Antisemitismus im Alltag – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 5 Min.

Antisemitismus im Alltag – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Dr. Wolfgang Beck (kath.), veröffentlicht am 19.10.2019 von ARD/daserste.de

Den Anschlag auf eine Synagoge in Halle nimmt Dr. Beck zum Anlass, sich im „Wort zum Sontag“ mit dem Thema Antisemitismus auseinanderzusetzen.

[…] Fast beiläufig wird dann immer wieder auch darauf hingewiesen, dass Menschen jüdischen Glaubens in unserem Land immer wieder Beleidigungen und Anfeindungen bis hin zu Gewalttätigkeiten in Wort und Tat ausgesetzt sind. Es ist unfassbar, dass das offenbar mit einem Achselzucken hingenommen wird.
(Quelle: Antisemitismus im Alltag – Wort zum Sonntag, verkündigt von Dr. Wolfgang Beck (kath.), veröffentlicht am 19.10.2019 von ARD/daserste.de)

Wenn es mit einem Achselzucken hingenommen wird, dann ist das tatsächlich unfassbar.

Obwohl auf das Thema „gegenwärtiger Antisemitismus in Deutschland“ erschreckenderweise gerade in den letzten Jahren wegen entsprechender Vorfälle sehr wohl und nicht nur „fast beiläufig“ hingewiesen werden musste (und auch wurde), scheint es für das „Wort zum Sonntag“ jetzt das erste Mal relevant gewesen zu sein. Eine kurze Recherche lieferte jedenfalls keine frühere Sendung, die sich mit diesem Thema beschäftigt hätte.

Antisemitismus: Was läuft falsch, wenn Synagogen Polizeischutz brauchen?

Nach dem Massaker von Halle wurde die Frage gestellt, warum die Betenden zum Zeitpunkt des Angriffes nicht von der Polizei geschützt worden waren.

Die Frage, die sich mir dabei stellt: Was stimmt in einer Gesellschaft nicht, in der Gebetsräume überhaupt von der Polizei geschützt werden müssen?

Antisemitismus gibt es schon lange. Auch in der evangelischen und katholischen Theologie brauchte es lange Zeit um tiefsitzenden Antisemitismus als Problem sehen zu können.

Eine interessante Formulierung: „…als Problem sehen zu können.“

Genau das ist der Haken an der Theologie: Ihre Grundlage ist eine beliebig auslegbare Schrift, der als „Wort Gottes“ eine übergeordnete Wahrheit zugesprochen wird. In den biblischen Narrativen lässt sich nun praktisch alles Beliebige „erkennen.“ Genauso, wie man aus theologischer Sicht Antisemitismus als Problem sehen kann, kann man auch den Hass auf Juden ohne Weiteres theologisch begründen. Stellvertretend für alle anderen sei hier nur an Martin Luther erinnert.

Das Christentum: Moralisch orientierungslos

Natürlich ist es grundsätzlich sicher positiv zu bewerten, wenn Theologen die christliche Lehre so umdeuten, dass diese mit modernen ethischen Standards zumindest komaptibel erscheint.

Selbst dazu beitragen kann Theologie freilich nichts. Schon allein deshalb, weil ihre Aussagen ja die Anerkennung der biblisch-christlichen Phantasiewirklichkeit voraussetzen würden. Und weil praktisch jede biblisch begründete Aussage problemlos genauso biblisch widerlegt werden kann. Diese Beliebigkeit ist einer der Hauptgründe, warum das Christentum moralisch orientierungslos ist.

Ein weiteres großes Problem, das (hauptsächlich die Buch-)Religionen als Moralquelle unbrauchbar macht, ist das Festhalten an dogmatisch zementierten Glaubensinhalten.

Dass zum Beispiel das Christentum vom Macht- und Unterdrückungsinstrument hin zu einer Friedensbewegung umdefiniert bzw. zweckentfremdet werden kann bedeutet nicht, dass die Lehre dadurch nicht auch weiterhin auch jenen zur Verfügung steht, denen sie perfekt in die Karten spielt, wenn es um zum Beispiel um eine göttliche Rechtfertigung ihrer eigenen, ganz weltlichen Machtansprüche geht.

Buchreligionen stehen sich selbst im Weg

Bei einer Weiterentwicklung stehen sich gerade die Buchreligionen selbst im Weg. Weil sie ja kaum ihre Schriften (oder zumindest Teile davon) tatsächlich für ungültig erklären können. Auch wenn sie das gerne würden.

Beispielsweise einfach nur zu behaupten, das Alte Testament sei durch das Neue Testament aufgehoben worden, funktioniert freilich nicht: Ohne Schöpfung, Gebote, Erbsünde und ohne die vielen Prophezeiungen, die sich im NT dann angeblich – oh Wunder – zu erfüllen scheinen, wäre das NT unbrauchbar. Also muss auch das AT weiter mitgeschleift werden.

Für die einen ist es ein Klotz am Bein. Etwas, das ihnen überwiegend peinlich ist. Und von dem sie sich am liebsten für immer befreien würden. Für die anderen ist es eine schier endlos sprudelnde Quelle an Schilderungen göttlicher Gewalt und Gnadenlosigkeit. Eine Quelle, aus der sie schöpfen, um so den Eindruck zu erwecken, ihr unmenschliches Verhalten sei göttlich legitimiert.

Das hatte ja über viele Jahrhunderte hervorragend funktioniert. Und auch heute noch sind es genau die Regionen der Welt, in denen das Christentum einen Aufschwung erfährt, in denen Machthaber erklären, sie seinen von Gott persönlich gesandt worden.

Geschmacklos-lästerliche Skulpturen an Kirchenportalen

[…] Und die schlimmen Ereignisse stehen eigentlich immer wieder am Ende einer Eskalation, die mit kleinen Schritten beginnen: Hier mal ein schäbiger Witz über Juden. Da mal eine ehrabschneidende Karikatur oder an den Kirchenportalen eine geschmacklos-lästerliche Skulptur.

NächsterHerr Dr. Beck, wer ist denn für die „geschmacklos-lästerlichen“ Skulpturen an Kirchenportalen verantwortlich? Warum finden sich auch heute noch so viele (aktuell 48) an Kirchen in ganz Deutschland?

Wäre es nicht eine hervorragende Chance, die kirchliche Fähigkeit zur Weiterentwicklung unter Beweis zu stellen, diese Skulpturen jetzt aber endlich doch mal zu entfernen?

Oder, noch besser, sie in einem noch zu gründenden Museum zusammentragen, das der Kriminalgeschichte des Christentums gewidmet ist?

Dorthin könnte und sollte dann auch gleich die menschenverachtende Skulptur aus der katholischen Kirche in Reichenbach (Unterfranken) entsorgt werden. Sie könnte dort dann als Mahnmal daran erinnern, was selbst im Jahr 2019 noch in einer katholischen Kirche in Deutschland öffentlich zur Schau gestellt wurde.

Wer sollte wann wen oder was kritisieren dürfen? Und wie?

[…] Besonders gerne wird auch die israelische Politik kommentiert, die man doch angeblich „auch mal kritisieren müsse“. Um es klar zu sagen: Nein, das muss man als Deutscher mit unserer Geschichte nicht! […] Und auch die Kritik an israelischer Politik sollte ich wohl besser anderen Leuten auf dieser Welt überlassen. Sie ist sehr häufig ein Deckmäntelchen für Antisemitismus.

Ich halte Kritik an sich, genauer: Das Recht zur Kritik grundsätzlich für unverzichtbar. Jedoch sollte Kritik inhaltlich bewertet werden. Und nicht danach, wer sie äußert.

Wer Kritik danach beurteilt, von wem sie vorgetragen wird, der agiert ideologisch und nicht sachlich-argumentativ.

Dieses Phänomen ist immer wieder und in letzter Zeit sicher auch verstärkt anzutreffen. Auch als Religionskritiker kann man davon  betroffen sein. Da wird man dann zum Beispiel schnell mal einem bestimmten politischen Lager zugehörig erklärt. Weil dieses ja ebenfalls Religion kritisiere.

Dabei wäre es auch hier erforderlich, sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen. Statt eine Kritik mit dem Scheinargument nicht zuzulassen, dass schon allein die Thematisierung dieses Problemes ja wohl „typisch links“, „typisch rechts/nazi“, „typisch grün/links-grün-versifft“, „typisch kommunistisch“, „typisch faschistisch“ (oder wofür auch immer typisch) sei.

Dass Menschen, die ein bestimmtes Problem ansprechen, womöglich völlig gegensätzliche Standpunkte haben und deshalb auch ganz andere Lösungsansätze verfolgen, geht dabei schnell unter.

Differenzierung ist anstrengender als Pauschalisierung

Aber spätestens bei komplexen Themen ist eine genauere Untersuchung und sachliche Überprüfung der vorgebrachten Kritikpunkte und vor allem der Argumente und der Schlussfolgerungen unerlässlich.

Das gilt sogar für den Umgang mit Populisten aller Art – so schwer sie es einem mitunter auch machen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und so viele andere Standpunkte sie auch vertreten, die weder tolerierbar, geschweige denn akzeptabel sind.

Michael Schmidt-Salomon bringt es zum Beispiel in diesem Interview wie folgt auf den Punkt:

  • [Eine Argumentation] sollte vielmehr rational und unparteilich sein: Die Güte eines Arguments muss unabhängig davon beurteilt werden, wer es äußert.
    (Quelle: Michael Schmidt-Salomon:“Rechtspopulistische Parteien verschärfen die soziale Ungleichheit“, Interview auf sueddeutsche.de vom 29. November 2016)

Probleme, die nur Christen haben

Als Christ habe ich mir eben immer wieder bewusst zu machen, dass wir uns auf Jesus beziehen, der durch und durch als Jude aufgewachsen ist, als Jude gelebt und geglaubt hat. Er verstand sich als Teil des großen Bundes, den Gott mit den Israeliten geschlossen hat, ein Bund, der bis heute gilt. Deshalb stehen wir Christen in der Nachfolge Jesu immer in der zweiten Reihe.

Herr Dr. Beck, unterscheiden Sie eigentlich noch zwischen religiöser Mythologie und irdischer Wirklichkeit? Ist Ihnen bewusst, dass dieser Bund lediglich ein Produkt menschlicher Phantasie ist? Eine hoffnungsvoll erscheinende Wunschvorstellung, eine mythologisierte Einbildung von Menschen, die vor vielen Jahrhunderten gelebt hatten? Und dass es bei Licht betrachtet völlig absurd ist, eine Aussage darüber zu treffen, inwieweit dieser Bund bis heute gelten soll?

Dem gegenüber steht die irdische natürliche Wirklichkeit. Der Bereich, in dem Dinge so sind, wie sie sind, und zwar unabhängig davon, was jemand glaubt, wie sie sind.

Wenn es für Sie von Bedeutung ist, an welcher Position Sie in der Warteschlange vor Ihrem imaginären Freund stehen, dann ist das selbstverständlich Ihre Sache. Solange Sie damit bzw. deshalb nicht die Interessen Ihrer Mitmenschen verletzen, mögen Sie glauben und verehren, was auch immer Ihnen glaub- und verehrungswürdig erscheint.

Aber was versprechen Sie sich davon, das öffentlich-rechtliche Fernsehpublikum an Ihren religiösen Phantasien teilhaben zu lassen?

 

 

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1 Gedanke zu „Antisemitismus im Alltag – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Das Christentum und seine Institutionen haben über viele Jahrhunderte, sogar Jahrtausende hinweg den Hass auf Juden aktiv, systematisch, auf vielen Ebenen und mit großer Hingabe geschürt und in abscheuliches Handeln umgesetzt. Das war und ist kein „Betriebsunfall“ oder Missverständnis, sondern wesentlicher und traditioneller Bestandteil der christlichen Überzeugungswelt. Und jetzt baut sich im WzS ein katholischer Geistlicher vor der Kamera auf und kritisiert diesen Antisemitismus!

    Ich warte jetzt als nächstes auf einen Regionalvorsitzenden des Ku-Klux-Klans, der den leider ziemlich weit verbreiteten Rassismus in seinem Verein bedauert und zum Umdenken aufruft!

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