Sind wir nicht alle ein bisschen Judas? – Gedanken zu NACHGEDACHT (261) zum Thema Verrat

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Sind wir nicht alle ein bisschen Judas? … Gedanken zu Nachgedacht (261) zum Thema Verrat, verfasst von Christina Lander, veröffentlicht am 04.03.2018 von Osthessennews

In der vorösterlichen Zeit sind wir Christen angehalten, uns auf das Fest vorzubereiten, indem wir uns in Umkehr üben.*

In der christlichen Vorstellung werden Menschen dadurch „sündig“, indem sie sich von Gott entfernen. Das tun sie praktisch ständig, und zwar deshalb, weil Gott ihnen in seiner unendlichen Gnade den freien Willen gegeben haben soll, sich auf ihn zu oder von ihm weg zu bewegen.

Gleichzeitig soll dieser Gott ja aber auch allmächtig sein. Das heißt, dass ausnahmslos alles, was geschieht, genau so seinem Allmachtsplan entsprechen muss.

Und das hat zur Folge, dass die Abkehr von Gott genauso seiner Absicht entsprechen muss wie die Umkehr zu ihm.

Wer seine Wirklichkeit um ein allmächtiges Wesen mit bestimmten Eigenschaften und Absichten erweitert, tut sich, bzw. seiner Vernunft und vor allem seiner Glaubwürdigkeit damit wahrlich keinen Gefallen.

Das Kleingedruckte beim „freien Willen“

Auf die Frage, warum sich Gott seine bevorzugte Trockennasenaffenart nicht einfach gleich so geschöpft hatte wie er sie gerne hätte, entgegnen Gläubige oft mit dem Argument, dass Gott die Menschen eben so sehr lieb habe, dass er ihnen sogar einen freien Willen gegönnt habe (Spannend sind hier immer die Antworten auf die Frage, wovon dieser Wille denn eigentlich frei sein soll…).

Und dass er es ihnen somit sogar frei stellt, ob sie sich von ihm lieben lassen möchten oder nicht. Dabei blenden sie das „Kleingedruckte“ dieses göttlichen „Geschenks“ meist aus. Denn wer seinen freien Willen zeitlebens nicht ausschließlich zur ständigen Umkehr zu Gott nutzt, den bestraft dieser dafür nach seinem Tod durch zeitlich unbegrenzte Dauerbestrafung mit physischer und psychischer Höllenqual.

Und während ein paar Wochen im Jahr sollen sich Christen also darin üben, ausgerechnet zu diesem Gott umzukehren. Gäbe es diesen Gott wirklich, dann wäre das auch ein wirklich sinnvoller Tipp. Wegen des Kleingedruckten… Aber so…?!

Die Sache mit dem Verrat

Frau Lander interpretiert das mit der Umkehr allerdings offenbar anders. Wie wir im weiteren Beitrag erfahren, scheint es ihr darum zu gehen, dass Christen ihr Verhalten ändern und zu bestimmten, vorgegebenen Verhaltensweisen zurückkehren sollten. Dazu greift sie die biblische Legende von Judas Iskariot auf, laut der Judas Jesus ja verraten haben soll.

Zusammengefasst kommt sie zu der Aussage: Judas hat Jesus (vermutlich aus niederen Beweggründen) verraten. Sei nicht wie Judas.

Frau Lander spekuliert über mögliche Motive, warum Judas Jesus verraten haben könnte:

Vielleicht wollte sich Judas auch profilieren, sich besser als seine Kollegen darstellen und nicht nur seine eigene Haut retten.

Dabei sind Spekulationen hier gar nicht nötig. Denn in der biblischen Legende finden wir die Gründe, die tatsächlich (sofern man bei Legenden von „tatsächlich“ sprechen kann) dazu führten, dass Judas zum Verräter wurde:

  • Es fand ein Mahl statt und der Teufel hatte Judas, dem Sohn des Simon Iskariot, schon ins Herz gegeben, ihn auszuliefern. (Joh 13,2 EU)

Erstmal hat also der Schuld, der in der Bibel immer Schuld hat: Satan. Nun darf Satan freilich nicht die Macht besitzen, einen Menschen dazu anzustiften, den Gottessohn gegen dessen Willen zu verraten. Aber – und jetzt kommt’s – Jesus wusste ja nicht nur, dass Judas ihn verraten würde, er hatte es seinen Jüngern sogar vorab mitgeteilt:

Jesus verrät seinen Verräter

  • Jesus antwortete: Der ist es, dem ich den Bissen Brot, den ich eintauche, geben werde. Dann tauchte er das Brot ein, nahm es und gab es Judas, dem Sohn des Simon Iskariot.  (Joh 13, 26 EU)

Da stellt sich die Frage, warum die restliche Mannschaft nicht sofort eingegriffen und Judas unschädlich gemacht hatte. Zumindest hätte man doch erwarten sollen, dass sie ab sofort ein Auge auf ihn haben würden: Mit wem trifft er sich, mit wem redet er, was hat er vor…

Aber nichts dergleichen geschieht. Auch Jesus zieht aus seinem Wissen keine Konsequenzen. Der Verrat erfolgt also „mit Ansage.“ Muss er ja auch. Schon allein deshalb, weil sonst die Vorhersage von Jesus (und auch die im Alten Testament) ja entweder falsch oder gelogen gewesen wäre. Judas hatte gar keine Wahl, ob er Jesus verraten würde oder nicht.

In dieser Geschichte war Judas lediglich der willenlose Erfüllungsgehilfe, das Opfer in einem bizarren Spiel eines perfiden allmächtigen Gottes:

  • Als Judas hinausgegangen war, sagte Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht und Gott ist in ihm verherrlicht. Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich verherrlichen und er wird ihn bald verherrlichen. (Joh 13, 31-32 EU)

Wie ist der Verrat von Judas nun also zu bewerten?

Halten wir fest: Judas war vom Teufel besessen und von Gott offenbar schon seit ewig langer Zeit dazu vorbestimmt gewesen, die Leidensgeschichte seines Sohns durch dessen Verrat in Gang zu setzen.

Der Geldbetrag, den Judas für seinen Verrat erhalten haben soll, kann somit höchstens ein Alibi-Motiv sein. Zur Vertuschung der eigentlichen Gründe. Also wie bei einem Mörder, der einen Menschen zum Beispiel aus Eifersucht umgebracht hatte und der noch dessen Geldbeutel und Uhr mitnimmt, um es wie einen Raubmord aussehen zu lassen. Bei Judas natürlich umgekehrt: Der hatte Geld für sienen Verrat erhalten, um ihm damit ein Motiv unterjubeln zu können.

Nein, Judas wollte sich nicht profilieren und auch das Geld kann auch nicht das eigentliche Motiv gewesen sein. Judas war für diesen Job unausweichlich vorbestimmt gewesen:

  • Brüder! Es musste sich das Schriftwort erfüllen, das der Heilige Geist durch den Mund Davids im Voraus über Judas gesprochen hat. Judas wurde zum Anführer derer, die Jesus gefangen nahmen. (Apg 1,16 EU)

Was wäre geschehen, wenn Judas Jesus nicht verraten hätte?

VerratZunächst mal wären damit alle diesbezüglichen Prophezeiungen als zumindest nicht zutreffend entlarvt gewesen. Noch gravierender wären freilich die Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der jesuitischen Leidens- bzw. christlichen Heilsgeschichte gewesen:

Kein Verrat – wahrscheinlich keine Hinrichtung. Keine Hinrichtung – keine Verherrlichung. Keine Verherrlichung – keine Erlösung.

Würde man davon ausgehen, dass das vorübergehende Menschenopfer des Gottessohns tatsächlich irgendetwas Positives bezweckt haben soll, dann müssten Christen Judas quasi als Heiligen verehren, statt ihn als schlechtes Beispiel für Verrat vorzuführen.

Um das zu vertuschen, hatten sich die anonymen Verfasser dieser Geschichte das mit Satan ausgedacht. Und obwohl Judas, wie wir gerade gesehen haben, ja gar nichts dazu konnte, dass er zum Verräter wurde, war ihm nicht mal die kleine finanzielle Entschädigung gegönnt: Wie schon in den alten Schriften angekündigt, stolperte er wenig später so unglücklich, dass er in der Mitte auseinanderriss und daraufhin verstarb. Was nicht alles passieren kann, wenn man nicht aufpasst…

Und somit wird klar, warum auf die Frage, wie Verrat zu bewerten ist, ein pauschales „Judas war ein Verräter. Sei nicht wie Judas.“ keine sinnvolle Aussage sein kann. Ausgerechnet in der als Beispiel bemühten Judasgeschichte ist es alles andere als eindeutig klar, wie dieser Verrat einzustufen ist.

Sind wir nicht alle ein bisschen…?

Sind wir nicht alle ein bisschen wie Judas?

Nein. Mich jedenfalls hat meines Wissens bis jetzt noch kein Gottessohn zur Erfüllung seines absurden Heilsplanes als Verräter instrumentalisiert, verraten, mit dem Satan verhext und mich anschließend auf mysteriöse Weise beseitigt. Andererseits – wer kann das schon immer so sicher sagen… 😉

Fest steht, dieses Verhalten ist nicht mehr als 2000 Jahr alt, sondern brandaktuell, denn wir kennen es auch heute noch.

Daraus, dass es Verrat auch heute noch gibt folgt doch nicht, dass Verrat nicht älter als 2000 Jahre ist? Sehr wahrscheinlich dürfte Verrat so alt wie die Menschheit selbst sein. Dieses Verhalten kann sogar auch bei anderen Tieren beobachtet werden.

Und genau hierum dreht es sich, wenn wir uns auf Ostern vorbereiten sollen: Wir sollen versuchen, nicht zum Judas zu werden, sondern zu denen, die bei Jesus geblieben wären.

Warum? Wäre Judas dieser Aufforderung gefolgt, hätte es womöglich gar kein Ostern gegeben! Und was hat das Nachdenken über ethische Standards mit religiösen Festen zu tun?

Und die Moral von der Geschicht‘ ?

Sobald in Geschichten allmächtige Götter, Teufel und Prophezeiungen vorkommen, ist es mit Vernunft, Logik und Sinn schnell vorbei.

Ausgerechnet die biblische Judaslegende ist die wohl am wenigsten geeignete Geschichte, um die negativen Aspekte von Verrat zu beleuchten.

„Judas war ein Verräter. Sei nicht wie Judas.“ ist eine ähnlich zirkuläre, sinnfreie Aussage wie zum Beispiel: Einhörner sind gut. Sei wie ein Einhorn. Oder: Wählt Die Partei, denn sie ist sehr gut. Sowas wird landläufig als Unsinn, Quatsch, Humbug, Allfanzerei oder Nonsens bezeichnet. Oder, was Die Partei betrifft, als Satire.

Rhetoriker sprechen hier von Betonsprache:

  • Diese Art der Kommunikation wird dazu genutzt, Unwissenheit zu verstecken oder Auseinandersetzungen über Sachthemen zu umgehen, indem mithilfe von abstrakten und pompösen Ausdrücken Banalitäten verkündet werden. Es handelt sich dabei weniger um den Versuch, die Zuhörenden mit der eignen Redegewandtheit zu beeindrucken, sondern um eine Strategie, die es ermöglicht, Themen oder Fragen auszuweichen, indem man inhaltlich schweigt, aber trotzdem spricht. (Quelle: Wikipedia:Betonsprache)

Und jetzt?

Zum Glück brauchen wir keine absurde und in sich hoffnungslos unlogische und widersprüchliche christliche Wüstenmythologie, um Themen wie „Verrat“ moralisch einordnen zu können. Wir können zum Beispiel überlegen, inwieweit ein Verrat in einem bestimmten Fall gleichberechtigte Interessen Anderer verletzt. Welche Konsequenzen hat der Verrat für den Verratenen, den Verräter, das Allgemeinwohl? Wem nutzt er, wem schadet er?

Und dann können wir überlegen, ob es womöglich sogar Ausnahmefälle geben kann, in denen ein ansonsten grundsätzlich abzulehnender Verrat die bessere, weil ethisch „richtigere“ Entscheidung ist. Was ethisch „richtiger“ ist, hängt dabei von der vereinbarten moralischen Grundlage ab.

Moderne ethische Standards beruhen nicht mehr auf weitestgehend unbrauchbaren Geboten aus der Bronzezeit, sondern auf humanistischen Werten. Also auf Werten, die für alle Menschen gelten können, unabhängig davon, ob bzw. welche Götter sie verehren. Auf Werten, die sich nicht an einem erfundenen Willen eines erfundenen Gottes, sondern an der Würde und Freiheit des Individuums orientieren.

Die christliche Lehre erfüllt nicht mal die Mindeststandards, die sie erfüllen müsste, um als Moralsystem zumindest in Betracht zu kommen. Mit ihrem heutigen NACHGEDACHT-Artikel hat die Autorin diese Unbrauchbarkeit einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.

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