Verantwortung geht aufs Ganze – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 5 Min.

Verantwortung geht aufs Ganze – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündet von Benedikt Welter, veröffentlicht am 2.9.2017 von ARD/daserste.de

Dass ich verantwortlich bin für das, was ich so von mir gebe – das ist das Eine; klingt selbstverständlich. Aber mal anders herum gedacht und gefragt: welche Auswirkung hat dieses „verantwortlich sein“ für den Inhalt? […]

Wenn ein religiöser Verkündiger von Verantwortung für das, was er von sich gibt spricht, dann frage ich mich, wie er seine eigene Verantwortung einschätzt. Für die Inhalte, die er vor seiner Herde oder im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verkündet.

Immerhin ist davon auszugehen, dass Menschen seine Behauptungen für wahr halten. Und sich am Ende noch von der hoffnungsvollen Illusion, es gäbe einen liebenden Gott anstecken lassen.

Einen Allmächtigen, dem das Schicksal von Menschen am Herzen liegt. Und der unter unbekannten Umständen vielleicht seinen eigenen Allmachtsplan ändert. Wenn man ihn darum bittet.

Solches zu verkünden, halte ich für verantwortungslos. Weil es einfach nicht der täglich beobacht- und erlebbaren Wirklichkeit entspricht. Und generell finde ich es verantwortungslos, die eigene Verantwortung an imaginäre Freunde abzugeben.

Jeder Einzelne trägt die ganze Verantwortung

„Jeder Einzelne trägt die ganzeVerantwortung.“ Ein Satz. Geschrieben von einem jungen Erwachsenen in finsterer Zeit. Willi Graf und die „Weiße Rose“ haben in christlichen Jugendverbänden mitgemacht und dort Leben und Glauben gelernt. Ihr Glaube hat sie dazu motiviert, sich gegen das menschenverachtende Nazi-System zu stellen. Diese jungen Leute wussten, dass sie ihr Leben riskierten. Einfach, weil das Terror-Regime mächtiger war als sie.

An diesem Beispiel kann man gut erkennen, warum die christliche Lehre als Moralquelle ungeeignet ist. Denn auch das Naziregime konnte sich problemlos auf die christliche Lehre berufen. Der Katholik Hitler sicherte sich breiten Rückhalt durch den christlichen Klerus, indem er verkündete, dass er das von Jesus begonnene Werk nun vollenden würde.

Wie auch ein Blick in die frühere Kriminalgeschichte des Christentums zeigt, war dieses schon immer geeignet, um praktisch jedes beliebige menschliche, aber eben auch noch so unmenschliche Verhalten göttlich zu „rechtfertigen.“

Die Soldaten, die die Atombombe auf Hiroshima abgeworfen hatten, waren zuvor von christlichen Priestern gesegnet worden, die Atombombe von einem evangelischen Theologen als „Werkzeug im Dienste der Nächstenliebe“ bezeichnet worden.

Schon die Soldaten der Wehrmacht wähnten sich vom selben Gott unterstützt – ihre Koppelschlösser trugen die Aufschrift: „Gott mit uns.“

Kein echter Christ?

„Das waren keine (richtigen) Christen“, hört man oft, wenn man die dunklen Seiten des Christentums anspricht. Doch, auch diese Menschen waren restlos davon überzeugt, dass sie damit dem vermeintlichen Willen ihres Gottes exakt entsprachen.

Das Problem dabei sind nicht die Menschen. Es ist die Beliebigkeit der christlichen Lehre. Und der Umstand, dass sich auch Jahwe, wie alle anderen Götter, die sich die Menschheit schon ausgedacht hat, noch niemals irgendwie belegbar und unmissverständlich kundgetan hat, was er denn nun tatsächlich meint und möchte.

Eine höchst widersprüchliche Mythen- und Legendensammlung, verfasst von anonymen Autoren während der Bronzezeit und im Vormittelalter und nach bestimmten Zweckmäßigkeiten zusammengestellt, ist jedenfalls keine brauchbare Grundlage.

Ingroup – Outgroup

Menschenwürde ist eine Wirklichkeit; die ist einfach da, ohne dass ein Mensch sie sich mühsam erarbeiten müsste. Würde gehört jedem und jeder. Und vor allem: Kein Regime, kein Staat, keine Partei und keine religiöse Gruppe kann Menschenwürde irgendeinem Menschen absprechen oder sie nur in kleinen Häppchen zuweisen.

Die Menschenwürde könnte man als „einfach da“ annehmen. Der Schutz der Menschenwürde als höchstes Gut ist allerdings etwas, das sehr wohl sehr mühsam erarbeitet werden musste. Und trotzdem gibt es bis heute Regimes, Staaten, Parteien und religiöse Gruppen, die bestimmten Menschen die Menschenwürde absprechen.

Gerade die monotheistischen Religionen bieten dafür eine bestens passende Grundlage. Im Christentum etwa sieht das zusammengefasst so aus, um nur ein Beispiel von quasi beliebig weiteren zu nennen:

  • Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden. (Mk 16,16 EU)

In der biblischen Grundlage des christlichen Glaubens hängt die Menschenwürde also einzig davon ab, ob jemand bereit ist, sich einem bestimmten Wüstengott, den sich Menschen in der Bronzezeit ausgedacht hatten zu unterwerfen. Alle anderen werden verdammt.

Dem zufolge scheint es keine Rolle zu spielen, ob der Gläubige vielleicht Massenmörder und der frei von Glauben lebende Mensch vielleicht zeitlebens ein selbstloser Menschenfreund war.

Höchstes Gut: Menschenwürde

Dass wir heute die Freiheit und Würde des Menschen und nicht die Erfüllung eines göttlichen Willens als übergeordnetes Ziel in der Verfassung stehen haben, war erst möglich geworden, nachdem die Kirche durch Säkularisierung und Aufklärung weitgehend entmachtet worden war. Dies als „mühsam erarbeiten“ zu bezeichnen, wäre eine starke Untertreibung.

Und dass es noch viel zu tun gibt, zeigt sich unter anderem daran, dass der Gottesbezug in unserer Verfassung bis ins Jahr 2017 die gesellschaftliche Weiterentwicklung überdauert hat. Da niemand sagen kann, wer oder was mit „Gott“ überhaupt genau gemeint sein soll, ist dieser Bezug ohnehin irrelevant. Menschen haben Verantwortung für sich selbst und für ihre Mitlebewesen. Menschen haben keine Verantwortung vor imaginären Wesen.

Neben dem Schüren von Angst ist die Einteilung der Menschen in „gut“ (=gläubig, ingroup) und „böse“ (=un- und andersgläubig; outgroup) ein zentraler Punkt der christlich-biblischen Lehre.

Auch wenn sich heute überwiegend nur noch christlich-fundamentalistische Hardliner offen zu dieser Interpretation bekennen. Wie zum Beispiel der scheidende Fuldaer Bischof Algermissen, der Menschen ohne Auferstehungsglaube (und damit konsequenterweise auch die Juden) als „Gefahr für die Mitwelt“ beschimpfte und sich damit gem. §166 STGB strafbar gemacht hatte (Quelle).

Menschenwürde – ein Geschenk Gottes?

Aus ihrem christlichen Glauben heraus haben Willi Graf und die anderen der „Weißen Rose“ gewusst, dass dem Menschen diese Würde innewohnt – weil Gott sie ihr und ihm schenkt. Die „Weiße Rose“ hat dafür gekämpft und mit dem eigenen Leben bezahlt.

Die menschliche Würde ist kein Geschenk eines imaginären Wesens an weiterentwickelte Vertreter einer bestimmten Trockennasenaffenart. Sie ist das evolutionäre Ergebnis sozio-kultureller menschlicher Entwicklung.

Wie oben schon angedeutet: Auch das Regime, gegen das sich der Widerstand der „Weißen Rose“ richtete, konnte sich schlüssig auf die christliche Lehre berufen:

  • „Christus war der größte Pionier im Kampf gegen den jüdischen Weltfeind. Christus war die größte Kämpfernatur, die je auf Erden gelebt hat. […] Der Kampf gegen die Macht des Kapitals war sein Lebenswerk und seine Lehre, für die er von seinem Erzfeind, dem Juden, ans Kreuz genagelt wurde. Die Aufgabe, mit der Christus begann, die er aber nicht zu Ende führte, werde ich vollenden.“ (A. Hitler 1926, Quelle)

Er sah sich also in der Verantwortung, das angeblich von Jesus begonnene Werk zu vollenden. Beste Voraussetzungen, um den Klerus auf seine Seite zu bekommen. Und „gute Christen“ mit antisemitischen Tendenzen gleich mit.

Das Christentum: Moralisch orientierungslos

Was sagt es über eine Ideologie aus, wenn man sowohl ein unvorstellbares Verbrechen an der Menschheit einerseits und genauso den Widerstand dagegen andererseits damit begründen kann? Ganz einfach: Das Christentum ist moralisch orientierungslos.

Es hängt einzig vom Gläubigen ab, was er in das diffuse biblische Allerlei hineininterpretiert. Das mögliche Spektrum reicht von Menschlichkeit bis Völkermord. Eine verlässliche, klare und eindeutige Quelle für moralische und ethische Standards sieht anders aus.

Gleich nach dem Wort zum Sonntag kommt es wieder: „Für den Inhalt der Wahlwerbung sind ausschließlich die Parteien verantwortlich“.Wer weiß, wie diese Inhalte aussehen würden, wenn jeder sich vorher fragt:“Wenn ich die ganze Verantwortung trage -, was heißt das für den Inhalt?“

Herr Welter, wie sieht es mit Ihrer Verantwortung aus? Für Ihre Inhalte? Ist es ein Zeichen von Verantwortung, wenn man Menschen dazu auffordert, Dinge für wahr zu halten, die bis zum Beweis des Gegenteils nun mal nicht wahr sind?

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
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