Ist Gott eine Erfindung des Menschen?

Lesezeit: ~ 4 Min.

Am 4. November 2017 stellte Markus Peter auf der evangelischen Glaubenfragensbeantwortungswebseite der evangelischen Kirche die Frage, ob Gott eine Erfindung des Menschen sei.

Beantwortungspfarrer Muchlinsky lieferte mit seiner Antwort (und seiner später angefügten selbstkritischen Vorbemerkung) ein Musterbeispiel für fehlerhaftes, zirkuläres Denken. Wie es im Zusammenhang mit religiösem Glauben immer wieder zu beobachten ist.

Zusammengefasst geht seine Scheinargumentation wie folgt:

  1. Gott ist natürlich eine Erfindung des Menschen.
  2. Nur der Mensch hat die Fähigkeit, sich einen Gott auszudenken.
  3. Den Geist dazu hat er von Gott bekommen.
  4. Also gibt es Gott.
  5. Oder, wahlweise: Es ist mir egal, ob es Gott gibt, ich glaube trotzdem an ihn und bin ihm dankbar.

Nach dieser Pseudologik kann man freilich alles Beliebige für wahr halten, was man sich nur ausdenken kann. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Gott eine Erfindung des Menschen: Relativierung nach Shitstorm

Mit seinem geistigen Offenbarungseid hatte Herr Muchlinsky einen regelrechten Shitstorm ausgelöst. Und zwar von Menschen, die ihren Gott keineswegs für eine menschliche Erfindung halten. Und die überhaupt nicht damit fertig werden, dass ein Berufsvertreter ihrer Religion eben mal so öffentlich die völlige Beliebigkeit ihres magischen Himmelsfreundes bloßstellt.

Es waren Aussagen wie diese, die Herrn Muchlinsky teils harsche Kritik von Gläubigen einbrachten:

Darum ohne weiteren Trommelwirbel: Ja, Gott ist eine Erfindung des Menschen. Nur der Mensch ist in der Lage, einen Gott zu denken, ihn zu erfinden. Der menschliche Geist ist so kreativ, dass er diesem Gott bestimmte Eigenschaften zuordnen kann, die einander sogar widersprechen können. Der Mensch ist intellektuell fähig, sich einen Gott vorzustellen, der völlig anders ist als er selbst: ewig, allmächtig, omnipräsent, absolut gerecht und unendlich gütig. Der Mensch hat Gott erfunden und ist mit ihm eine Beziehung eingegangen, hat mit ihm gesprochen, ihm Geschenke gemacht, mit ihm gestritten, ihn geliebt und gehasst. Und der Mensch hat Gott immer wieder neue Eigenschaften zugesprochen, auch verschiedenste Erscheinungsformen.

[…] Ist Gott eine Erfindung des Menschen? Jawoll, tönt der Humanist. Nein, schreit der Fundamentalist. Das spielt keine Rolle mehr, sagt der befreite Christ und dankt seinem Schöpfer für seinen kreativen Geist.

Interessanterweise scheint Herr Muchlinsky Humanisten pauschal für nicht-gottgläubig zu halten. Dabei bezeichnet Humanismus nur  „eine optimistische Einschätzung der Fähigkeit der Menschheit, zu einer besseren Existenzform zu finden.“ (Quelle: Wikipedia) Offenbar scheint für Herrn Muchlinsky eine solche Einschätzung nicht mit einem Götterglaube vereinbar zu sein.

Ob der Pfarrer, der Gott ja auch für eine Erfindung des Menschen hält, sich deshalb als Humanist verstehen möchte? Vermutlich nicht, denn aus religiöser Sicht rangiert Humanismus meist auf dem gleichen Level wie Atheismus. Interessant sind dann immer die Antworten, als was Christen sich denn dann sehen, wenn sie sich vom Humanismus abgrenzen.

Befreiter Christ und ein Gott der Beliebigkeit

Wenn es für einen „befreiten Christ“ (wovon eigentlich befreit? Von Verstand, Vernunft und intellektueller Redlichkeit? Oder vom Theismus?) keine Rolle mehr spielt, ob sein Gott eine menschliche Fiktion ist oder nicht, dann ist dieser Gott ein Gott der völligen Beliebigkeit. Über den sich redlicherweise keine sinnvolle Aussage treffen lässt. Weil Phantasiewesen jede beliebige Eigenschaft haben können, die man sich nur vorstellen kann.

Die Empörung war jedenfalls so groß, dass sich Herr Muchlinsky genötigt sah, seine Antwort mit einem selbstkritischen Vorwort zu versehen. Darin heißt es:

Drum möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich mich zu missverständlichen Worten habe hinreißen lassen. Ich glaube fest an Gott, der schon war, als noch kein Mensch war. Ich danke ihm für den Geist, der mich dies denken lässt. Ich glaube an Gotte Güte, die mit den Augen zwinkert, wenn andere sich entsetzen. Und ich glaube fest an die Gemeinschaft all derer, die in Jesus Christus Gottes Offenbarung sehen, sich darin einig sind und trotzdem über ganz viel anderes streiten und wieder vertragen können.

Dabei waren die Worte alles andere als missverständlich. Im Gegenteil: Sie waren sogar sehr deutlich. Denn natürlich sind Götter bis zum Beweis des Gegenteils nichts weiter als menschliche Fiktionen. Wer etwas anderes behauptet, gibt vor, Dinge zu wissen, die er nicht wissen kann. Somit waren diese Worte nicht missverständlich, sondern höchstens missfällig. Weil sie die Grundlage des christlichen Glaubens demontieren.

Klimper, klimper…

Gott ist eine menschliche ErfindungOb Herrn Muchlinskys Gott auch dann mit den Augen zwinkert, wenn er seine Lebewesen dabei beobachtet, wie sie trotz seiner Allmacht, Allwissenheit und Allgüte tagtäglich unsägliches Leid ertragen müssen?

Und wie sieht es mit Herrn Muchlinskys Verhältnis zu denen aus, die nicht seinen wüstenmythologisch basierten Auferstehungsglauben teilen? Wieso glaubt er nicht an die Gemeinschaft aller Menschen, sondern betont seinen festen Glauben an seine Glaubensgemeinschaft? Eine Gemeinschaft, die dann ja wohl eher zu Abgrenzung und Selbstüberhöhung dient, als der Verständigung aller Menschen untereinander?

Natürlich ist es jedem selbst überlassen, was er für wahr hält und warum. Nur, wer öffentlich Dinge als wahr behauptet, die nach allgemeiner Faktenlage nun mal nicht wahr sind, muss damit rechnen, der Lüge bezichtigt zu werden. Und damit, dass seine Aussagen von niemand mehr ernst genommen werden.

Herr Muchlinsky glaubt also fest an seine Gottesvorstellung, obwohl er sie nur für eine menschliche Erfindung hält. Und das begründet er damit, dass die Fähigkeit, sich einen Gott vorstellen zu können, nur davon kommen kann, dass es diesen Gott auch gibt.

Absurde Fiktionen nicht staatlich subventionieren und privilegieren!

Wie oben schon angedeutet: Nach dieser Zirkelschlusslogik kann er alles, was er sich nur ausdenken kann, für wahr halten. Nur wird etwas kein bisschen dadurch wahrer, dass Menschen es sich ausdenken, imaginieren, vorstellen können. Und auch aus der Fähigkeit, dies tun zu können folgt noch lange nicht, dass der jeweils behauptete Gott dadurch auch nur ein bisschen plausibler wird.

Ich halte diesen Beitrag von Pfarrer Muchlinsky für ein weiteres Argument dafür, die milliardenschwere staatliche Subventionierung einiger Kirchen in Deutschland sofort zu beenden.

Herr Muchlinsky und seine (erwachsenen) Freunde (und Feinde) mögen sich gerne noch ein Leben lang ihre Köpfe über die Absurdität ihrer imaginärer religiösen Scheinwirklichkeit zerbrechen. Aber bitte auf eigene Kosten.

Ergänzung

In einem Kommentar*** zu Pfarrer Muchlinsky Ausführungen schreibt Monika Metternich treffend (Hervorhebung von mir):

Aber immerhin gibt es ihn [Gott] auf eine Weise, die es allen Kritikern, Zweiflern und Nichtgläubigen recht macht: „Ihr habt ja alle recht! Aber es ist mein Geist, der ihn produziert! Da ist er sicher und ich kann mich gelassen zurücklehnen, humorvoll, gefahrlos, gebildet und unantastbar“.

„Was aber“, fragt der Verzweifelte, „wenn ich keinen Gott mehr denken kann? Wenn mein Geist nicht stark genug ist, ihn zu denken, wenn er gar schwindet? Wer wird dann Jesus gewesen sein? Eine Kopfgeburt aus dem NICHTS, die zurückfällt ins Nichts?“

Ja! ruft der Atheist. Nein! rufen Fundamentalisten wie Blaise Pascal – und all jene, die ihr Leben als Zeugnis für den lebendigen Gott zu geben bereit sind. Der Herr Pfarrer aber schmunzelt befreit: „Spielt doch alles gar keine Rolle.“

Und dann sitzen Sie zusammen in ihren Gremien und fragen sich, warum sich niemand mehr für Gott auch nur ansatzweise interessiert. Und die Antwort ist: „Sie haben uns halt nicht richtig verstanden, die schwachen Geister.“

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs verlinkten Beitrag.
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***Dieses Zitat stammt aus einem Kommentar zum oben verlinkten Artikel auf fragen.evangelisch.de

 

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