Demut – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 5 Min.

Demut – Das Wort zum Wort zum Sonntag, gesprochen von Annette Behnken (ev.), veröffentlicht am 22.9.2018 von ARD/daserste.de

Hochschlafen war gestern. Heute wird man hochentlassen. Oder: Noch zwei Fehltritte und Maaßen ist Bundeskanzler. Es ist ein Wertekonflikt – entweder die Koaliton zerbricht oder Maaßen wird nach oben weggelobt.*

Man hätte es auch eine parteipolitische „Erpressung“ nennen können. Zwischenzeitlich hat sich die Situation ja schon wieder geändert: Maaßen wurde versetzt, aber (erstmal) ohne Gehaltserhöhung.

Darüber, inwieweit die ganze Aktion angemessen war oder nicht, wird derzeit heiß diskutiert. Oder auch darüber, inwieweit die Darstellung in den Medien den Tatsachen entspricht oder nicht. Das ist allerdings eine politische, gesellschaftliche oder auch philosophische Diskussion, aber keine theologische.

Maßloser Ärger

Und trotzdem ärgere ich mich maßlos, wie viele andere auch. Weil ich es als Verrat empfinde. An grundlegenden Werten, ohne die unsere Gesellschaft und Demokratie nicht gut sein können. Glaubwürdigkeit. Verantwortungsbewusstsein. Vertrauenswürdigkeit. Hier ist sich jemand selbst der Nächste.

Wen meinen Sie mit „jemand“, Frau Behnken? Seehofer? Maaßen? Ich wage zu bezweifeln, dass Letzterer bei seiner Versetzung etwas mitzureden hatte. Man kann Herrn Maaßen sicher vorwerfen, mindestens ein problematisches Statement von sich gegeben zu haben, weitere Vorwürfe stehen im Raum. Aber Egoismus oder mangelnde Demut?

So wie Sie die Situation darstellen, scheinen Sie, wenn ich Sie richtig verstehe, davon auszugehen, Herr Maaßen hätte seine Versetzung selbst absichtlich herbeigeführt mit dem Ziel, sein Einkommen zu erhöhen. Das erscheint mir nach meinem aktuellen Wissensstand absurd.

In der letzten Woche war ich in einem Kloster und bin immer noch schwer beeindruckt von den Frauen, die dort leben. Toughe Nonnen. Vorbilder für mich in ganz vielen Dingen. Vor allem in einer Sache, die nicht nur im Fall Maaßen offensichtlich aus der Mode gekommen ist: Demut. Was ich da im Kloster erlebt habe, ist eine Demut, die nichts mit Unterwürfigkeit oder Duckmäusertum zu tun hat. Sondern mit Mut. Dem Mut, sich in den Dienst einer größeren Sache zu stellen. Einer Gemeinschaft, eines Ideals, eines Lebens- oder Glaubensweges.

Demut: Ein problematischer Begriff

DemutDen Begriff Demut halte ich wegen seiner Mehrdeutigkeit für problematisch. In biblisch-christlichen Kontext bedeutet Demut nämlich sehr wohl Unterwürfigkeit. Wikipedia formuliert es so:

  • Demut bedeutet das Anerkennen der Allmacht Gottes. Demut beschreibt demnach die innere Einstellung eines Menschen zu Gott.

Und weiter:

  • Für Nietzsche gehörte Demut „zu den gefährlichen, verleumderischen Idealen, hinter denen sich Feigheit und Schwäche, daher auch Ergebung in Gott verstecken.“

Nicht zu vergessen der biblisch-christliche Gott, dem die Rolle des „Herren“ zukommt. Während sich der Gläubige ihm gegenüber als „Knecht“ versteht. Dieser Gott war es laut biblischer Mythologie auch, der den Menschen gleich zu Beginn seiner Existenz nachhaltig und dauerhaft gedemütigt hatte:

  • Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen. Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein. Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück. (1. Mo 3, 15-19 LUT)
  • Er demütigte dich und ließ dich hungern und speiste dich mit Manna, das du und deine Väter nie gekannt hatten, auf dass er dir kundtäte, dass der Mensch nicht lebt vom Brot allein, sondern von allem, was aus dem Mund des HERRN geht. (5. Mo 8, 3 LUT)

Gott belohnt Demut – mit strafmildernder Sippenhaft

Umgekehrt erwartet dieser Gott auch von seinen Anhängern, dass diese sich selbst vor ihm demütigen:

  • Wenn ich den Himmel verschließe, so daß kein Regen fällt, oder wenn ich den Heuschrecken gebiete, das Land abzufressen, oder wenn ich die Pest unter mein Volk sende und mein Volk, das nach meinem Namen genannt ist, sich dann demütigt und (zu mir) betet und mein Angesicht sucht und sich von seinem bösen Tun bekehrt: so will ich sie vom Himmel her erhören und ihnen ihre Sünden vergeben und ihrem Lande Rettung schaffen. (2. Chr 7,13-14 LUT)
  • [Gott:] Hast du nicht gesehen, wie sich Ahab vor mir gedemütigt hat? Weil er sich nun vor mir gedemütigt hat, will ich das Unheil nicht kommen lassen zu seinen Lebzeiten, aber zu seines Sohnes Lebzeiten will ich das Unheil über sein Haus bringen. (1. Kön 21,29 LUT)

In der zweiten Geschichte zeigt sich der liebe Gott wiedermal von seiner besonders fiesen Seite: Weil sich Ahab vor Gott gedemütigt hatte, wird er zwar von Unheil verschont; die Bestrafung für Ahabs früheres Verhalten nimmt der Allgnädige dann „nur“ an dessen Sohn vor.

Demut aus philosophischer Sicht

Eine solche Demut ist sicher etwas anderes als etwa die Seinsdemut als eine „Grundhaltung des echten Philosophen vor der Wirklichkeit“, von der im philosophischen Kontext die Rede ist.

Frau Behnken, was Sie vermutlich ausdrücken möchten, dürfte eher in die Richtung der Interpretation von Siegbert Warwitz gehen, oder?

  • Nach Siegbert Warwitz ist Demut, verstanden als „Mut zum Dienen“, „Bereitschaft zur Unterordnung“, eine Variante der Charaktereigenschaft Mut: In der Trias „Hochmut-Mut-Demut“ bildet sie den positiv besetzten Kontrapunkt zu der negativ konnotierten Erscheinung des Hochmuts. Im Sinne von „Bescheidenheit“ steht sie damit der „Arroganz“ diametral gegenüber. (Quelle: Wikipedia)

Es geht hier also nicht, wie im biblischen Kontext, um ein bestimmtes Verhalten, das aus Furcht vor Dauerbestrafung durch Höllenqualen resultiert. Oder aus einem Selbstverständnis als „Knecht“ im Verhältnis zu einem „Herren.“

Schlangen und Otterngezücht!

[…] Auch in diesem Fall ist es enttäuschend. Weil der Mut fehlt, sich in den Dienst der größeren Sache zu stellen. Und den erwarte ich von Verantwortlichen und Politikern. „Wer unter euch am größten ist, soll euer Diener sein“ heisst es in der Bibel.

Hier wird das Problem mit dem Begriff der Demut deutlich: Denn ohne nähere Erklärung ist unklar, was diese „größere Sache“ denn eigentlich sein soll. Geht es um die Werte, auf denen eine offene und freie Gesellschaft entstehen kann?

Oder geht es, wie in der Bibel, darum, davon auszugehen, dass die Menschen sowieso dereinst noch der „Richterspruch“ eines „gerechten Richters“ erwartet? Ein Richter, der die Erniedrigten erhöht und die Erhöhten erniedrigt? Also um den Glauben an eine dereinstige „ausgleichende Gerechtigkeit“, der sowieso niemand entkommen kann? Und die bis zum Beweis des Gegenteils freilich nur in der christlichen Phantasievorstellung existiert?

In der Bibelstelle, aus der das genannte Zitat stammt, wettert Jesus gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer:

  • Ihr Schlangen, ihr Otterngezücht! Wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen? (Mt 23,33 LUT)

Die Angst vor höllischer Verdammnis halte ich für kein sinnvolles Argument, um Menschen im 21. Jahrhundert dazu zu bringen, sich fair zu verhalten.

Natürlich ist es naiv…

Natürlich ist es naiv, sich hier hinzustellen und zu sagen „die da oben“ sollten jetzt mal demütiger sein. Aber genau das denke ich.

Frau Behnken, wenn Sie schon selbst merken, dass das naiv ist, vielleicht fällt Ihnen ja noch etwas dazu ein, das vielleicht weniger naiv ist?

Und wenigstens möchte ich eine Lanze brechen für diese Urtugend: Demut. Und dafür, ihr Platz im eigenen Leben einzuräumen.

Also nicht. Dann biete ich Ihnen an, sich mal die Gedanken von Michael Schmidt-Salomon anzuhören. In diesem SWR1-Interview geht es u. a. auch um den Fall Maaßen, aber auch darum, worauf es in offenen und freien Gesellschaften ankommt:

https://www.youtube.com/watch?v=wgxprYFhwc8

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.

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2 Gedanken zu „Demut – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Besten Dank für den guten Artikel!

    Dass ausgerechnet Vertreter oder Anhänger der christlichen Religion von „Demut“ sprechen, klingt für mich bizarr.

    Zu glauben, der Schöpfer der Welt hätte ausgerechnet ihre eigene Existenz gewollt und würde sich ausgerechnet um ihre kleinen Sünden und Gebete kümmern, ist alles andere als demütig. Es ist ganz im Gegenteil eine Weltsicht, die sich selbst in den Mittelpunkt der Welt stellt. Und zwar zu einer Zeit, zu der vernünftige Menschen längst erkannt haben, dass unsere Erde nur ein Staubkorn im Weltall und ebenso bedeutungslos ist.

    Demut bestünde darin, sich als staunender Beobachter dieses galaktischen Spektakels zu begreifen, und nicht, sich als dessen Grund und Zentrum auszurufen.

    Auch die von Frau Behnken verlustig gemeldeten Eigenschaften wie „Glaubwürdigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Vertrauenswürdigkeit“ sind Begriffe, die sich in keinen redlichen Zusammenhang mit irgendeiner Kirche bringen lassen.

    Der ganze Witz ihrer Predigt liegt doch darin, dass sie an genau jener selbstherrlichen Abgehobenheit leidet, die sie den Politikern vorwirft. Denn es kommt ihr überhaupt nicht in den Sinn, die eigene Glaubwürdigkeit infrage zu stellen oder zu belegen. Sondern sie setzt diese einfach voraus als etwas, was über jeden Zweifel erhaben ist. Aus dieser sicheren Position zeigt sie mit dem Finger auf andere und empört sich.

    Man kann über das Gezerre bezüglich Herrn Maaßen geteilter Meinung sein, aber man kann nicht bestreiten, dass Herr Maaßen die Verantwortung für den Vorfall übernehmen musste, und dass die politischen Amtsträger gezwungen waren, im Rampenlicht der Öffentlichkeit wieder Glaubwürdigkeit herzustellen. Wann konnte man das jemals über die Kirchen sagen?

    Und damit meine ich keineswegs nur Verantwortung für Skandale, sondern auch Verantwortung für eine belegbar falsche und gefälschte Lehre, die sie weiterhin als göttliche Wahrheit verkaufen. Hier zeigt sich nämlich: Abgehobenheit von der Realität ist bei den Kirchen kein Ausrutscher, sondern das Fundament. Es ist das gemeinsame Rauschmittel der Gemeinde. In der Politik wird gelegentlich gekifft — aber Religion bedeutet Vollrausch.

    Dieses Berauschtsein von der eigenen Großartigkeit führt dann zu selbstgerechten Sendungen wie dem „Wort zum Sonntag“: Die Sendung gibt sich rhetorisch geschickt als verlässlicher Kompass zur Weisheit aus, ist in Wahrheit jedoch ein rauschendes Fest der Dummheit.

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