Hanau – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 5 Min.

Hanau – Das Wort zum Wort zum Sonntag, gesprochen von Gereon Alter (kath.), veröffentlicht am 22.02.2020 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Anlässlich der Anschläge in Hanau am 19. Februar 2020 spricht Herr Alter über seine Emotionen und Gedanken. Er fordert zu Zivilcourage auf und plädiert für Nüchternheit, Wertschätzung und Menschlichkeit. Und Gott muss natürlich auch noch vorkommen.

Wenn ich im Internet auf einen Kommentar stoße, bei dem ich das Gefühl habe: „Hey, das ist so nicht in Ordnung! Das diskriminiert einen anderen!“ – dann kann ich weiterscrollen oder Stellung beziehen.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Hanau – Wort zum Sonntag, gesprochen von Gereon Alter (kath.), veröffentlicht am 22.02.2020 von ARD/daserste.de)

Seit mittlerweile mehreren Monaten stoße ich praktisch täglich im Internet auf Posts, bei denen ich, wenn ich sie mir näher betrachte, genau dieses Gefühl habe: „Hey, das ist so nicht in Ordnung! Das diskriminiert einen anderen!“

Es handelt sich dabei um Bibelsprüche, die katholisch.de auf seiner Facebook-Seite zu Memes verarbeitet und als „Tagesimpuls“ veröffentlicht.

Biblische Diskriminierung Glaubensfreier und Andersgläubiger

#bibelblind meme
Quelle: bibelblind.de

Die Sätze, Halbsätze oder noch kürzere Textfragmente stammen überwiegend aus Psalmen. Die Stellen, die mit mehr oder weniger passenden Bildern kombiniert und mit nicht immer ganz eindeutigen Kommentaren versehen jeden Morgen gepostet werden, klingen überwiegend harmlos, zumindest aber unverfänglich: Lobpreisungen der göttlichen Allmacht, infantil-unterwürfiges Betteln um göttliche Gnade, Eingeständnis der eigenen Schuld und Abhängigkeit…

Oder auch, ohne Berücksichtigung des Kontextes völlig sinnfreie und inhaltsleere Phrasen, wie zum Beispiel: „Auf dem Berg lässt sich der Herr sehen.“, von der Online-Redaktion kommentiert mit: „Gott ist uns nah.“

Da solche Vorstellungen ja nur die intellektuelle Redlichkeit und Selbstachtung derer betrifft, die diese Sprüche auf sich beziehen, kann bis hierher natürlich noch nicht von Diskriminierung die Rede sein.

Anders sieht es aus, wenn man sich die Texte betrachtet, aus denen diese Belanglosigkeiten und religiöse Einbildungen herausgepickt werden.

Denn bei diesen Texten handelt es sich überwiegend um seitenlange, detaillierte Schilderungen von Phantasien eines Menschen, der sich ausmalt, wie der liebe Gott seine Feinde auf alle damals nur erdenkliche Art und Weise unterdrückt, vertreibt, quält und möglichst sadistisch vernichtet. Und mit „Feind“ sind hier immer alle Menschen gemeint, die keine oder andere Götter verehren.

Die Legende von der christlichen Moral

#bibelblind Meme
Quelle: bibelblind.de

Die katholisch.de-Onlineredaktion pickt also unverfängliche Textschnipsel aus einem Text heraus, der zu geschätzt etwa 10%  aus einem Lobpreis Gottes und aus 90% Beschreibung der göttlichen Diskriminierung bis hin zur möglichst brutalen Vernichtung Andersdenkender besteht.

Wer sich selbst ein Bild davon machen möchte, findet in diesem Artikel einige Beispiele.

Natürlich könnte man einwenden, dass die Redaktion ja (meistens) nicht die diskriminierenden, nicht selten geradezu widerwärtig brutalen und unmenschlichen Stellen veröffentlicht. Sondern unverfängliche Fragmente.

Trotzdem halte ich auch diese Veröffentlichungen für kritikwürdig. Denn so wird die Legende künstlich am Leben erhalten, die Bibel (irreführenderweise auch als „Wort Gottes“ bezeichnet) sei eine Sammlung besonders bedeutsamer und moralisch überlegener Ideen.

All das dürfte den verantwortlichen Berufschristen vermutlich nicht bewusst sein. Eine Stellungnahme zu dieser Kritik war von den Online-Redakteuren bis jetzt jedenfalls nicht zu bekommen.

Krude Verschwörungstheorien, Fake News und Diskriminierungen

Und Herr Alter? Der rät:

Und ich kann mich für einen Gegenentwurf stark machen. Für den Entwurf einer Gesellschaft, die nicht von kruden Verschwörungstheorien, Fake News und Diskriminierungen bestimmt wird, sondern von Nüchternheit, Wertschätzung und Menschlichkeit.

Immer, wenn ein katholischer Priester (natürlich zurecht) „krude Verschwörungstheorien, Fake News und Diskriminierungen“ anprangert, frage ich mich: Merkt der wirklich nicht (mehr), dass auch das von ihm vertriebene christliche Glaubenskonstrukt genau diese Inhalte in großer Auswahl und als ganz zentrale Elemente beinhaltet?

  • Der in der biblischen Mythologie beschriebene „Weltuntergang“ ist nichts anderes als eine krude Verschwörungstheorie. Auch die Schöpfungs-, Sündenfall-, Erlösungs- und Jenseitsphantasie sind ohne religiöse Vernebelung betrachtet nichts anderes als krude Verschwörungstheorien.
  • Alle biblischen Aussagen, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen und die aber nicht ausdrücklich als Phantasy gekennzeichnet sind und auch so behandelt werden, erfüllen das Kriterium „Fake News.“ Religionen belegen, wie weit man mit Fake News kommen kann.
  • Und auch eine noch so umfangreiche sprachliche Entschärfung dieser Texte ändert nichts an der biblisch-christlichen Grundaussage, wie sie in Markus 16,16 auf den Punkt gebracht nachzulesen ist. Sinngemäß: Unterwirf dich Gott, dann belohnt er dich. Tust du es nicht, bestraft er dich dafür zeitlich unbegrenzt mit physischer und psychischer Höllenfolter bei vollem Bewusstsein. Hier geht es also nicht um einen kleinen sprachlichen Seitenhieb gegen einen ungeliebten Nachbarstamm oder gegen andere Glaubensgemeinschaften, wie sie die Bibel auch zu bieten hat. Hier geht es um einen der krassesten Fälle von Diskriminierung aus religiösen Gründen.

Das Problem mit den „Heiligen Schriften“

Stop Terrorism - HanauFatalerweise lassen sich die Teile, die unter diese Kategorien fallen nicht einfach so aus der Bibel streichen. Sie bleiben erhalten und stehen somit wohl auch noch in Zukunft jenen zur Verfügung, die ihre Verbrechen aller Art damit göttlich legitimieren.

Das hat man davon, wenn man Texte zu „göttlichen Offenbarungen“ oder allgemein zu „heiligen Schriften“ erklärt. Und ihnen damit eine übergeordnete Wahrheit, Relevanz und Gültigkeit zuspricht. Dass der Gott, der Menschen aufgrund ihres Glaubensbekenntnisses belohnt oder bestraft in Wirklichkeit ja gar nicht existiert, spielt dabei keine Rolle.

Nun könnte man natürlich einwenden, dass religiöse Verschwörungstheorien, biblische Fake News und göttliche Diskriminierung für die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen hierzulande heute ja mehr oder weniger sowieso bedeutungslos sind. Wer fürchtet sich heute schon noch tatsächlich bewusst vor Höllendrohungen?

Und schließlich genießen auch Gläubige heutzutage und hierzulande die hohen Werte der Gedanken-, Glaubens-, Meinungs- und Redefreiheit. Andere Menschen glauben noch ganz anderen, mindestens genauso krassen Unsinn.

Religion bietet keinen sinnvollen Beitrag zum Thema Terror in Hanau

#bibelblind Meme
Quelle: bibelblind.de

Solange Glaubensgewissheiten (egal ob religiöse, rassistische oder sonstwie ideologische) nicht dazu führen, dass jemand wie jetzt in Hanau deswegen Menschen ermordet, sind diese zu tolerieren.

Aber: Wer mit einer Religion antritt und meint, damit einen wert- und sinnvollen Beitrag zu einem Thema wie „die Anschläge von Hanau“ liefern zu können, der täuscht sich und Andere.

Die Menschheit ist viel weiter als zu der Zeit, als dieser, auf Magie und Esoterik beruhende Versuch einer Weltanschauung sowie der auf Abgrenzung, Selbstüberhöhung und imaginärer Strafandrohung beruhende Versuch einer Gesellschaftsordnung erfunden worden waren.

Und so kann es kaum wundern, dass der einzige Satz im heutigen „Wort zum Sonntag“, in dem Gott überhaupt noch vorkommt klingt wie eine Pflichtinformation im Kleingedruckten. Etwas, was man eigentlich lieber für sich behalten würde. Und was man aber halt doch irgendwie zumindest mal angesprochen haben muss. Wenn man als Priester, also  im Auftrag der Kirche vor der Kamera steht:

Nüchternheit, Wertschätzung und Menschlichkeit

Für mich als Christ ist dabei von Bedeutung, dass ich an einen Gott glaube, der alle Menschen in gleicher Weise liebt und vor allem den Schwachen zur Seite steht.

Herr Alter, Ihre oben genannte Forderung nach einem Gegenentwurf, bestehend aus Nüchternheit, Wertschätzung und Menschlichkeit unterstütze ich gerne.

Dann fangen wir doch gleich mal mit Ihnen an:

  • Nüchtern betrachtet glauben Sie an einen Gott, der außerhalb menschlicher Phantasie genausowenig existiert wie alle anderen Götter auch. Dieser Gott liebt niemanden. Und er steht vor allem niemandem zur Seite.
    Nüchtern betrachtet wird der Gott in der Bibel definitiv nicht als einer beschrieben, der alle Menschen in gleicher Weise liebt und vor allem den Schwachen zur Seite steht.  Das haben Sie sich nur so zurechtgelegt. Ganz egal, ob Sie die unmenschliche, unmoralische Seite Ihres Gottes verschweigen oder nicht: Ihr Gott wird Ihnen niemals einen Vorwurf deswegen machen.
  • Wäre es nicht ein Zeichen von noch viel größerer Wertschätzung, sich einfach der Mitmenschen wegen mitmenschlich zu verhalten? Statt so zu tun, als sei hierfür die erfundene Liebe eines erfundenen Gottes von besonderer Bedeutung? Menschliches Leid ist leider sehr real. Götter sind irreal. Menschen haben Wertschätzung verdient. Götter mögen sich um ihre Eitelkeiten selbst kümmern.
  • Und für Menschlichkeit braucht es, wie der Begriff schon schon verrät, erst recht keine Göttlichkeit.

…von Bedeutung… aber von welcher?

Was genau an diesem Glauben so bedeutungsvoll sein soll, erfährt der Zuschauer nicht. Ich wage zu bezweifeln, dass Herr Alter damit sagen möchte: „Ich weiß ja, dass es meinen Gott gar nicht gibt, deshalb bin ich selbst gefragt.“ Wahrscheinlich meint er auch nicht: „Für Mitmenschlichkeit gibts in meiner Religion doppelte Payback®-Punkte, deshalb verhalte ich mich so.“

Aber was soll dann so bedeutungsvoll daran sein? Wir wissen es nicht.

Das macht aber auch nichts. Weil es für die Allgemeinheit völlig belanglos ist. Außer für Herrn Alter. Denn der muss ja irgendwie seine religiösen Wunschvorstellungen mit der Wirklichkeit in Einklang bringen.

Aber verglichen mit dem, worum es hier gerade eigentlich geht (die Anschläge von Hanau, mögliche Ursachen und Gegenmaßnahmen), sind religiös verursachte kognitive Dissonanzen von katholischen Priestern wohl das kleinste Problem. Bei solchen Problemen hilft The Clergy Project gerne weiter.

Und somit ist ausgerechnet der einzigen religiöse Beitrag Ihrer heutigen Verkündigung zu möglichen Ursachen der Anschläge in Hanau das, was Sie ohne Weiteres auch einfach hätten weggelassen können, Herr Alter.

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4 Gedanken zu „Hanau – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Dies war das erste Wort zum Sonntag, das ich mir nach vielen Jahren bewusst angesehen habe, da mich der „Gottesbezug“ hierzu wirklich interessiert hat…
    Am Anfang konnte ich, als denkender, mitfühlender Humanist seinen Worten durchaus beipflichten.
    Die Aussage zum Ende des Vortrages: Gott (welcher) steht ja genau diesen (erschossenen) Menschen zur Seite, hat mir die Zornesröte ins Gesicht getrieben…
    Ja genau für diese Menschen war er da, doch wo sind diese Menschen jetzt…
    In einer Holzkiste unter der Erde; und wenns nach seinem Glauben geht, mitten in seiner archaischen Drohkulisse genannt „Hölle“, da ja hauptsächlich muslimischen Glaubens!!!

    P.S.: Vor ca. 2 Jahren bin ich zum ersten Mal auf diese Seite aufmerksam geworden, seitdem habe ich fast alle hier veröffentlichen Artikel gelesen.
    Ich kann nur sagen, Hut ab vor Ihrem Engagement, dieser manipulativen Bande immer wieder den Spiegel vorzuhalten!!!

    Hochachtungsvoll (Nie gedacht, diesen Ausdruck je zu nutzen)

    FLO

    Antworten
    • >>In einer Holzkiste unter der Erde; und wenns nach seinem Glauben geht, mitten in seiner archaischen Drohkulisse genannt “Hölle”, da ja hauptsächlich muslimischen Glaubens!!!<>Für mich als Christ ist dabei von Bedeutung, dass ich an einen Gott glaube, der alle Menschen in gleicher Weise liebt und vor allem den Schwachen zur Seite steht.<<

      Eben nicht!
      Nur die an den Sohn Gottes, als ihren Erlöser glauben, steht Gott bei!
      Wären die Opfer Christen gewesen, wären sie jetzt bei Gott im Paradies!
      Der ganze andere übrige menschliche Schrott, landet ja eh in der Hölle!
      Diese selbstgefällige Arroganz der Christen, ist wirklich abscheulich!

      Antworten
  2. Sehen wir Herrn Alters Beitrag positiv: Er hat garantiert lange und gründlich überlegt, welche positive Relevanz er für seinen Glauben bzw. Gott in Bezug auf Hanau herstellen kann. Das Ergebnis spricht Bände und wurde von Ihnen klar herausgearbeitet: Es gibt keine positive Relevanz.

    Die negative Relevanz isthingegen so offensichtlich wie dominant: Der Kampf gegen Wahrheit, Toleranz und Menschlichkeit gehört zum Kerngeschäft des Christentums. Warum hatt Herr Alter dazu nichts zu sagen?

    Antworten
  3. Wölfe im Schafspelz halt…
    Manchmal frag ich mich ob diese Leute wirklich das glauben, was sie erzählen und es sich dabei vielleicht um eine Art von „Selbsthypnose“ handelt ?

    Vgl. Nietzsche: -Wenn du zu lange in den Abgrund blickst…-

    Würden diese Gottesknechte zugeben, dass alles nur eitler Schein und Selbstbeweihräucherung ist, hätte dies ja die gleichen Folgen wie für einen Bäcker mit Mehlstaubalergie! ;););)

    Gruss

    FLO

    Antworten

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