein bisschen Zeit lassen bis zum nächsten Besuch. Man weiß ja nie, was gerade sonst noch so ansteht im Himmelreich…
Die bekannt gegebenen Änderungen wirken auf mich wie der Versuch, die Mythen- und Legendensammlung, die für mehr Leid auf der Welt gesorgt hat als irgendein anderes Buch, irgendwie weniger absurd erscheinen zu lassen. Und weniger frauenfeindlich. Ein Affront gegen das Patriarchiat.
Genau – Komplett – Verständlich?
Warum die neue Ausgabe jetzt Genau, also offenbar „genauer“ sein soll als die bisherigen, erschließt sich mir noch nicht. Soweit ich weiß, sind keine neuen Quellen gefunden worden, die neue Erkenntnisse hätten liefern können.
Wohl aber gibt es neue Auffassungen zum Beispiel über die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Diese lassen sich aber nicht aus den vormittelalterlichen Texten ableiten.
Auch die Bereitschaft, Wunder als Zeichen für den Einfluss übernatürlicher Wesen zu akzeptieren, hat verständlicherweise stark nachgelassen. Egal, ob es als Wunder oder als Machttat bezeichnet wird.
Was die Eigenschaft Komplett angeht: Die Auswahl der in der Bibel zusammengefassten Texte geht auf den den Rat von Nizäa unter Kaiser Konstantin zurück. Das war der, der aus dem Mithraskult und aus dem Christentum den Katholizismus zu seinen (sehr weltlichen) Zwecken erschaffen hatte.
Und ob die angepriesene Verständlichkeit tatsächlich etwas an den tausenden Widersprüchen der Bibel geändert hat, bleibt abzuwarten. An der inhumanen, biblischen Gut-Böse-Gesamtaussage (Hervorhebung von mir)
- Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden. (Mt 16,16 LUT)
dürfte sich jedenfalls kaum etwas geändert haben, egal, ob andere Absurditäten jetzt vielleicht verständlicher formuliert sein mögen.
Spannende Fragen
Ob die Herausgeber bei ihrer Arbeit auch göttliche Unterstützung erfahren haben? Dann frage ich mich, wie sie ausschließen können, dass ihnen nicht vielleicht doch ein Dämon Dinge eingeflüstert hat, die die Autoren dann fälschlicherweise für das „Wort Gottes“ hielten. Oder ein Alien.
Besonders spannend finde ich die Frage, ob die bisherigen Ausgaben auch nach Erscheinen der Neuausgabe weiter als „gültig“ anerkannt werden.
Das wäre dann so, wie wenn ein Gesetzestext aktualisiert werden würde, die vorherige Fassung aber trotzdem weiter gültig bliebe. Und wenn man dann je nach Bedarf wählen würde, welche Version man als gültig anerkennt.
Und was ist mit den Schwüren, die auf frühere Ausgaben dieses am meisten überschätzten Buches der Welt geleistet wurden? Behalten die ihre Gültigkeit? Oder müssen die Benutzer nochmal explizit zustimmen, dass sie die Änderungen in der neuen Einheitsübersetzung als gültig anerkennen?
Christlichen Fundamentalisten und bibeltreuen Realitätsverweigerern dürfte es besonders schwer zu vermitteln sein, wie sich das, was sie für das dogmatisch als vollumfänglich geoffenbartes und deshalb unumstößlich wahres „Wort Gottes“ halten, überhaupt ändern kann.
Dass alle biblischen Mythen und Legenden und alle Übersetzungen, Interpretationen, Umformulierungen, Übertreibungen und Weglassungen in Wirklichkeit zu 100% menschlicher Phantasie entspringen und ein tatsächlich göttlicher Einfluss auf diese Narrative bis zum Beweis des Gegenteils auszuschließen ist, wollen sie nicht wahrhaben.
An der Gültigkeit des Mark Twain-Zitates dürfte sich jedenfalls auch durch die neue Einheitsübersetzung nichts ändern:
The best cure for Christianity is reading the Bible.
– Mark Twain
Aha - Frau Kiess redet sich ein, Ihr Gott meine es gut mit "uns". Schon mal was von der Theodizee-Problematik…