Rationales Denken und der Glaube – das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 13 Min.

Rationales Denken und der Glaube – das Wort zum Wort zum Sonntag von Dr. Wolfgang Beck (kath.), veröffentlicht am 17.03.2018 von ARD/daserste.de

Wenn die wissenschaftliche Forschung voranschreitet, wird manches Weltbild überflüssig.*

Rationales Denken vs. GlaubenTatsächlich sind es ausschließlich die Erkenntnisse, die durch wissenschaftlich-rationales Denken gewonnen werden, die Annahmen oder Behauptungen über die Beschaffenheit der Welt bestätigen (verifizieren) oder eben als falsch entlarven (falsifizieren) können.

Diese Antworten auf Warum-Fragen bezeichnet man auch als Existenzaussagen.

Der Begriff „überflüssig“ scheint mir in diesem Zusammenhang etwas unglücklich gewählt: Ein Weltbild kann sich durch neue Erkenntnisse als falsch erweisen. Überflüssig werden dann Weltanschauungen, die auf dem falschen Weltbild basiert hatten.

Weltbilder können sich als falsch erweisen, Weltanschauungen als überflüssig

Beispiel: Die Annahme, die Sonne sei eine rote Scheibe, die auf der Sonnenbarke um die Erde reise, hatte sich irgendwann als falsch erwiesen. Dadurch wurde der Sonnenkult überflüssig, der auf dieser Annahme basiert hatte.

Die Differenzierung der Begriffe Weltbild und Weltanschauung ist insofern wichtig, weil es hier leicht zu Verwechslungen und Vermischungen kommen kann.

Weltbild bezeichnet lt. Wikipedia im engeren Sinne ein „Modell der sichtbaren Welt.“ Also den Versuch einer objektiven Annäherung an die Erkenntnis, wie die Dinge wirklich sind.

Während mit Weltsicht die subjektive Interpretation dieses Weltbildes gemeint ist.

Beispiel von Yuval Noah Harari

Yuval Noah Harari verdeutlicht dies in seinem Buch „Homo deus“ am Beispiel des Umgangs des Christentums mit der Homosexualität: Evangelikale Christen behaupten, Gott verbiete Homosexualität.

Als „Beweis“ führen sie zwei Bibelstellen (3. Mo 18,22 und 3. Mo 20,13) an, laut denen Homosexualität ein Gräuel sei, das mit dem Tod bestraft werden müsse. Darauf basierend waren Millionen von Menschen weltweit drangsaliert worden.

Harari unterscheidet dabei:

  • Moralisches Urteil:
    Die Menschen sollten Gottes Befehlen gehorchen.
  • Tatsachen-Feststellung:
    Vor 3000 Jahren befahl Gott den Menschen, homosexuelle Handlungen zu vermeiden.
  • Praktische Anweisung:
    Die Menschen sollten homosexuelle Handlungen vermeiden

Laut Harari können Wissenschaftler das Urteil, wonach die Menschen Gott gehorchen sollen, nicht entkräften. Auch wenn man natürlich persönlich der Überzeugung sein mag, dass Menschenrechte mehr zählen als göttliche Autorität. Doch es gebe kein wissenschaftliches Experiment, das diese Streitfrage entscheiden könne.

Wissenschaftliche Prüfung der Quellen und Prämissen

  • Hingegen hat die Wissenschaft einiges zu sagen über die Tatsachenbehauptung, wonach der Schöpfer des Universums vor 3000 Jahren den Angehörigen der Spezies Homo sapiens befahl, sich aller Handlungen zwischen Jungs zu enthalten. Woher wissen wir , dass diese Behauptung stimmt? Schaut man sich die einschlägige Literatur an, zeigt sich, dass diese These zwar in Millionen von Büchern, Artikeln und Webseiten vertreten wird, dass sie alle sich aber nur auf eine einzige Quelle stützen: Die Bibel. (Quelle: Yuval Noah Harari: Homo deus, S. 265 ff)

Im Folgenden erläutert der Autor, warum die biblischen Texte alles andere als glaub- oder vertrauenswürdig sind.

Und dies lässt sich, anders als moralische Fragen, sehr wohl wissenschaftlich untersuchen und herausfinden.

Vorstellung von Gott überflüssig

Auch Stephen Hawking differenzierte dies mit seinem jetzt schon als legendär geltenden Humor:

[…] Für Stephen Hawking ist darum die Vorstellung von Gott überflüssig, wenn Erkenntnisse zunehmen: „Man kann nicht beweisen, dass Gott nicht existiert. Aber die Wissenschaft macht Gott überflüssig“ hat er einmal gesagt – vielleicht mit einem verschmitzten Lächeln.

Zur angeblichen Nichtbeweisbarkeit Gottes eine Erklärung von Volker Dittmar:

  • Um also einen Beweis der Nichtexistenz im Erwägung ziehen zu können, muss der Gläubige zunächst definieren, was er unter ‚Gott‘ versteht. Diese Definition muss widerspruchsfrei sein, sonst ist der Beweis der Nichtexistenz dieses Gottes bereits erfolgt. Nur einfach zu sagen ‚Gott kann man weder beweisen noch widerlegen‘ ist also solange als Behauptung reiner Unsinn, wie nicht klar ist, von welchem der möglichen Götter man redet. 
  • Beispiel:
    (1) Wenn ein Gott existiert, der ab und zu Gebete für Heilung erhört, müsste sich das statistisch als Effekt zeigen lassen.
    (2) In großen Studien wie MANTRA und STEP wurde gezeigt, dass Beten keinen Einfluss auf die Heilung hat.
    (C) Es existiert kein Gott, der Gebete erhört.
  • Keine Sorge, ich kenne alle Ausreden, die dafür angeführt werden, um diesen Beweis nicht zu akzeptieren. Jede davon läuft darauf hinaus, dass der Begriff ‚Gott‘ mehr und mehr an Sinngehalt verliert, bis Gott zu dem Unsinn wird, über den hinaus man sich keinen größeren Unsinn mehr vorstellen kann. Es gibt bisher für jede postulierte Eigenschaft Gottes solche Widerlegungen. Deswegen bestreiten Gläubige, dass für Gott die Logik gilt. Eine Aussage, für die die Logik nicht gilt, ist aber purer, reiner Unsinn. Daher ist die Behauptung, dass Gott existiert, purer, reiner Unsinn. (Quelle: de.quora.com)

Mit Phantasiewesen lassen sich keine Fragen (außer vielleicht Fragen nach der menschlichen Phantasie oder der Mythomotorik) beantworten: Weder die Frage nach dem Wie, noch die Frage nach dem Warum.

Und genau das führt immer wieder zu Problemen zwischen Rationalität und Glauben. Nämlich dann, wenn jemand Weltbild und Weltsicht durcheinanderbringt.

Früher war Gott die Erklärung für alles

Einfachen HerzensDer Erkenntnisstand über die natürlichen Zusammenhänge war zu der Zeit, in der sich Menschen den heute christlichen Wüstengott ausgedacht hatten, vergleichsweise gering. Selbst Grundlegendes konnte man sich damals einfach nicht erklären.

Und erfand sich stattdessen zunächst viele übernatürliche Wesen als Ursache für Beobachtungen und Wahrnehmungen aller Art. Mit Aufkommen des Monotheismus konzentrierten die Menschen die vermeintlich göttlichen Einflüsse auf einen einzigen Gott. Ein imaginäres übernatürliches Wesen, das alles genau so und extra für sie so arrangiert hatte, wie es eben war.

Freud und Leid, Wohl und Wehe, Krankheit und Gesundheit, Sieg und Niederlage, Trockenheit und Regen, die eigene Existenz: Alles wurde als Hinweis auf göttliches Wirken interpretiert.

Und daraus ergaben sich moralische Standards, die das Verhältnis der Menschen untereinander, besonders aber auch das Verhältnis zu Gott regelten. Und zu dessen selbsternannten irdischen Vertretern.

Rationales Denken: Abschied vom Mythos

Im Lauf der Zeit gelang es den Menschen, durch rationales Denken und wissenschaftliche Forschung in ausnahmslos allen Bereichen Erklärungen und Antworten zu finden, die besser, weil richtiger oder zumindest wahrscheinlicher und plausibler sind als das Wirken eines von Menschen erdachten Götterwesens.

Mit jeder neuen wissenschaftlichen Erkenntnis bröckelte das Glaubensfundament weiter: Galileo Galilei, Giordano Bruno, Isaac Newton, Charles Darwin und natürlich auch Stephen Hawking sind nur einige derer, die die irrationale Vorstellung eines Gottes mit bestimmten und bestimmbaren Eigenschaften zur Erklärung von Phänomenen überflüssig gemacht haben.

Zentral war für ihn [Stephen Hawking, Anm. von mir] die Hypothese, dass das Universum sich unaufhaltsam ausdehnt und keine Grenze hat. Es hat demnach keine räumliche und keine zeitliche Begrenzung. Da blieb für ihn keine Möglichkeit für die Vorstellung von Gott. Es konnte für ihn nichts geben, was vor und nach dem Universum bestehen könnte.

Der Begriff  „Universum“ beinhaltet mit „Uni-“ schon eine Aussage über die nur schwer oder kaum vorstellbare Eigenschaft von etwas, das allumfassend ist.

Keine Notwendigkeit mehr für Gott

Die Möglichkeit für die Vorstellung von Gott blieb auch für Stephen Hawking. Nur gibt es keine Notwendigkeit mehr für die Vorstellung von Gott.

Alles, was früher mangels besseren Wissens noch dem Wirken Gottes zugeschrieben wurde, lässt sich heute besser, weil eleganter und plausibler erklären. Bleiben also nur noch die Wissenslücken, die trotz aller wissenschaftlicher Erkenntnis freilich nach wie vor bestehen.

Diese Lücken sind bei vielen Gläubigen sehr beliebt. Denn hier meinen sie, ihren Gott doch noch unterbringen zu können: „Siehste, die Wissenschaft weiß auch nicht alles. Und deshalb muss es mein Gott X, Y oder Z gewesen sein.“

Einen solchen Gott bezeichnet man als Lückenbüßergott oder als „God of the gaps.“

God of the gaps: Der Lückenbüßergott

Rhetorisch betrachtet handelt es sich um ein „argumentum ad ignorantiam:“ Wir wissen es nicht, also war es Gott.

Was freilich ein Widerspruch in sich ist: Wenn wir nicht wissen, was die Ursache von etwas ist, dann können wir auch nicht wissen, ob Gott die Ursache ist.

Daraus, dass wir etwas nicht wissen, folgt nicht, dass es ein (oder gar ein bestimmter) Gott verursacht haben muss. Daraus folgt nur, dass wir es eben (noch) nicht wissen.

Seine wissenschaftliche Arbeit machte ihn deshalb zu einem entschiedenen Atheisten. Und gerade darum wurde er für Theologen und Kirchenvertreter zu einem wichtigen Gesprächspartner. Immerhin war er lange Jahre Mitglied der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften. Das mag angesichts der konfrontativen Positionen erstaunen. Es ist aber konsequent für diejenigen, für die Glauben und Verstand gar nicht in Konkurrenz treten können, weil beide auf völlig verschiedenen Ebenen liegen.

Rationales Denken an der päpstlichen Akademie

Glauben bewahrenDas Engagement der Kirche für wissenschaftliche Forschung lässt sich geschichtlich leicht erklären: Zu der Zeit, als die christliche Kirche noch das Sagen hatte, erhoffte man sich von der Wissenschaft Erkenntnisse, die die Existenz Gottes und weiterer religiöser Dogmen belegen können. Die Gefahr, dass wissenschaftliche Arbeit auch das Gegenteil bewirken könnte, sah man damals offenbar noch nicht.

Und Wissenschaftler taten gut daran, ihre Erkenntnisse so zu präsentieren, dass diese möglichst nicht im Widerspruch zu christlichen Dogmen erschienen. Lange Zeit stand nicht nur die klerikale Förderung der Wissenschaft auf dem Spiel, sondern das Leben.

Die Abhängigkeit von der Kirche erklärt auch, warum Forscher gar keine andere Möglichkeit hatten, als ihre Erkenntnisse entweder geheim zu halten oder zumindest so darzustellen, dass sie sich irgendwie in die vom Christentum vorgegebene Weltsicht einzufügen schienen.

Die klerikale Angst vor einem Verlust der Deutungshoheit war also sicher ein gewichtiges Argument, die wissenschaftliche Forschung unter Kontrolle zu halten.

Die gläubigen Wissenschaftler…

Deshalb gibt es für viele Naturwissenschaftler und auch Physiker kein Problem, in den Gottesdienst zu gehen, zu beten, an Gott zu glauben und trotzdem durch und durch rational naturwissenschaftliche Kenntnisse ernst zu nehmen.

„Viele“ ist relativ. Von den bisher 206 Physik-Nobelpreisträgern gaben nur 14 an, religiös zu sein, im Bereich Chemie sind es gar nur drei von bisher 174. (Quelle: Wikipedia)

Tatsächlich erscheint es wirklich erstaunlich, wie es Menschen fertigbringen, sich im kritisch-rationalen Denken noch eine Art Ausnahmegenehmigung für religiösen Glauben zu schaffen.

Wobei viele Wissenschaftler gerne auch dann als religiös angesehen werden, deren Vorstellung von Gott mit dem, was in der Bibel über Gott berichtet wird, praktisch nichts mehr zu tun hat. Prominentestes Beispiel: Albert Einstein und sein Ausspruch „Gott würfelt nicht.“ Nicht selten wird Einstein deshalb von Gläubigen als Beispiel eines religiösen Wissenschaftlers angeführt.

Einstein und die Religion

Und das, obwohl Einstein klar und deutlich gesagt, was er mit Gott und Religion meint:

  • „Das Wort Gott ist für mich nichts als Ausdruck und Produkt menschlicher Schwächen, die Bibel eine Sammlung ehrwürdiger aber reichlich primitiver Legenden. Keine noch so feinsinnige Auslegung kann (für mich) etwas daran ändern.“ Zitat Einstein (Quelle: hpd.de)

Und:

  • „Für mich ist die unverfälschte jüdische Religion wie alle anderen Religionen eine Incarnation des primitiven Aberglaubens. Und das jüdische Volk, zu dem ich gerne gehöre und mit dessen Mentalität ich tief verwachsen bin, hat für mich doch keine andersartige Dignität als alle anderen Völker. Soweit meine Erfahrung reicht ist es auch um nichts besser als andere menschliche Gruppen wenn es auch durch Mangel an Macht gegen die schlimmsten Auswüchse gesichert ist. Sonst kann ich nichts ‚Auserwähltes‘ an ihm wahrnehmen.“

Und:

  • „Es war natürlich eine Lüge, was Sie über meine religiösen Überzeugungen gelesen haben, eine Lüge, die systematisch wiederholt wird. Ich glaube nicht an einen persönlichen Gott und ich habe dies niemals geleugnet, sondern habe es deutlich ausgesprochen. Falls es in mir etwas gibt, das man religiös nennen könnte, so ist es eine unbegrenzte Bewunderung der Struktur der Welt, so weit sie unsere Wissenschaft enthüllen kann.“ (Albert Einstein in einem Brief vom 24. März 1954, von Albert Einstein: The Human Side. Hrsg. von Helen Dukas und Banesh Hoffman. Princton, New Jersey 1981, S. 43.)

Ja, im Zitat steht „Religion“. Damit ist aber weder die jüdische noch die christliche Religion gemeint. Es gibt viele verschieden Auffassungen davon, was Religion ist und was nicht. Jeder füllt es halt mit seiner Religion, sofern er an eine glaubt. Wir Atheisten haben da ein viel weiteres Blickfeld. (Zusammenfassung eines Facebook-Posts von Volker Dittmar)

…dann stimmte vorher etwas mit dem Glauben nicht

Natürlich gibt es für mich, wie für alle Menschen, naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die mich irritieren und überraschen. Aber wenn sie das Potenzial haben, mich im Glauben zu erschüttern, dann stimmte vorher etwas mit dem Glauben nicht. Denn beides, Vernunft und Glaube, können eigentlich nicht zueinander in Konkurrenz treten.

Das würde stimmen, wenn Gläubige ihren religiösen Glauben als das ansehen und behandeln würden, was er ist: Menschliche Fiktion. Probleme entstehen erst, wenn Gläubige Existenzaussagen treffen, die nicht mit der beobacht- und messbaren Wirklichkeit übereinstimmen.

Natürlich kann sich jeder vorstellen und ausmalen, dass zum Beispiel der biblische Wüstengott Jahwe das Universum erschaffen hat. Oder dass es tatsächlich möglich ist, Backoblaten in Menschenfleisch und Wein in menschliches Blut zu verwandeln. Nur: Mit Vernunft lassen sich solche Vorstellungen redlicherweise nicht in Einklang bringen.

Und natürlich stimmt mit dem christlichen Glauben etwas nicht: Er basiert auf unbewiesenen und (wohl auch noch bis auf Weiteres unbeweisbaren) Prämissen, zu deren (nicht vorhandenen) Plausibilität die Wissenschaft sehr wohl etwas sagen kann. Wissenschaft tritt demnach nicht mit der religiösen Weltsicht in Konkurrenz, wohl aber mit dem Weltbild, auf dem diese Weltsicht beruht.

Übergriffige Religion – übergriffige Naturwissenschaft?

Klar, es gibt auch Formen des Glaubens, die sich anmaßen, naturwissenschaftliche Aussagen machen zu können. Und der Verzicht von Theologie und Glauben, die Naturwissenschaft zu bevormunden, wurde erst in Aufklärung und Moderne hart erkämpft. Eine übergriffige Religion ist zu allen Zeiten genauso problematisch wie eine übergriffige Naturwissenschaft.

Den Vorwurf der Übergriffigkeit müsste sich die Naturwissenschaft gefallen lassen, wenn sie Aussagen über die religiöse Weltsicht machen würde. Umgekehrt bleibt dem Glauben gar nichts anderes übrig, als Existenzbehauptungen zu treffen, wenn er den Anspruch hat, mehr als nur menschliche Phantasie zu sein. Existenzbehauptungen, die allerdings nicht mit der natürlichen Wirklichkeit übereinstimmen.

Wer seine Religion derart übergriffig versteht, für den ist es wichtig, dass Wunder auch gegen Naturgesetze erfolgen. Dann wird Glauben allerdings zur Zauberei. Das wäre ein ziemlich getriebener Glaube, ein Glaube auf der Flucht vor Vernunft und Wissenschaft. Und es wäre ein gefährlicher Glaube, weil er sich wünschen müsste, dass es möglichst wenig naturwissenschaftliche Erkenntnis gibt. Denn die wäre für ihn ja immer wieder bedrohlich. Vor ihr wäre der Glaube permanent auf der Flucht.

Der Begriff „Wunder“ bezeichnet ja gerade, dass es sich dabei um etwas „Übernatürliches“ (was auch immer das sein soll) handeln soll. Sobald sich ein vermeintliches Wunder wissenschaftlich erklären lässt, ist es kein Wunder im religiösen Sinne mehr. Bei Licht betrachtet bedeutet „Wunder“ aber einfach nur, dass wir die Ursache von etwas (noch) nicht kennen.

Religiöser Glaube: Vorgeben, etwas zu wissen, das man nicht weiß

Nun besteht aber religiöser Glaube ja gerade darin, so zu tun, als ließe sich etwas (oder bei tief Gläubigen auch alles) mit Gott in einen ursächlichen Zusammenhang bringen. Wer glaubt, dass Gott Gebete erhört und/oder irgendwie ins irdische Geschehen eingreift (etwa durch Schöpfung oder Fügung), der muss so tun, als gäbe es diesen Gott wirklich. Sonst würde er ja seinen Glauben als Hirngespinst und Selbstbetrug der Beliebigkeit preisgeben. Und damit auch der Lächerlichkeit.

Und das gilt es tunlichst zu vermeiden, wenn man einerseits rationales Denken postulieren und andererseits aber auch an Götter glauben möchte.

In der Zeit, als die Kirche noch an der Macht war, war der Glaube tatsächlich gefährlich. Lebensgefährlich für alle, die plötzlich Dinge wissenschaftlich begründet behaupteten, die sich nicht mehr mit dem Weltbild in Einklang bringen ließen, auf dem die christliche Weltsicht basiert.

Als prominentes Beispiel sei Giordano Bruno genannt, den die Kirche wegen seiner Erkenntnisse über die irdische Beschaffenheit und astronomische Zusammenhänge mit einer Lebend-Feuerbestattung zum Schweigen brachte.

Vernünftig und gläubig?

Demgegenüber gibt es aber auch ein Verständnis des Glaubens, bei dem ich sage: Ich bin als Christ und gläubiger Mensch nicht weniger vernünftig als jeder andere Mensch auch. Ich kann rational auf diese Welt schauen, mich von neuen Erkenntnissen herausfordern lassen, ohne dabei die Abschaffung Gottes befürchten zu müssen.

Klar – für den religiösen Glauben an sich ist die Existenz Gottes völlig irrelevant. Genauso, wie Herr Dr. Beck die Abschaffung Gottes nicht befürchten muss, muss er auch nicht den Nachweis der Existenz seines Gottes fürchten.

Es mag paradox klingen, aber jeder valide Gottesbeweis würde den Glauben schlagartig überflüssig und sinnlos machen. Was man wissen kann, muss man nicht mehr glauben. Und umgekehrt ist die Nicht-Widerlegbarkeit von etwas ein starkes Indiz dafür, dass es sich dabei um etwas Irrationales, Fiktives handelt.

Götter müssen nicht abgeschafft werden, sie werden von alleine überflüssig

Es ist nicht Ziel und Absicht wissenschaftlicher Forschung, Götter abzuschaffen. Götter (genauer: Einbildungen von Göttern) werden schlicht überflüssig. Weil sich mit ihnen nichts erklären oder begründen lässt. Gar nichts.

Dennoch sind Menschen natürlich in der Lage und (seit der Aufklärung) berechtigt, Behauptungen auch dann noch für wahr zu halten, wenn diese auf Voraussetzungen beruhen, die rational betrachtet nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Rationales Denken ist praktisch und vorteilhaft, weil es der Schlüssel zu brauchbaren Erkenntnissen ist. Pflicht ist rationales Denken aber nicht.

Dabei spielt es keine Rolle, an welche/n der vielen tausend Götter jemand glaubt, die sich die Menschheit schon ausgedacht hat. Religiös glauben bedeutet, so zu tun, als wüsste man etwas, was man nicht wissen kann. Kann man tun, aber genau da liegt der Hund begraben: Denn inwiefern ausgerechnet das vernünftig sein sollte, erschließt sich mir nicht.

An Gebeten nichts gelegen

Doch wie kaum anders zu erwarten, macht Herr Dr. Beck sein gerade noch formuliertes Lob auf die Vernunft und rationales Denken direkt wieder zumindest indirekt zunichte:

Und Stephen Hawking? Daran, dass wir für ihn beten, dürfte ihm vermutlich wenig gelegen sein.

Meme Stephen HawkingAbgesehen davon, dass Stephen Hawking tot ist und ihm damit an gar nichts mehr irgendetwas gelegen ist: Stephen Hawking würde daran, dass für ihn zu Jahwe & Sohn gebetet wird genauso wenig gelegen sein wie es vermutlich Herrn Dr. Beck daran gelegen sein dürfte, dass irgendwer zu Zeus, Ra, dem Fliegenden Spaghettimonster oder zu einer beliebigen anderen Gottheit für ihn betet.

Denn in Bezug auf alle Götter bis auf den von ihm geglaubten ist Dr. Beck genauso Atheist wie Stephen Hawking es war – nur mit dem kleinen Unterschied, dass Hawking noch an einen Gott mehr nicht glaubte als Dr. Beck.

Dieser Satz von Dr. Beck legt die Vermutung nahe, dass er „für jemand beten“ prinzipiell schon für eine sinnvolle Sache hält. Das Konzept eines religiösen Gebets setzt allerdings wieder die Existenz Gottes voraus.

Und so beißt sich die Tempelkatze einmal mehr in den Schwanz: Einen Menschen, der die Auffassung vertritt, es könne irgendwie sinnvoll sein, ein allmächtiges Wesen um irgendetwas zu bitten oder ihm für etwas zu danken (also zu beten), kann ich – bei allem Respekt – nicht als vernünftig bezeichnen.

Dankbarkeit

Aber dankbar können gläubige Menschen ihm allemal sein.

Zumindest was die sozialen Medien angeht, habe ich nach dem Tod von Stephen Hawking von christlicher Seite mehr Häme und Spott wahrgenommen als Dankbarkeit. „Jetzt ist der Atheist Hawking vor seinen Schöpfer getreten“ gehört da noch zu den harmloseren Sprüchen.

Dankbar können wir ihm allemal sein, weil er mit seiner Arbeit weiterhin die Religionen und gläubigen Menschen zu einem vernünftigen Glauben herausfordert.

Stephen Hawkings Erkenntnisse fordern nicht zu einem vernünftigen Glauben heraus. Sie fordern dazu auf, das für die religiöse Weltsicht vorausgesetzte Weltbild auf Kompatibilität mit der Wirklichkeit kritisch zu überprüfen.

Christen glauben auch ohne Gott an Gott

Allerdings schaffen es heute sogar Kirchenvertreter, Gott zwar einerseits öffentlich als menschliche Fiktion zu bezeichnen und andererseits aber trotzdem weiter diesen Gott zu verehren und so zu tun, als gäbe es ihn wirklich. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Jahwe genauso in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sein wird wie die unzähligen anderen Gottheiten vor ihm auch.

Naturwissenschaft beantwortet Existenzfragen. Philosophie beantwortet Sinnfragen. Götterglaube beantwortet weder Existenz-, noch Sinnfragen.

Schließen möchte ich mit zwei Zitaten von Steven Weinberg, * 3. Mai 1933 in New York City, Physiker und Nobelpreisträger, Professor für Elementarteilchen-Physik an der Harvard-Universität, Cambridge/Mass:

  • „Ich denke, dass ein enormer Schaden von der Religion angerichtet wurde – nicht nur im Namen der Religion, sondern tatsächlich von der Religion.“
  • „Religion ist eine Beleidigung der Menschenwürde. Mit oder ohne sie würden gute Menschen Gutes tun und böse Menschen Böses. Aber damit gute Menschen Böses tun, dafür bedarf es der Religion.“
    – Steven Weinberg (Quelle: hpd.de)

Ergänzung: Gedanken von Volker Dittmar

In einem Facebook-Post formulierte Volker Dittmar gerade einige Gedanken,** die ich den geschätzten Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten möchte:

Tatsächlich ist bisher NUR die Wissenschaft in der Lage, Warum-Fragen sinnvoll zu beantworten. Wenn die Wissenschaft es nicht kann – was an allen Ecken und Enden der Fall ist – kann es KEINER. Nur die Gläubigen tun so, als ob sie es könnten. Das basiert auf Trugschlüssen.

Die Sinnfrage KÖNNTE ein Gebiet der Religionen sein – denn darum kümmert sich die Wissenschaft nicht. Aber sinnlose Annahmen in der Religion verhindern dies. Dass einige Gläubige (Monotheisten) meinen, sie könnten es doch, liegt nur daran, dass sie den „Sinn der Frage nach dem Sinn“ nicht verstanden haben.

Dazu müsste man sich fragen, wonach die Frage nach dem Sinn des Lebens besteht – sonst bekommt man sinnlose Antworten wie „42“ oder „Gott“ (42 gefällt mir als Antwort besser). Dass man den „Grund des Seins“ nur glaubend verstehen kann, ist eine ebenso starke wie sinnlose Behauptung. Tatsächlich tun hier die Gläubigen nur so, als ob sie es könnten. Man kann aber beweisen, dass die Frage nach dem „Grund des Seins“ selbst eine sinnlose Frage ist, nicht besser als „Hat Morgenstund Gold im Mund, und wenn ja, wie viel?“.

Was ist der Grund für A?

Denn bei jedem Grund, den man findet, kann man weiterfragen, bis ins Endlose. Wenn A der Grund für das Sein ist – was ist dann der Grund für A? Gläubige hören nur willkürlich mit dem Denken auf, sobald Jemand A mit „Gott“ gleichsetzt. Denn man kann fragen: Was ist der Grund für die Existenz Gottes, vorausgesetzt, es gibt überhaupt so etwas wie „Gott“?

Die Unfähigkeit, weiterzufragen, impliziert nicht, dass man eine Antwort hat, sondern nur, dass man aufhört, nach einer zu suchen – und zwar an einer willkürlichen Stelle.

Es gibt hier kein „Patt“.

Es gibt nur Leute, die sich einbilden, dass es das gäbe – man nennt diese Einbildung „Glauben“ – weil sie nicht wissen, wonach die Frage nach dem Sinn fragt. Dann zu meinen, wenn man nicht verstanden hat, was Sinn bedeutet, man könne andere über den „Sinn des Lebens“ belehren, ist ein starkes Stück. Das geht nur bei Leuten durch, die sich über die Sinnfrage nie wirklich Gedanken gemacht haben (das ist die Mehrheit).

Es ist so, als wenn Jemand, der nicht einmal die Physik einer Toilette erklären kann, versucht, einen Kenner der Astrophysik über den Ursprung des Universums zu belehren.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
**Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Mehr zum Tod von Stephen Hawking: Die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters hat Stephen Hawking ein Wort zum Freitag gewidmet und stellt die Frage, ob Stephen Hawking Pastafari war.

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1 Gedanke zu „Rationales Denken und der Glaube – das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Rationales Denken ist eine biologische Anstrengung, pyhsische Arbeit und eine intelligente Lösung ist es nun mal, Rechenzeit/Anstrengung da zu vermeiden, wo sie keinen direkten/unmittelbaren Vorteil im täglichen Überlebenskampf bietet.

    Viele Erfindungen beruhen geradezu auf diesem Grundprinzip von Intelligenz – so hat Konrad Zuse den Computer erfunden, weil er nicht die Menge an Berechnungen im Bauingenieurwesen mehr „händisch“ machen wollte.

    Ich denke, dass Religion nichts anderes ist (ursprünglich war), als eine Schutzfunktion/Rechtfertigungsmechanismus das Individuum vor „scheinbar sinnlosem“ Grübeln, Denken, Philosophieren zu schützen, zu bewahren.

    So hätten unsere Vorfahren stundenlang, tagelang darüber nachdenken können, warum der Säbelzahntiger ihre Gruppe um 2 Menschen dezimiert hat – Zeit die sie aber im Überlebenskampf besser mit Jagd, Sammeln verbringen könnten/müssten. Ergo: ein mystische Kraft im Himmel, bei den Sternen, etc. hat das gesteuert. Basta, isso.

    Später wurden diese evolutionäre Gehirnfunktion genutzt um immer größere/komplexere Zusammenhalte (aus Jagdgemeinschaften wurden Stämme, …) zu koordinieren. Ein Anführer musste nicht mehr körperlich JEDEN in der Gruppe von seinen Führungsqualitäten „überzeugen“.

    Aus den Stämmen wurden Städte, Völker – und schon die Römer erkannten, dass Religion ein praktisches, funktionierendes Konstrukt zur Führung komplexer Gesellschaften ist – und machten das Christentum daher zur Staatsreligion.

    Und heute, nun ja, so wirklich sind wir von der römischen Gesellschaft nicht entfernt – in vielen Details ja, aber nach wie vor kann Religion verwendet werden um Menschen vor anstrengendem Denken zu bewahren und Gesellschaften zu führen.

    Warum Christen, Muslime, Juden, Hindus, etc. trotz evidenter Wissenschaft bei ihrem Glauben bleiben? Ihn sogar in Einzelfällen mit enormer Anstrengung rechtfertigen? Selbst renommierte Wissenschaftler gerne im Hintergrund ihre Frömmigkeit behalten?

    Weil unser Gehirn einmal getätigte Investitionen schützt, weil das Umdenken, Korrigieren einer Erziehung, einer jahrelanger Indoktrination nicht nur anstrengend ist, sondern weil es eine hohe, individuelle/intellektuelle Anstrengung ist.

    Es ist einfacher Rechtfertigungen für das eigene Handeln zu suchen/finden, als selbiges zu ändern.

    Kognitive Dissonanz kommt dann ins Spiel, wenn die Realität irgendwann nicht mehr zu leugnen ist und sie als neurologische Komponente uns irgendwann zwingt zwischen Wunsch/Denken und Realität doch mal wieder einen Zusammenhang herzustellen. Aber das ist ein weiteres Kapitel, ein hochinteressantes.

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