Im dunklen Wald… – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Vertrauen von Christian Rommert, veröffentlicht am 21.06.2019 von ARD/daserste.de
Hier inmitten dieser Bäume, die ausgerechnet mitten in einer Kirche stehen, hier ist mein Lieblingsort beim Kirchentag. Ein kleiner Wald in der Kirche. Mitten in Dortmund. Spannend. Ein Experiment! Passt das zusammen? (Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Im dunklen Wald… – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Vertrauen von Christian Rommert, veröffentlicht am 21.06.2019 von ARD/daserste.de)
Noch öfter als angesichts einiger in einer Innenstadtkirche drappierter Bäume dürften sich Besucher des Kirchentages 2019 die Frage, wie das zusammen passt wohl in Bezug auf den Workshop „Vulva malen“ gestellt haben.
Ja, ein gemeinsames Malen von weiblichen Geschlechtsteilen ist für sich genommen sicher eine nette Idee. Nicht nur für die Teilnehmerinnen: Spannend. Ein Experiment!
Wenn das allerdings im Rahmen eines Kirchentages stattfindet, dann muss man sich schon fragen, wie es um die EKD-Abteilung des deutschen Christentums inhaltlich sonst so bestellt sein mag.
Wer hierzu mehr erfahren möchte und natürlich auch darüber, was auf dem zeitgleich in Dortmund veranstalteten Ketzertag inhaltlich so geboten war, dem sei Daniela Wakoniggs sehr lesenswerter Beitrag „Tagebuch einer Ungläubigen – Kirchentag Dortmund 2019 – Tag 3 – Leere Bühnen und Bibelriegel“ auf hpd.de zur Lektüre empfohlen. Genauso wie auch die restlichen Tagebucheinträge.
Allein im Wald is‘ doof…
Herrn Rommerts Schilderung seiner Jugenderlebnisse im Wald (damals gab es wahrscheinlich noch keine Genitalien-Mal-Workshops) lassen sich in einem Satz zusammenfassen:
Wenn man im Wald übernachtet und die Kumpels sind dabei ist alles fein; wenn man da allerdings alleine ist, kann es einem schon mal unheimlich werden.
[…] Was wäre das schön, wenn meine Freunde hier wären. Irgendwann musste ich dann entscheiden: Entweder packst Du jetzt Deine Sachen und läufst nach Hause oder du vertraust darauf, dass schon nichts passieren wird und schläfst einfach ein. Ich habe mich entschieden zu bleiben. Und kurz vor dem Einschlafen habe ich noch etwas gemacht: Leise und verstohlen ein Gebet gesprochen: „Lieber Gott, pass bitte auf mich auf und bring mich gut durch die Nacht!“
Ganz offensichtlich hatte man Herrn Rommert im Kindesalter beigebracht, dass es sinnvoll sein könnte, einen sowieso schon allmächtigen Gott um irgendetwas zu bitten. Wie in diesem Fall, um ihn bei seinem Outdoor-Erlebnis zu beschützen.
Nicht nur un-, sondern widersinnig: Allmächtige um etwas bitten
Dass es nicht nur un-, sondern sogar völlig widersinnig ist, ein Wesen, das ja angeblich allmächtig sein soll um Schutz oder um irgendetwas anderes zu bitten, war ihm damals offensichtlich noch nicht in den Sinn gekommen. Denn selbst wenn Herr Rommert in dieser Nacht dem bösen Wolf oder der Wilden Wutz zum Opfer gefallen wäre: Auch das hätte ja zwangsläufig Teil des allgnädigen göttlichen Allmachtsplanes sein müssen.
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie ansonsten sicher klar denkende Gläubige es fertigbringen, diese doch eigentlich so offensichtliche Schwachstelle einfach auszublenden, die die Annahme eines allmächtigen Gottes zwangsläufig beinhaltet.
Nun war Herr Rommert nach eigener Aussage zu jener Zeit ein Teenager. Und damit in einem Alter, in dem man imaginäre Freunde eigentlich schon zuverlässig als Phantasiewesen identifiziert haben sollte. Als Produkte menschlicher Phantasie.
Beim Osterhasen, Weihnachtsmann und Babybringendem Klapperstorch klappt das in der Regel auch recht gut. Nur mit dem Entlarven ihrer Götter haben Menschen, je nach Schweregrad ihrer religiösen Indoktrinierung immer wieder Probleme. Mitunter schaffen es Menschen ein Leben lang nicht, zwischen religiöser Wunschvorstellung bzw. Einbildung und Wirklichkeit zu unterscheiden.
So scheint das auch bei Herrn Rommert der Fall zu sein:
Mal wieder beten…
Zwei Dinge sind mir jetzt wichtig: Wenn ich mich frage: Wem kann ich noch vertrauen oder was bringt die Zukunft? Dann ist die erste Antwort: Tu´ Dich mit anderen zusammen! Das macht Mut. Und das Zweite: Mal wieder zu beten, das wäre nicht schlecht.
Die Reihenfolge dieser Aufzählung zeugt nicht gerade von übermäßigem Gottvertrauen. „Mal wieder zu beten, das wäre nicht schlecht“ ist jedenfalls etwas anderes als zum Beispiel: „Egal was auch passiert, du kannst jederzeit voll auf Gott allein vertrauen.“ Also eine Form von sprichwörtlich blindem Gottvertrauen, wie sie die biblisch-christliche Lehre eigentlich fordert.
Dass sich sozial veranlagte Lebewesen gerade in (vermeintlichen) Gefahrensituationen in der Gruppe wohler fühlen als alleine, ist eine Binsenweisheit. Dann ist es natürlich immer wünschenswert, wenn man in seinem Umfeld Menschen hat, denen man vertrauen kann.
Vertrauen ist gut, aber wer verdient Vertrauen und warum?
Für ein solches zwischenmenschliches Vertrauen kann man dann, anders als bei imaginären Freunden, auch tatsächlich gute Gründe haben. Menschen können sich zum Beispiel durch ihr Verhalten gegenseitig beweisen, dass sie vertrauenswürdig sind. Und umgekehrt habe ich die Möglichkeit, die Vertrauenswürdigkeit meiner Mitmenschen zu hinterfragen und zu überprüfen. Denn diese Menschen existieren ja nicht nur in meiner Phantasie.
Und auch ihr Verhalten, mit dem sie sich mein Vertrauen verdienen oder auch nicht, geschieht ja tatsächlich. Und nicht nur in meiner Vorstellung.
Ganz anders verhält es sich mit dem Vertrauen auf Götter. Oder auf Kobolde, Feen, Schutzengel, den Klabautermann oder Zuckerkügelchen. Natürlich kann man sich einbilden, dass diese das in sie gesetzte Vertrauen erfüllt hätten, wenn etwas geschieht, was man sich davon erhofft hatte. In einen ursächlichen Zusammenhang lässt sich das irdische Geschehen mit Figuren oder Wirkstoffen, die nur in der Phantasie existieren redlicherweise freilich nicht bringen.
Beten – und anderen vertrauen
Beten und gemeinsam mit anderen unterwegs sein, anderen zu vertrauen – das gibt mir Sicherheit, wenn das Gefühl der Unsicherheit sich breit macht.
Ich kann mir vorstellen, dass es Gläubigen ein beruhigendes Gefühl verschafft, wenn sie feststellen, dass sie nicht ganz alleine unterwegs sind in ihrer religiös erweiterten Scheinwirklichkeit. Wenn sich Gott schon nicht blicken lässt, dann tun sicher ein paar Leute gut, die das auch nicht weiter zu stören scheint. Menschen fühlen sich immer wohler, wenn sie unter Gleichgesinnten sind.
Ein Effekt, der sich soziologisch und psychologisch leicht nachweisen und erklären lässt.
Gebete oder auch Kirchenlieder dürften wesentlich seltener kritische Gedanken oder gar Zweifel an der Sinnhaftigkeit hervorrufen, wenn sie gemeinsam mit Anderen aufgesagt oder gesungen werden.
Die Verquickung von tatsächlich erlebbarem zwischenmenschlichem Vertrauen und eingebildetem Vertrauen (in Form eines bis zum Beweis des Gegenteils niemals erhörten Gebetes) ist ein leicht zu durchschauender Trick. Eine Taktik, mit der die Vertrauenswürdigkeit Menschen gegenüber auf ein imaginäres Götterwesen übertragen werden soll.
Wer Menschen vertraut, der kann zumeist gute Gründe dafür nennen, warum diese Menschen sein Vertrauen verdient haben. Wohingegen man sich mit dem Vertrauen auf einen Gott bestenfalls die Illusion von Sicherheit verschaffen kann. Man führt sich damit sozusagen selbst an der eigenen Nase herum.
Ich glaub‘, ich bet‘ im Wald…
Also: Wenn uns die Welt wie ein unheimlicher Wald vorkommt, wenn Gewalt uns Angst macht, wenn Menschen-verachtung immer stärker wird, wenn gelogen wird, dass man nicht mehr vertrauen kann, dann könnte das die Lektion dieses Waldes hier in der Kirche sein: beten, sich mit anderen zusammentun und Zuversicht tanken, um etwas gegen die Missstände zu machen.
Anders als kurz vorher noch steht jetzt das Beten an erster Stelle. Herr Rommert, wie stellen Sie sich das mit dem Beten konkret vor? Wenn Sie Gebete für sinnvoll halten: Gehen Sie dann ernsthaft davon aus, dass der Gott, dessen angebliche Existenz, Eigenschaften und Absichten Sie (vermutlich schon im Kindesalter) beigebracht bekommen hatten, seinen allgnädigen Allmachtsplan ändert, wenn Sie ihn darum bitten?
Und falls nicht: Wäre dieser Gott allgnädig zu nennen, wenn er seine Unterstützung davon abhängig macht, ob Sie ihn darum bitten (oder ihm für etwas danken) oder nicht? Aus meiner Sicht sind nicht Gottes Wege unergründlich. Wohl aber die Fähigkeit, wie Christen die Behauptungen ihrer biblisch-christliche Lehre mit ihrem vernünftigen Denken unter einen Hut bekommen.
Fragen über Fragen
Woran können Sie erkennen, dass es tatsächlich der von Ihnen angerufene Gott war, der Sie vor den Wildschweinen im Wald beschützt hat? Oder nicht vielleicht doch das Fliegende Spaghettimonster? Das die Wildschweine mit Seinen nudeligen Anhängseln vertrieben und so von Ihnen ferngehalten hat?
Und wenn Sie das unterscheiden könnten: Woran könnten Sie dann erkennen, dass Ihr Gott dies getan hatte, weil Sie ihm zuvor Ihr Vertrauen ausgeprochen hatten?
Wie hätten Sie Ihren Gott entschuldigt, wenn Ihnen in der Nacht im Wald doch etwas passiert wäre? Was hätte geschehen müssen, um bei Ihnen Zweifel zu wecken? An der Wirksamkeit Ihres Gebetes? Oder an der Existenz des Gottes, an den Sie glauben? Und zu dem Sie beten?
Können Sie sich vorstellen, dass Sie irgendwann mal leise und verstohlen sagen werden: „Mein Gott – das hatte ich mir ja alles nur eingebildet…“? Klar: Bei einem Pfarrer geht es hier nicht nur um die eigene intellektuelle Redlichkeit, sondern auch um die berufliche Existenzgrundlage. Aber wer weiß…
Glück gehabt – einfach so, auch ohne Vertrauen auf Götter
Ist es nicht viel plausibler, dass sich in dieser besagten Nacht einfach nur keine Wildsau für Sie interessiert hat (5 Euro in die Wortspielkasse…)? Und dass Ihnen zum Glück auch sonst halt einfach nichts Gravierendes passiert ist? Zum Beispiel deshalb, weil es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass einem etwas Ernsthaftes zustößt, wenn man hierzulande und heutzutage mal eine Nacht im Wald verbringt?
Wenn Sie sich im Kindes- oder meinetwegen auch noch im Teenageralter bei Angst oder Unsicherheit aus der Realität in Phantasiewelten flüchteten, dann mag das ja noch nachvollziehbar sein. Aber heute, im Erwachsenenalter…!?
Und mehr noch: Anstatt mal (zum Beispiel während eines Waldspazierganges, an der frischen Luft) in sich zu gehen und das eigene Verhältnis zur Wirklichkeit vernünftig und ehrlich zu hinterfragen, halten Sie es offenbar für sinnvoll, diese Realitätsflucht auch noch den Fernsehzuschauern der ARD ans Herz zu legen.
Natürlich sei es selbstverständlich Ihnen selbst überlassen, wie Sie sich ihre Gedanken- und Vorstellungswelt zusammenbasteln. Auf wen oder was Sie persönlich vertrauen.
Aber meinen Sie wirklich, anderen Menschen behilflich zu sein, wenn Sie ihnen empfehlen, ebenfalls auf ein magisches Himmelswesen zu vertrauen? Eines, das sich vergleichsweise primitive Wüstenbewohner in der ausgehenden Bronzezeit ausgedacht hatten? Weil sie es damals offenbar noch nicht besser wussten? Und weil es ihnen auch sicher irgendwie nützlich erschien? Oder zumindest tröstlich?
Selbstvertrauen! statt Vertrauen auf Gebete
Ihren Aufruf, auf vertrauenswürdige Mitmenschen zu vertrauen, kann ich voll unterstützen. Aber wäre es nicht viel sinnvoller und vor allem wirksamer, zusätzlich noch Selbstvertrauen zu propagieren? Statt Menschen vorzugaukeln, es könne sinnvoll und zielführend sein, auf ein imaginäres Götterwesen zu vertrauen?
Immerhin könnten naive und/oder leichtgläubige Menschen denken, Gottvertrauen könne tatsächlich eine sinnvolle Sache sein. Kam ja schließlich im Fernsehen!
Selbst wenn ich spaßeshalber mal für einen Moment außer Acht lasse, dass Götter lediglich in der menschlichen Phantasie existieren: Einen Gott, wie ihn die biblische Mythologie beschreibt, halte ich für alles andere als vertrauenswürdig. Nicht mal innerhalb der biblisch-christlichen Ontologie hätte er mein Vertrauen.
In dem Maß, in dem jemand auf Götter vertraut, gibt er die Verantwortung für das Geschehen an eine vermeintliche höhere, in Wirklichkeit aber nur eingebildete Instanz ab: „Jetzt kann mir nur noch Gott helfen…“ – das sagten auch unzählige bedauernswerte Menschen, die sich bis zur letzten Sekunde unter „helfen“ sicher etwas anderes vorgestellt hatten als offenbar ihr Allmächtiger.
Dass an der Idee: „Vertraue in der Not auf Gott“ irgendetwas faul sein könnte, scheint damals auch der Teenager Rommert zumindest unbewusst wahrgenommen zu haben. Denn sonst hätte er seinerzeit im Wald wahrscheinlich ja nicht „leise und verstohlen“, sondern „voller Überzeugung und aus tiefstem Gottvertrauen“ gebetet. Die Formulierung „verstohlen“ lässt vermuten, dass es ihm vielleicht sogar etwas peinlich gewesen sein könnte. Damals im Wald. So ganz allein, nur mit einem Gott im Kopf…
Obwohl es ja niemals irgendwer hätte erfahren müssen. Nicht mal der liebe Gott.
Vielleicht ist ein Genital-Mal-Workshop ja doch gar keine so schlechte Idee. Götter braucht es dazu nicht. Und ein aus öffentlichen Mitteln im Millionenbereich subventioniertes kirchliches Sommerfest erst recht nicht. Ein bisschen Selbstvertrauen in die eigenen künstlerischen Fähigkeiten genügt für dieses sicher spannende Experiment.
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