Kirche ist keine Lobbygruppe? So funktioniert christliche Lobby-Arbeit

Lesezeit: ~ 5 Min.

Kirche ist keine Lobbygruppe? So funktioniert christliche Lobby-Arbeit, Kommentar zu einem Beitrag auf sueddeutsche.de vom 17.07.2017

Münchens Erzbischof Reinhard Marx hat seinen Wunsch bekräftigt, das Bundesverfassungsgericht über die „Ehe für alle“ befinden zu lassen. Er betonte aber, die katholische Kirche sei „keine Lobbygruppe für eigene Interessen“, sondern stehe für Freiheit und Menschenwürde ein.*

Dieses Selbstbild der katholischen Kirche als selbstlose Freiheitsbewegung mit humanistischen Zielen wie Freiheit und Menschenwürde ist an Heuchelei kaum zu überbieten. Denn dieses, von Herrn Marx kolportierte Bild entspricht nicht der Faktenlage. Ein Beispiel, wie Freiheit und Menschenwürde aus katholischer Sicht aussieht, bringe ich am Ende dieses Beitrags.

Die katholische Kirche betreibt einen ungeheuer großen Aufwand zur Wahrung ihrer eigenen Interessen.

Schon allein das Beharren auf einer eigenen katholischen Parallel-Justiz inkl. eigenem Arbeitsrecht dient der Sicherung eben dieser eigenen Interessen.

Aber auch die Einflussnahme durch katholische Lobby-Arbeit auf Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit hat unglaublich große Dimensionen.

Das riesige Lobby-Netzwerk des ZdK

Lobbynetzwerk der katholischen Kirche
Lobbynetzwerk der katholischen Kirche***

In Wirklichkeit unterhält die katholische Kirche in Deutschland ein so dichtes Lobby-Netzwerk, dass die Darstellung dieser Vernetzungen gerade so auf ein DIN A0-Blatt passt.

Das Netzwerk des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) hat der Politologe, Autor und Publizist Dr. Carsten Frerk zusammen mit Jan Bedrich untersucht.

Und wer sich die vielfältigen Beziehungen zwischen kirchlichen und weltlichen Personen und Institutionen mal selbst näher anschauen möchte, findet hier die Grafik*** von Jonas Parnow.

Letztlich sei es aber Aufgabe des Staates, diese Angelegenheit zu regeln; die Kirche habe sich zurückzuhalten. Gemeinsam mit Andreas Voßkuhle, dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, lobte er das Verhältnis von Staat und Kirche als eine „wohlwollende Neutralität“.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors

Schaut man sich an, was der katholische Klerus unter dem Begriff „wohlwollende Neutralität“ versteht, so kann der Appell zur kirchlichen Zurückhaltung in öffentlichen Angelegenheiten nur ein Lippenbekenntnis sein. Denn weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit bedient sich die katholische Kirche genauso eines Lobby-Netzwerks – wie andere Konzerne auch.

Und solange die Kirche noch in diesem Maße über Lobby-Arbeit Einfluss auf die Politik nehmen kann, kann ein (vom Staat bezahlter) Kirchendiener wie Kardinal Marx problemlos zur kirchlichen Zurückhaltung aufrufen.

Nach außen kann man sich als eine von einem wohlwollend-neutralen Staat geduldete Institution darstellen. Denn die tatsächliche Einflussnahme läuft weitestgehend im Verborgenen ab.

Umfangreiche Einflussnahme

Bis heute meint die katholische Kirche, sich in die Angelegenheiten aller Menschen einmischen zu dürfen. „Ehe für alle“ oder Homosexualität allgemein ist dabei nur eins von vielen Themen.

Auch in vielen anderen Bereichen wie zum Beispiel selbstbestimmtes Lebensende, Abtreibung, Bekenntnisunterricht oder Missachtung der Gedanken- und Religionsfreiheit zehrt die katholische Kirche bis heute von Sonderprivilegien, die ihr diese Einflussnahme erst ermöglichen. Ohne einen fruchtbaren, dicht vernetzten Lobby-Sumpf wäre dies gar nicht möglich.

Die bayerische Staatsregierung prüft derzeit, ob sie eine Normenkontrollklage gegen den Bundestagsbeschluss zur „Ehe für alle“ erheben soll.

Wieso sich also selbst die Finger schmutzig machen, wenns auch so funktioniert? So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: Man kann sich selbst der Zurückhaltung rühmen. Und beauftragt die Kollegen aus der Politik, die eigenen Interessen durchzusetzen.

Wie in Lobby-Kreisen üblich, fallen hier die Entscheidungen gerne mal zum Beispiel beim gemeinsamen Frühstück.

„Unser Erfolg beeindruckt manchmal auch die Bankenlobby oder die Atomlobby.“ – Kirchenlobbyist Karl Jüsten (Quelle)

Wer die Geschichte der katholischen Kirchenlobby von Beginn des 20. Jahrhundert bis heute kennenlernen möchte, dem sei das Buch Kirchenrepublik Deutschland – Christlicher Lobbyismusvon Dr. Carsten Frerk empfohlen. Einen Flyer der Giordano-Bruno-Stiftung zu diesem Thema gibts hier als PDF-Dokument.

Marx betonte, der Staat dürfe die Kirche nicht drängen, ihre Auffassung zu ändern. Sollte dies passieren, „müsste ich zum Kulturkampf aufrufen“, meinte er scherzhaft.

Welche Auffassung die Kirche zu gesellschaftlichen oder politischen Themen hat, ist in einem Säkularstaat für die Allgemeinheit völlig unerheblich. Ihre Vertreter mögen ihre Auffassungen selbstverständlich trotzdem auch öffentlich kundtun. Und zwar bitteschön auf eigene Kosten.

Freiheit und Menschenwürde aus katholischer Sicht

Gerade das katholische Christentum gefällt sich ja allzu gut in der Opferrolle. Dabei ist es gerade die katholische Kirche, die zum Beispiel ihre Angestellten nicht nur drängt, sondern sogar zwingt, ihr fragwürdiges, antiquiertes Welt- und Wertebild basierend auf dem vermeintlichen Willen eines erfundenen Wüstengottes aus der Bronzezeit anzunehmen.

Bei Missachtung droht kein scherzhafter Kulturkampf. Sondern die Kündigung.

In der Präambel zur „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“, Ausgabe vom 27. April 2015 heißt es (Hervorhebungen von mir):

  • Die Berufung aller Menschen zur Gemeinschaft mit Gott und untereinander zu dienen, ist der Auftrag der Kirche. In lebendigen Gemeinden und Gemeinschaften bemüht sie sich, weltweit diesem Auftrag durch die Verkündigung des Evangeliums, die Feier der Eucharistie und der anderen Sakramente sowie durch den Dienst am Mitmenschen gerecht zu werden. [Anm.: Man beachte die Reihenfolge.]

Und weiter, unter der Überschrift „Eigenart des kirchlichen Dienstes“ heißt es:

  • In der Einrichtung selbst muss sichtbar und erfahrbar werden, dass sie sich dem Auftrag Christi verpflichtet und der Gemeinschaft der Kirche verbunden weiß. Alle Beteiligten, Dienstgeber sowie leitende und ausführende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, müssen bereit sein, „an der Verwirklichung eines Stückes Auftrag der Kirche im Geist katholischer Religiösität, im Einklang mit dem Bekenntnis der katholischen Kirche und in Verbindung mit den Amtsträgern der katholischen Kirche“ mitzuwirken.

Kirchenangestellte: Kirchenzugehörigkeit vorgeschrieben

Konkret wird es dann im Kapitel IV. Anforderungen der Kirche an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter:

  • 2. Damit die Einrichtung ihre kirchliche Sendung erfüllen kann, muss der kirchliche Dienstgeber bei der Einstellung darauf achten, dass eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter die Eigenart des kirchlichen Dienstes bejaht. Er kann pastorale, katechetische und in der Regel erzieherische Aufgaben nur einer Person übertragen, die der katholischen Kirche angehört.

Die Würde und Freiheit des Menschen endet, jedenfalls innerhalb der katholischen Kirche und ihrer Einrichtungen (von denen viele zum allergrößten Teil von der Allgemeinheit finanziert werden), also beim religiösen Bekenntnis. Ganz abgesehen von der rechtlichen Seite bringt die katholische Kirche viele ihrer Angestellten damit in Gewissensnöte:

Nämlich all die, die sich selbstverständlich für die Würde und Freiheit der Menschen einsetzen, dies aber vielleicht nicht auf Grundlage des absurden, inhumanen christlichen Belohnungs-Bestrafungskonzeptes und einer Auferstehungslegende tun möchten. Sondern im Interesse ihrer Mitmenschen.

Die Sonderstellung, die es der katholischen Kirche ermöglicht, Arbeitsverhältnisse von einem Kriterium wie des Glaubens (oder auch von der sexuellen Orientierung) abhängig zu machen, ist aus heutiger Sicht völlig unangemessen.

Die rechtlichen Voraussetzungen dafür, sofern überhaupt vorhanden, stammen aus Zeiten mit gänzlich anderen Verhältnissen als heute.

Wer wie Kardinal Marx tatsächlich der Meinung ist, die Kirche sei kein „Lobbyverein“, dem sei die Lektüre dieses Buches wärmstens empfohlen:

Buchtipp: Kirchenrepublik Deutschland

Carsten Frerk
Kirchenrepublik Deutschland
Christlicher Lobbyismus. Eine Annäherung
303 Seiten, kartoniert, Euro 18.-
Alibri Verlag, 2015
ISBN 978-3-86569-190-3

Das Buch ist die gekürzte und für ein Publikum außerhalb der Fachkreise angelegte Zusammenfassung der Ergebnisse der Studie. Carsten Frerk beschreibt darin, wie die Kirchen in Deutschland systematisch Einfluss auf die Politik nehmen. Dabei zeigt sich, dass katholische und evangelische Stellen in einer Weise in Gesetzgebungsverfahren eingebunden sind wie keine zweite zivilgesellschaftliche Kraft.

Das Buch untersucht – erstmalig für Deutschland – die Arbeit der kirchlichen Büros und ihre Kontakte in die Ministerialbürokratie. Dabei stößt es auf interessante personelle Überschneidungen und Karriereverläufe. Es stellt dar, über welche Kanäle die Kirchen ihre Informationen erhalten und welche Strukturen begünstigen, dass politische Entscheidungen im Sinne der Kirchen ausfallen.

Als Fazit kommt Carsten Frerk zu der Einschätzung, dass die Kirchen – wo es um ihre ureigenen Belange als Organisationen geht – die erfolgreichsten Lobbyisten der Republik sind. Das Buch schafft Problembewusstsein für Ämterverquickung und „Seitenwechsler“. Es fordert Befangenheitsregeln für Parlamentarier und thematisiert den durch die Kirchen „gekaperten Staat“. (Quelle: alibri-verlag.de)

Da das Buch beim Verlag nicht mehr lieferbar ist, entweder bei ZVAB (Zentralantiquariat – https://www.zvab.com/ ) nachschauen oder hier als PDF zum Herunterladen.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
**Wir haben keinen materiellen Nutzen von verlinkten oder eingebetteten Inhalten oder von Buchtipps.
***Quelle: Screenshot der „Grafik Netzwerk des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken.“ Veröffentlicht auf der Webseite kirchenrepublik.de, Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten e. V. – Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Autors

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