Zum Thema Martyrium hatten wir schon einige Artikel auf AWQ veröffentlicht. Abseits des christlichen Mainstreams gibt es auch Ableger, die sogar den Großkirchen selbst suspekt zu sein scheinen. Einer dieser Ableger ist zweifellos gloria.tv.
Darum geht’s
Für Religionsverkünder auf gloria.tv scheint es ganz normal zu sein, dass Kinder mit Märtyrer-Legenden konfrontiert werden und dann den Wunsch äußern, ihr Leben ebenfalls als Märtyrer für Jesus hingeben zu wollen. Eine religiöse Indoktrination, die solche kindlichen Äußerungen zur Folge hat, halten wir für höchst kritikwürdig.
Laut Wikipedia ist gloria.tv eine
- …2005 gegründete und seit 2014 anonym betriebene Website katholisch-traditionalistischer Ausrichtung, die als Videoportal und Internetfernsehen betrieben wird.
Weiter heißt es dort:
- Teile der römisch-katholischen Kirche in Deutschland und der Schweiz haben sich seit dem Jahr 2013 deutlich von dem Portal distanziert beziehungsweise ihre Mitarbeit oder Unterstützung beendet, nachdem dort der Holocaust geleugnet und katholische Bischöfe beschimpft worden waren.
So kann es kaum überraschen, auf dieser Webseite Inhalte zu finden, die sicher nicht dem entsprechen, was die Mainstream-Abteilungen der (in diesem Fall katholischen) Kirche gut heißen oder gar ihrerseits so vertreten würden. Wir befinden uns hier sicher im äußersten Randbereich dessen, was aber der Katholizismus eben auch noch hergibt.
Religiöser Fundamentalismus
Hier scheint sich die kleine Schar derer zu treffen, der ein Mitgliederschwund der Großkirchen praktisch nichts anhaben kann: Religiöse Fundamentalisten. Und dabei möchte man nicht gestört werden: Kritische Beiträge werden samt User sofort gelöscht.
Nun könnte man sagen: Lass sie doch machen. Es gibt ja alle möglichen und unmöglichen Dinge, mit denen sich Menschen befassen. Und die ihnen wichtig sind.
Problematisch, und zwar so richtig problematisch wird es erst dann, wenn sich eine solche Vereinigung, einbildet, ihr Aberglaube legitimiere sie, sich über Recht und Gesetz hinwegsetzen zu können. So klein sie zahlenmäßig auch sein mag.
Aber problematisch und deshalb kritikwürdig kann es auch dann schon werden, wenn noch keine Gesetze gebrochen wurden.
Exemplarisch sei hier ein Videobeitrag auf gloria.tv genannt. Hier bekommt man einen Einblick in eine besonders bizarre Region der katholischen Glaubenswelt. In der ein Menschenleben ganz offensichtlich weniger zählt als der Glaube an einen bronzezeitlichen Wüstengott und dessen unehelichen Sohn.
Besonders erschreckend und bedenklich: Hier geht es (auch) um Kinder. Und um deren geistige Unversehrtheit.
Bereit zum Martyrium?
Unter dem Titel „Bin ich bereit zum Martyrium“ veröffentlicht gloria.tv eine kurze Ansprache eines Kaplans Martin Guggenberger. Aufgenommen am 7. September 2011.
Der 11. September wäre freilich noch passender gewesen für eine religiöse Verkündigung zum Thema Martyrium. Zur Erinnerung an diesen Tag nur einige Jahre zuvor. An dem einige Menschen ihr Martyrium (und damit auch das von rund 3000 weiteren Menschen) vermutlich für das Beste gehalten hatten, was man aus seinem Leben überhaupt nur machen kann.
Aber zurück zum katholischen Martyrium auf gloria.tv:
Die bewegendsten Heiligengeschichten sind für die Kinder oftmals die der Märtyrer. Und da kann es durchaus schon eimal vorkommen, dass ein Kind sagt: „Ja, ich will einmal auch für Jesus als Märtyrer sterben. Ich will auch für ihn mein Leben hingeben.“ (Quelle: Kaplan Martin Guggenberger im Beitrag „Bereit fürs Martyrium?“ via gloria.tv)
Sich hassen lassen, um durch Martyrium selig zu werden – wer’s mag…
Den Rest der Predigt kann man sich mehr oder weniger sparen: Der Herr Kaplan erzählt noch, dass man ein Martyrium nicht selbst aktiv anstreben müsse.
Es genüge schon, alles Leid und Elend, das man im Laufe seines Lebens zu ertragen hat als selig machend zu reframen: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen, ausschließen, beschimpfen, euch in Verruf bringen wegen des Menschensohnes…“
Auch wenn eine solche Weltsicht, ein solcher Umgang mit den eigenen Zeitgnossen natürlich auch eine mehr als kritische Hinterfragung vertragen könnte, soll es hier mal nicht um die Opferrolle gehen, in der sich offenbar religiös-masochistisch veranlagte erwachsene Angehörige katholischer Splittergruppen vermutlich am wohlsten fühlen.
Denn das ist natürlich deren Privatangelegenheit. Sollte es zumindest sein.
Unsere Kritik bezieht sich vielmehr auf die Eltern und andere Erwachsene, die Kindern die Vorstellung einpflanzen, ein Martyrium sei eine grundsätzlich erstrebenswerte Sache.
Berufswunsch: Märtyrer
Was muss einem Kind schon alles erzählt worden sein, wenn es die Absicht äußert, sein Leben für Jesus hingeben zu wollen?
Und was macht es mit Menschen, wenn sie vom Kindesalter an erzählt bekommen, das klag- und widerstandslose Aushalten und Erdulden von Leid sei eine, wenn nicht die höchste Form frommer Tugend? Und zwar mit der Begründung, dass das ein magisches Himmelswesen (bzw. dessen zweites Drittel) so von seinen Anhängern verlange?
Klar: Eine gewisse Resilienz, also ein „dickes Fell“, „Zähne zusammenbeißen“ oder auch mal „Augen zu und durch“ sind Dinge, die Eltern ihren Kindern auch mit auf den Weg geben sollten. Und auch, dass es in bestimmten Situationen angebracht sein kann, sich selbst zurückzunehmen. Mal „zurückzustecken“. Ganz einfach, weil es manchmal klüger und vernünftiger ist.
Aber doch nicht deshalb, weil ihr sadistischer Gott besonderen Gefallen am Leid und an der Unterwerfung empfindungsfähiger Lebewesen hat!
Sollten Kinder nicht vielmehr zu vernünftig denkenden, selbstbewussten und einfühlsamen Persönlichkeiten erzogen werden? Statt ihnen ein Martyrium schmackhaft zu machen? Oder auch nur, ihnen das Erdulden von Leid als frommes Werk zu verkaufen? Als selig machendes Geschenk für ein angeblich sowieso schon allmächtiges Phantasiewesen?
Leiden fürs eigene Seelenheil
Nochmal: Wie sich ein katholischer Kaplan seine eigene magisch-esoterische Vorstellungswelt zusammenphantasiert, ist freilich seine persönliche Privatangelegenheit. Und zwar völlig einerlei, aus welchen Gründen er diese Glaubensgewissheiten hegt.
Oder auch, in welcher Form er seine Selbsterniedrigungs-Phantasien auslebt: Solange wir es mit Erwachsenen zu tun haben und alles im beiderseitigen Einverständnis (oder in diesem Fall eher: in der eigenen Einbildung) geschieht, ist dagegen sicher nichts einzuwenden.
Die Gedanken und auch die vielfältigen Varianten der Lebensführung, der Sinnsuche sind heute und hierzulande freier denn je. Freiheiten, die gegen den erbitterten Widerstand des Christentums erstritten werden mussten.
Ein Fall fürs Jugendamt?
Äußert jedoch ein Kind den Wunsch, auch einmal als Märtyrer für <hier den Namen einer beliebigen göttlichen Phantasiefigur oder einer beliebigen Ideologie einsetzen> sein Leben hingeben zu wollen, dann sollte man eigentlich erwarten, dass sich das Jugendamt mal der Eltern und/oder der Erziehungsberechtigten annimmt.
Auch Verwandte, Freunde, Bekannte oder sonstige Bezugspersonen, die nicht von einer solch menschenverachtenden religiösen Verstrahltheit betroffen sind, sollten ebenfalls hellhörig werden, wenn sie mitbekommen, dass sich Kinder wünschen, zu Märyrern zu werden.
Kritisch hinterfragt werden sollten auch denjenigen, die ihre vermeintliche Autorität dazu missbrauchen, Kinder zu Knechten zu machen.
Erwachsene wie der Kaplan auf gloria,tv, die ein Martyrium – ganz egal ob aktiv angestrebt oder passiv erduldet – offenbar auch Kindern als eine erstrebenswerte Sache empfehlen.
Mein Leserbrief ( natürlich nicht veröffentlicht), auch im weiteren oder engeren Sinne zum Thema:
Leserbrief ( 19.07.19)
zu RZ ( Rhein- Zeitung) 18.07. , Kristina Dunz: AKK zeigt Mut…
Ein wichtiger Aspekt in der Diskussion um die Personalie AKK als Bundesverteidigungsministerin wird tunlichst völlig übersehen oder absichtlich nicht angesprochen:
Hat sie nicht vor kurzem in einem öffentlichen Fernsehinterview auf die Frage, ob sie an ein „ Leben nach dem Tod“ glaubt, voller Überzeugung und mit Inbrunst mit „ Ja“ geantwortet! Diese private Meinung sei ihr unbenommen.
Aber: Warum sollte sie also als Verantwortliche für unser aller Sicherheit und Leben einen todbringenden Krieg- auch auf deutschem Boden- oder einen ebensolchen Kampfeinsatz und den„ Heldentod“ deutscher Soldaten vermeiden! Ich frag nur.
Sie( AKK) und alle anderen Opfer leben ja- im Gegensatz zu mir ( und ein paar anderen), der ich nur über ein einziges, dieses irdische Leben verfüge- weiter.
Und den Eltern der Soldatinnen und Soldaten, deren Kinder in Särgen in die Heimat zurückkehren, kann sie sagen: Seid nicht allzu traurig; die leben ja weiter, und noch besser als vorher. Ich frag nur.
Ist das- mit Verlaub- nicht die gleiche Auffassung und Mentalität, die auch zum Beispiel muslimische Selbstmordattentäter vertreten? Ich frag nur.
Ist es also nicht nur unvernünftig, sondern auch für alle mit nur einem( ! ) Leben, gefährlich, wenn nicht sträflich oder gar strafbar, einer solchen Person die Verantwortung für unsere Sicherheit zu übertragen? Ich frag nur.
Bernd Weiand
Gerbereiweg 6
56269 Dierdorf
02689/ 922894
( Ende des Leserbriefes; jetzt können alle Gläubigen( Christen oder sonstige ) über mich herfallen;
die Mitglieder der Redaktion der RZ können mich weiterhin ignorieren)
Danke für diesen wundervollen Blog. Ob Sie hier auch einmal eine Publikation von Victoria Rationi (Religionspsychologin) aufgreifen könnten – etwa: die Religionsparabel, der nichtreligiöse gute Mensch (sie ist auch ziemlich religionskritisch) …
LG Albert
Vielen Dank für den Tipp, das schauen wir uns gerne mal an!
Danke für den guten Artikel. Es ist völlig richtig, sich mit solchen extremen Gruppen zu befassen, weil hier bestimmte Muster besonders deutlich werden, die man auch bei gemäßigten Gruppen findet. Die Jesus-Geschichte und auch der Pathos eines Martyriums haben eben bestimmte Elemente, für die wir Menschen offenbar empfänglich sind. Die Kinder verstehen ja nichts von Theologie, und doch sind sie über diese Muster beeinflussbar. Das sollte den Erwachsenen zu denken geben, ob sie nicht vielleicht selber auf ein bestimmtes Muster hereingefallen sind, das sich in allen Religionen wiederfindet.
Der Artikel zeigt auch gut, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass „vernünftige Erwachsene“ von selber wissen, wo die Grenze liegt. So scheint es doch auf der Hand zu liegen, dass man Kinder nicht mit derlei Fanatismus impft. Das ist die Welt der Erwachsenen, die sie selbst gewählt haben, aber es ist nicht die Welt der Kinder.
Wer dies als extreme Randerscheinung vom Tisch wischt, der hat nach meiner Meinung zugleich Recht und Unrecht. Unrecht deswegen, weil man die Kraft des Internets hinzurechnen muss. Im Internet steht Kluges und Dummes gleichberechtigt nebeneinander. Der Unterschied ist für die Betrachter oft nicht zu erkennen, wie man am großen Erfolg zahlreicher idiotischer Kampagnen sehen kann (Klima-Leugnung, Verschwörungstheorien gegen Flüchtlinge, usw.). Die Videos von Gloria.tv sind für die Kids ebenso leicht zu erreichen wie die Filme von „Löwenzahn“ mit Peter Lustig. Und die Algorithmen von Youtube und Facebook sorgen dafür, dass sofort ähnlicher Nachschub geliefert wird, wenn man über eins dieser Videos gestolpert ist.
In der breiten Öffentlichkeit ist Religionskritik tabu, deswegen treffen diese Videos meist auf völlig unvorbereitete Betrachter, die nicht erkennen können, warum es reiner Unfug ist. Deswegen ist es wichtig, sich öffentlich damit auseinander zu setzen.