Eltern und Kinder – Das Wort zum Wort zum Sonntag, Thema Schülerproteste

Lesezeit: ~ 6 Min.

Eltern und Kinder – das Wort zum Wort zum Sonntag von Christian Rommert zum Thema Schülerproteste, veröffentlicht am 30.03.2019 von ARD/daserste.de

In seinem heutigen „Wort“ spricht sich Fernsehpastor Rommert für die Fridays for Future-Schülerproteste aus.

Wir erfahren, dass ihn die Proteste der Schüler nicht nerven. Was ihn nervt, sind die Reaktionen der Erwachsenen:

[…] Meine Antwort: So langsam verliere ich die Geduld: Fridays for Future! Das nervt! Aber nicht die Schülerinnen und Schülern nerven – im Gegenteil: Es sind die Erwachsenen, die mich nerven!*
(Quelle dieses und der weiteren so gekennzeichneten Zitate: Eltern und Kinder – das Wort zum Sonntag von Christian Rommert, veröffentlicht am 30.03.19 von ARD/daserste.de)

Das ist natürlich schade für die protestierenden Kinder und Jugendlichen. Deren erklärtes Ziel es ja gerade ist, die Erwachsenen zu nerven. Also auch Herrn Rommert. Um so auf die Dringlichkeit ihres Anliegens aufmerksam zu machen. Und natürlich, um die Erwachsenen so dazu zu bewegen, etwas zu verändern.

Als Schüler ist man bei der Wahl wirksamer Druckmittel freilich ziemlich eingeschränkt. Eine bewusste Verletzung der (von Erwachsenen aufgestellten) Regeln fügt den Erwachsenen zwar keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Schaden zu. Ganz offensichtlich trägt diese Regelverletzung aber immerhin dazu bei, dass sich zum Beispiel auch Politiker – quasi notgedrungen – wiedermal zu dem Thema äußern müssen.

Ziel verfehlt

Bei Herrn Rommert hat das mit dem Nerven also leider nicht geklappt. Wir erfahren nicht, ob, und wenn was er persönlich, oder zum Beispiel auch die Kirchen konkret und tatsächlich wirksam (also nicht segnend-, mahnend- oder betenderweise, sondern z. B. unter Verwendung ihrer Milliardenvermögen) unternehmen, um dazu beizutragen, dass die Schüler freitags bald wieder in die Schule statt auf die Straße gehen können. Weil sie sicher sein können, ihr Ziel erreicht zu haben.

Nun könnte man einwenden: Es ist doch nicht Aufgabe der Kirche, die Welt zu retten? Gegenfrage: Sondern…?

Vielmehr nutzt Herr Rommert die Schülerproteste erstmal als willkommene Möglichkeit, seine persönlichen Emotionen zum Ausdruck zu bringen, die er denen gegenüber hegt, die die demonstrierenden Schüler kritisieren.

Kurz: Er solidarisiert sich mit den protestierenden Schülerinnen und Schülern und ist von deren Kritikern genervt. Und jetzt?

Dass ein Religionsverkünder ein solches Thema noch weiter emotional auflädt statt sich sachlich damit auseinanderzusetzen, kann kaum erstaunen. Religiöser Glaube und Fakten – da gibt es praktisch keine Berührungspunkte.

Deshalb: Eisenach, ’89….

Und weil noch Sendezeit übrig ist, nutzt Herr Rommert die Chance, einmal mehr seine Kirche in Erinnerung zu rufen bzw. ins Kameralicht zu rücken:

Denn: Mit 15 habe ich das genauso gemacht! `89 – da bin ich als Teenager in Eisenach auch auf die Straße. Damals fanden uns auch viele naiv. Mit unseren Kerzen. Und unserem Gebet für den Frieden. Jeden Montag. Für unsere Zukunft. Erst in die Kirche und dann auf die Straße. Gegen die Politik der DDR! Und das ganz ohne zu fragen: Ja, darf ich das denn?

Zum Thema ‚mythologisierte und tatsächliche Rolle der Kirche in Bezug auf die Wende‘ zitiere ich aus einem meiner Beiträge aus dem Jahr 2014:

  • Nicht zu vergessen ist auch, dass er Mauerfall sehr wahrscheinlich früher oder später auch ohne eine “Revolution” gekommen wäre, weil die DDR zu diesem Zeitpunkt sowieso komplett am Ende, sprich pleite war. Deshalb erstaunt es auch nicht sonderlich, dass die Revolution friedlich verlief – es gab ja auch praktisch keinen wirklichen Widerstand mehr, es war niemand mehr da, der sich noch gegen die freiheitssuchenden Menschen hätte stellen wollen oder können.
  • Unter anderen Voraussetzungen, zum Beispiel, wenn der DDR-Staat zu diesem Zeitpunkt noch einen Hauch von Substanz gehabt hätte oder in Ländern, in denen die Diktatur noch funktioniert, wäre ein Erfolg einer friedlichen Revolution sehr fraglich. Es ist also weniger der Friedfertigkeit der Revolutionäre, sondern viel mehr dem zum Zeitpunkt des Mauerfalls faktisch nicht mehr existenten Staates zuzuschreiben, dass diese Revolution friedlich erfolgreich sein konnte. (Quelle: AWQ.DE)

Ja, wenn Jesus das sagt…

Damals in der DDR orientierten sich viele in der Kirche an einer anderen Einstellung: Wenn Jesus sagt, den Kindern gehört die neue Welt Gottes, dann macht er deutlich: Kinder müssen nicht erst liefern, bis sie mitreden können. Sie müssen nicht erst alles verstehen und jede Menge Erfahrungen machen. Sie haben ein Recht, schon heute ernst genommen zu werden!

Das Recht von Kindern, auch als Kinder ernst genommen zu werden, beruht nicht auf biblisch-christlicher Mythologie. Beim Ende der DDR ging es auch nicht um eine „neue Welt Gottes.“  Sondern um die Auflösung einer Pleite gegangenen politisch-ideologischen Diktatur.

Sich an „Heiligen Schriften“ zu orientieren, birgt stets große Risiken. Denn mit der selben Begründung („Das steht so in der Bibel!“) könnte jemand auch zum Beispiel die Todesstrafe für Söhne fordern, die der Stimme des Vaters und der Mutter nicht gehorchen:

  • Todesstrafe für ungeratene Söhne
    18 Wenn jemand einen widerspenstigen und ungehorsamen Sohn hat, der der Stimme seines Vaters und seiner Mutter nicht gehorcht und auch, wenn sie ihn züchtigen, ihnen nicht gehorchen will, und wenn ihn Vater und Mutter ergreifen und zu den Ältesten der Stadt führen und zu dem Tor des Ortes und zu den Ältesten der Stadt sagen: Dieser unser Sohn ist widerspenstig und ungehorsam und gehorcht unserer Stimme nicht und ist ein Prasser und Trunkenbold, dann sollen ihn steinigen alle Leute seiner Stadt, dass er sterbe, und du sollst so das Böse aus deiner Mitte wegtun, dass ganz Israel aufhorche und sich fürchte. (Quelle: 5. Mo 21, 18-21 LUT)

Gäbe es nichts Wichtigeres zu tun, könnte man mal die Bibelstellen heraussuchen, die sich zur Untermauerung der DDR-Ideologie geeignet hätten. Wenn sich das DDR-Regime jemals dazu hätte entscheiden wollen, die christliche für ihre politische Ideologie zu instrumentalisieren. Das Erfolgspotential von Allianzen zwischen kritikwürdigen Regierungsformen und (v.a. monotheistischen) Religionen wurde und wird ja immer wieder erschreckend eindrucksvoll bewiesen.

Bestimmt nicht der Rede wert

Ich habe damals erlebt, wie ich als junger Mensch etwas bewegen konnte. Wie eine Diktatur zerfiel. Natürlich weiß ich, dass ich nur einen winzigen kleinen Teil dazu beigetragen habe. Bestimmt nicht der Rede wert.

Wieso reden Sie dann davon, wenn es nach Ihrer eigenen Einschätzung „bestimmt nicht der Rede wert“ ist, Herr Rommert? Vielleicht, weil es sich, unabhängig vom tatsächlichen Erfolg für Sie damals einfach gut angefühlt hatte? Genau darum geht es bei den Schülerprotesten nach Aussage der Aktivisten nicht.

Aber: Ich fand in unseren Kirchen damals Orte, an denen ich ernstgenommen wurde. Als junger Mensch. […] Kirchen öffneten ihre Räume – auch für uns, die Jungen. Wir durften mitreden. Wir waren willkommen – mit unserer Angst vor der Zukunft. Mit unserer Wut auf die damalige Politik. Mit unserem Willen, etwas zu verändern!

SchülerprotesteHerr Rommert, ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass die Diktatur, zu deren Zerfall Sie nach eigener Aussage „einen winzig kleinen Teil“ beigetragen hatten, ebenfalls ihre „Räume“ auch und gerade für die Jungen geöffnet hatte? Kinder und Jugendliche waren in der Partei immer sehr willkommen. So konnte man sie vom Kleinkindalter an politisch indoktrinieren. Ihnen als „Isenicher“ brauche ich ja von FDJ, Thälmann-, Jungpionieren & Co. nichts zu erzählen…

Die Antwort auf die Frage, wo sich Kinder und Jugendliche besser emotional aufgehoben, angenommen und verstanden fühlen, sagt noch nichts über die Inhalte oder auch Werte aus, die eine Institution oder Gruppierung vertritt.

Zukunftsangst ist ein Faktor, den sich Kirchen schon immer zunutze gemacht haben. Auch die kollektive Wut auf einen gemeinsamen Feind kann eine Gruppe ungemein zusammenschweißen.

Herr Rommert, was meinen Sie damit zu bezwecken, wenn Sie in Ihrer Fernsehpredigt mit Vergleichen zu Ihren DDR-Widerstandserlebnissen in den emotionalen Erinnerungen Ihrer Jugendzeit schwelgen? Dass Leute, die Demokratie und Klimaschutz gut und wichtig finden, deshalb jetzt auch die Kirche wenigstens ein bisschen gut und wichtig finden?

Falsch verstandene Schülerproteste?

Jetzt, wo ich der Ältere und der Pastor bin und andere die Jungen, da sage ich: Fridays for Future! Macht weiter – für uns alle!

Herr Rommert, wenn es Ihnen ein persönliches Bedürfnis ist, sich öffentlich zu umweltpolitischen oder sonstigen gesellschaftlichen Themen zu äußern, dann tun Sie das gerne – aber bitte auf Ihre eigene Kosten.

Denn ob Sie die Schülerproteste gut finden, weil diese romantische Erinnerungen an Ihre Jugendzeit wecken, interessiert mich herzlich wenig und trägt auch nicht zur Lösung des Problems bei.

Da Sie ja aber nicht als Privatperson, sondern als Vertreter der evangelischen Kirche im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf Sendung gehen, wüsste ich jedoch nicht, was Sie zu dieser Diskussion statt der von Ihnen betriebenen Emotionalisierung sinnvollerweise beitragen könnten: In der Bibel steht nicht, was die Weltbevölkerung zu Beginn des 21. Jahrhunderts unternehmen müsste, wenn sie die Erde noch weiterhin als Lebensraum für sauerstoffverstoffwechselnde Lebewesen erhalten möchte.

Apocalypse now?

In verschiedenen christlich-fundamentalistischen Kreisen ist man sich ja sicher, dass gerade (wiedermal) der Weltuntergang begonnen hat, auf den der Romanheld Jesus laut biblischer Mythologie ja seine Sektenmitglieder vorbereiten wollte. Untrügliche Zeichen…. Das kann kein Zufall sein… Die Zeit ist längst reif…

Ich fände es mal interessant zu erfahren, ob Sie das auch so sehen, Herr Rommert. Und wenn nicht, wie Sie den Vertretern dieser biblischen Endzeit-Phantasien erklären würden, warum sie falsch liegen.

Und warum dieser geradezu orgiastisch-brutal beschriebene Vernichtungshöhepunkt des Neuen Testamentes durch einen blutberauschten Rache- und Vernichtungsgott außer Rand und Band sehr wahrscheinlich doch noch nicht angefangen hat.

Oder auch, dass die Erwartung eines in einer „Heiligen Schrift“ prognostizierten Weltuntergangs Menschen nicht von der moralischen Verpflichtung entbindet, sich aktiv für die Zukunft nachfolgender Generationen einzusetzen.

Statt: „Macht weiter für uns alle!“ besser: „Jetzt machen wir alle weiter für uns alle!“

Der Appell sollte nicht lauten: Macht weiter – für uns alle!

Denn der eigentliche Appell ergibt sich aus den Antworten auf folgende Fragen: Was ist, ausgehend vom heutigen Erkenntnisstand über die Faktenlage, jetzt zu tun? Wie, von wem und in welchem Zeitraum? Und: Durch welche Handlungen, aber zum Beispiel auch durch welche (Wahl-)entscheidungen kann ich persönlich einen Beitrag für das Wohl zukünftiger Generationen leisten?

Eine rationale Beantwortung dieser Fragen sollte meines Erachtens im Vordergrund der Diskussion stehen.

Herr Rommert, die Schülerproteste richten sich gegen die Erwachsenen, also auch gegen Sie. Die erhoffte Reaktion ist eben nicht ein sinngemäßes: „Protestieren finde ich prima, macht mal weiter so.“ Sondern eher so etwas wie: „Wir kümmern uns jetzt um eine faktenbasierte Umweltpolitik.“

Grundlage dafür sollte nicht eine Debatte darüber sein, wer von wem genervt ist. Sondern wie immer, wenn es um wichtige und richtige Entscheidungen geht die Faktenlage.

Zu dieser Faktenlage zählen nicht nur die aus wissenschaftlicher Sicht unzweifelhaft alarmierenden Entwicklungen. Sondern auch alle Projekte und Aktionen, die gerade in den letzten paar Jahren schon in vielen Bereichen zu signifikanten Verbesserungen geführt haben.

In diese Richtung geht zum Beispiel auch ein Statement von Fabienne Sandkühler, Europawahlkandidatin der Partei „Die Humanisten“:

  • Wir machen Umweltpolitik besser: faktenbasiert. Denn nicht Ideologie, sondern Wirksamkeit sollten Maßnahmen bestimmen. (Quelle: Fabienne Sandkühler: Umweltschutz mit Fakten, nicht Ideologien auf diehumanisten.de, 13.3.2019)

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag über das Thema Schülperproteste.

 

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