Das „Gerechtigkeitssternchen“ – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Gendersternchen

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Das „Gerechtigkeitssternchen“ – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Gendersternchen, verkündigt von Dr. Wolfgang Beck (kath.), veröffentlicht am 16.3.2019 von ARD/daserste.de

Es fasziniert mich immer wieder: Jesus nimmt Menschen wahr, die von allen anderen übersehen oder geschnitten werden. Jesus sieht diejenigen, an denen andere tagtäglich vorbeigehen; das allein provoziert manche.*

GendersternchenDiese Faszination ist es, was Gläubige heute gerne von ihrem Romanheld aus den biblischen Mythen und Legenden gerne herauslesen wollen. Dabei dürfte es – zumindest historisch betrachtet – wesentlich wahrscheinlicher sein, dass hier nicht heraus-, sondern ein bestimmtes Wunschbild hineingelesen wird.

Geht man von den biographischen Informationen aus, die die Bibel über Jesus liefert, so haben wir es mit dem Anführer einer jüdischen Weltuntergangssekte zu tun, der als Nebenerwerbsexorzist und Wunderheiler tätig war. Somit wäre schon mal erklärt, warum er bevorzugt Umgang mit Kranken hatte.

Und wo hätte er seine Message von der seiner Meinung nach unmittelbar bevorstehenden Apokalypse besser an den Mann (und an die Frau – bzw. korrekt formuliert: an den Mensch) bringen können als bei den Außenseitern der Gesellschaft? Bei den Armen, Unterprivilegierten und gesellschaftlich Geächteten?

Wer mit seinem Leben, seiner bisherigen Religion und der Einhaltung ihrer Vorschriften glücklich ist, dürfte kaum empfänglich sein für eine Heilslehre, die von der eigenen abweicht.

Er sieht die Menschen, die aufgrund ihres Lebensweges und weil ihnen Ehebruch unterstellt wird, von anderen geschnitten werden.

Warum ist das „Schneiden“ von Menschen mit bestimmten Lebenswegen und weil ihnen Ehebruch unterstellt wird (lt. Bibel (Lk 16,18) gilt eine Scheidung als Ehebruch) dann geradezu eine Königsdisziplin der katholischen Kirche?

Biblische Gerechtigkeit ≠ weltliche Gerechtigkeit

[…] Mich fasziniert gerade das Anliegen, diesen Menschen Gerechtigkeit zu verschaffen, und ich bin überzeugt, dass darin für uns als Christen und Christinnen auch eine Verpflichtung steckt.

Dabei darf man nicht vergessen, dass in der Bibel mit „Gerechtigkeit“ etwas anderes gemeint war als das, was wir heute gemeinhin unter diesem Begriff verstehen. Denn in der Bibel bedeutet Gerechtigkeit, den „richtigen“ Gott zu verehren. Im Alten Testament klingt das zum Beispiel so:

  • Und er glaubte dem HERRN und das rechnete er ihm als Gerechtigkeit an. (1. Mo 15,6 EU)

Und im Neuen Testament lassen die anonymen Schreiber ihren Protagonisten sinngemäß ebenfalls genau das verkünden:

  • Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. (Mt 5,20 EU)

Es geht hier also nicht um Gerechtigkeit im Sinne von Fairness oder Gleichbehandlung. Sondern schlicht und ergreifend um den „rechten“ Glauben. „Gerecht“ wurde man bei Jesus, indem man sich von ihm bekehren ließ. Wenn nötig, mit Bestechnung.  Zum Beispiel in Form einer Dämonenaustreibung, eines magischen Wunders – oder ein bisschen Aufmerksamkeit und Anteilnahme.

Das, wofür das Gendersternchen steht, entspricht sicher nicht dem, was die Bibel mit „Gerechtigkeit“ meint.

Erfolgreiches Geschäftsmodell

Und an diesem Geschäftsmodell hat sich bis heute nichts geändert. Denn bis heute ist das übergeordnete, eigentliche Ziel aller kirchlicher Wohlfahrt die Missionierung. Die heute lieber „Evangelisierung“ (bzw. inwzischen „Neuevangelisierung“) genannt wird. So steht es in der Dienstanweisung der deutschen Bischöfe für Angestellte kirchlicher Einrichtungen.

Das ist wichtig, gerade vor dem Hintergrund aktuell wieder heftig geführter Debatten um ein kleines Sternchen, das „Gender-Sternchen“. […] Auch das „d“ für „divers“, das mittlerweile sogar in Stellenanzeigen als dritte Geschlechtsangabe zu finden ist, drückt ja eine gestiegene Sensibilität aus. Auch dabei geht es um Akzeptanz, werden Menschen sichtbar gemacht – Menschen, die es natürlich immer gab.

Hier lässt sich schon vermuten, dass sich Herr Dr. Beck gleich auf dünnes Eis begeben werden muss. Gilt es doch, zu diesem Thema zwei Standpunkte unter einen Hut zu bringen, die vermutlich meilenweit, wenn nicht gar diametral entgegengesetzt liegen: Eine aufgeklärte, liberale Sichtweise einerseits, wie sie Herr Dr. offenbar persönlich vertritt. Und dann eben noch die Sichtweise seiner Arbeitgeberin andererseits.

Die ganz besondere Herausforderung besteht dann darin, es am Schluss so aussehen zu lassen, als sei gerade die katholische Kirche (die Menschen, die sich nicht auf ein bestimmtes Geschlecht festlegen wollen, die meiste Zeit ihres Bestehens vermutlich genauso behandelt hätte, wie sie all jene behandelte, durch die sie sich in ihrer Macht und Hoheit bedroht gefühlt hatte) die Vorreiterin in Sachen Akzeptanz und Anerkennung individueller persönlicher Freiheit.

Ich spreche von den Jahrhunderten, in denen die Kirche auf ihre Weise diese Menschen auch schon „sichtbar“ gemacht hatte – wenn auch nur kurz, zum Beispiel auf dem Scheiterhaufen. Und ich spreche auch von den Politikern, die auch heute noch ihre rückwärtsgewandten, verstaubten Vorstellungen mit ihrer christlichen Prägung begründen.

Ab aufs (dünne) Eis

Aber schauen wir mal, ob Herrn Dr. Beck dieser Spagat zwischen Gendersternchen und katholischer Glaubenslehre gelingt:

Denn worum geht es eigentlich? Nur vordergründig um ein Sternchen und um ein „d“ für „divers“. Hintergründig geht es darum, dass Menschen nicht ungerecht behandelt werden dürfen, gerade wenn es nur eine kleine Gruppe von Menschen ist.

Mit ungerechter Behandlung kennt sich die katholische Kirche aus. Bis heute sorgt sie dafür, dass nicht nur kleine Gruppen, sondern auch zum Beispiel Frauen oder Menschen mit anderen Wertevorstellungen ungerecht behandelt werden.

Das geschieht nicht nur durch die Kirche selbst, sondern in großem Ausmaß indirekt, durch politische Einflussnahme. Ihr beispielloses Lobbynetzwerk betreibt die Kirche nicht zum Spaß.

Selbstverständlich unterstelle ich Herrn Dr. Beck nicht, dass er persönlich hier nicht eine andere Sichtweise hat als die, die von der katholischen Kirchenführung vertreten wird.

Aber Herr Dr. Beck tritt ja nicht als Privatperson vor die Fernsehkamera. Sondern als Konzernsprecher der katholischen Kirche. Wie schon geschrieben: Dünnes Eis.

Langer Lernprozess?

Und das scheint ihm durchaus bewusst zu sein:

„Aber gerade Sie, als katholischer Pfarrer müssten doch hier protestieren!“ – ich ahne schon jetzt die empörten Einwände, die auf mich zukommen werden. Und ich weiß, das ist auch für uns in der Kirche ein langer Lernprozess.

Was heißt da auch? Bei wem sollte dieser Lernprozess denn länger dauern als bei einer durch und durch patriarchialisch und undemokratisch-hierarchisch strukturierten Institution wie der katholischen Kirche?  Und bei dem Teil ihrer Anhänger, die sich auch heute noch zum Beispiel am biblischen Frauenbild orientieren?

Etwas flapsig ausgedrückt, aber inhaltlich sicher zutreffend könnte man der Kirche zurufen: „Kommt ihr doch erstmal mit euerem eigenen und dann mit zwei Geschlechtern klar, bevor ihr euch zu diesem Thema äußert!“

„Langer Lernprozess“ ist zudem eine (sicher nicht zufällig gewählte) irreführende Beschreibung. Denn jeglicher Lernprozess, der zu einer Annäherung der Kirche an die Wirklichkeit und Gegenwart führt, findet stets nur auf Druck von außen hin statt. Wenn es gar nicht mehr anders geht.

Solange irgend möglich, wehrt sich zumindest die Kirchenführung gegen alles, was sie despektierlich als „Zeitgeist“ bezeichnet. Oder, je nach Ausprägung des religiös bedingten Realitätsverlustes, als Werk von bösen, teuflischen Mächten, die dem lieben Gott die armen Seelen abspenstig machen wollen.

Es ist also keineswegs so, dass die Kirche solche Lernprozesse freiwillig, also von sich aus vollzieht. Erst wenns ums nackte Überleben geht, bleibt der Kirche nichts anderes mehr übrig, als ihre Moralvorstellungen nach und nach entweder zu verschweigen oder so umzutexten, dass sie zumindest halbwegs akzeptabel erscheinen.

Keine Glaubensfragen?

Auch für mich als Theologe haben alle naturwissenschaftlichen und soziologischen Erkenntnisse Geltung. Sie sind ja keine Glaubensfragen.

Ist das so? Dann frage ich mich, warum die Kirche meint, sich ständig mit ihrer nun mal auf ihrer biblisch-christlichen Glaubenslehre basierenden Meinung in weltliche Bereiche einzumischen!? Herr Dr. Beck, tun Sie selbst nicht genau das, wenn Sie in Ihren Verkündigungen regelmäßig versuchen, Ihren Glauben in der Lebenswirklichkeit der Menschen im 21. Jahrhundert unterzubringen? Nach dem Motto: „…und das steht auch genau so in der Bibel…“? Versuchen Sie damit nicht, Ihren Glauben zur Geltung zu bringen?

Ohne freilich jemals noch näher darauf einzugehen, dass alles, was in der Bibel steht, die Existenz eines magischen Himmelswesens mit tripolarer Persönlichkeit und dessen angebliche Eigenschaften und Absichten voraussetzt.

Und auch nicht darauf, dass die biblische Begründung für bestimmte Verhaltensweisen aus dem Versprechen einer fiktiven postmortalen Belohnung bei gleichzeitiger Androhung einer ebenso fiktiven Dauerbestrafung besteht. Also etwas, was kein halbwegs aufgeklärt denkender Mensch heute noch ernsthaft für wahr oder zumindest für relevant halten kann.

Mit Gott argumentiert es sich schlecht

Was passiert mit dem Kartenhaus christlicher Moral, wenn man die unterste Karte – die Existenz Gottes mit den behaupteten Eigenschaften, Absichten und Eingriffen ins irdische Geschehen – herauszieht? Es fällt in sich zusammen.

Wer sich als Theologe trotzdem am Diskurs um naturwissenschaftliche und soziologische Fragen beteiligen möchte, mag dies freilich gerne tun. Nur kann er weder erwarten oder voraussetzen, dass die Anderen am Tisch seine Argumente anerkennen, wenn diese auf einer um magisches Denken erweiterten Weltanschauung basieren. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Mehr oder weniger.

Und einmal mehr sei an dieser Stelle an die ungezählten Menschen erinnert, die von der katholischen Kirche ermordet wurden, weil diese die Einsicht, dass Glaubensfragen nichts mit der irdischen natürlichen Wirklichkeit zu tun haben noch nicht erlangt hatte.

Gendersternchen in der Bibel?

Und als Christ weiß ich, dass es doch ganz der Praxis Jesu entspricht, wenn Menschen, die unfair behandelt und ausgegrenzt sind, sichtbarer werden. Wenn das durch ein Sternchen geschieht, ist das gut und sicher nicht gefährlich. Vor allem aber ist es aufmerksam und das ist gerade für Christ*innen entscheidend. Einen guten Sonntag!

Als hätte ich’s geahnt: Eine Bibelübersetzung, in der alle vorkommenden „Brüder“ schon um „Schwestern“ ergänzt wurden, gibt es ja bereits. Das „Gendersternchen“ könnte man zum Beispiel an der Stelle in die biblischen Texte einführen, an der vom Stern über Betlehem die Rede ist:

Ein Zeichen! Halleluja! Und fortan war das Gendersternchen für alle Ewigkeit der Menschheit geschenkt. Aber es sollte noch rund 2000 Jahre dauern, bis der HErr sein Volk erkennen ließ, was es damit auf sich hat… Folget dem Stern!

Man möge mir die Ironie nachsehen. Aber dieser Versuch, die Moralvorstellungen der katholischen Kirche mit dem Gendersternchen als Ausdruck eines liberalen Weltbildes unter einen Hut zu bringen, wirkt auf mich so grotesk, dass ich diesmal nicht auf dieses sprachliche Stilmittel verzichten konnte.

Wo wir gerade schon bei Ironie sind und weil es ja auch nicht mehr lang bis Karfreitag ist: Die Judäische Volksfront (oder wars die Volksfront von Judäa?) War in Sachen Gendersternchen schon viel weiter:

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Thema Gendersternchen.

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