Aufstand der Kinder – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Dummheit

Lesezeit: ~ 6 Min.

Aufstand der Kinder – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Dummheit, verkündigt von Christian Rommert, Bochum, veröffentlicht am 2.2.2019 von ARD/daserste.de

Vor ein paar Tagen fragte mich mein Sohn etwas, mit dem ich nichts anfangen konnte: „Papa, ist unsere Generation wirklich dümmer als andere Generationen?“ Erst dachte ich, der macht einen Witz.

Aber ihn schien das wirklich zu beschäftigen. „Was ist los?“, wollte ich von ihm wissen. „Unsere Lehrer sagen das manchmal! Wir wären dumm.“ Ich wollte wissen, warum. „Weil wir Beethoven nicht von Brecht unterscheiden können … und so… Du sagst das übrigens auch manchmal.“ Ich? Was sag ich? „Naja, dein Spruch ist: Und diese Generation soll mal meine Rente verdienen…“ Hab ich tatsächlich gesagt: Vor ein paar Tagen. Bravo, Herr Pastor!*

Dass Generationen Zweifel an der Intelligenz oder gar Überlebensfähigkeit ihrer nachfolgenden Generationen haben, ist ein Phänomen, das wohl so alt ist wie die Menschheit selbst. Und dass solche Kritik natürlich immer auch auf die Erziehungsberechtigten zurückfällt, scheint dabei oft übersehen zu werden.

Verdummt die Menschheit?

Tatsächlich legen so manche Entwicklungen die Befürchtung nahe, dass die Menschheit tatsächlich langsam aber sicher verdummt. Zeichen von Dummheit, bei denen man sich fragt, wie es so etwas in aufgeklärten Industrienationen mit Schulpflicht geben kann.

Dem gegenüber stehen freilich unzählige Beispiele dafür, wie Menschen in allen möglichen Bereichen tagtäglich Lösungen für teils komplexe Probleme suchen und finden, die noch bis vor Kurzem als unlösbar gegolten hatten.

Auch mit der Frage, ob die Menschheit denn nun nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich, also objektiv messbar verdummt oder nicht, beschäftigt sich die Wissenschaft. Mit durchaus interessanten, aber auch nicht gerade beruhigenden Ergebnissen:

  • deutschlandfunk.de, Ulrike Mix, 24.7.2018: Labor: Stagnierender Flynn-Effekt – Die Menschen werden dümmer
    Die menschliche Intelligenz stagniert, neuesten Studien zufolge ist sie seit 1975 sogar rückläufig. Dass der Rückgang genetisch bedingt sein könnte, schließt die Forschung aus; aber die Ursachen sind unklar. Doch welche Fähigkeiten machen Intelligenz überhaupt aus – und wie wird sie gemessen?
  • welt.de: Philipp Nagels, 18.09.2017: Warum die Menschheit scheinbar wieder dümmer wird
    Über viele Jahrzehnte wurden Menschen laut IQ-Tests immer klüger. Dieser Trend könnte sich seit einiger Zeit drehen. Eine neue Studie liefert dafür Anhaltspunkte – und eine mögliche Erklärung.
  • 3sat.de, Katharina Adick, 25.06.2018: Werden wir immer dümmer? Seit 1975 sinkt der durchschnittliche Intelligenzquotient
    Eine aktuelle Studie zeigt einen Abwärtstrend des menschlichen IQs. Aber warum ist das so? Der Flynn-Effekt bezeichnet den Umstand, dass die Ergebnisse von IQ-Tests im 20. Jahrhundert lange Zeit anstiegen – die gemessene Intelligenz in der Gesellschaft also zunahm.

Das menschliche Gehirn: Ein rudimentäres Organ?

GehirnEvolutionäre Prozesse begünstigen die Entwicklung von Eigenschaften und Fertigkeiten, die die Überlebens- und Fortpflanzungschancen von Lebewesen erhöhen.

Und die Evolution ist immer auch auf Sparsamkeit bedacht: Bringt zum Beispiel ein bestimmtes Organ keinen Vorteil mehr für ein bestimmtes Lebewesen, dann wird dieses Organ zurückgebildet.

Ohrläppchen, Brustwarzen bei Männern oder auch eine „Gänsehaut“ bei unbefellten Lebewesen sind Beispiele solcher rudimentärer, also übgriggebliebener Organe und Funktionen.

Das menschliche Gehirn verbraucht, im Vergleich zum restlichen Körper, sehr viel Energie. Wenn sich nun herausstellt, dass, zum Beispiel dank künstlicher Intelligenz dieser „Luxus“ gar nicht mehr erforderlich ist, um das Überleben und die Fortpflanzung eines Menschen zu sichern (denn nur darum „geht“ es der Evolution), dann halte ich die Hypothese, das Denkorgan würde aus Energiespargründen wieder auf das nötige Minimum zurückgebildet, für gar nicht so abwegig. Oder zumindest nicht für sicher ausschließbar…

Um welche Form von Dummheit geht es hier?

Aber geht es bei Herrn Rommert tatsächlich um Dummheit im Sinne von mangelndem Wissen oder schwindender Intelligenz? Nein. Dummheit bezeichnet jetzt so etwas wie Egoismus oder Verantwortungslosigkeit. Sinngemäß: Obwohl ich es eigentlich besser weiß, verhalte ich mich trotzdem falsch. Oder, um es biblisch auszudrücken: Nach mir die Sintflut.

Ähnliche Denkschemata sind auch Voraussetzung für religiösen Glauben: Das Für-Wahr-Halten von unbewiesenen und unbeweisbaren Behauptungen von Menschen, die vorgeben, Dinge zu wissen, die sie nicht wissen können.

Übertragen auf religiösen Glauben lässt sich das etwa so zusammenfassen: Obwohl ich eigentlich weiß, dass es falsch ist, halte ich es trotzdem für wahr.

Mit der Frage, inwieweit religiöser Glaube als Dummheit bezeichnet werden kann, hatte ich mich in diesem Beitrag von 2016 beschäftigt.

Dann legte mein Sohn nach: „Irgendwie scheint es, als säßen wir auf einem ganz schönen Pulverfass“ – das war es, was meinem Sohn Sorgen machte. Und dann hielt er mir eine kleine, verzweifelte Predigt: „Anstatt für uns Vorbilder zu sein und etwas zu bewegen, oder anstatt uns wenigstens Mut zu machen, sagt ihr uns: Ihr seid dumm! Ihr schafft es eh nicht! Das ist nicht ermutigend für die nächste Generation. Die später mal euren Dreck wegräumen muss. Die meisten Probleme werden wir wegen eurer Entscheidungen haben!“

Triftige Gründe zu leben und zu hoffen

Natürlich ist es für Erwachsene einfacher und bequemer, die nachfolgende Generation der Dummheit zu bezichtigen. Statt selbst die Verantwortung für selbst verursachte oder nicht verhinderte Missstände zu übernehmen. Was natürlich fairer und zielführender wäre als der Vorwurf der Dummheit. Der, wie schon geschrieben, wie ein Boomerang auch immer wieder zu denen zurückgeflogen kommt, die diesen Vorwurf Kindern gegenüber erheben.

Jetzt täte Herr Rommert gut daran, der Kritik seines Sohnes etwas Vernünftiges entgegnen zu können:

[…] Es ist meine Aufgabe, meinem Sohn triftige Gründe zu geben – zu leben und zu hoffen. Erst dachte ich: Tue ich das nicht? Erziehung, Schule, ein gutes Zuhause. Habe ich nicht alles dafür getan, dass meine Kinder alle Chancen haben?

Eigentlich sollte man meinen, dass es für einen Pastor ja ein Leichtes sein sollte, seinem Sohn zumindest scheinbar triftige Gründe zu geben – zu leben und zu hoffen. Schließlich gehört die Verbreitung einer angeblich „Frohen Botschaft“ ja zu seinen Hauptaufgaben.

Ich gehe kaum davon aus, dass Herrn Rommert in diesem Moment sein beruflicher Verkündigungsauftrag gerade mal versehentlich entfallen war. Vielmehr dürfte ihm vermutlich bewusst sein, dass die biblisch-christlich-mythologische Heilslehre nicht mehr als sinnstiftende Hoffnungsquelle für Menschen im 21. Jahrhundert taugt. Oder zumindest nicht, um sie seinem eigenen Sohn zu präsentieren.

Christliche Hoffnung: Vergessen oder verschwiegen?

Es wäre für mich auch nur schwer nachvollziehbar, wenn ein erwachsener, geistig gesunder und ansonsten sicher vernünftig denkender Mensch heute noch ernsthaft sein Leben an der Hoffnung ausrichten würde, von einem Wüstengott, den sich Menschen in der Bronzezeit sowieso schon als allmächtig und allgütig ausgedacht hatten nach seinem Tod für seine Unterwerfung zu Lebenszeiten in einer Art himmlischem Nordkorea zeitlich unbegrenzt durch göttliche Gegenwart belohnt zu werden.

Allerdings besteht ja genau darin der scheinbar hoffnungsvolle Teil des biblisch-christlichen Belohnungs-Bestrafungskonzeptes. Ich frage mich, warum in Herrn Rommerts Aufzählung ausgerechnet dieser Aspekt fehlt.

Stattdessen erfahren wir von Herrn Rommert, dass die Kritik seines Sohnes an seinem Verhalten offenbar gerechtfertigt ist und dass er dieser Kritik nichts zu entgegnen hat:

Hätte ich nicht meinem Sohn eigentlich sagen müssen: „Weißt du, wer die wirklich Dummen sind? Das sind wir Eltern, die euch eine Welt am Abgrund hinterlassen und die euch damit alleine lassen! Das sind wir, die anstatt euch zu ermutigen, euch sagen, ihr wärt dumm. Das sind wir, Eltern und Ältere, die sich die Probleme kleinreden: Tempolimit??? Um Himmels willen, das zerstört ein deutsches Kulturgut! Kohleausstieg? Überfordert uns! Weniger fliegen? Ein bisschen Urlaub wird doch wohl drin sein!“

Würde Herr Rommert bei seinem Offenbarungseid nur von sich selbst sprechen, dann wäre ihm zumindest seine Ehrlichkeit zugute zu halten. Allerdings weitet er das Eingeständnis seines Versagens mehr oder weniger subtil von „wir Eltern“ auf „wir, Eltern und Ältere“ aus. Und schon sind alle Erwachsenen mit-schuld.

Kollektiv-pauschale Schuldzuweisung

DummheitAlso auch die, die nicht wie Herr Rommert oder der Lehrer seines Sohnes Kindern vorhalten, dumm zu sein. Und auch die, die sich jeden Tag in allen möglichen Bereichen dafür einsetzen, dass die Erde auch für zukünftige Generationen von sauerstoffverstoffwechselnden Lebewesen als geeigneter und gesunder Lebensraum erhalten bleibt. Oder auch die, die in Sachen Aufklärung, Ethik, Humanismus, Gerechtigkeit oder Fairness aktiv sind.

Eine solche Verallgemeinerung, bei der einseitig alle Menschen pauschal schuldig gesprochen werden, könnte man meines Erachtens durchaus als „dumm“ bezeichnen.

Symptomatisch für das „Wort zum Sonntag“ ist auch diesmal wieder die problemorientierte Larmoyanz.

Statt seinem Sohn und natürlich auch seinen paar Zuschauern etwa ein paar motivierende und tatsächlich hoffnungsvolle Beispiele zu nennen, wie Menschen die Welt (im Diesseits) verbessern, belässt es Herr Rommert bei einem Eingeständnis seiner Unfähigkeit und/oder seiner Gleichgültigkeit, das er gleich mal auf die ganze Gesellschaft ausweitet.

Bequemlichkeit aufgeben – Schöpfung bewahren? Oder sich der Wirklichkeit stellen?

Selbst der Appell, mit dem Herr Rommert seine heutige Verkündigung abschließt, ist negativ formuliert und zeugt zudem von einer nicht wirklichkeitskompatiblen Weltsicht:

[…] Mein Sohn und Greta, beide haben Recht: Wir sind jetzt gefordert, unsere Bequemlichkeit aufzugeben – die Schöpfung zu bewahren, damit sie Heimat für unsere Kinder bleiben kann!

Dass eine gesunde und nachhaltige Lebensweise gar nicht zwangsläufig bedeuten muss, Bequemlichkeit aufzugeben, scheint Herrn Rommert nicht bewusst zu sein. Oder bekannt.

Und einmal mehr gilt auch hier: Wer sich im 21. Jahrhundert zu Zukunftsfragen des irdischen Lebens äußern und dabei ernst genommen werden möchte, sollte nicht mehr mit archaischen Schöpfungsmythen um die Ecke kommen.

Eine möglichst realitätskompatible, dem aktuellen Erkenntnisstand entsprechende Sicht auf die irdische natürliche Wirklichkeit halte ich für eine wichtige Voraussetzung, um erwarten zu können, in einer solchen Diskussion ernst genommen zu werden.

Denn wer heute noch zum Beispiel an der Einbildung festhält, das irdische Geschehen stünde in einem erkennbaren Zusammenhang mit dem Wirken oder der Absicht eines magischen Himmelwesens, der hat sich aus meiner Sicht als ernstzunehmender Diskutant disqualifiziert:

Jegliche Argumentation, in der Götter, Geister oder Gottessöhne eine tragende Rolle spielen, wird durch eben diese magische Wirklichkeitserweiterung hinfällig. Das ist gerade dann fatal, wenn damit eigentlich sinnvolle und unterstützenswerte Ziele und Forderungen begründet werden. Solchen Zielen erweisen Christen einen Bärendienst, wenn sie sie mit ihrer biblisch-christlichen Mythologie (Stichwort: Schöpfung bewahren) zu begründen versuchen.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Thema Dummheit.

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