Palmsonntag: Der Weg zum neuen Leben führt über den Tod – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 6 Min.

Palmsonntag: Der Weg zum neuen Leben führt über den Tod – Das Wort zum Wort zum Sonntag von Benedikt Welter, veröffentlicht am 13.04.2019 von ARD/daserste.de

Wenn man das „Wort zum Sonntag“ und andere Verkündigungen des klerikalen Mainstreams mitverfolgt, dann kann man den Eindruck gewinnen, dass es von Jahr zu Jahr schwieriger wird, die biblisch-christlichen Glaubensgeschichten noch irgendwie an den Mann bzw. die Frau zu bekommen.

Und so erscheint mir auch die heutige Fernsehpredigt zum Palmsonntag wie ein weiterer verzweifelter Versuch, eine bei Licht betrachtet erstens höchstwahrscheinlich frei erfundene und zweitens weder im eigentlichen, noch in irgendeinem übertragenen Sinn bedeutsame Legende (also bedeutsam außerhalb der christlich erweiterten Phantasiewelt) ins Gedächtnis der Zuschauer zu rufen.

Als Pfarrer im Wald

[…] Der Förster und ich stehen an einem Baumstumpf. Auf dem ist eine Urne abgestellt. Die Urne eines Mannes, der erst Mitte Dreißig war und an mehrfachem Organversagen gestorben ist. Drogen waren auch im Spiel. Als Pfarrer bin ich da im Wald, um die Beisetzung kirchlich zu begleiten.*
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Palmsonntag: Der Weg zum neuen Leben führt über den Tod – Das Wort zum Wort zum Sonntag von Benedikt Welter, veröffentlicht am 13.04.2019 von ARD/daserste.de)

Beerdigungen zählen zu den Ereignissen, bei denen die Kirche noch heute davon zehrt, jahrhundertelang quasi das Monopol auf die Durchführung solcher Zeremonien gehabt zu haben.

Wobei sich hier der gleiche 180°-Wandel wie auch in anderen Bereichen mit traditionell kirchlicher Beteiligung beobachten lässt: Bestand man von klerikaler Seite früher ganz selbstverständlich auf die absolute und exklusive Deutungshoheit, kann man als Kirche heute froh sein, wenn man überhaupt noch wenigstens irgendeine Rolle in der Lebenswirklichkeit von Menschen spielen darf.

So kommen wohl nur Fundamentalkatholiken heute noch auf die Idee, zum Beispiel eine Einäscherung als mutwillige Zerstörung der Überreste göttlicher Schöpfung zu kritisieren bzw. als „Sünde“ zu bezeichnen und deshalb abzulehnen. Es ist ja nicht so, dass sich die katholische Kirche damit nicht auskennen würde; Lebend-Feuerbestattungen waren seinerzeit allerdings den Menschen vorbehalten, von denen die Kirche sich in ihrer Macht gefährdet fühlte.

Eine Bestattung im Wald jedoch wäre durchaus auch früher schon denkbar gewesen. Natürlich nicht aus Respekt vor diesebzüglichen Wünschen des Verstorbenen oder dessen Hinterbliebenen. Sondern zur Strafe. Wenn jemand zu Lebzeiten nicht den „richtigen“ Gott verehrt hatte. Da konnte schon die „falsche“ Konfession dazu führen, bis über den Tod hinaus, also auch noch aus der Gräbergemeinschaft ausgeschlossen zu werden.

Was aus heutiger Sicht weltfremd und archaisch erscheinen mag, ist jedoch längst noch nicht überwunden. Ein Blick an die Grenze zwischen Irland und Nordirland und den eigentlich überwunden geglaubten Konflikt genügt.

Symbolhafte Relikte vergangener Zeiten

[…] Jenny gibt mir einen Buchsbaumzweig in die Hand. „Palmzweig“, sagt sie. „Hat meine Oma immer so gemacht. Hat ihn an ein Kreuz gesteckt.“

PalmsonntagDa wird es dem Herrn Pfarrer sicher warm ums Herz. Wenn er wenigstens noch ab und zu, wenigstens noch ein symbolisches Relikt seiner Glaubenslehre bei seinen ansonsten verlorenen Schäfchen antrifft.

Wie wenig tatsächlich noch übrig geblieben ist von den umfangreichen religiösen Gepflogenheiten, wie sie noch vor wenigen Jahrzehnten gang und gäbe waren, lässt sich anhand dieser Schilderungen erahnen.

In diesen Berichten, vorgetragen in Rhöner Mundart, erfährt der Zuhörer, wie der Katholizismus noch in den 1950er Jahren den Alltag bestimmte.

Für Herrn Welter scheint das Stichwort „Palmzweig“ auszureichen, um dieses Erlebnis gleich mal in seine biblische Mythenwelt (Stichwort: Palmsonntag) zu transportieren:

Der Weg zur Grabstelle im Wald zieht sich. Ich fühle mich ertappt. Ausgerechnet diese Junkies bringen mir gerade das Evangelium bei! Die Geschichte vom Einzug Jesu nach Jerusalem. Da wurden auch Palmzweige geschwenkt. „Hosanna“ haben sie damals gerufen, heißt es in der Bibel.

Ja. Diese skurrile Begräbnisprozession ist Palmsonntag. Einzug des Königs in seine Stadt. Eines Königs, der ganz unköniglich daherkommt. Sanftmütig. Auf einem jungen Esel, damals in Jerusalem.

Mir erscheint diese biblische Uminterpretierung der Beerdigung wesentlich skurriler als das Begräbnis an sich. Denn was will Herr Welter denn nun eigentlich damit zum Ausdruck bringen? Was ist seine Message? Worin besteht sein Versprechen, sein Trost, seine Anteilnahme?

Ob diese mythologische Umdeutungen außer den Herrn Pfarrer noch irgendwen sonst interessieren? Ob sie noch irgendwer sonst für irgendwie bedeutsam, sinnstiftend oder gar tröstlich hält?

…soll ewiges Leben dich erfreuen

Sicher: In einer solchen Ausnahmesituation mag es für die Anwesenden schon tröstlich erscheinen, wenn überhaupt irgendwer irgendwas spricht. Und mögen die salbungsvollen Worte noch so absurd sein:

[…] Sichtbar in der Urne mit Dannys Asche, den sterblichen Überresten eines Menschen. Im Leben hätte ich vielleicht einen großen Bogen um ihn gemacht. Jetzt begleite ich ihn in sein Himmlisches Jerusalem.

[…] Ich stimme den uralten Gesang an: „Zum Paradies mögen Engel dich geleiten, die heiligen Märytrer dich begrüßen und dich führen in die heilige Stadt Jerusalem. Die Chöre der Engel mögen dich empfangen und durch Christus, der für dich gestorben, soll ewiges Leben dich erfreuen.“

In einer Situation wie der einer Beerdigung, wo die Hinterbliebenen genug mit ihrer Trauer und ihrem Abschiedsschmerz zu tun haben, muss der Pfarrer nicht befürchten, dass jemand das, was er da so von sich gibt hinterfragt.

Nebenbei bemerkt: Ein Element verbindet die offenbar drogenabhängige Trauergemeinde („Junkies“) und den Herrn Pfarrer: Die einen verwenden Drogen, um vor der Realität zu flüchten. Der Andere nutzt dazu biblisch-christliche Mythologie. Und bildet sich ein, einen Menschen, dessen zu Asche verbrannten Körper er gerade in Händen hält, in „sein Himmlisches Jerusalem“ zu begleiten, wenn er eine Urne im Wald vergräbt.

Das ist Palmsonntag?

Ja. Das ist Palmsonntag. Morgen erinnern wir wieder daran. Mit Zweigen in den Händen. Und an diesen Jesus, der da so sanftmütig nach Jerusalem hineinreitet. Es war sein Weg ins Leiden, in den Tod hinein. Und durch den Tod hindurch in ein neues Leben – das feiern wir dann nächsten Sonntag, an Ostern. Jesus hat das himmlische Jerusalem eröffnet. Für Daniel, den wir gerade beigesetzt haben. Für alle seine Freundinnen und Freunde, die ergriffen ums Grab herum stehen. Und vielleicht auch für mich.

Ich halte es für fragwürdig, wenn Herr Welter den Tod eines Menschen als Aufhänger für die Verbreitung seiner religiösen Phantasien und Einbildungen verwendet. Selbstverständlich sei es Herrn Welter überlassen, wie er sich seinen persönlichen Umgang mit der Wirklichkeit gestaltet. Aber kann und sollte man dabei nicht andere Menschen und deren Schicksal aus dem Spiel lassen?

Ob der biblische Romanheld für Daniel das „himmlische Jerusalem“, oder aber doch eher die zeitlich unbegrenzte Hölle mit psychischer und physischer Dauerbestrafung durch Höllenfolter bei vollem Bewusstsein „eröffnet“ hat, hängt nach biblisch-christlicher Auffassung einzig davon ab, ob Daniel zu Lebzeiten getauft und gläubig war oder nicht. So stehts jedenfalls in der Bibel (Mk 16,16).

Palmsonntag. Ja, und jetzt?

Einmal mehr stelle ich mir und hiermit auch Ihnen, Herr Welter die Frage: Was hat Ihrer Meinung nach in der biblischen Legende beschriebene Wochenend-Leidensgeschichte konkret bewirkt? Und was wäre heute anders, wenn diese Legende damals nicht als Teil der „Heiligen Schrift“ bis heute überliefert worden wäre?

Meine Fragen beziehen sich sowohl auf eine Auswirkung auf die irdische, natürliche, objektiv beobachtbare Wirklichkeit, als auch auf die Bedeutung innerhalb der religiös erweiterten Vorstellungswelt.

Sobald Sprache ins nebulös-salbungsvoll-Verschwurbelte abdriftet („Jesus hat das himmlische Jerusalem eröffnet…“) ist das praktisch immer ein Indiz dafür, dass es sich hierbei um menschliche Fiktion, oder in diesem Fall genauer: um menschliche, religiös induzierte Einbildung handelt.

Das kann man natürlich machen, die Gedanken sind dank Säkularisierung und Aufklärung freier denn je. Aber wirklich tröstlich empfinde zumindest ich es nicht, wenn jemand völlig absurde Dinge behauptet, die offenkundig nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Für den Verstorbenen genausowenig wie für die Hinterbliebenen.

Gottlos, aber nicht trostlos

Wenn ich schon die religiöse Instrumentalisierung einer Beerdigungszeremonie kritisiere, dann sollte ich freilich auch einen Vorschlag machen können, wie man eine Beerdigung ohne Göttermythen würdig und angemessen gestalten kann.

Meiner Meinung nach sogar noch viel angemessener: Weil man dann den Menschen in den Vordergrund stellen kann. Statt den Tod mit religiösen Illusionen zu vernebeln und in die märchenhafte Phantasiewelt religiöser Jenseitsvorstellungen („Der Weg zum neuen Leben führt über den Tod“) abzudriften.

In gleichem Maße, wie die Religiosität in der Bevölkerung abnimmt, steigt auch die Nachfrage nach säkularen Angeboten, was feierliche Zeremonien aller Art angeht. Problemlos lassen sich  heute Trauerredner finden, die es den Hinterbliebenen erleichtern, sich in einem feierlichen und würdigen Rahmen von ihrem Verstorbenen zu verabschieden. Und zwar ganz ohne illusorische Jenseitsversprechen und vernebelndes „Wir sehen einander ja wieder“-Gesäusel.

Ein in diesem Zusammenhang interessanter Beitrag wurde gerade auf hpd.de veröffentlicht und sei hiermit zur Lektüre empfohlen:

  • hpd.de: Tagung der Humanistischen Akademie – Humanistische Trauerarbeit: Kein Gott, kein Trost?

Tanzen bis die Palme wackelt

Einen gesegneten Palmsonntag wünsche ich Ihnen – und eine ergreifende Karwoche.

Ich wünsche eine Woche, die für die, die sie ergreifend finden wollen ergreifend ist. Und die für alle anderen so ist, wie auch immer sie sie sich wünschen. Denn ein ausgelassener Tanzabend hindert niemand daran, sich still in gespielter Trauer (schließlich weiß jeder Christ, dass der ganze Spuk an Ostern schon wieder vorbei sein wird) zu suhlen.

  • ruhr24.de: Verein aus Bochum zeigt an Karfreitag Jesus-Satire – und lädt danach zum Tanz
  • evangelisch.de: Religionskritiker dürfen an Karfreitag tanzen
  • haz.de: Demo gegen Tanzverbot an Karfreitag nur ohne Musik

Nachtrag: Tod und Trauer aus atheistischer Sicht

Mit der Frage, wie Atheisten mit dem Thema Tod und Trauer umgehen, musste sich Christian vom Ketzerpodcast jetzt auseinandersetzen. Seine Erfahrungen und Gedanken dazu schildert er in diesem Podcast-Segment:

*Quelle: Palmsonntag: Der Weg zum neuen Leben führt über den Tod – Das Wort zum Wort zum Sonntag von Benedikt Welter, veröffentlicht am 13.04.2019 von ARD/daserste.de

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