„Empört Euch!“ – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Empörung, gesprochen von Dr. Wolfgang Beck (kath.), veröffentlicht am 2.3.2019 von ARD/daserste.de
Nachdem Herr Dr. Beck im letzten „Wort zum Sonntag“ seinem Publikum mitgeteilt hatte, dass er ob der damals noch ausstehenden Ergebnisse des Anti-Missbrauchsgipfels der katholischen Kirche ungeduldig sei, ruft er heute, eine Woche später, zur Empörung auf.
Empörung wäre eine verständliche Reaktion auf die scheinheilige, realitätsbefreite und gerade aus Sicht der Opfer geradezu zynische Abschlussrede des Kirchenkonzernchefs Bergoglio gewesen.
Allerdings geht es bei Herrn Beck gar nicht, wie man aufgrund der Überschrift vielleicht erwarten könnte, umd den Umgang der kathoischen Führungsebene mit den Sexual- und Gewaltstraftaten, die katholische Priester über Jahrzehnte (und vermutlich noch viel länger) an Kindern, Jugendlichen und „Kirchendienerinnen“ begangen hatten.
Empörung an sich
Nein, diesmal wird im „Wort zum Sonntag“ nicht vor der eigenen Kirchentür gekehrt. Diesmal gehts erstmal um die Empörung an sich:
„Empört euch!“, mit diesen zwei Worten hat sich vor einigen Jahren der hochbetagte Philosoph Stephane Hessel an die jungen Menschen in Frankreich gewandt. Er hatte den Eindruck, dass die Jugendlichen zu oberflächlich sind und die Probleme der Gesellschaft nicht wahrnehmen. „Empört euch!“, das sollte wachrütteln und an frühere Protestkultur anknüpfen.
Warum Empörung nicht unbedingt eine empfehlenswerte Antwort auf Missstände ist, fasst Dr. Michael Schmidt-Salomon in seinem Vowort zum Buch „Die Grenzen der Toleranz“ wie folgt zusammen:
- Demagogen feiern mit halben Wahrheiten ganze Erfolge. Um sie zu stoppen, muss man ihnen recht geben, wo sie recht haben, und sie dort kritisieren, wo sie die Wirklichkeit verzerren. So löscht man das Feuer, auf dem sie ihr ideologisches Süppchen kochen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn wir leben in einem Zeitalter des „Empörialismus“: Auf der „richtigen Seite“ zu stehen und „aufrichtig empört“ zu sein zählt oft mehr als die Fähigkeit, unterschiedliche Sichtweisen unvoreingenommen gegeneinander abzuwägen. Empörialisten haben den öffentlichen Raum so sehr mit moralischen Killerphrasen besetzt, dass eine rationale Debatte kaum mehr möglich erscheint. „Stimmung statt Argumente!“ heißt die Devise, deren Folgen man in den sozialen Netzwerken beobachten kann. Wer auf die Gefahren des politischen Islam hinweist, wird im Handumdrehen als „Rassist“ abgestempelt; wer aufzeigt, dass nicht alle Muslime vom Dschihad träumen, als „unverbesserlicher Gutmensch“ vorgeführt.
– Michael Schmidt-Salomon: aus dem Vorwort zu: Die Grenzen der Toleranz: Warum wir die offene Gesellschaft verteidigen müssen, Piper 2016, ISBN 3-492-31031-1
Wie wir anschließend erfahren, geht es um die Empörung von Schülern, die jeden Freitag statt in die Schule auf die Straße gehen, um für den Umweltschutz zu protestieren. Auch hier lässt sich der von Schmidt-Salomon beschriebene „Empörialismus“ beobachten: Nicht nur bei den Schülern, sondern gerade auch sowohl bei Verfechtern, als auch bei Gegnern dieser Proteste.
„Stimmung statt Argumente!“ heißt die Devise
Eine Verunsachlichung und Aufladung mit negativen Emotionen (Umweltaktivistin und Initiatorin Greta Thunberg: „Ich will, dass ihr in Panik geratet“) kann dem eigentlichen Anliegen genauso schaden wie eine Leugnung der Dringlichkeit des Anliegens. Oder auch das Ignorieren aller nachweislichen Erfolge, die im Umweltschutz gerade in den letzten Jahrzehnten, oft von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt, schon erzielt werden konnten.
Wie auch in anderen, ähnlich komplexen Bereichen halte ich auch hier eine rationale, faktenbasierte Herangehensweise für sinnvoller als emotionalisiertes Gut-Böse-Denken, wie es besonders auch im religiösen, aber auch im politisch-populistischen Umfeld immer wieder als Manipulationsmittel zum Einsatz kommt.
Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, sich hinter Fakten zu verstecken, um nichts konkret unternehmen zu müssen. Und es geht auch nicht um Relativierung. Sondern um einen möglichst objektiven, rationalen, vernünftigen Blick auf die Probleme, die es mit wirksamen Mitteln zu lösen gilt.
Protest, der begeistert?
Aber Herrn Dr. Beck geht es in seiner Predigt ja weniger um das Thema Umwelt- oder Klimaschutz. Sondern um das Thema Empörung:
Daneben gibt es aber auch Protest, der es sich ein bisschen zu leicht macht: Fragwürdigen Protest, vor allem wenn er in Gewalt und Hass umschlägt oder bloß aus Neid auf andere genährt wird. Und ein Protest, der sich nur als Motzen versteht, kann mich jedenfalls nicht begeistern. Aber wie lässt sich beides unterscheiden?
Ein wichtiges Element zum Unterscheiden beschreiben biblische Texte mit dem Begriff „Umkehr“. Er besagt: Du musst schon selbst immer wieder bereit sein, etwas an dir und deinem Leben zu ändern. Du musst wahrnehmen, was bei dir selbst zu einer schlechten Routine geworden ist. Dieses Element der Umkehr, also der Veränderung des eigenen Lebens, muss in dem Protest selbst zu finden sein. Fehlt er, bleibt auch der Protest seltsam hohl und meist wirkungslos. Kurz gesagt: „Du musst dich schon selbst herausfordern, wenn du etwas forderst!“
Wer als Schüler oder Schülerin am Freitag zur Demo für Umweltschutz geht, aber sich sonst mit dem Auto zur Schule fahren lässt, macht sich eben unglaubwürdig. Ich kenne Familien, bei denen gibt es mittlerweile größere Diskussionen, wie mit den Protesten am Freitag umzugehen ist. Vielleicht ist das ja schon der wichtigste Erfolg: wenn zuhause aus der Sorge um den Unterrichtsausfall die Frage entsteht, was gemeinsam am Alltag zu ändern wäre. Und wenn in der Schule konkrete Schritte diskutiert werden.
Vorschlag:
Herr Dr. Beck, wie wäre es, wenn Sie mit gutem Beispiel vorangehen und so lange auf Moralpredigten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verzichten, bis die Kirche, als deren Vertreter Sie auftreten das, was Sie hier fordern, selbst erfüllt hat? Sie könnten ungemein an Glaubwürdigkeit gewinnen.
Denn schließlich möchten Sie ja sicher Ihrem eigenen Wort treu sein:
Aber erst die eigene Lebensführung macht den Protest zum Ernstfall. Das gilt ja auch für mich als Pfarrer. Du kannst nur etwas ändern, wenn du dich auch selbst änderst. Das macht den Unterschied zwischen bloßem Motzen und ernst zu nehmendem Protest aus. So ein Protest, bei dem Menschen auch sich selbst etwas abverlangen, der spricht mich an.
Nein, ich möchte Ihnen nicht den Mund verbieten, falls Sie das wiedermal meinen sollten. Meine Kritik bezieht sich nicht auf Sie persönlich, sondern auf Sie in Ihrer Rolle als Sprecher der katholischen Kirche.
Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, dass ausgerechnet die katholische Kirche gerade noch weniger denn je in der Position ist, etwas von „Umkehr“ zu erzählen.
Auf die Argumente kommt es an
Ihrer Einschätzung, dass Protest nur dann ernst zu nehmen sei, wenn sich der Protestierende auch selbst ändert, kann ich im Übrigen nicht uneingeschränkt zustimmen. Auch hier kommt es, wie immer, wieder mal drauf an:
Wer von anderen ein bestimmtes Verhalten einfordert, sollte dieses Verhalten natürlich auch selbst zeigen, wenn er ernst genommen werden möchte.
Allerdings ist das nicht der ausschlaggebende Punkt. So halte ich zum Beispiel meinen Protest gegen die katholische Kirche für gerechtfertigt, ohne mein Verhalten vorher geändert haben zu müssen. Ich gehöre, anders als Sie, dieser Organisation nicht an und unterstütze sie nicht durch meine berufliche Tätigkeit oder finanziell (jedenfalls nicht freiwillig).
Die Frage, inwieweit jemand selbst das erfüllt, was er von anderen fordert, sagt etwas über dessen Glaubwürdigkeit aus. Aber nichts darüber, inwieweit der Protest an sich gerechtfertigt ist oder nicht. Gleiches gilt für die Schülerproteste: Auf die Argumente kommte es an.
Denn auch hier gilt einmal mehr: Argumente statt Stimmung!
*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
Den Artikel finde ich sehr gut. Besonders die Aufdeckung der durchsichtigen Ablenkungsstrategie vom Inhalt von Forderungen hin zu Personen. Eigentlich ein Armutszeugnis des Predigers, wenn er es nicht besser wüsste. Da er es weiss: Ekelhafte Irreführung.
Letzte Woche hat Herr Beck sich im WzS ausführlich „empört“. Jetzt würde mich interessieren wie seine eigene „Umkehr“ als katholischer Geistlicher konkret aussieht. Wie sieht sein „ernstzunehmender Protest“ gegen Missbrauch, Pädophilie, Verharmlosung, Duldung und Vertuschung aus? Was unternimmt er? Bloße Empörungsrhetorik haben wir mittlerweile mehr als genug. Bin gespannt ….