Erholung in Zeiten des Terrors – Das Wort zum Wort zum Sonntag über Humor

Lesezeit: ~ 5 Min.

Erholung in Zeiten des Terrors – Das Wort zum Wort zum Sonntag von Gereon Alter (kath.) über Humor, veröffentlicht am 5.8.2017 von ARD/daserste.de

Es war der Versuch, mich ein wenig zu erholen. Ich war ein paar Tage in der Normandie. Aber was ich auch getan und wo ich hingeschaut habe: Erinnerungen an den Terror. In jeder Kirche der Normandie steht heute ein Bild von Jacques Hamel, dem alten Priester, dem vor genau einem Jahr zwei Schergen des IS die Kehle durchgeschnitten haben.

Die Gewalttäter waren sicher felsenfest davon überzeugt, das Bestmögliche im vermeintlichen Namen und Auftrag ihres Gottes und zur Rettung ihrer „Seelen“ getan zu haben: Die Vernichtung Un- und Andersgläubiger. Was nach islamistischen Verständnis ja Dasselbe ist.

Noch „heiliger“, noch „frommer“ hätten sie wohl nur gegolten, wenn sie als Selbstmordattentäter sich selbst und am besten gleich noch ein paar weitere Ungläubige mit ins vermeintliche Jenseits befördert hätten. Und die Angehörigen hätten sich über den warmen Geldsegen gefreut, mit dem der IS die Familien von Selbstmordattentätern für den (in Anbetracht der in Aussicht gestellten 72 Jungfrauen zur Befriedigung ihres aufgestauten und unterdrückten sexuellen Verlangens dann doch nicht so ganz selbstlosen) Einsatz ihrer Gotteskrieger belohnt.

[…] Dabei wollte ich eigentlich einmal abschalten. Wie geht das: Urlaub und Erholung in Zeiten des Terrors? – Mir scheint das keine nebensächliche Frage zu sein. Denn so wichtig eine funktionierende Terrorabwehr und ein kluger politischer Umgang mit der Situation, so wichtig scheint es mir auch zu sein, gut auf die eigene Seele acht zu geben. Denn auf sie vor allem zielt ja der Terror.

12 Mal Spargelzeit

Die „Zeiten des Terrors“ sind eben nicht nur „Zeiten des Terrors.“ Sondern auch Zeiten der Erholung und des Genusses. Oder, wie Max Goldt es ausdrückte: Auch während der Nazizeit war 12 Mal Spargelzeit.

Wenn mit „Seele“ hier nicht die christliche Vorstellung einer vom Körper trennbaren und, je nach Auslegung, gar von einem bestimmten Wüstengott aus der Bronzezeit gegebene virtuelle menschliche Persönlichkeit, sondern einfach das gemeint sein soll, was gemeinhin als „Psyche“ bezeichnet wird, dann stimme ich zu: Auf diese kann und sollte man achten.

Wie also Abstand gewinnen und mich erholen? – Manche schaffen es mit Humor.

Mit Humor kann es gelingen, bedrohliche Faktoren zu „entmachten.“ Indem man sie der Lächerlichkeit preis gibt. Und das kann tatsächlich auch erholsam sein. Selbst wenn der Humor das Problem natürlich noch nicht löst, trägt er möglicherweise dazu dabei, dass eine belastende oder ungewisse Situation leichter zu ertragen ist. Auch das Belohnungszentrum freut sich immer, wenn es wiedermal melden kann: „Ha – diesen Witz habe ich verstanden und ich war nicht gemeint!

Solange die christliche Kirche noch die Macht dazu hatte, reagierte sie auf Humor genauso radikal wie diejenigen heute, deren religiöse oder politisch-religiöse Ideologie noch nicht den Prozess der Säkularisierung durchlaufen hat. Denn die verstehen, wenn es um ihre behaupteten Ansichten geht, im wahrsten Wortsinn keinen Spaß.

Und trotz aller Aufklärung möchte auch das Christentum bis heute nicht auf den Schutz ihrer religiösen Scheinwirklichkeit durch einen per se geradezu lächerlichen Blasphemieparagrafen verzichten. Ein Relikt aus Zeiten, in denen man über gotteslästerliche Witze oder über die Verunglimpfung des Klerus und seiner Bediensteten noch kein bisschen lachen konnte. Der Umgang mit Hohn und Spott sagte schon immer viel über Machthaber und Ideologien aller Art aus.

Humor wirkt entmachtend

Dabei geht es freilich immer nur um die Sorge um die eigene Macht. Noch keiner der vielen tausend Götter, die sich die Menschheit schon ausgedacht hat, war jemals beleidigt, wenn er durch den Kakao gezogen, lächerlich gemacht oder nach Strich und Faden verhohnepipelt wurde. Ob sich Götter vielleicht über sich selbst kaputtlachen oder ob sie manche Witze vielleicht auch einfach nicht verstehen – wer weiß 🙂

Göttlicher Humor

Das Recht der freien Meinungsäußerung ist die Voraussetzung, um sich mit Humor über Kirche, Regierung oder Personen ungestraft lustig machen zu können, solange keine persönlichen Rechte verletzt werden. Und auch dieses Recht war – wie viele andere auch – gegen den erbitterten Widerstand der Kirche erkämpft worden.

Nach dem Anschlag auf der London Bridge vor ein paar Wochen ging ein ziemlich skurriles Bild um die Welt: Während alle panisch auseinander strömen, geht ein Mann ganz ruhig mit einem Bierglas durch die Menge, nur darauf bedacht, keinen Tropfen zu verschütten. „Scheiß auf den Terror, Hauptsache das Bier ist in Sicherheit!“ hieß es in einem Kommentar dazu.

Das erinnert mich an ein Meme, das direkt nach den Anschlägen von Paris die Runde machte. Eine gezeichnete Nackte war da zu sehen, die mit grimmigen Blick eine Weinflasche hochhielt: GO OUT – DRINK – LISTEN TO MUSIC – DANCE – EAT – SPEAK – MAKE LOVE – GO NAKED – BE FREE – LIVE. Oder auch dieser Appell:

#dontprayforparis

Einfach mal tanzen

[…] Was mir während meines Kurzurlaubs in der Normandie geholfen hat, war ein kleines Mädchen. Es war in einer Kirche und wieder stand da ein Bild des Priesters Jacques Hamel. Während die Eltern des Mädchens sich über seine grausame Hinrichtung unterhalten haben, hat das kleine Mädchen daneben – getanzt.

Ganz offenbar hatte dieses Mädchen noch nicht beigebracht bekommen, dass es sich nicht gehört, in einer Kirche zu tanzen. Und gerade katholische Kirchen sind ja in der Regel auch nicht so gestaltet, dass man sich dort wohl fühlt oder gar Lust auf Tanzen bekommt.

Im Gegenteil: Die Ausstattung vieler katholischer Kirchen erzeugt ein unvorstellbar brutales und Menschen verachtendes Horrorszenario. Kein Wunder, wenn Kinder auf die Idee kommen, solche verstörenden Eindrücke mit einer Ersatzhandlung wie Tanzen zu bewältigen.

[…] Und dann hat das Mädchen noch etwas getan. Es hat eine Kerze entzündet und mit den Eltern ein kurzes Gebet gesprochen. Was auch immer Ihnen Abstand verschafft und Kraft verleiht: Ich wünsche Ihnen von Herzen friedvolle Tage, ob Sie nun Urlaub haben oder nicht.

Hier spricht Herr Alter einen interessanten Aspekt an: Durch Gebete verschaffen sich Gläubige das wohlige Gefühl, etwas getan zu haben. Sie haben ein Anliegen zur Chefsache gemacht. Mehr geht ja praktisch nicht, glauben sie. Ich war natürlich nicht dabei, aber ich könnte wetten, dass es die Eltern waren, die das Kind eine Kerze haben entzünden und ein Gebet sprechen lassen. So wie von Herrn Alter dargestellt, entfaltet die Schilderung natürlich noch mehr die gewünschte Wirkung: Erst tanzt das Kind, dann betet es.

Der Unterschied zwischen Gebet und Humor ist: Wohl niemand erwartet ernsthaft, dass sich durch Humor tatsächlich etwas konkret verändert. Gläubige hingegen gehen schon davon aus, dass ihre Gebete irgendetwas bezwecken, was über den Selbsttäuschungseffekt hinausgeht.

Beten: Geistige Selbstbefriedigung

Und dass es nicht nur un-, sondern sogar höchst widersinnig ist, ein angeblich allmächtiges, allwissendes Überwesen um etwas zu bitten oder ihm für etwas zu danken, spielt keine Rolle:

„Wenn ich schon nichts Wirksames gegen einen Missstand unternehmen kann, so habe ich doch wenigstens gebetet.“ Mit Gebeten verabreichen sich Gläubige selbst ein Placebo, das sie bereitwillig zu ihrer eigenen Beruhigung und Entlastung zu schlucken bereit sind. Der Effekt ist vergleichbar mit der hoffnungsvollen Illusion des Alkoholikers beim Alkoholgenuss. Man könnte auch von geistiger Selbstbefriedigung sprechen.

Dass noch kein einziges Gebet jemals von irgendeinem Gott erhört wurde in dem Sinne, dass dieser daraufhin seinen Allmachtsplan geändert und nachweislich ins Geschehen eingegriffen hätte, stört sie dabei nicht.

Das klappt immer dann besonders gut, wenn sich Gebete auf etwas möglichst Unkonkretes wie „für den Weltfrieden“ oder „gegen den Terror“ beziehen. Denn je mehr tatsächliche mögliche Ursachen für etwas in Frage kommen und je weniger greifbar die tatsächlichen Zusammenhänge sind, umso einfacher lässt sich da auch noch ein angebliches göttliches Eingreifen unterjubeln. Für das Nachwachsen eines amputierten Beins zu beten, ist da ganz offensichtlich und augenscheinlich schon ungleich schwerer…

A propos „Abstand verschaffen und Kraft verleihen“: Sicher lassen sich auch christliche Verkünder finden, die sich über eine solche „Verzweckung des Glaubens“ empören würden, wenn Gebete den Zweck haben sollen, dem Gläubigen Abstand zu verschaffen und ihm Kraft zu verleihen. Wie es einem eben gerade am besten in den Kram passt.

Und bei aller Kritik am religiösen Selbstbetrug: Natürlich ist es jedem selbst überlassen, wie er die Wirklichkeit seines irdischen Daseins bewältigt. Ob mit oder ohne Humor oder mit und ohne Unterstützung durch imaginäre Freunde.

Wer jedoch aktiv zur Weiterentwicklung einer offenen und freien Gesellschaft beitragen möchte, der kann es nicht bei Humor und religiös-mythologischer Realitätsverweigerung belassen.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
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