Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Jubiläum: Rund oder unrund?

Lesezeit: ~ 6 Min.

Wort zum Wort zum Sonntag: Rund oder unrund? – zum Thema Jubiläum, gesprochen von Gereon Alter (kath.), veröffentlicht am 8.10.2016 von ARD/daserste.de

Im heutigen Wort zum Sonntag moniert der Verkünder Konservatismus und Zukunftsangst – und bemüht dazu eine Stelle aus dem Alten Testament.

Achtung: Dieser Artikel enthält Original-Bibelzitate, die auf nicht religiös indoktrinierte Menschen verstörend wirken dürften.

[…] Ich halte das [Konservatismus und Zukunftsangst] für symptomatisch – für eine Gesellschaft, die sich mehr an dem orientiert, was sie hat, als an dem, was noch kommen und werden kann. Symptomatisch für eine Gesellschaft, die sich ängstlich an ihre Besitzstände klammert, anstatt zuversichtlich in die Zukunft zu gehen.*

Wort GottesHerr Alter, wie sieht’s denn vor der eigenen Haustüre so aus? Ist nicht das trotzige Festhalten an längst wiederlegten Dogmen und an fragwürdigen Moralismen aus der Bronzezeit und aus dem Vormittelalter symptomatisch – für die katholische Kirche?

Und zwar ganz unabhängig davon, wie progressiv sich ein Teil Ihrer Institution auch gerne darzustellen versucht?

Wer genau klammert sich denn ängstlich an ihre Milliardenschweren Besitzstände? Oder wer verkündigt denn den Menschen, die Zukunft stehe dunkel und unverfügbar vor uns?

Wer beharrt denn darauf, dass eine antike Mythen- und Legendensammlung das von Gott geoffenbarte „Wort Gottes“ enthält? Also natürlich nur die Ausschnitte, die dem Verkünder in den Kram passen?

Und darauf, dass auch die abstrusesten Behauptungen ohne jeden Beweis und gegen jede Vernunft wahr sein sollen? Wer ist denn darauf angewiesen, dass Menschen Angst haben? Um ihnen eine angebliche postmortale „Erlösung“ in Aussicht stellen zu können?

Wer ‚denkt‘ denn ‚in Jahrhunderten‘, wer bezieht seine zeitlosen Wahrheiten‘ aus dem ‚ewigen Rom‘?

Symptomatisch auch für eine Gesellschaft, die Angst vor dem Anderen und dem Neuen hat und daher lieber bei sich und beim Eigenen bleibt.

So wie die katholische Kirche. Die offenbar auch Angst von dem Neuen hat. Und deshalb auch im Jahr 2016 zum Beispiel auf eine öffentlich zugängliche Zurschaustellung brutalster Gewalt nicht verzichten kann. Oder will.

Das Jubiläum im Alten Testament

– Dabei hatte das Jubiläum ursprünglich einmal genau diesen Sinn: Den Aufbruch zu etwas Neuem zu ermöglichen.

Sie ahnen es: Der Ursprung des Jubiläums liegt in der Bibel. Genauer: im Alten Testament, im Buch Levitikus.

Das Alte Testament ist der Teil der Bibel, den Christen heutzutage gerne mal für „nichtig“ erklären. Das geht schneller und einfacher als Versuche, das katastrophale Gottesbild und die grotesken, absurden Mythen im Alten Testament zu bewältigen.

Und dieses Vorgehen hält Religionsvertreter nicht davon ab, bei Bedarf trotzdem nach wie vor all das auch weiterhin zu verwenden, was ihnen in den Kram passt.

Da heißt es: „Erklärt das fünfzigste Jahr für heilig, und ruft Freiheit für alle Bewohner aus. Es gelte euch als Jubeljahr.“ (Lev 25,10). – „Das fünfzigste Jahr“: das, was da gefeiert wird, kann man nicht alle paar Jahre wiederholen.

Wie immer, wenn Bibelstellen in Verkündigungen verwendet werden, lohnt sich ein Blick auf den umgebenden Text, aus dem die Stelle herausgepickt worden war. Und auch zum Thema „Jubeljahr“ finden sich im weiteren Text folgende Anleitung:

  • Willst du aber Sklaven und Sklavinnen haben, so sollst du sie kaufen von den Völkern, die um euch her sind, und auch von den Beisassen, die als Fremdlinge unter euch wohnen, und von ihren Nachkommen, die sie bei euch in eurem Lande zeugen. Die mögt ihr zu Eigen haben und sollt sie vererben euren Kindern zum Eigentum für immer; die sollt ihr Sklaven sein lassen. Aber von euren Brüdern, den Israeliten, soll keiner über den andern herrschen mit Härte. (3. Mo 25, 44-46 LUT)

Der Aufforderung, alle 50 Jahre ein Jubiläum zu feiern, folgt die (genauso wortwörtlich von Gott geoffenbarte) Aufforderung, Sklaven nur aus Nachbarländern zu kaufen.

Bibeltreue Christen hierzulande müssten ihren Sklavenbedarf demzufolge zum Beispiel in Frankreich, Österreich oder Polen decken.

Lieber feiern als Kinder essen

Das geht nur „alle Jubeljahre“. Denn es geht um etwas Großes. Es geht um Freiheit.

In Zusammenhang mit dem biblischen Jubiläum von „Freiheit“ zu sprechen, ist absurd und irreführend. Denn, wie – nicht nur, aber besonders auch – im Alten Testament üblich, folgen auf die vielfältigen Verhaltensregeln, zu denen auch das zitierte Jubiläum als Erlassjahr zählt, eine ausführliche Aufzählung dessen, was denen blüht, die sich nicht an diese Regeln halten.

Diese exzessiven, perfiden göttlichen Androhungen bei Nichtbeachtung seiner Regeln sollen dem geneigten Leser an dieser Stelle nicht vorenthalten werden:

  • Werdet ihr mir aber nicht gehorchen und nicht alle diese Gebote tun
    15 und werdet ihr meine Satzungen verachten und meine Rechte verwerfen, dass ihr nicht tut alle meine Gebote, und werdet ihr meinen Bund brechen,
    16 so will auch ich euch dieses tun: Ich will euch heimsuchen mit Schrecken, mit Auszehrung und Fieber, dass euch die Augen erlöschen und das Leben hinschwindet. Ihr sollt umsonst euren Samen säen und eure Feinde sollen ihn essen.
    17 Und ich will mein Antlitz gegen euch richten und ihr sollt geschlagen werden vor euren Feinden, und die euch hassen, sollen über euch herrschen, und ihr sollt fliehen, ohne dass euch einer jagt.
    18 Wenn ihr mir aber auch dann noch nicht gehorcht, so will ich euch noch weiter strafen, siebenfältig, um eurer Sünden willen,
    19 dass ich euren Stolz und eure Halsstarrigkeit breche, und will euren Himmel wie Eisen und eure Erde wie Erz machen.
    20 Und eure Mühe und Arbeit soll verloren sein, dass euer Land sein Gewächs nicht gebe und die Bäume im Lande ihre Früchte nicht bringen.

Um eurer Sünden willen

  • 21 Und wenn ihr mir zuwiderhandelt und mich nicht hören wollt, so will ich euch noch weiter schlagen, siebenfältig, um eurer Sünden willen.
    22 Und ich will wilde Tiere unter euch senden, die sollen eure Kinder fressen und euer Vieh zerreißen und euch vermindern, und eure Straßen sollen verlassen sein.
    23 Werdet ihr euch aber damit noch nicht von mir zurechtbringen lassen und mir zuwiderhandeln,
    24 so will auch ich euch zuwiderhandeln und will euch siebenfältig mehr schlagen um eurer Sünden willen
    25 und will ein Racheschwert über euch bringen, das meinen Bund rächen soll. Und wenn ihr euch auch in eure Städte flüchtet, will ich doch die Pest unter euch senden und will euch in die Hände eurer Feinde geben.
    26 Dann will ich euch den Vorrat an Brot verderben; zehn Frauen sollen euer Brot in „einem“ Ofen backen und euer Brot soll man euch nach Gewicht zuteilen, und wenn ihr esst, sollt ihr nicht satt werden.

Doch damit nicht genug:

  • 27 Werdet ihr mir aber auch dann noch nicht gehorchen und mir zuwiderhandeln,
    28 so will auch ich euch im Grimm zuwiderhandeln und will euch siebenfältig mehr strafen um eurer Sünden willen,
    29 dass ihr sollt eurer Söhne und Töchter Fleisch essen.
    30 Und ich will eure Opferhöhen vertilgen und eure Rauchopfersäulen ausrotten und will eure Leichname auf die Leichname eurer Götzen werfen und werde an euch Ekel haben.
    31 Und ich will eure Städte wüst machen und eure Heiligtümer verheeren und will den lieblichen Geruch eurer Opfer nicht mehr riechen.
    32 So will ich das Land wüst machen, dass eure Feinde, die darin wohnen werden, sich davor entsetzen.
    33 Euch aber will ich unter die Völker zerstreuen und mit gezücktem Schwert hinter euch her sein, dass euer Land soll wüst sein und eure Städte zerstört.

Und auch das reicht dem lieben Gott noch lange nicht:

  • 34 Alsdann wird das Land seine Sabbate nachholen, solange es wüst liegt und ihr in der Feinde Land seid; ja, dann wird das Land ruhen und seine Sabbate nachholen.
    35 Solange es wüst liegt, wird es ruhen, weil es nicht ruhen konnte, als ihr es solltet ruhen lassen, während ihr darin wohntet.
    36 Und denen, die von euch übrig bleiben, will ich ein feiges Herz machen in ihrer Feinde Land, dass sie ein raschelndes Blatt soll jagen, und sie sollen davor fliehen, als jagte sie ein Schwert, und fallen, wo sie doch niemand jagt.
    37 Und einer soll über den andern hinfallen, als wäre das Schwert hinter ihnen, wo sie doch niemand jagt, und ihr sollt nicht bestehen können gegen eure Feinde.
    38 Und ihr sollt umkommen unter den Völkern, und eurer Feinde Land soll euch fressen.
    39 Die aber von euch übrig bleiben, die sollen in der Feinde Land dahinschwinden wegen ihrer Missetat, aber auch um der Missetat ihrer Väter willen.

    (3. Mo 26, 14-39 LUT)

Diese Gewaltphantasien des Allmächtigen sind natürlich überzeugende Gründe, Sklaven nur im Ausland zu kaufen. Auch ohne weitere Begründung. Oder um alle 50 Jahre ein Jubiläum zu feiern. Als Jahr der Befreiung.

Eine Sozialreform, würden wir heute sagen.

Eine Sozialreform hat zum Ziel, die Lebensbedingungen von Menschen zu verbessern. Und nicht, den angeblichen Willen eines von Menschen als extrem inhuman, grausam und menschenverachtend erdachtes überirdisches Psychomonster mit perversen Phantasien zu erfüllen.

Dahinter stand die Überzeugung, dass unser Leben und alles, was wir haben, letztlich verdankt ist.

Wem oder was verdankt? Und wieso stand?

Freiheit und Würde

Und dass es unsere Aufgabe ist, so damit umzugehen, dass alle in Freiheit und Würde leben können.

Alle alle? Oder alle Christen? Gerade im Zusammenhang mit biblischen Texten ist diese Differenzierung sehr wichtig. Den allzu gerne wird heutzutage so getan, als seien mit den biblischen „allen“ „alle Menschen“ gemeint. Obwohl hier mit „alle“ praktisch immer nur „alle Christen“ gemeint sind.

Wie wäre es, wir hätten ein wenig mehr von diesem Geist? Nicht nur in unserem persönlichen Leben, sondern auch in unserer Gesellschaft. Wir wären eine mutige und zukunftsfähige Gesellschaft. Wir hätten die Kraft, Anderes und Neues in das Bestehende zu integrieren. Wir wären eine freiheitsliebende, soziale und gerechte Gesellschaft.

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre die Überwindung der noch immer verbreiteten religiösen Aberglauben. Mit unserer Verfassung und mit den Menschenrechten stehen bereits moderne Gesellschaftsordnungen zur Verfügung.

In denen Freiheit und Würde der Menschen tatsächlich der Menschen wegen an oberster Stelle stehen. Und keine archaischen Götter oder Geister.

Mutig und zukunftsfähig kann sein, wer sich der eigenen Schwächen und Stärken bewusst ist. Und selbstverantwortlich denkt und handelt. Wer Dinge kritisch hinterfragt, statt sie blind zu glauben. Und wer reale Lösungen für reale Probleme sucht.

Weil er zwischen seiner fiktiven Scheinwirklichkeit und der irdischen, natürlichen Realität zu unterscheiden weiß.

Ein würdiger Anlass für ein Jubiläum wird sich sicher auch dann noch finden lassen.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.
**Zitate mit der Quellenangabe (LUT) stammen aus der Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. Alle Rechte vorbehalten.
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