Abschied – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 5 Min.
Abschied – Das Wort zum Wort zum Sonntag, gesprochen von Elisabeth Rabe-Winnen (ev.), veröffentlicht am 03.11.2018 von ARD/daserste.de In ihrer heutigen, reichlich melancholischen Verkündigungssendung behandelt Frau Rabe-Winnen das Thema Abschied.

Ein selbst gewählter Abschied auf Zeit…

Zum Einstieg schildert sie eine Situation, in der sie am Flughafen mal für ein paar Monate Abschied von ihren Eltern nehmen musste. Weil sie sich für einen Auslandsaufenthalt in den USA entschieden hatte:
[…] Ich war 18. […] Und gleich hebt der Flieger ab. Richtung New York. Dort werde ich in der Seemannsmission mitarbeiten. Wir sind im Dunkeln zum Flughafen gefahren. […] Meine Mutter, mein Vater, ich. Und dann – stehen wir da. Dort an der Schleuse. An der Stelle, wo nur noch ich allein weiter gehen kann.*
Eine Situation, wie sie vermutlich jeder schon mal irgendwann in irgendeiner Weise erlebt hat. Festzuhalten ist, dass Frau Rabe-Winnen sich in dieser Episode ihres Lebens offenbar selbst dazu entschieden hatte, vorübergehend – vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben für längere Zeit und weiter weg – Abschied zu nehmen.

…und ein Abschied für immer

AbschiedVon diesem Erlebnis ausgehend verliert sich Frau Rabe-Winnen nun in düster-melancholischen Trübsalsgedanken. Mit Rilke lässt sie in poetischen Wortgirlanden Blätter von kahlen Bäumen fallen und leitet so von einer an sich ganz gewöhnlichen Abschiedsszene über zu ihrem eigentlichen Thema: Dem Tod. Also zu dem (zumeist nicht freiwilligen) Abschied für immer. Obwohl immer weniger Menschen noch an Götter und Jenseitsphantasien glauben, beanspruchen die Kirchen das Thema Tod nach wie vor für sich. Erst ganz allmählich entwickelt sich neben dem religiös besetzten Umgang mit dem Lebensende auch ein humanistisch-säkularer. Und trotzdem maßt es sich die Kirche an, Menschen vorzuschreiben, wie sie mit ihrem eigenen Tod umzugehen haben. Nicht nur ihren Schafen. Sondern allen Menschen.

Tradition kann Ideologie lange überleben

Wobei die traditionell religiös instrumentalisierten Rituale und Feiertage vermutlich auch dann noch zelebriert werden, wenn noch weniger Leute die christliche (oder überhaupt irgendeine religiöse) Glaubenslehre noch für glaubwürdig halten. Das scheint auch Frau Rabe-Winnen bewusst zu sein. Und so spricht sie erstmal ganz unverfänglich nur von den Menschen, die an Menschen denken. Statt an Gott. Und die an Denkmälern stehen. Statt vor Grabsteinen:
Und Novembertage tragen Namen wie „Allerheiligen“ und „Volkstrauertag“, „Buß- und Bettag“ und „Totensonntag“. In jedem Jahr gibt es diese Zeit: die düstere Kulisse der Natur für die Zeit des Gedenkens. Menschen denken an Menschen und stehen an Denkmälern. Und vor den Blumenläden Grabgestecke, grün und rot.
Wie gerade schon kurz angedeutet: Die christlichen Feiertage dürften sich sicher noch eine ganze Weile halten. Unsere Wochentage sind ja bis heute auch noch nach allen möglichen Göttern benannt, die schon längst in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind. Und auch unsere Zeitrechnung steht in Zusammenhang mit der christlichen Gottessohnlegende.

…wenn es sein kann

[…] Ich stehe am Grab meines Vaters […] Ich vermisse ihn. Denke an die tiefe Hoffnung, die er und ich teilten. Und ich bete dort. „Gott. Du Tröster, gib mir Kraft. Und führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.“
Der Verlust der Eltern, ist, besonders dann, wenn man ein gutes Verhältnis hatte, auf jeden Fall ein einschneidendes Ereignis. Damit klarzukommen, dass der Tod zwar einen Abschied für immer, nicht aber auch automatisch ein Ende der liebevollen Erinnerung bedeutet, kann etliche Zeit in Anspruch nehmen.

Trauerarbeit

Nicht umsonst spricht man auch von Trauerarbeit.
  • Ziel der Trauerarbeit ist es, im Äußeren die Abwesenheit des geliebten Menschen zu realisieren und zu akzeptieren – und im Inneren eine neue Beziehung zu ihm zu finden. (Quelle: kachler-roland.de)
Wie man jedoch als erwachsener, ansonsten rational denkender Mensch die Illusion, Verstorbene irgendwann und irgendwie wieder zu treffen als tröstlich empfinden kann, ist mir ein Rätsel. Besonders absurd erscheint es mir, sich mit einer diesbezüglichen Bitte ausgerechnet an den zu wenden, der das Leben einschließlich dessen Vergänglichkeit genau so und nicht anders geschöpft haben soll:

Ausgerechnet Gott…

Und nun liegt auf seinem Grab das Laub, golden und nass. „Die Blätter fallen, fallen wie von weit. Wir alle fallen. Und sieh dir andre an: es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.“
Religion sucht den Trost dieser Welt ausgerechnet bei dem, der sie so trostlos geschaffen hat.Die Gottesvorstellung des Dichters Rainer Maria Rilke, von dem diese Zeilen stammen, passt Frau Rabe-Winnen vermutlich gut ins Konzept: Kein allmächtiger himmlischer Herrscher, der über die Menschen dereinst gnadenlos richten wird, wie die Bibel ihn beschreibt. Sondern ein allgütiges, geheimnisvolles Überwesen. Und das nicht nur Blätter im Herbst, sondern auch menschliches Leid mit sanften Händen auffängt. Mehr als die Einbildung eines solchen abstrakten und nebulösen Trostspenders scheint vom allmächtigen Bibelgott hier nicht mehr übrig geblieben zu sein. Und wird wohl auch nicht mehr von ihm erwartet. Diejenigen Christen, die sich über die Absurdität ihrer Glaubensprämissen nicht länger den Kopf zerbrechen möchten, gehen gerne dazu über, nur noch von „Vertrauen“ zu sprechen, wenn es um ihren Glauben geht. Dass der, auf den sie vertrauen und hoffen bis zum Beweis des Gegenteils nur in der menschlichen Phantasie existiert, macht ihnen dabei nichts aus. Realitätsverweigerung ist auch eine Möglichkeit, mit der freilich nicht immer leicht erträglichen Wirklichkeit umzugehen. Allerdings halte ich auch in diesem Fall zumindest mittel- und langfristig einen möglichst realitätskompatiblen Umgang mit der Wirklichkeit für sinnvoller und erträglicher als eine Realitätsflucht in nur scheinbar hoffnungsvolle Einbildungen und Fiktionen.

Kein Wiedersehen in Sicht

„Führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.“
„…wenn es sein kann…“ Das klingt für mich deutlich weniger zuversichtlich als wenn etwa die katholische Kirchengemeinde im Brustton der Überzeugung singt: „Wohlan, ihr entschlafenen Brüder, wir sehen einander ja wieder…“ Doch egal, ob jemand felsenfest davon überzeugt ist, dass ein Tod kein Abschied für immer ist oder ob jemand seine vage Hoffnung (im Falle von Bonhoeffer, der diese Zeilen im KZ kurz vor seiner Hinrichtung verfasst hatte, vermutlich wohlweislich) noch mit einem „…wenn es sein kann…“ einschränkt: Bis zum Beweis des Gegenteils ist es schlicht und ergreifend illusorisch, von einem Wiedersehen mit Verstorbenen auszugehen. TrostEs sei denn, man meint mit „Wiedersehen“ den Umstand, dass die Atome, aus denen ein Mensch bestanden hatte, wieder in den Gesamtkreislauf zurückgelangen. Um von einem Wiedersehen mit Verstorbenen zumindest theoretisch ausgehen zu können, müssten menschliche Persönlichkeiten „Hardware-unabhängig“ und auch noch nach dem Tod der zugehörigen Körper existieren können. Mit dem Wegfall der Vorstellung eines solchen Umstandes fällt auch die Möglichkeit weg, geliebten Mitmenschen (von den ungeliebten ist seltsamerweise nie die Rede bei Jenseitsphantasien) dereinst wiederzubegegnen.

Religiöse Wiedersehensvorstellungen scheitern an der Wirklichkeit

Der Trost, den diese Vorstellungen Gläubigen vielleicht trotzdem spenden können, besteht aus einer fiktiven und illusorischen Behauptung. Wer sich davon trösten lassen möchte, muss sein vernünftiges Denken dafür außer Kraft setzen.
[…] Ob an den Gräbern oder andernorts in allem, was sich nach November anfühlt – nicht vergessen: Wir sind gehalten! Da ist Liebe und da ist Zukunft. In allem Abschied und Loslassen-Müssen begleitet Gott das Weitergehen.
Jedem Menschen ist gerade in schwierigen Situationen zu wünschen, dass er jemanden hat, der für ihn da ist und der ihn begleitet. Und zwar kein eingebildetes Phantom.

Natürlicher Umgang mit der Wirklichkeit

Statt Leuten mit einer nur scheinbar hoffnungsvollen Illusion in die Irre zu führen, halte ich es für sinnvoller, für sie da zu sein. Und sie zum Beispiel auf diesem Weg zu begleiten:
  • Der Tod beendet das Leben meines geliebten Menschen, nicht aber meine Liebe zu ihm. Nicht das „Loslassen“ ist das Zentrum der Trauer, sondern meine Liebe und der Wunsch, diese Liebe in einer veränderten Form weiterleben zu können. (Quelle: kachler-roland.de)
Der Umgang mit dem „Abschied für immer“ ist eine sehr individuelle und persönliche Angelegenheit. Dabei ist es auch unter Anerkennung der natürlichen Gegebenheiten und ohne Selbstbetrug sehr gut (meiner Erfahrung nach sogar noch viel besser) möglich, verstorbene Menschen in liebevoller Erinnerung zu behalten. Ganz ohne Wiedersehensphantasien. Die Kehrseite der Medaille...Wer das absurde und bizarre christliche Jenseits als von Menschen aus Unwissenheit, Angst und zu bestimmten Zwecken erdachte menschliche Fiktion durchschaut hat, braucht auch nicht mehr unter der Ungewissheit zu leiden, die aus der Vorstellung resultiert, Verstorbene würden sich nun in der Gewalt eines allmächtigen Götterwesens mit höchst fragwürdigem Charakter und äußerst zweifelhaften moralischen Standards befinden. Die Wirklichkeit kann oft grausam und leidvoll sein. Oft ist sie aber auch viel angenehmer und leichter erträglich als die biblisch-christlichen Hirngespinste. Jedenfalls, solange man sie sich nicht so weichspült, dass sie mit den ursprünglichen Behauptungen praktisch nichts mehr gemein haben. Aber dann kann man auch gleich getrost ganz darauf verzichten. *Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Thema Abschied. **Quelle Meme: dittmar-online.net

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1 Gedanke zu „Abschied – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Es tut gut, mal einen Text über Tod und Trauer zu lesen, der nicht die Intelligenz der Leser (oder der Trauernden) beleidigt.

    Trauerarbeit wird oft als Domäne der Kirchen angesehen, selbst von Leuten, welche die kirchlichen Lehren gar nicht genau kennen und auch kaum in den Gottesdiensten anwesend sind. Ähnlich ist es bei Hochzeiten.

    Das ist pures Marketing. Die Kirchen geben sich aus als zuständig für „das Menschliche“. Für das Gute. Für die letzte Wahrheit. Für das, was nach allem Zank und aller Mühsal übrig bleibt: der Mensch und seine Bedürfnisse.

    Die Menschen (nicht alle) glauben das. Warum? Weil sie es glauben wollen. Sie wollen glauben, dass am Ende eben doch Gerechtigkeit waltet, dass es eine Art Heimkehr gibt, eine letzte Ruhe, ein ewiger Frieden. Die Kirchen nutzen diese Sehnsucht aus.

    Ein Blick in die Bibel oder ein waches Ohr im Gottesdienst zeigt jedoch, dass nichts davon ein wesentlicher Bestandteil der christlichen Lehre ist. Jesus spricht in den Evangelien nicht vom ewigen Frieden, sondern von einem Gottesgericht. Er spricht vom Scheiden der Schafe und Böcke, von gnadenloser Abrechnung und rücksichtsloser Vergeltung. Es geht nicht um Vergebung, sondern um Rache. Er droht mit dem Höllenfeuer, selbst für winzigste Übertretungen seiner Gebote, die aber so überzogen formuliert sind, dass sie niemand einhalten kann.

    In diesen Versen geht es nicht um Menschlichkeit, sondern um Fanatismus. Es ist nicht menschlich, sondern radikal. Die dort geäußerte „Moral“ ist nicht göttlich, sondern primitiv.

    Frau Rabe-Winnen lässt ihre Zuschauer darüber absichtlich im Unklaren. Sie verschweigt, was wirklich in der Bibel steht. Das ist unredlich und feige. Wenn sie schon als Missionarin des christlichen Glaubens auftritt, dann soll sie diesen auch ehrlich darstellen. Ansonsten kann sie gerne ihre Privatreligion gründen und ihren privaten Phantasien freien Lauf lassen.

    Ich persönlich finde, dass die Kirchen bei kaum einem Thema so irren und in die Irre leiten wie bei der Trauer um Verstorbene. Begräbnisgottesdienste sind nach meiner Erfahrung derart verlogen und ärgerlich, dass es die ohnehin traurige Stimmung weiter belastet.

    Ich habe sowohl christliche als auch atheistische Begräbnisse erlebt. Bei den christlichen Begräbnissen war die verstorbene Person so gut wie nicht mehr sichtbar, weil das Gefasel des Priesters und der starre Ritus alles überlagerte. Bei den atheistischen Begräbnissen stand die verstorbene Person im Vordergrund — man erinnerte und würdigte die Person. Es wurde auch nicht versucht, die Trauer mit billigen Phrasen zu erschlagen. Man konnte ehrlich trauern, anstatt nur Staffage für ein Theater zu sein.

    Was Trauer oft so schwer macht ist Ehrlichkeit. Der Tod ist ein Augenblick der Wahrheit. Es ist endgültig. Kein Einspruch, kein Appell, keine Bitte kann an einer Todesnachricht etwas ändern. Es ist schwer, die schroffe Endgültigkeit zu akzeptieren. Doch eben daraus besteht Trauer und deren Verarbeitung. Wer die Endgültigkeit leugnet, schiebt diese Trauerarbeit nur vor sich her.

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