Ökumenischer Gottesdienst zu 70 Jahre Hessen – Bischof Algermissen: „Dem Land stehen turbulente Zeiten bevor“

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Ökumenischer Gottesdienst zu 70 Jahre Hessen – Bischof Algermissen: „Dem Land stehen turbulente Zeiten bevor“, Originalartikel veröffentlicht am 01.12.16 von Osthessennews

„Unser Glaube, unsere Beziehung zu Jesus Christus und seinem Evangelium mit politischen Konsequenzen prägte die Wertewelt dieses Landes. […]“ Dies rief der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen am Donnerstag in Wiesbaden in Erinnerung.*

Wenn Herr Algermissen mit „Land“ nicht „Hessen“, sondern „Deutschland“ gemeint hat, stimme ich der Aussage zu: Knapp 1000 Jahre lang prägten der christliche Glaube, die Beziehung der Gläubigen zu Jesus Christus und seinem Evangelium (naja, in Wirklichkeit eher die unbändige klerikale Macht- und Geldgier) die Wertewelt dieses Landes.

Diese Zeit ist als das „Finstere Zeitalter“ oder auch als „Dunkles Mittelalter“ als unrühmliches Kapitel in die Geschichte der Menschheitsentwicklung eingegangen.

Hessen und die Wertewelt

Wir können von Glück reden, dass während der Aufklärung Menschen unter Einsatz ihres Lebens für das Wiedererstarken der Werte einsetzten, die die Kirche fast 1000 Jahre lang mit allen Kräften und zu ihren Gunsten unterdrückt hatte.

Die Werte, die unsere heutigen modernen Gesellschaftsordnungen ausmachen, sind eben nicht die Werte, die Herr Algermissen wahrscheinlich für die „christlichen“ hält. Kein erfundener Wüstengott aus der Bronzezeit oder dessen Sohn, stehen an oberster Stelle unserer Gesetze. Sondern die Würde und Freiheit des Individuums. Zum Glück..

In einem ökumenischen Gottesdienst […] betonte Algermissen, es sei Aufgabe der Christen, den Menschen, die Halt und Vertrauen verloren hätten, Hoffnungsbilder heilend zu vermitteln.

Hoffnungsbilder heilend vermitteln

Wieso sollten es ausgerechnet Aufgabe von Christen in Hessen sein, „Hoffnungsbilder heilend zu vermitteln“? Was sollen diese angeblich heilenden „Hoffnungsbilder“ überhaupt sein? Das christliche Heilsversprechen, bestehend aus Fiktionen in Form von Auferstehungsmythen und Erlösungslegenden?

Es lässt sich schwer sagen, ob Arroganz oder Realitätsferne der Grund dafür ist, ausgerechnet bestenfalls hoffnungsvolle Illusionen zur Wiedergewinnung von Halt und Vertrauen zu empfehlen. Vielleicht auch beides.

„Auf dem Weg in die Zukunft unseres Landes Hessen bedürfen wir solcher Bilder, um angesichts der Daseinskrisen von Leiden und Sterben, von Ohnmacht und Ausgeliefertsein die nächsten notwendigen Schritte zu tun“, unterstrich der Bischof und wünschte den politisch Verantwortlichen des Landes Gottes Segen.

Hessen
Käse aus Hessen

Nebulöse, im Grunde völlig nichtssagende Phrasen wie diese trifft man in religiösen Verkündigungen meist dann an, wenn die Verkündiger nicht wissen, was sie sonst verkündigen sollen.

Es könnte natürlich auch sein, dass in dem Originalartikel Informationen fehlen, um nachvollziehen zu können, was Herr Algermissen hier vielleicht gemeint haben könnte. Ohne weitere Informationen würde ich diesen Satz unter „Geschwurbel“ abelegen.

Zaubersprüche für politisch Verantwortliche?

Die Botschaft von der Hoffnung, die auf Gottes Liebe zu den Menschen beruht, treffe in unserer Gesellschaft auf Menschen, die ihrerseits suchend und fragend oder auch kategorisch jedweder Botschaft ablehnend gegenüberstünden.

Ein allmächtiger, allwissender und allgütiger Gott, der keine bessere als diese Welt schaffen konnte oder wollte, hat mit „Liebe“ nichts zu tun. Wer auf Gott hofft, kann genauso auch auf Rumpelstilzchen, die Zahnfee oder auf das Fliegende Spaghettimonster hoffen. Es macht keinen Unterschied.

Auch wenn es Herr Algermissen wahrscheinlich nicht wahrhaben will (falls er es denn mitbekommt): Die Zahl derer, die suchen und fragen und die deshalb religiöse Botschaften mangels Plausibilität und Sinnhaftigkeit – nicht kategorisch, sondern sehr gezielt und wohl überlegt – ablehnen, steigt ständig.

Immer weniger Menschen sind noch bereit, vormittelalterliche Mythen und Legenden wider ihr Gewissen und besseres Wissen im 21. Jahrhundert noch für wahr zu halten.

Wer profitiert von Sinnverlust?

[…] „Angst aber bedeutet Sinnverlust“, hob Bischof Algermissen hervor. „Dieser Befund macht mich unruhig und offenbart, dass unser Land Hessen sein achtes Jahrzehnt in turbulenten Zeiten beginnt.“

Turbulent besonders auch für die katholische Kirche. Der auch in Hessen immer mehr Leute den Rücken kehren. Für eine Ideologie, die für sich beansprucht, Menschen einen Sinn für ihr Dasein liefern zu können, kann ein Sinnverlust nur von Vorteil sein.

Dabei stellt sich einmal mehr die Frage: Womit meint wohl jemand, der in einer religiös erweiterten Scheinwirklichkeit lebt, zur Beantwortung von Sinnfragen beitragen zu können? Wo Antworten aus religiöser Sicht doch schon an der Voraussetzung falscher Behauptungen scheitern?

Daraus erwachse die Verpflichtung für Christen, Zeugen für eine lebensbestimmende Hoffnung zu sein, „die keine Illusion ist und keine billige Vertröstung“.

Glaube: Keine Illusion, keine billige Vertröstung – sondern…?

Herr Algermissen, was genau unterscheidet das christliche Heilsversprechen von einer Illusion und billigen Vertröstung? Wie vereinbaren Sie es mit Ihrem Gewissen, Menschen etwas, was natürlich eine Illusion und eine billige Vertröstung ist, als „lebensbestimmende Hoffnung“ zu verkaufen?

Und einmal mehr frage ich mich: Ist Ihnen wirklich nicht bewusst, wie arrogant und heuchlerisch solche Aussagen über angeblich lebensbestimmende Hoffnungen klingen?

[…] Am Ende der Rede kam Kermanis Bitte, nicht zu applaudieren, sondern aufzustehen und still für einen ihm bekannten Priester und dessen Gemeinde zu beten, […]

Diese Ankedote hatte Herr Algermissen schon in seiner Neujahrsverkündigung verwendet. Deshalb zitiere ich meinen Kommentar:

  • Es stimmt hoffnungsvoll, dass immer mehr Menschen wie in diesem Beispiel nicht mehr auf die Illusion eines Gottes hereinfallen und demzufolge logischerweise auch nicht mehr an die Wirksamkeit oder Sinnhaftigkeit irgendwelcher Gebete an diesen (oder irgendeinen anderen) Gott glauben.

Religion: Privatsache

„Wie weit haben wir die Religion bereits aus der Öffentlichkeit vertrieben?

Die Religion muss nicht aus der Öffentlichkeit vertrieben werden. Sie wird in der Öffentlichkeit schlicht nicht mehr gebraucht. Vielmehr wird sie heutzutage in der Öffentlichkeit von einer offenen Gesellschaft toleriert. Samt Herrn Algermissen und seinen teils absurden und beleidigenden Ansichten. Und umgekehrt als andersherum.

Doch nach wie vor und trotz Aufklärung und Säkularisierung hat die Kirche auch 2016 noch einen mit nichts zu rechtfertigenden Einfluss in vielen Bereichen, die mit Religion nichts zu tun haben.

Religion sollte das sein, was sie selbstverständlich gerne sein kann: Ein optionales Angebot für Erwachsene mit entsprechendem Verhältnis zur Wirklichkeit. Oder mit einem Faible für Menschen mit einer düster-fatalistisch-irrealen „Weltsicht.“ Die gibts auch in Hessen.

Keine Frage von Sensibilität

Haben die Menschen in dieser Gesellschaft die Sensibilität dafür verloren, dass Gebete die expressivste Möglichkeit sind, die menschliche Existenz in Worte zu fassen, wenn in einer sonst geschwätzigen Welt alle Worte versagen?

Nein. Immer weniger Menschen in dieser Gesellschaft fallen noch auf das herein, was Menschen wie Herr Algermissen behaupten. Ohne einen einzigen Beweis dafür erbringen zu können.

Mit erfundenen, unsichtbaren überirdischen Wesen zu sprechen ist keine Frage von Sensibilität. Sondern – je nachdem – von Naivität, Ignoranz und/oder Arroganz. Oder, wenn sich jemand tatsächlich auf die Wirksamkeit von Gebeten in der irdischen Wirklichkeit verlässt, von Wahn.

Noch kein einziges Gebet wurde jemals von einem Gott erhört, der daraufhin irgendwie nachweisbar ins Geschehen eingegriffen hätte. Wer solches behaupetet, ohne einen Beweis dafür erbringen zu können, führt Menschen in die Irre – um es höflich zu formulieren.

Mehr Hoffnung als Optimismus?

Gibt es noch die verbindende Kraft einer gemeinsamen Hoffnung, die mehr ist als Optimismus?“

Die gemeinsame hoffnungsvolle religiöse Illusion mag tatsächlich mal als verbindende Kraft wahrgenommen worden sein. Je schlechter Menschen dran waren, umso eher schienen sie bereit zu sein, statt der traurigen irdischen Realität einer hoffnungsvolle Illusion als wahr anzuerkennen.

Wofür auch die zunehmende Einflussnahme von Kirchen in Ländern mit großer Armut spricht. Religiöser Glaube an einen erfundenen Gott kann bestenfalls eine Illusion von Hoffnung bieten. Vergleichbar mit Alkohol oder Drogen.

Dass Herr Algermissen menschlichen Optimismus gering schätzt, hatte er in früheren Verkündigungen schon wissen lassen. Inwiefern eine lediglich behauptete Hoffnung auf eine Illusion „mehr“ sein soll als der Optimismus von rational denkenden Menschen, wäre mal interessant zu erfahren.

…geschenkt?

[…] „Am stärksten berührt mich die Tatsache, dass uns 70 Jahre ohne Krieg geschenkt wurden […]“

Wenn jemand wie Herr Algermissen davon spricht, dass „uns“ etwas „geschenkt“ wurde, liegt immer der Verdacht nahe, dass hier wieder mal die religiöse Scheinwirklichkeit und die irdische, natürliche Wirklichkeit vermischt wurden.

Nein, Herr Algermissen. Friede wurde uns nicht „geschenkt.“ Er ist dem Einsatz von Menschen zu verdanken. Von Menschen, die in der Verfassung wieder die individuelle Freiheit und Würde als höchste Werte verankert hatten.

„Und wenn das so ist, dann doch wohl auch begründete Hoffnung auf Zukunft – ohne sie ginge es uns wie einer Lunge ohne Sauerstoff.“

Meine Hoffnung auf Zukunft basiert auf der Hoffnung auf die Entwicklungsfähigkeit der Menschen. Ich hoffe darauf, dass sich auch weiterhin viele Menschen von religiösen Denkverboten befreien. Das christliche Belohnungs-Bestrafungskonzept hat ausgedient. Immer weniger Menschen fallen auf fiktive Heilsversprechen herein. Und immer weniger Menschen lassen sich von ebenso fiktiven Androhungen beeindrucken.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.

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