Kommentar zu NACHGEDACHT 96: Die dunkle Seite hat nicht gesiegt

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Kommentar zu NACHGEDACHT 96: Die dunkle Seite hat nicht gesiegt, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 9.11.2014 von osthessen-news.de

[…] Und als ein Zeitzeuge dann auch noch dies behauptete, war ich wirklich beeindruckt: „Der Mauerfall in Ostberlin lief komplett friedlich ab, es gab keine Toten an diesem Abend.“

Das faszinierte mich tief. Sollte es ein Volk, eine Menschengruppe tatsächlich geschafft haben, sich einmal friedlich zu verhalten?*

Das erscheint gerade aus christlicher Sicht bestimmt erstaunlich, zeigt doch ein kurzer Blick in die Kriminalgeschichte des Christentums, dass diese Religion die meiste Zeit ihres Daseins dafür gesorgt hat, dass sich Menschen alles andere als friedlich verhalten haben und auch heute noch sorgen die religiösen Gut-Böse-Dualismen für eine Spaltung der Menschen, wobei dieser Einfluss zum Glück immer schwächer wurde und hoffentlich bald ganz überwunden sein wird.

[…] Nachdem hunderte Menschen ihr Leben ließen, gab es wenigstens an einem Abend, in einer Nacht keine Gewalt, sondern vielmehr ein Mauerfall in friedlichem Rahmen.*

Objektiv betrachtet sind die Toten (von denen selbstverständlich jeder einzelne einer zuviel war), die das DDR-Regime zu verantworten hat, nur eine verschwindend geringe Anzahl verglichen mit den ungezählten Toten, die zum Beispiel das Christentum auf dem Gewissen hat. Allein schon für die Vertretung der Wahrheit, aber auch aus völlig beliebigen, nichtigen Gründen wurden unvorstellbar viele Menschen im Namen und Auftrag des Christengottes gedemüdigt, verleumdet, denunziert, vertrieben, gefoltert, vergewaltigt, verbrannt, erschlagen, erstochen oder sadistisch zu Tode gequält. Die Rechtfertigung für dieses in höchstem Maße unethische Verhalten findet sich bei der üblichen selektiven Lesart an vielen Stellen in der Bibel, dem „Wort Gottes.“

Allein schon die jahrhundertelange Überwindung der religiösen Dogmen, egal wie schwachsinnig und falsch, hat tausende Menschen das Leben gekostet. Während sich die Religionsvertreter mit brutalster Waffengewalt gegen die Einführung und Verankerung von humanistischen und wissenschaftlichen Grundsätzen erbittert zur Wehr stellten, hatten es die aufgeklärten Menschen überhaupt nicht nötig, zur Waffe zur greifen und ihrerseits auf die dem Gotteswahn erlegenen Irrläufer einzuschlagen.

Auch wenn sie natürlich ebenfalls sogar gravierende Fehler gemacht und nicht zu jedem Zeitpunkt die richtigen Schlüsse aus ihren Erkenntnissen gezogen haben, konnten sie trotzdem immer ihren Standpunkt mit den besseren Argumenten belegen, wobei sie ihre Erkenntnisse niemals als absolut und endgültig, sondern stets als ergebnisoffen und kritisierbar ansahen und ansehen. Außerdem greifen sie bei der „Erschaffung“ ihrer Weltsicht nicht auf Hirngespinste wie Götter oder Geister zurück, sondern sie nutzen den Rahmen, von dem man ausgehen kann, dass er der Rahmen ist, in dem alles, was geschieht, geschieht.

Und genau das sollten wir auch in den nächsten Tagen feiern und uns bewusst machen. Genießen wir doch einmal diese Information, dass es auch ohne Gewalt und Tod funktionieren kann.*

Und machen wir uns auch bewusst, dass es, auch wenn die „friedliche Revolution“ mangels anderer Organisationen zu einem Teil auch von der Kirche in die Wege geleitet wurde dennoch der Säkularisierung und dem Humanismus zu verdanken ist, dass sowas heute überhaupt möglich ist. Das Volk skandierte: „Wir sind das Volk!“ und nicht etwa „Wir sind das Volk Gottes!“ – die Menschen waren sich ihrer selbst, ihrer Freiheit und ihrer Bedürfnisse bewusst geworden.

Nicht zu vergessen ist auch, dass er Mauerfall sehr wahrscheinlich früher oder später auch ohne eine „Revolution“ gekommen wäre, weil die DDR zu diesem Zeitpunkt sowieso komplett am Ende, sprich pleite war. Deshalb erstaunt es auch nicht sonderlich, dass die Revolution friedlich verlief – es gab ja auch praktisch keinen wirklichen Widerstand mehr, es war niemand mehr da, der sich noch gegen die freiheitssuchenden Menschen hätte stellen wollen oder können.

Unter anderen Voraussetzungen, zum Beispiel, wenn der DDR-Staat zu diesem Zeitpunkt noch einen Hauch von Substanz gehabt hätte oder in Ländern, in denen die Diktatur noch funktioniert, wäre ein Erfolg einer friedlichen Revolution sehr fraglich. Es ist also weniger der Friedfertigkeit der Revolutionäre, sondern viel mehr dem zum Zeitpunkt des Mauerfalls faktisch nicht mehr existenten Staates zuzuschreiben, dass diese Revolution friedlich erfolgreich sein konnte.

Unschwer ist zu erkennen, dass auch heute noch ein Großteil aller Kriege religiös motiviert ist oder zumindest religiös begründet wird, was im Ergebnis keinen Unterschied macht. Eine wie auch immer geartete Fiktion, Wahnvorstellung oder Halluzination, die sich auch dazu eignet, beliebig festzulegen, was „gut“ und was „böse“ ist und somit das Töten von „bösen“ Menschen nicht nur legitimiert, sondern sogar fordert und vorschreibt, hat generell keine Daseinsberechtigung mehr.

Wir wissen aus unserer eigenen Volksgeschichte, dass Menschen sich Böses, Perverses und abgrundtief Schlimmes antun können.*

Das stimmt, die Bibel liefert über das Christenvolk eine schier endlose Zahl von detaillierten Beschreibungen grausamster Gewalt, wie man sie einem psychisch gestörten Triebtäter und sadistischem Serienmörder nicht zutrauen würde. Ob das, was Menschen sich antun können „Böse“ ist, hängt davon ab, auf wessen „Böse“ man sich bezieht, deshalb ist „Böse“ nicht geeignet, um unethisches Verhalten zu beschreiben.

Aber an diesem einen Tag war es nicht so. An diesem einen Tag haben wir das Unglaubliche geschafft und Frieden gelebt. Die dunkle Seite im Menschen hatte einmal nicht die Macht.*

Eine „dunkle Seite im Menschen“ ist eine naive und geradezu lachhafte Vorstellung, die vielleicht im Reich der Märchen oder der Science-Fiction eine Daseinsberechtigung hat, ebenso die Annahme, diese Seite könne „Macht“ haben oder auch nicht. Dass diese Aussage Humbug ist wird einem recht einfach klar wenn man weiß, dass sich Menschen nicht gegen die Prägung ihres Unterbewusstseins für oder gegen etwas entscheiden können und dass es keine „hellen“ oder „dunkle“ „Mächte“ gibt.

Wohl gibt es Prägungen, die Menschen zu unethischen Handlungen veranlassen, aber auch das ist eben nicht einer wie auch immer schattierten Macht zuzuschreiben (umgekehrt übrigens genauso: Wer sich ethisch korrekt verhält, dann tut er das ebenfalls aufgrund der Prägung seines Unterbewusstseins und nicht, weil ein Gott oder sonst eine erfundene Macht Einfluss genommen hätte.).

Die Formulierung „…hatte einmal nicht die Macht“ legt die Vermutung nahe, dass die Autorin davon ausgeht, die „dunkle Seite“ habe sonst immer die Macht. Wie es sich wohl mit der ständigen  Angst vor einer solchen diffusen, fiktiven Bedrohung lebt?

*Das Online-Portal Osthessennews fordert jede Woche unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ mit „liberal-theologischen“ Gedanken zum Nachdenken auf. Alle Zitate stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Original-Artikel von Christina Leinweber.

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