Danke wofür? – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Muttertag, gesprochen von Stefanie Schardien (ev.), veröffentlicht am 11.5.2019 von ARD/daserste.de
Frau Schardien, die neue Fernsehpredigerin im Wort zum Sonntag-Team stellt in ihrem Fernsehdebut unter Beweis, dass sie das Schema dieser Sendung verstanden hat:
Unter Bezugnahme auf den Muttertag als aktuelles Thema gehts zunächst um Triviales zum Thema „was ich als Mutter so alles zu tun habe.“ Um der Sache ein bisschen Würze bzw. Emotionalität zu verleihen, erzählt Frau Schardien dann vom EDEKA-Werbespot, der für einen veritabeln Shitstorm gesorgt hatte.
Von so viel Response (bis heute fast 2 Millionen Klicks, über 11k Likes und über 52k Dislikes) kann das „Wort zum Sonntag“ mit seiner Miniatur-Einschaltquote nur träumen.
Frau Schardien geht es aber nicht etwa darum, zu diesem Thema Stellung zu beziehen. Sondern offenbar einzig darum, selbst von der aktuellen Präsenz des Falles zu profitieren.
Weil das „Wort zum Sonntag“ aber nicht „Stefanies Plauderstunde“, sondern eine staatlich subventionierte Dauerwerbesendung des Kirchenkonzerns ist, muss jetzt natürlich auch noch „irgendwas mit Gott“ rein. Hierzu meint Frau Schardien, in der Erfinderin des Muttertags eine geeignete Story gefunden zu haben:
Das passt richtig gut. Mir in den Kram
Der Erfinderin dieses Feiertags ging es ähnlich: 1907 in Philadelphia in den USA. Da hatte Anna Jarvis die Idee, ihrer verstorbenen Mutter zu danken. Also nahm sie 500 weiße Rosen und verteilte sie vor ihrer Kirche an andere Mütter. So ging das los. Das passt richtig gut. Denn in der Kirche geht es ja auch immer wieder um das Danken für unser Leben. Für das Leben als Gottes Geschenk. (Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Danke wofür? – Wort zum Sonntag, Stefanie Schardien via ARD/daserste.de)
Frau Schardien kann sich ziemlich sicher sein, dass sich wahrscheinlich niemand die Mühe machen wird, sich die Geschichte um die Entstehung des Muttertages näher anzuschauen.
Dass es keine 500 weiße Rosen, sondern 500 weiße und 500 rote Nelken waren, die Frau Jarvis dereinst verteilen ließ (die roten zur Ehrung der lebenden, die weißen zur Ehrung der verstorbenen Mütter), weil Nelken die Lieblingsblumen ihrer eigenen Mutter waren, kann man noch als erzählerische Ungenauigkeit betrachten.
Allerdings hatte dieser Dank an Mütter nichts damit zu tun, wenn Menschen mit einer religiös vernebelten Weltsicht widersinnigerweise ihrem ja sowieso allmächtigen und allwissenden Gott danken. Weil sie sich einbilden, ihr Leben diesem Gott zu verdanken. Nein. Bei diesem Dank ging es nur und ausschließlich um die Mütter.
Dass eine Pfarrerstochter im Jahr 1907 den Vorplatz einer Kirche für ihre Aktion wählte, liegt auf der Hand. Wo sonst hätte man an einem Sonntag so viele Mütter auf einmal antreffen können?
Aber so genau darf man nicht vorgehen, wenn man beabsichtigt, Kirche und Glaube als etwas Positives in einer Geschichte unterzubringen. Der Mutter danken passt dann eben gut zu Gott danken. Diese Darstellung genügt Frau Schardien für ihre Zwecke.
Schöpfergott vs. Muttergöttin
Eine Art Muttergöttin, wie etwa Nerthus, Perchta, Sif, Jörd, Brighid, Noreia, Māra, Laima, Žemyna, Mati Syra Zemlya, Mokosch, Ilmatar, Hathor, Nut, Gaia, Rhea, Dia, Hera, Demeter, Kubaba, Kybele, Tanit, Diĝirmaḫ, Nindiĝirene, Ninḫursaĝa, Bēlet-ilī, Nintur, Aruru, Mam(m)a/Mam(m)i, Ninlil, Damgalnunna/Damkina, Ḫannaḫanna, Uraš, al-Lat, Prithivi, Bhudevi, Mahadevi, Durga, Kali, Lakshmi und Parvati gibts in der von ihr verbreiteten Glaubenslehre ja auch gar nicht.
Sondern nur einen einzigen, allmächtigen, allgütigen und allwissenden Berge-Wetter-Wüsten-Kriegs-Rachegott, den sich Menschen in der Bronzezeit ausgedacht hatten. Und der nebenbei auch das Universum, das Leben und den ganzen Rest erschaffen haben soll. Über seine Abstammung ist weder väterlicher- noch mütterlicherseits etwas bekannt.
Aber zurück zum Muttertag. Den meines Erachtens mindestens genauso spannenden Rest der Geschichte um die Erfinderin des Muttertages lässt die Fernsehpredigerin weg:
Die Mutter von Frau Jarvis war am allerersten Muttertag der Neuzeit schon 2 Jahre tot. Zu Lebzeiten hatte Frau Jarvis senior ebenfalls schon versucht, einen Feiertag zu etablieren. Auch dieser war nicht religiös konnotiert. Vielmehr sollte es ein Feiertag für Pazifismus und Sozialdienst werden. Was der Grund dafür sein könnte, dass dieses Bestreben damals nicht von Erfolg gekrönt war.
Die Mütter, die ich rief…
Nachdem es der Erfinderin des Muttertages endlich gelungen war, diesen als gesetzlichen Feiertag zu etablieren, wendete sich das Blatt für sie. Der Feiertag erfuhr eine Kommerzialisierung, die Frau Jarvis so ärgerte, dass sie ihr Engagement bis zu ihrem Tode bedauerte:
- Bereits in den 1920er erkannte Jarvis die wirtschaftliche Ausbeutung des Muttertages. Sie versuchte den Namen urheberrechtlich zu schützen und ging vor Gericht, um den Feiertag gesetzlich zu unterbinden. Ihre Frustration gipfelte 1923 in einer Festnahme und einem Gefängnisaufenthalt, weil sie Feierlichkeiten zum Muttertag störte.
- 1948 starb die verarmte Anna Marie Jarvis im Philadelphia’s Marshall Square Sanatorium. Sie und ihre Schwester hatten das gesamte Familienvermögen für ihr Vorhaben, die Abschaffung des Muttertages, aufgebraucht. Noch kurz vor ihrem Tod soll sie einem Reporter erzählt haben, sie bedaure, den Muttertag jemals ins Leben gerufen zu haben. (Quelle: biorama.eu: Warum die Erfinderin des Muttertags keine Freude an ihm hatte, von Susanne Posch · 3. Mai 2016)
Diese Wendung der Geschichte hätte ich schon allein deshalb erwähnenswert gefunden, weil Frau Schardien in ihrer Verkündigung ja ebenfalls schon das Thema Kommerzialisierung angesprochen hatte.
Ob Frau Jarvis weniger unter den Folgen ihres Engagements gelitten hätte, wenn sie gewusst hätte, dass es ihren Feiertag auch im 21. Jahrhundert noch geben wird? Und zwar ironischerweise hauptsächlich aus dem Grund, der für sie so unerträglich war – die Kommerzialisierung?
Kommerzialisierung hält Feiertage am Leben, nicht nur den Muttertag
- Allein im Jahr 2014 bescherte er [der Muttertag, Anm. v. mir] deutschen Blumenbotendiensten ein Umsatzplus von 550 Prozent im Vergleich zu anderen Verkaufstagen. (Quelle: ebena)
Muttertag ist nicht der einzige Feiertag, zu dessen Fortbestehen die Kommerzialisierung einen maßgeblichen Beitrag leistet. Das wird schnell klar, wenn man überlegt, wie sich das bei anderen Feiertagen heute verhält.
Als rein kirchliche Feste wären zum Beispiel Weihnachten oder Ostern heute für die zunehmend religionsbefreite Gesellschaft genauso bedeutungslos wie zum Beispiel Pfingsten oder Christi Himmelfahrt. Ein Feiertag, der inzwischen hauptsächlich als arbeitsfreier „Vatertag“ zelebriert wird. Und nicht mehr als Gedenktag einer magischen Reise ins Weltall.
Zum Abschluss bastelt sich Frau Schardien noch ein leicht zerlegbares Strohmann-Argument zusammen, um damit die Absurdität ihres Götterglaubens zu kaschieren:
Ich höre in Gesprächen oft: Mein Leben ist, wie es ist. Ich bin dafür allein verantwortlich. Wofür soll ich da danken? Ich hab ja alles selbst in der Hand.
Na, hier kann die Theologin aber nochmal richtig auftrumpfen:
Nur: Ganz so ist es ja nicht. Ich hab mich nicht selbst geboren mit mehr oder weniger heftigen Wehen, hab mich nicht selbst gefüttert und gewickelt. Ich hab nicht allein gelernt, wie man anderen eine Freude macht, hab mich nicht selbst getröstet und nicht mit mir selbst diskutiert. Mein Leben – dass es ist und so wie es ist – verdanke ich zum riesigen Teil anderen. Auch Gott, glaube ich als Christin. Und bei den Menschen, da fällt mir und vielen besonders die Mutter ein. Andere denken vielleicht besonders an den Papa oder die Oma oder vielleicht auch an einen Paten oder eine Lehrerin. Denen einmal wieder zu danken, denen ich mich verdanke. Darum geht’s.
Was steckt hinter dieser Aussage?
Natürlich sind Menschen für ihr Leben selbst verantwortlich. Das schließt jedoch keineswegs aus, dass sie nicht auch den Menschen dankbar sein können, die es gut mit ihnen meinen. Damit ist der eingangs aufgestellte Standpunkt („Wofür soll ich da danken?“) schon mal unsinnig.
Dass Menschen mehr als jedes andere Herdentier auf Unterstützung durch ihre Umwelt angewiesen sind, ist eine Binsenweisheit. Was Frau Schardien ja auch problemlos an vielen Beispielen aufzeigen kann.
Das, worauf es ihr hier eigentlich ankommen dürfte, ist der kleine Zusatz, dass sie auch Gott etwas zu verdanken habe. Die Ergänzung „…glaube ich als Christin“ klingt für mich fast schon entschuldigend: „Sorry Leute, ich kann auch nix dafür, ich muss das glauben, ich bin Christin…“
Der sprachliche Trick ist einfach zu durchschauen: Erst versammelt Frau Schardien alle möglichen Menschen, denen man üblicherweise tatsächlich etwas zu verdanken hat auf einen Allgemeinplatz. (Eine Differenzierung, dass Muttersein allein noch nicht zwangsläufig auch Dankbarkeit der Kinder zur Folge haben muss, findet vermutlich aufgrund der begrenzen Sendezeit nicht statt. Auch laut dem entsprechenden biblischen Gebot sind die Eltern ja wegen ihres Elternseins zu ehren, unabhängig davon, wie sie sich ihren Kindern gegenüber verhalten.)
Muttertag reframed
In diese Ansammlung an wohlmeinenden Mitmenschen, die sich allesamt einen Dank verdient haben, schmuggelt Frau Schardien dann noch schnell ihren Gott mit hinein.
Und – schwupps – bezieht sich die Aufforderung „Denen einmal wieder zu danken, denen ich mich verdanke“ nicht nur auf die diese Mitmenschen. Sondern auch auf eben diesen Gott. Muttertag hin oder her.
Somit betreibt Frau Schardien mit ihrem Debut-Wort-zum-Sonntag genau das, was die Erfinderin des Muttertages bis an ihr Lebensende so unbändig geärgert hatte: Eine Instrumentalisierung des Muttertages für ihre eigenen, kirchlichen (und damit auch kommerziellen) Zwecke.
An Muttertag Gott danken: Aber wofür?
Mit der Formulierung „denen einmal wieder zu danken, denen ich mich verdanke“ vernebelt Frau Schardien, wofür konkret sie meint, ihrer Gottesvorstellung danken zu müssen. Obwohl sie gerade diese Frage ja als Überschrift ihrer heutigen Verkündigung gewählt hatte.
Wofür sollte man Gott also danken? Auch noch ausgerechnet dem biblisch-christlichen Gott? Der trotz angeblicher Allmacht, Allgüte und Allwissenheit nicht willens oder in der Lage war, eine weniger leidvolle Welt als diese zu erschaffen? Dem Gott, dem man, wenn man ihn tatsächlich als universellen Schöpfer betrachtet, nicht nur seine eigene Existenz verdankt?
Sondern zum Beispiel auch die Existenz von parasitär lebenden Loa loa -Würmern, die sich im menschlichen Unterhautfettgewebe, aber auch in den Augen von Menschen einnisten? Also dem Gott, der für die Schöpfung seiner bevorzugten Trockennasenaffenart einen Planeten gewählt hat, der für diese zum allergrößten Teil lebensfeindlich und unbewohnbar ist? Und der seiner Schöpfung immer wieder mal Erdbeben, Tsunamis, Dürren, Epedemien oder sonstige Katastrophen schickt?
Der offenbar seinen Spaß daran hat, sich einmal einem primitiven, nicht der Schrift mächtigen Wüstenvolk zu offenbaren, um diesem sein absurdes und unmenschliches Belohnungs-Bestrafungskonzept erstmal nur mündlich zu übermitteln? Um daraufhin inzwischen rund 2000 Jahre lang nicht mehr in Erscheinung zu treten? Während seine Anhänger in seinem Namen und vermeintlichen Auftrag für unfassbar viel Leid und Elend gesorgt haben?
Sehr viele weitere Gründe, warum man gerade diesem Gott wahrlich alles andere als dankbar sein sollte, finden sich in dem lesenswerten Buch „Gott ist ein Arschloch„, von dessen polemischen Titel man sich auch als Christ nicht abschrecken lassen sollte.
Bleibt mir nur noch zu sagen: Alles Liebe zum Muttertag, liebe Mutter!
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