Mehr als ein paar Ohrfeigen – das Wort zum Wort zum Sonntag zum Gewalt- und Kindesmissbrauchsskandal bei den Regensburger Domspatzen, verkündet von Pfarrer Dr. Wolfgang Beck (kath.), veröffentlicht am 23.07.2017 von ARD/daserste.de
[…] Und wieder einmal muss ich sowohl im Blick auf die Taten, auf die Schicksale der Opfer, wie auch im Blick auf das träge Verhalten der Verantwortlichen bei der Aufklärung sagen: Mir fehlen die Worte! Ich bin als Mitbürger entsetzt! Und ich bin als Priester zutiefst beschämt!*
Was bleibt einem angesichts der objektiv ermittelten Faktenlage auch noch anderes übrig als die Flucht nach vorne. Besonders dann, wenn man als Vertreter dieser katholischen Kirche die Aufgabe hat, ein überwiegend mehr oder weniger glaubensbefreites oder zumindest kirchenkritisches Publikum zu erreichen. Was ja nur Sinn und Zweck einer Verkündigungssendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sein kann.
Wer nach solchen Kindheitserfahrungen mit der Kirche nichts mehr zu tun haben will, hat mein volles Verständnis.
Wie sieht es mit dem Verständnis für diejenigen aus, die vor diesen Erfahrungen zwar persönlich verschont geblieben waren? Und die aber trotzdem nichts mehr mit der Kirche zu tun haben wollen?
Mit einer Kirche, die zwar einerseits für sich beansprucht, nicht nur über höchste, überlegene moralische Standards zu verfügen? Sondern die meint, diese auch noch für die Allgemeinheit vorgeben zu können? Und die keine Anstalten macht, ihre umfangreiche und heute mit nichts mehr zu rechtfertigende Sonderprivilegierung aufzugeben?
Eine Sonderprivilegierung, die ihr es erst ermöglicht, Skandale wie die jetzt aufgedeckten 547 Gewalt- und Kindesmissbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen so lange zu vertuschen, dass inzwischen alle Rechtsansprüche verjährt sind?
Schuldeingeständnis zum Gewalt- und Missbrauchsskandal bei den Regensburger Domspatzen
Der lange Weg der Aufarbeitung zeigt auch, wie mühsam das Lernen bei den Verantwortlichen ist. Es wird anscheinend immer nur so viel aufgeklärt, wie wirklich unumgänglich ist.
Zu sehr haben sich gerade in katholischen Kreisen Vorstellungen entwickelt, man würde der Kirche und damit dem christlichen Glauben, ja sogar der Botschaft der Bibel schaden, wenn Probleme offen beim Namen genannt werden. Allzu gerne werden bis heute Ablenkmanöver akzeptiert, bei denen es heißt: es sei eben eine Zeit gewesen, in der Schläge überall zur Erziehung gehörten. Die Täter seien eben Einzelfälle.
Oder es habe doch auch bei nichtkirchlichen Einrichtungen und Parteien Pädophilie und Gewalt gegeben. Um es klar zu sagen: Das sind die üblichen Ausflüchte, um die Dramatik abzuschwächen.
Nein, die vielen Fälle sexuellen Missbrauchs durch Priester, Erzieher und andere Personen machen immer wieder klar: Es gibt in der katholischen Kirche Strukturen, die solches Leid und den Schutz von Tätern begünstigen!
Dazu gehört die große Intransparenz von Entscheidungsabläufen und bei der Vergabe von Ämtern.
Dazu gehört die Machtfülle von Bischöfen und hohen Klerikern ohne wirksame neutrale Kontrolle.
Dazu gehören Verklemmtheit und Verlogenheit im Umgang mit Fragen des Körpers und der Sexualität. Dazu gehört auch die theologische Rede von einer heiligen Kirche mit einem abgehobenen Verständnis von Kultur und Liturgie.
Diesen Aussagen stimme ich uneingeschränkt zu. Die Frage, die sich mir stellt ist allerdings: Spiegelt dieser Offenbarungseid einen allgemein anerkannten Standpunkt der katholischen Kirche wider? Oder nur die persönliche Ansicht eines Kirchenangestellten? Der sich berufsbedingt zu dem Skandal der Regensburger Domspatzen öffentlich äußern muss?
Welche Konsequenzen zieht die Kirche?
Welche Schlüsse zieht die katholische Kirche aus diesen Erkenntnissen? Welche Folgen hat dieses Schuldeingeständnis? Und zwar nicht nur in Hinblick auf eine Entschädigung der Opfer. Sondern auch strukturell und perspektivisch?
Dazu äußert sich Pfarrer Dr. Wolfgang Beck nicht konkret. Im Gegenteil: Ganz offenbar traut er seiner Arbeitgeberin nicht zu, die nötigen und längst überfälligen Schritte von sich aus zu gehen.
Ist der Skandal um die Regensburger Domspatzen nicht auch ein weiterer schmerzlicher Beleg dafür, dass die Paralleljustiz, die sich die katholische Kirche bis heute leistet, ganz offensichtlich versagt hat? Und dass die Ausnahmeregelung, die es der Kirche erlaubt, „ihre Angelegenheiten selbst zu regeln“ eben nicht länger gelten kann?
Solch ein Gemenge lässt sich wohl nur austrocknen, wenn es unabhängige Instanzen gibt, die nicht nur den Umgang mit Kindern, sondern alle Amtsstrukturen durchleuchten.
Nochmal: Das lässt sich leicht behaupten. Aber ob die katholische Kirche tatsächlich bereit ist, auf irgendwelche Sonderprivilegien in Zukunft zu verzichten, halte ich für äußerst fraglich. Wahrscheinlicher ist davon auszugehen, dass der katholische Klerus bei solchen wie auch bei anderen Skandalen auch weiterhin auf (Ver-)schweigen setzt. Solange er noch die Macht dazu hat.
Es ist zum Beispiel auch kaum davon auszugehen, dass die katholische Kirche ihr eigenes Arbeitsrecht, das ihr umfassende Kontrolle bis ins Schlafzimmer und in die privateste Gedankenwelt ihrer Angestellten ermöglicht, jemals aufgeben wird. Jedenfalls, solange es sich noch irgendwie vermeiden lässt.
Und genausowenig wird man freiwillig auf das Recht verzichten, Kinder vom Säuglingsalter an mit religiösen Wahngedanken aller Art zu indoktrinieren. Durch dieses perfide Vorgehen werden nämlich die Voraussetzungen geschaffen, dass sich Kinder und auch Erwachsene später nicht angemessen gegen religiös begründete Gewalt, sei es körperliche, sexuelle oder in Form von Einmischung in das Privatleben wehren können.
Eine Spitze des Eisbergs
So dramatisch der Gewalt- und Kindesmissbrauchsskandal der Regensburger Domspatzen für die Betroffenen zweifellos ist: Er ist eine Spitze eines Eisbergs, der nur durch hartnäckige Gegenwehr der Opfer und gegen massiven kirchlichen Widerstand nach vielen Jahren endlich doch noch ins Licht der Öffentlichkeit gerückt ist.
Die ebenso skandalösen Hintergründe und strukturelle Voraussetzungen, die diesen systematischen, institutionalisierten Machtmissbrauch über viele Jahre erst ermöglicht hatten, werden wohl auch diesmal weitgehend im Verborgenen bleiben.
In den letzten Jahren ist in der katholischen Kirche bereits viel Aufwand betrieben worden, um Prävention vor Gewalt und die Aufklärung bei entsprechenden Anzeichen zu ermöglichen. Und finanzielle Unterstützung für die Opfer ist mittlerweile auch üblich.
Das ist ja wohl auch das Mindeste. Rechtliche Folgen hat man ja nicht mehr zu befürchten, rechtlich gesehen sind alle Fälle verjährt. Wie von einem Betroffenen zu erfahren war, war die finanzielle Entschädigung für ihn zweitrangig. Viel wichtiger war es ihm, dass sein Missbrauch und die brutale Gewalt gegen ihn während seiner Zeit bei den Regensburger Domspatzen endlich von der katholischen Kirche öffentlich und offiziell zugegeben werden musste.
Die Regensburger Domspatzen und die vielen Opfer in ihren Reihen machen aber deutlich, dass es mehr braucht: Es braucht die Bereitschaft von Bischöfen, die Strukturen klerikaler Macht und kirchlicher Intransparenz nachhaltig zu durchleuchten. Für diese Bereitschaft braucht es den Druck von Mitbürgern, braucht es die kritische und häufig als störend empfundene Öffentlichkeit. Gerade deshalb: Helfen Sie mit, dass dieser Druck nicht nachlässt!
Die Kirche und die „kritische und häufig als störend empfundene Öffentlichkeit“
Was ist von einer Institution zu halten, die eine kritische Öffentlichkeit als störend empfindet? Die, geht man von dieser Behauptung aus, offenbar nicht willens und/oder in der Lage ist, sich selbst von sich aus mit geltendem Recht und den verhandelten, heute allgemein anerkannten ethischen Standards in Einklang zu bringen?
Und die sich aber gleichzeitig im Besitz einer überlegenen, gottgegebenen Moral wähnt? Die sie als verbindlich für alle Menschen fordert? Welchen Status, welche Bedeutung, welchen Einfluss kann und darf eine solche Institution in einer säkularen, offenenen und freien Gesellschaft noch haben?
Sie ist freilich zu tolerieren – solange sie nicht gegen Recht und Gesetz verstößt. Als optionales spirituelles Angebot für Erwachsene mit entsprechenden Bedürfnissen. Das wars aber auch schon.
Die Wirklichkeit sieht auch im Jahr 2017 noch anders aus. Denn auch im säkularen Deutschland zehrt die Kirche bis heute von ihrer Sonderstellung, die sie Verträgen zu verdanken hat, die in längst vergangenen Zeiten unter gänzlich anderen Voraussetzungen geschlossen worden waren. Hier gilt es anzusetzen.
Und das dürfte für die Kirche noch ein viel umfangreicherer Lernprozess werden. Als nur mal notgedrungen und auf äußeren Druck hin die eigenen Strukturen zu durchleuchten.
Aufklärung statt Druck
Mittel- und langfristig ist nicht nur Druck von außen, sondern vor allem Aufklärung angesagt. Je mehr Menschen anfangen, selbstverantwortlich und selbständig zu denken, statt auf das inhumane, absurde christliche Belohnungs-Bestrafungskonzept hereinzufallen, desto überflüssiger wird religiöser Glaube. Und damit auch die Kirchen, die ihn propagieren.
Menschen, sie sich nicht mehr mit erfundenen Göttern, Geistern und Gottessöhnen in die Irre führen lassen, werden sich auch besser gegen diejenigen zu wehren wissen, die ihre vorgeblich höhere Stellung dazu missbrauchen, persönliche Rechte Anderer zu verletzen.
Und das gilt nicht nur für die Chorknaben der Regensburger Domspatzen. Sondern auch für alle Erwachsenen, denen die Kirche bis heute vorschreibt, wie sie zu leben und zu lieben und was sie für wahr zu halten haben.
Quelle: tagesschau.de
*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
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Pressemeldungen zum Thema
- zeit.de: Mindestens 547 Chorknaben wurden missbraucht
- sueddeutsche-zeitung.de: Mindestens 547 Gewaltopfer bei Regensburger Domspatzen
- spiegel.de: Katholische Kirche – 547 Regensburger Domspatzen misshandelt
- welt.de: Mindestens 547 Gewaltopfer bei Regensburger Domspatzen
- stern.de: Regensburger Domspatzen: Mindestens 547 ehemalige Schüler missbraucht
- faz.net: 547 Domspatzen Opfer von Übergriffen
- deutschlandfunk.de: Regensburger DomspatzenMindestens 547 Missbrauchs- und Misshandlungsfälle
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