Österliche Perspektive – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Hoffnung

Lesezeit: ~ 7 Min.

Österliche Perspektive – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Hoffnung, gesprochen von Lissy Eichert (kath.), veröffentlicht am 31.03.2018 von ARD/daserste.de

[…] Für meinen Freund war es wie eine „Auferstehung“, als die totgeglaubten Nerven unter den Fußsohlen zu kribbeln begannen. Wir beide haben in diesem Moment gespürt: Das Leben ist wirklich stärker als der Tod.*

Selbstverständlich ist es sehr erfreulich, wenn die Nervenzellen unter den Fußsohlen 30 Jahre nach einer Folterung plötzlich und unerwartet wieder anfangen zu arbeiten. Trotzdem bedeutet das nicht, dass das Leben wirklich stärker ist als der Tod.

Ein Mediziner könnte sicher erklären, wie es zu diesem Ereignis kommen konnte. Und selbst wenn nicht, dann könnte er vermutlich bestätigen, dass solche, medizinisch dann eben nicht erklärbare Phänomene mit einer gewissen Häufigkeit auftreten.

Aus der Tatsache, dass manche Spontanheilungen medizinisch noch nicht erklärbar sind, folgt freilich nicht, dass es sich deshalb um das Eingreifen einer bestimmten Gottheit handeln muss. Genau das behauptet indes der religiöse Wunderglaube.

Als er gefoltert wurde, vor Angst und Schmerzen nichts mehr denken konnte, da wurde Gott für ihn zur Zuflucht. Seine Rettung. Später sagte er über diese grauenvolle Zeit: „Ich war nicht allein. Ich fühlte, Jesus Christus war auch da. Das gab mir Kraft zu überleben.“ (Zitat „Osteraugen“ von Hemmerle, Klaus, gekürzt zitiert)

Dass in bestimmten Situationen selbst eine Illusion, eine Einbildung Hoffnung stiften kann, ist unumstritten. Gerade in existentiellen Ausnahmesituationen neigen Menschen dazu, auf alles (Un-)Mögliche zu hoffen. Egal, wie irrational und irreal es auch sein mag.

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Außer die von Jesus. Denn laut zwei der vier neutestamentarischen biblischen Legenden starb dessen Hoffnung ja bekanntlich vor ihm.

Hoffnung im Schützengraben, auch ohne Götter

Christen führen hier gerne das Scheinargument an, dass es in einem abstürzenden Flugzeug keine Atheisten gäbe. Oder in Schützengräben. Beides stimmt nicht. Die Atheisten in Schützengräben haben sogar eine eigene Vereinigung. Die Inschrift eines Gedenksteins der „Atheists in Foxholes“ lautet:

  • “In memory of ATHEISTS IN FOXHOLES and the countless FREETHINKERS who have served this country with honor and distinction.
  • “Presented by the national Freedom From Religion Foundation with hope that in the future humankind may learn to avoid all war.” (Quelle: ffrf.org)

Was spricht nun dagegen, sich in einer lebensbedrohlichen Situation einer hoffnungsvoll erscheinenden Illusion hinzugeben? Auf den ersten Blick: Nichts. Denn in einer solchen ausweglosen Situation spielt es keine Rolle, dass die erhoffte Hilfe und Unterstützung nur fiktiv ist. Eingebildet.

Die Tatsache, dass noch kein imaginäres Himmelswesen jemals irgendwen nachweislich vor irgendetwas bewahrt oder aus irgendeiner Situation gerettet hat, ist da zweitrangig.

Anders sieht es in alltäglichen Situationen aus. Also in dem Geschehen, auf das man selbst einen Einfluss hat. Für den Umgang mit der irdischen, natürlichen Wirklichkeit halte ich solche Illusionen für fragwürdig und unter bestimmten Umständen auch für gefährlich.

Religiös vernebelter Blick

Und das ist kein verklärter Blick auf die Grausamkeiten des Lebens, auf all das Schreckliche, das Menschen einander antun. Im Gegenteil.

Verklärt nicht, aber vernebelt.

Gestern war Karfreitag und das Kreuz im Mittelpunkt. Wie schwer ist es, die Not auszuhalten, ohne selbst etwas tun zu können. Angenagelt zu sein. Nicht wegzuschauen, sondern hinzuschauen auf die Verwundungen. Jesus hat die Wundmale der Folter nicht versteckt. Er hat nicht verdrängt. Sondern die Wunden integriert – in das neue Leben.

Laut christlicher Mythologie ist Jesus das zweite Drittel des allmächtigen, allwissenden Gottes.

Allmächtig bedeutet, dass alles, was geschieht, ganz genau so und nicht anders dem göttlichen Allmachtsplan entsprechen muss.

Allwissend bedeutet, dass Jesus, zumindest aber sein „Vater“ schon ewig wusste, dass es genau so und nicht anders kommen würde. Auch schon vor 13,8 Milliarden Jahren. Allwissend bedeutet auch, dass zumindest Gott (für den Fall, dass Jesus zu diesem Zeitpunkt noch nicht das zweite Drittel Gottes und somit vielleicht auch noch nicht allwissend gewesen sein sollte) gewusst haben muss, dass die ganze Todesfolter-Inszenierung nur eine vorübergehende Angelegenheit war.

Die „Integration“ der Wunden von Jesus in sein „neues Leben“ hatte hauptsächlich den Zweck, seinen Anhängern damit zu beweisen, dass er es tatsächlich war. Um ganz sicher zu gehen, hatten die anonymen Bibelschreiber sogar einen der Jünger von Jesus in dessen Wunde herumpuhlen lassen. Offenbar waren die anonymen Bibelschreiber davon ausgegangen, dass dies als Beweis ausreichen sollte.

Göttliche Solidarität

Sein Kreuz ist DAS Zeichen für die göttliche Solidarität mit uns.

Es ist mir einmal mehr unbegreiflich, wie ein erwachsener, ansonsten sicher aufgeklärt und vernünftig denkender Mensch auf sowas kommen kann. Historisch betrachtet ist ein Kreuz DAS Zeichen für menschliche Grausamkeit und Brutalität. Christlich-mythologisch betrachtet kann das Kreuz Zeichen freilich für alles Beliebige sein, wie das in Phantasiewelten so üblich ist.

Aber was ist von einem Gott zu halten, der trotz Allmacht, Allwissenheit und Allgnade keine andere Idee hatte, um einigen Vertretern der von ihm bevorzugten und geschöpften Trockennasenaffenart seine Solidarität zu beweisen?

Ist es solidarischer, nur einen Menschen stellvertretend für alle zu Tode zu foltern? Statt wie beim letzten Mal, als Gott erkannt hatte, dass er sich verschöpft hatte, praktisch seine gesamte Schöpfung zu ersäufen?

Wenn dieser Gott irgendein Problem mit Menschen hat, dann ist das sein Problem. Wenn Menschen irgendwelche Probleme miteinander haben, dann sind das deren Probleme.

Wer hat Gott eigentlich das Recht gegeben, seinen eigenen Sohn (wenn auch nur vorübergehend) zu Tode foltern zu lassen? Weil der Allmächtige das Bedürfnis hatte, Menschen so seine Solidarität zu beweisen?

Als Quelle einer überlegenen, ewigen Moral kann ich einen solchen Gott wahrlich nicht anerkennen. Aufgrund seines Verhaltens könnte man vielmehr fast meinen, ein primitives Hirtenvolk hätte ihn sich irgendwann in der ausgehenden Bronzezeit zusammenphantasiert.

Vernebelung und Unredlichkeit

Aus vielen Gesprächen mit Gläubigen weiß ich, dass Religionsverkünder aller Art alle möglichen Bewältigungsstrategien auf Lager haben, um solche Fragen irgendwie zu umschiffen. Meist läuft es auf eine wunschgemäße theologisch-rhetorische Vernebelung hinaus, verbunden mit textlicher Unredlichkeit.

Da wird nach Belieben weggelassen und hineininterpretiert, bis sich die Kreuzbalken biegen. So lange, bis irgendetwas dabei herauskommt, das wenigstens auf den ersten Blick nicht völlig absurd, inhuman, widersprüchlich oder, bei genauerer und vor allem konsequent ehrlicher Betrachtung einfach komplett irrsinnig erscheint.

Ich finde es befreiend, an einen Gott glauben zu dürfen, der nicht irgendwo weit weg ist. Der da ist, wenn das Schicksal zuschlägt.

Genau das meinte ich gerade. Es befreiend zu finden, an einen Gott glauben zu dürfen, obwohl der eine Welt erschaffen hat, in der das Schicksal nun mal pausenlos zuschlägt, halte ich für einen beispiellos heuchlerischen Selbstbetrug, der eine gehörige Portion Realitätsverweigerung voraussetzt.

Bei anderer Gelegenheit warnen Theologen angesichts eines solchen, wie ich finde reichlich arroganten Glaubensverständnisses gerne vor einer „Verzweckung“ des Glaubens. Für die ist der biblisch-christliche Gott (oder sein Sohn) nicht der, der im Diesseits irgendwelche Wünsche erfüllt. In deren Vorstellungswelt gibts Hoffnung für Gläubige wenn überhaupt nur fürs Jenseits.

Befreien kann ein solcher Glaube in anderer Hinsicht allerdings schon: Nämlich davon, sich mit den Unwägbarkeiten des Lebens abfinden zu müssen.

Hoffnung auf ein Phantom

Aber auf genau diesem Selbstbetrug basiert der Glaube an einen solchen allgnädigen Gott: Alles Positive wird der Gnade dieses Gottes zugeschrieben. Die unzähligen unerhörten Gebete, also Situationen, in denen Gott nicht nur weit weg, sondern komplett weg war, werden da einfach mal geflissentlich unter den Teppich gekehrt. Oder obskuren „bösen Mächten“ zugeschrieben.

Beziehungsweise der menschlichen Schlechtigkeit. Was bei nicht menschlich verursachtem Leid allerdings nur schwer darstellbar ist. Was einige religiöse Spinner jedoch nicht davon abhält, auch Naturkatastrophen als göttliche Antwort auf menschliches Fehlverhalten zu definieren.

Und basierend auf ihrer Wunschvorstellung kultivieren Gläubige somit einen chronischen Bestätigungsfehler. Um sich so einen Gott zu erschaffen, der es gut mit Menschen meint. Wenn man an ihn glaubt.

Mit der täglich beobachtbaren Wirklichkeit haben solche Vorstellungen nichts zu tun. Das endet dann mitunter in solchen Ideen:

Aus Liebe nahm Jesus Gewalt, Schuld und Tod auf sich. Damit wir frei werden von unseren Ängsten. Solche Liebe ist stärker als der Hass. Sie überwindet sogar den Tod. Und hat nie ein Ende.

Sowas kann man sich natürlich einbilden. Dazu muss man nur ausblenden, dass diese Einbildung nicht mit der irdischen Wirklichkeit übereinstimmt. Denn hier gibt es nach wie vor Gewalt, Schuld, Hass und Tod. Nicht wenig davon geht auf das Konto von angstfreien Christen.

Bis jetzt konnte mir noch kein/e religiös Gläubige/r die Frage beantworten, was die Todesfolterung von Jesus denn nun eigentlich konkret bewirkt oder verändert haben soll. Also außerhalb der menschlichen Phantasie.

Jesus Christus – war nicht da

Was mein Freund damals im Gefängnis erlebt hat, war ein Moment der Auferstehung VOR dem Tod. Ich war nicht allein. Jesus Christus war da.

GebetslogikWie schon geschrieben: Es freut mich aufrichtig, dass der Freund von Frau Eichert die Folterung im Gefängnis überstanden hat. Dass es faktisch völlig egal ist, worauf jemand in einer solchen Ausnahmesituation hofft, sollte allerdings zu denken geben.

Denn auf welchen imaginären Freund, auf welche Gottheit jemand seine letzte Hoffnung setzt, macht keinerlei Unterschied.

Nicht das Eingreifen übernatürlicher Wesen, sondern die Einbildung eines solchen Eingreifens ist es, mit der sich der Betroffene eine ihm hoffnungsvoll erscheinende Illusion verschafft.

Geht alles halbwegs gut aus, wird er darin eine Bestätigung seines Glaubens sehen, die über jeden Zweifel erhaben ist. Wenn nicht, waren Gottes Wege eben unergründlich. Einmal mehr. So einfach ist das.

Hoffnung für Alle…

Da war beides: die Todesnot und die Überlebenskraft. Diese Kraft steckt in jeder und in jedem von uns. Ob ich darin nun einen Moment der Auferstehung sehe, ist sicher eine Frage der Perspektive.

Ich halte es für eine Frage der intellektuellen Redlichkeit und des klaren Denkens. Weil redlicherweise nichts mit dem Wirken von übernatürlichen Wesen in einen ursächlichen Zusammenhang gebracht werden kann, halte ich es für überflüssig und unredlich, in die natürliche, irdische Wirklichkeit noch eine religiöse Scheinwirklichkeit mit hineinzumogeln.

Denn „diese Kraft“ steckt tatsächlich in jeder und in jedem von uns. Egal, ob bzw. an welche Götter jemand glaubt. Götter sind für diese Hoffnung beliebig austauschbar.

Doch trotz aller Vorteile, die eine möglichst wirklichkeitskompatible Weltsicht zweifellos mit sich bringt: Die Gedanken sind (seit der Aufklärung und Säkularisierung) frei.

Es steht jedem frei, sich seine Wirklichkeit mit einer Hoffnung auf alle beliebigen Phantasiehelden und erfundene Freunde zu erweitern. Allerdings bitte auf eigene Kosten und ohne Übergriffe auf die persönliche Freiheit derer, die diese Phantasien nicht teilen.

…und nochmal Nebulöses

Und jetzt lasset uns zum Abschluss noch gemeinsam eine weitere theologische Nebelkerze entzünden…

Der Blick mit Augen, die weiter sehen: im Tod bis zum Leben, in der Schuld bis zur Vergebung, in den Wunden bis zur Heilung. Diesen Blick wünsche ich uns.

…und Selbige direkt wieder löschen:

  • Das Leben endet (wohl auch noch bis auf Weiteres) mit dem Tod. One way.
  • Vergebung von Schuld ist eine rein menschliche Angelegenheit.
  • Dass Wunden heute besser und schneller heilen als noch vor ein paar Jahrzehnten, verdanken wir Menschen, die bei ihrer Forschung ihre Hoffnung nicht auf Götter gesetzt hatten. Sondern die sich stattdessen mit wirksamen Mitteln den Herausforderungen und natürlichen Gegebenheiten stellten.

Deshalb wünsche ich uns einen klaren, nicht religiös vernebelten Blick.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Thema Hoffnung.

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