Theodizee: Eine Frage des Schwerpunktes, oder: Wie putzt Gott eigentlich seinen Flur?

Lesezeit: ~ 2 Min.

In einem Facebook-Post lieferte Scrutator – Ungeschminkte Bibelkritik ein anschauliches Beispiel für eine immer wieder anzutreffende christliche Scheinargumentation:

Wie putzt Gott eigentlich seinen Flur?In letzter Zeit habe ich wieder viel über die Theodizeefrage diskutiert und nachgedacht. Was mir dabei aufgefallen ist: Christen und Atheisten scheinen in der Definition Gottes (allmächtig und allgütig) oft unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen, die ihr Urteil über ihn entscheidend beeinflussen.

Primär allmächtig…

Für Atheisten scheint Gott primär ein allmächtiges Wesen zu sein. Denn wenn Atheisten den Zustand der Welt sehen und dann hören, dass manche Leute an Gott glauben, dann denken viele von ihnen: „Dieser Gott soll doch allmächtig sein. Das heisst, wenn es ihn gibt, ist er ein Arschloch.“ Sie sehen die Frage, ob Gott allgütig ist, im Lichte von dessen Allmacht.

…oder doch allgütig?

Für Christen hingegen scheint Gott primär ein allgütiges Wesen zu sein. Denn wenn Christen den Zustand der Welt sehen, dann denken sie: „Gott ist allgütig, soviel steht fest. Das heisst, er muss gute Gründe haben, das alles zuzulassen.“ Gute Gründe zu haben, Leid zu verursachen oder zuzulassen, bedeutet in letzter Konsequenz immer, dazu gezwungen, also nicht allmächtig zu sein. Christen sehen also die Frage, ob Gott allmächtig ist, im Lichte von dessen Allgüte.

…oder was?

Der entscheidende Unterschied: Christen gelingt es nicht, den Widerspruch zu erkennen. Sie merken nicht, dass sie Gottes Allmacht leugnen müssen, um angesichts des Leids in der Welt weiter von seiner Allgüte ausgehen zu können.

Sie denken und sagen, sie glaubten an einen allgütigen und allmächtigen Gott, aber sobald es um die Frage geht, warum Gott Leid zulässt, wird irgendetwas gesagt, das impliziert, dass Gott dazu gezwungen sei, so zu handeln. Plötzlich hat er seine Allmacht verloren.

Wenn man dann fragt, ob Gott denn nicht allmächtig sei, heisst es dann wieder: „Doch, klar.“ Wie machen wir den Leuten das klar?

„Wie putzt Gott eigentlich seinen Flur?“
„Mit seinem Besen.“
„Das heisst, Gott hat einen Besen?“
„Nein.“
„Aber womit reinigt er dann seinen Flur?“
„Na mit seinem Besen.“

*Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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4 Gedanken zu „Theodizee: Eine Frage des Schwerpunktes, oder: Wie putzt Gott eigentlich seinen Flur?“

  1. Tja, wie will man Gott verstehen, wenn man es nicht wirklich versucht?! Er hat ja immer wieder das Bild gegeben, dass er wie ein Vater ist. Würden Eltern ALLES verhindern was die eigenen Kinder falsch machen? Dann müssten sie letztendlich ihre Kinder verhindern bzw. beseitigen. Aber Eltern lieben ihre Kinder, zeigen ihnen wie es besser geht und lassen ihnen noch eine Chance und noch eine und noch eine und noch eine. Und lieben sie trotzdem.

    Antworten
    • Viele Menschen versuchen wirklich, ihre Götter zu verstehen – und kommen dabei zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen.

      Der Vergleich mit den liebevollen Eltern funktioniert nicht, weil Eltern gemeinhin nicht allmächtig, allwissend und allgütig sind und weil sie im Gegensatz zu Göttern auch außerhalb menschlicher Phantasie existieren.

      Der Gott, der in der biblisch-christlichen Mythologie beschrieben wird, droht mit zeitlich unbegrenzter physischer und psychischer Dauerbestrafung durch Höllenqualen für das Vergehen, ihn nicht anerkannt und sich ihm unterworfen zu haben.

      Übertragen auf Eltern wäre dieses Verhalten vergleichbar mit dem von Eltern, die ihren Kindern androhen, sie bei Fehlverhalten (nach ihren eigenen Maßstäben) lebenslänglich physisch und psychisch zu quälen („nur“ lebenslänglich, weil es in der irdischen Wirklichkeit keine „Ewigkeit“ für zeitlich unbegrenzte Bestrafung gibt).

      Antworten
    • Was die *Kinder* falsch machen? Darum geht es in der Theodizee doch überhaupt nicht. Das Theodizee-Problem dreht sich nicht um den Menschen, sondern um Gott. Genauer um den Widerspruch zwischen Allmacht und Allgüte bei gleichzeitigem Vorhandensein von Leid. Das Theodizee-Problem bestünde auch dann, wenn es gar keine Menschen gäbe, sondern z.B. nur Tiere. Warum leiden Tiere?

      Es geht überhaupt nicht darum, dass der Mensch irrt und Gott es verzeiht. Es geht darum, dass Gott das Leid *selbst* verursacht, entweder aktiv oder als Konsequenz seiner Schöpfung.

      Was soll das bedeuten, Gott würde den Menschen immer wieder zeigen, wie es richtig geht? Was ändert das an den Todesopfern von Tsunamis, Erdbeben, oder Hungersnöten? Wenn die Christen so genau Bescheid wissen, wie es „richtig geht“: Warum verhindern sie dann diese Katastrophen nicht?

      Warst Du schon mal in einem Kinderkrankenhaus? Sag‘ denen doch einfach, wie es „richtig geht“.

      Antworten
    • Die Ironie könnte kaum grösser sein, denn ich, der Autor dieses Posts, war über 20 Jahre lang fester Teil einer christlichen Gemeinde und habe mich über Jahre hinweg dem Bibelstudium verschrieben. Ich war so ein Versprechen für die Zukunft, dass ich als einziger ohne theologischen Abschluss Predigten halten durfte, und selbst studierte Theologen zogen den Hut vor meinen homiletischen Fähigkeiten. Als Zweifel aufkamen, intensivierte und erweiterte ich meine Nachforschungen um ein Vielfaches und betete inniger und inniger um Verständnis. Ich habe weit, weit mehr darin investiert, Gott zu suchen und zu verstehen, als es die allermeisten Christen jemals tun werden.

      „Würden Eltern ALLES verhindern was die eigenen Kinder falsch machen?“
      Wenn sie nicht wollten, dass sie und andere leiden, und es ohne negative Konsequenzen könnten, dann ja. Was davon trifft auf Gott nicht zu? Ist er nicht allgütig oder nicht allmächtig?

      „Dann müssten sie letztendlich ihre Kinder verhindern bzw. beseitigen.“
      Nicht allmächtig also. Lustig, wie sie exakt das tun, was mein obiger Post erklärt und kritisiert hat: Sobald sie ihren Gott verteidigen müssen, verliert er seine Allmacht. Er kann das Leid auf der Erde nicht verhindern, ohne gleich die ganze Menschheit zu beseitigen. Dann kann er nicht allmächtig sein.

      „Aber Eltern lieben ihre Kinder, zeigen ihnen wie es besser geht und lassen ihnen noch eine Chance und noch eine und noch eine und noch eine.“
      Liebende Eltern versuchen alles, um zu verhindern, dass ihre Kinder Fehler machen, die ihnen und anderen schaden. Das einzige, was sie davon abhält, ist, dass sie nicht allmächtig sind. Wenn Sie, wie ich vermute, implizieren möchten, dass Gott uns Dinge beibringen möchte, so stellen sich einige Fragen:

      1. Warum schafft Gott uns ohne das Wissen, das er uns da unbedingt beibringen will, und riskiert mit seiner merkwürdigen Methode, dass wir es nicht lernen?

      2. Hat ein allmächtiger Gott keine besseren, ethischeren Methoden, Ziele zu erreichen und jemandem etwas beizubringen?

      3. Gott lässt also zu, dass das Leben hart ist, damit wir dazulernen können. Nun stellt sich die Frage, warum wir denn dazulernen müssen. Die Antwort: Weil das Leben hart ist. Das bedeutet zusammengefasst: Gott lässt zu, dass das Leben hart ist, weil das Leben hart ist. Das ist ein Zirkelschluss, genau wie „Gott gibt uns Karies, damit wir uns die Zähne putzen, und die Zähne müssen wir uns putzen, weil es Karies gibt.“

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