Gedanken zu „Der reiche Mann und Lazarus:“ – „Jeder ist unser Nächster“ – 30. Sargenzeller Früchteteppich eröffnet

Lesezeit: ~ 5 Min.

„Jeder ist unser Nächster“ – 30. Sargenzeller Früchteteppich eröffnet, Gedanken zu einem Beitrag von Juliana Becker, veröffentlicht am 9.9.2017 von osthessen-zeitung.de und zur eigentlichen Bedeutung des Gleichnisses vom reichen Mann und dem armen Lazarus

In der Alten Kirche in Sargenzell wird ab sofort der 30. Früchteteppich präsentiert. […] Das diesjährige Motiv ist „Das Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus“. Der Appell lautet, Armut nicht zu ignorieren, sondern zu helfen.*

Diesen Appell mag man vielleicht in diese biblische Legende hineininterpretieren können. Die eigentliche Aussage dieser Geschichte ist allerdings eine andere. Lazarus kommt nur eine Statistenrolle zu. Eigentlich geht es um etwas anderes.

„Die Bilder erinnern uns an Glaubenswahrheiten, die im Alltag in Vergessenheit geraten“, meinte die Hünfelder Stadträtin Martina Sauerbier.

Wenn Politiker von Glaubenswahrheiten sprechen, lohnt sich immer ein Blick auf diese Wahrheiten. Worum geht es also eigentlich im Gleichnis vom reichen Mann un dem armen Lazarus, Lk 16,19-31 wirklich?

Der reiche Mann und der arme Lazarus

LazarusDer Reiche gönnt dem armen, kranken Lazarus nicht mal die Essensreste von seinem Tisch. Nachdem beide gestorben sind, landet der Reiche in der Hölle und Lazarus direkt in Abrahams Schoß. Die Bitte des Reichen, Lazarus möge ihm wenigstens eine Fingerspitze mit Wasser zur Linderung seiner Höllenqualen reichen, stellt Abraham (der offenbar für diese Angelegenheiten zuständig ist) klar:

Du hattest auf Erden alles und Lazarus nichts – das hast du jetzt davon. Und daran wird sich auch nichts ändern – der Graben zwischen himmlischer Belohnung und ewiger Bestrafung durch Höllenqualen ist unüberwindbar. Nichts zu machen.

Interessanterweise wird dem Reichen gar nicht sein Verhalten Lazarus gegenüber zu beider Lebzeiten vorgeworfen. Sondern nur die Tatsache, dass er reich war:

  • Abraham erwiderte: Mein Kind, denk daran, dass du schon zu Lebzeiten deinen Anteil am Guten erhalten hast, Lazarus aber nur Schlechtes. Jetzt wird er dafür getröstet, du aber musst leiden. (Lk 16, 25 EU)

Es geht hier also gar nicht primär um Mitmenschlichkeit oder Nächstenliebe, wie von den Künstlern offenbar angenommen. Sondern um eine Art „ausgleichende Gerechtigkeit“, die sich die Menschen, die sich diese Geschichte ausgedacht hatten, wohl fürs Jenseits erhofft hatten. Eine tröstliche Vorstellung für alle Armen und Leidenden. Und für viele sicher Grund genug, sich mit Armut und Leid abzufinden.

Wer fest an die Existenz dieser „ausgleichenden Gerechtigkeit“ glaubt, müsste logischerweise ja alles daran legen, sein irdisches Dasein möglichst arm und leidend zu fristen. Was sind schon ein paar Jahrzehnte Elend gegen eine Ewigkeit in Abrahams Schoß?

Diese Vergeltungslogik widerspricht übrigens anderen Bibelstellen. Wie zum Beispiel dieser, in der behauptet wird, dass den Menschen alle Vergehen vergeben werden. Außer eines, und das ist nicht Reichtum, Geiz oder Habgier:

  • Amen, das sage ich euch: Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen; wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften. (Mk 3,28-29 EU)

Darum geht es eigentlich

Und schließlich kommt die eigentliche Aussage dieser Bibelstelle. Der Reiche ist immerhin so altruistisch, dass er Abraham bittet, nochmal kurz das Totenreich verlassen und seine fünf Brüder warnen zu dürfen. Auch diese Bitte schlägt Abraham ihm ab:

  • Abraham aber sagte: Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören. Er erwiderte: Nein, Vater Abraham, nur wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren. Darauf sagte Abraham: Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht. (Lk 16, 29-31 EU)

Hier haben wir nun das, worum es in der Geschichte geht: Die Menschen sollen auf Mose und die Propheten hören, sonst haben sie keine Chance und sind hoffnungslos für immer verloren. Und zwar ausschließlich auf Mose und die Propheten. Denn nicht mal, wenn ihr toter Bruder sie warnen würde, hätten die Brüder erkennen können, wie sie sich verhalten sollten. Geschweigedenn, dass sie ja auch von selbst darauf kommen könnten.

Daraus lassen sich drei Schlüsse ziehen:

  1. Reichtum ist etwas Schlechtes und wird im Jenseits gnadenlos und unwiderruflich bestraft.
  2. Armut und Leid sind nützlich und sinnvoll, weil sie im Jenseits belohnt werden.
  3. Wer nicht auf Moses und die Propheten hört, ist komplett verloren.

Orientalische Mythologie vs. Realität

Ob sich der CDU-Bundestagsabgeordneter Michael Brand mit der Geschichte näher befasst hatte, wage ich zu bezweiflen:

„Das Gleichnis ist ein Auftrag, Verantwortung als Christ zu übernehmen und sich für Gerechtigkeit, Menschenrechte und Nächstenliebe einzusetzen“, sagte Brand. Er forderte dazu auf, Ungerechtigkeiten innerhalb und außerhalb Deutschlands wahrzunehmen und etwas dagegen zu tun.*

Wenn, dann ist das Gleichnis ein Auftrag, Moses und die Propheten anzuerkennen – und nicht reich zu sein.

Es kann kaum verwundern, dass diese Aussage für die Menschen im 21. Jahrhundert kaum noch von Bedeutung sein kann. Denn natürlich kann man sich für Gerechtigkeit, Menschenrechte und Nächstenliebe auch im Interesse der Mitmenschen einsetzen. Und nicht, weil man sich davon eine Verbesserung der eigenen Chancen auf eine fiktive posthume Belohnung erhofft. Oder weil man sich vor einer ebenso fiktiven Bestrafung durch Abraham fürchtet.

Laut Bibel ist es sogar ausdrücklich gar nicht möglich, durch „Werke des Gesetzes gerecht“ zu werden. Sondern nur durch den Glauben an Jesus Christus:

  • Weil wir aber erkannt haben, dass der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir dazu gekommen, an Christus Jesus zu glauben, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht. (Gal 2, 16 EU)

Damit wird allen Un- und Andersgläubigen die Fähigkeit oder Möglichkeit abgesprochen, etwa durch die Einhaltung ethischer Standards, gesellschaftlicher Normen und der Gesetze gerecht sein zu können. Das ließe sich heute außerhalb von christlich-fundamentalistischen Kreisen wohl nur noch schwer vermitteln. Doch genau das ist die Aussage der Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus: Befolge die biblischen Gesetze, sonst wirst du auf ewig verdammt!

Natürlich lässt sich auch Reichtum biblisch rechtfertigen. Vorausgesetzt, dieser ist gottgewollt:

  • Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. (Mk25,29 EU)

Armut wäre demzufolge die Strafe für Gottlosigkeit. Die Bibel hat eben für jeden was zu bieten.

Verzicht auf religiös erweiterte Scheinwirklichkeit

Wenn man heute trotzdem noch Mythen und Legenden aus der Bronzezeit und aus dem Vormittelalter ins Spiel bringen möchte (zum Beispiel, weil politische Gegner das auch tun, aber zu ganz anderen Ergebnissen kommen als man selbst), muss man diese Geschichten so uminterpretieren, dass eine möglichst unverfängliche Aussage dabei herauskommt. Auch wenn das, wie beim Reichen und Lazarus dazu führt, dass die eigentlichen Aussagen komplett weggelassen werden müssen.

Den Aufwand kann man sich aber auch sparen. Und stattdessen überlegen, wie sich zum Beispiel die Frage nach Gerechtigkeit im Diesseits und nicht unter Zuhilfenahme einer religiös erweiterten Scheinwirklichkeit beantworten lässt.

Denn anders als bei absurden, von Menschen erdachten Jenseitsfiktionen handelt es sich bei Themen wie Ungerechtigkeit und Ungleichverteilung um tatsächlich existierende Probleme, von denen tatsächlich existierende Menschen betroffen sind.

Nicht die Angst vor einer Bestrafung im Jenseits, sondern das humanistische Bewusstsein für die Mitmenschen und die Umwelt im Diesseits sollten das eigene Verhalten und Handeln bestimmen.

Ich fände es interessant, mich mal mit den Menschen, die die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus als „Früchteteppich“ zum Erhalt ihrer Kirche gestaltet hatten, zu diesen Überlegungen zu unterhalten.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
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