Modehaus SEVERIN: Am Sonntag geschlossen, weil’s in der Bibel steht

Lesezeit: ~ 7 Min.

Das Würzburger Modehaus SEVERIN informiert seine Kunden mit einer knallroten Zeitungsanzeige auf Seite 1 der Mainpost darüber, warum es am Sonntag geschlossen hat.

Darum geht es

Der bibeltreue Inhaber vom Würzburger Modehaus SEVERIN verkauft entgegen biblischem Gebot Mäntel aus Mischgewebe und ohne Quasten – aber wenigstens nicht am Sonntag.

Dem zeitlichen Kontext ist zu entnehmen, dass es auch diesmal wieder um den so genannten Mantelsonntag geht. Dieser inoffizielle Feiertag erlaubt es Geschäften in bestimmten (überwiegend katholischen) Regionen bis heute, am letzten Oktobersonntag verkaufsoffen zu haben.

Ursprünglich sollte die wochentags hart arbeitende Landbevölkerung durch den Mantelsonntag die Möglichkeit bekommen, sich schnell noch einen neuen Mantel für den Friedhofsbesuch an Allerheiligen zuzulegen.

Die Shoppingtradition hat also durchaus etwas mit dem Christentum zu tun. Wenn auch in der katholischen Ausprägung. Und nicht, wie die Severin-Dynastie, evangelisch.

In Zeiten von 24/7-Onlineshopping, flexiblen Arbeitszeiten und Immerweniger- statt Allerheiligen ist der Mantelsonntag freilich genauso überholt wie die Begründung, warum das Modehaus SEVERIN am Mantelsonntag nicht geöffnet hat:

Modehaus Severin Mantelsonntag
(Quelle: Eigener Scan der Zeitungsanzeige Modehaus SEVERIN, Mainpost vom 25.10.2019, Seite 1)

Modegeschäft Severin – aus biblischen Gründen geschlossen

Das Modehaus SEVERIN („DIE MÄNNER-MODE IN WÜRZBURG – Zwischen Dom und Rathaus“) hat also am Mantelsonntag aus biblischen Gründen geschlossen.

Das ist jetzt nichts wirklich Neues.

Schon 2007 berichtete die Mainpost über den Severinschen Widerstand gegen den Mantelsonntag:

  • Er [Manfred Severin vom gleichnamigen Modegeschäft in der Domstraße in Würzburg, Anm. v. mir] ist konsequent und lässt auch am Mantelsonntag seine Pforten geschlossen. Das kommt seinen Mitarbeitern entgegen, die ihren verdienten Ruhetag genießen können. „Der verkaufsoffene Sonntag verstößt gegen die Zehn Gebote, die besagen, dass der Tag des Herrn zu heiligen ist“, so Severin.
    (Quelle: Mainpost vom 19.7.2007, abgerufen am 25.10.2019: Streit um Einkaufen am Sonntag)

Drei Jahre zuvor war die Situation offenbar noch eine andere gewesen.

„Die Tagespost“ (Motto: „Klarer Kurs, katholischer Journalismus“) berichtete 2004, dass die 10 Gebote zur Not auch mal außer Kraft gesetzt werden können, wenns hart auf hart kommt:

Erst das Fressen, dann die Moral

Damals hatten die Mitarbeiter (!) dringend (sinngemäß) darum gebeten, ihr Chef möge zur Bewältigung der Firmenkrise doch bitte mal auf tatsächlich wirksame Mittel zurückgreifen, statt mit göttlicher Unterstzütung zu rechnen.

Es ging schließlich um den Fortbestand des Modehauses. Und um einen nicht gerade geringen zusätzlichen Umsatz, den die verzweifelten Mitarbeiter an einem verkaufsoffenen Sonntag erwirtschaften können:

  • Erst als in den Jahren 2002 und 2003 bei zweistelligen Umsatzrückgängen die Existenz des Betriebs gefährdet war, entschlossen sich die Severins schweren Herzens, den verkaufsoffenen Sonntag mitzumachen. „Wir haben auf dringende Bitten unserer Mitarbeiter hin unser Haus geöffnet“, betont Manfred Severin.
    (Quelle: Die Tagespost vom 26.6.2004, abgerufen am 25.10.2019: Gott ist ein wichtiger Faktor in der Rechnung)

Obwohl die Severins offenbar ernsthaft davon ausgehen, dass die biblisch-christliche Gottesvorstellung eine reale Größe sei und es womöglich gut mit denen meine, die auf sie vertrauen, wollte man sich in der Krise dann offenbar doch nicht auf die Wirksamkeit von Gebeten verlassen.

Hat’s geklappt? Dann war es Gott!

Für solche Fälle haben Gläubige meist zahlreiche Bewältigungsstrategien parat, mit denen sie darlegen, dass man sich in tatsächlichen Notsituationen natürlich nicht auf göttliche Unterstützung verlassen dürfe.

Geht es dann glimpflich aus oder war die Not doch nicht existentiell, dann behaupten sie freilich gerne auch das genaue Gegenteil. Wie es eben gerade passt.

Dass es beim Männermodehaus SEVERIN inzwischen wieder so gut läuft, dass man es sich wieder leisten kann, auf die Umsätze von verkaufsoffenen Sonntagen zu verzichten ist freilich eine erfreuliche Nachricht.

Nicht zuletzt auch für die Angestellten. Die den Mantelsonntag jetzt zum Beispiel für eine entspannte Shopping-Tour nutzen können. Wenn sie noch ein warmes Mäntelchen für den Friedhof brauchen. Oder was auch immer.

Ethische Grundsätze – aus der Bibel!?

In eben diesem Artikel aus der „Tagespost“ erfährt der Leser mehr über den Umgang im Hause Severin mit der Wirklichkeit:

  • Die Brüder Günter und Manfred Severin verstehen sich als christliche Unternehmer und leiten seit Ende der fünfziger Jahre ihr derzeit knapp fünfzig Mitarbeiter umfassendes Haus mit ethischen Grundsätzen, die sie aus der Bibel gewinnen. […] „Wir rechnen mit Gott und seinem Segen. Wir haben das persönlich erfahren.“ (ebenda)

Wie geradezu lächerlich absurd aber die biblische Begründung dieser Entscheidung ist, wird deutlich, wenn wir uns den Text näher anschauen, aus dem auch die zitierte Bibelstelle stammt.

Da meint also ein Würzburger Unternehmer im Jahre 2019 offenbar allen Ernstes, die Verhaltensregeln eines kleinen Wüstenstammes aus der Bronzezeit seien sinnvolle Maßstäbe oder gar verbindliche Vorgaben für seine betrieblichen Entscheidungen.

Die biblischen Grundsätze setzen die Anerkennung des absurden und unmenschlichen biblisch-christlichen Belohnungs-Bestrafungskonzeptes voraus und basieren auf einer beliebig auslegbaren archaischen Mythen- und Legendensammlung. Als Quelle für moderne ethische Standards ist Religion im Allgemeinen und das biblisch-christliche Glaubenskonstrukt denkbar ungeeignet.

Jetzt wäre es mal interessant zu erfahren, wie ernst Herr Severin die biblische Grundlage seines (vermutlich evangelischen) Glaubens tatsächlich nimmt:

Auf Sonntagsarbeit steht Todesfolterung durch kollektive Steinigung, gebietet der HERR

Das Gebot, den Sonntag exklusiv zur Götterverehrung (und nicht zur Arbeit oder etwa zur beliebigen Freizeitgestaltung!) zu nutzen, ist in der Bibel nämlich nicht etwa nur eine optionale Empfehlung.

Richtet man sich tatsächlich konsequent nach der Bibel, dann sind Menschen, die am Sonntag bei der Arbeit erwischt werden, von der Gemeinde zu Tode zu steinigen:

  • Strafe für eine Sabbatschändung
    Als nun die Israeliten in der Wüste waren, fanden sie einen Mann, der Holz auflas am Sabbattag. Und die ihn dabei gefunden hatten, wie er Holz auflas, brachten ihn zu Mose und Aaron und vor die ganze Gemeinde. Und sie legten ihn gefangen, denn es war nicht klar bestimmt, was man mit ihm tun sollte. Der HERR aber sprach zu Mose: Der Mann soll des Todes sterben; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen draußen vor dem Lager. Da führte die ganze Gemeinde ihn hinaus vor das Lager und steinigte ihn, sodass er starb, wie der HERR dem Mose geboten hatte. (4. Mose 15, 32-36 LUT)

Zumindest diese Anordnung scheint für Herrn Severin und sein Team schon mal nicht zu gelten.

Man hätte sicher davon erfahren, wenn damals, als im bibeltreuen Modehaus SEVERIN aus betrieblichen Gründen mal der Sabbat geschändet werden musste, einige Sonntagsarbeiter (oder die Gebrüder Severin persönlich, Stellvertretertötung hat ja schließlich Tradition in der biblisch-christlichen Mythologie) auf der Würzburger Talavera zu Tode gesteinigt worden wären.

Da bekommt die Bezeichnung „Würzburger Stein“ nochmal eine ganz andere Bedeutung…

Männermode: Nur ohne Mischgewebe, dafür mit Quasten an allen vier Zipfeln!

Andere biblische Anweisungen und Vorschriften sind zwar weniger drastisch. Trotzdem würde es gerade den Betreiber eines Modehauses wohl vor ernsthafte Probleme stellen, wenn er sie denn wirklich beachten würde.

Der gleiche Text, mit dem Herr Severin seinen Verzicht auf den Mantelsonntag begründet, verbietet zum Beispiel auch das Tragen von Mischgewebe. Und er schreibt vor, dass am Mantel aus religiösen Gründen vier Quasten anzubringen sind:

  • Du sollst nicht anziehen ein Kleid, das aus Wolle und Leinen zugleich gemacht ist. (5. Mose 22,11 LUT)
  • Du sollst dir Quasten machen an den vier Zipfeln deines Mantels, mit dem du dich bedeckst (5. Mose 22,12 LUT)

Darüberhinaus gibts gerade im Buch Mose noch eine Fülle weiterer Vorschriften und Gebote, die aus heutiger Sicht schlicht unsinnig und irrelvant sind. Tattoos sind genauso verboten wie der Verzehr von Shrimps. Von den Anweisungen zum richtigen Umgang mit Sklaven und Frauen ganz zu schweigen. Hier kommen dann auch die bibeltreuesten Fundamentalisten schon mal an ihre Grenzen.

Aber zurück zum Mischgewebe und zu den Quasten:

Ist Ihr Sortiment Bibelkonform, Herr Severin?

Nein? Wieso nicht?

Diese Gebote stehen genauso in der Bibel wie das Gebot, den „Tag des Herrn“ zu „heiligen.“ In der Bibel steht nicht, dass manche Stellen für Modehäuser im 21. Jahrhundert noch gelten sollen. Und andere eben nicht.

Herr Severin, woran orientieren Sie sich also dann, um festzustellen, welche Bibelstellen heute noch gelten? Und welche man offenbar getrost und folgenlos ignorieren kann? Ohne dass man von seiner Glaubensgemeinschaft dafür bestraft wird? Oder gleich von lieben Gott persönlich?

Konfrontiert man Bibeltreue Christen mit solchen Fragen, dann haben sie für gewöhnlich auch hier wieder ein buntes Potpourri an Bewältigungsstrategien parat. Die aber letztlich immer verfehlen.

Da heißt es dann, man müsse zum Beispiel die biblischen Speise-, Frisuren- und Bekleidungsvorschriften im zeitlichen Kontext sehen.

Das muss man sicher, keine Frage.

Aber dann müsste man konsequenterweise auch die Aussagen, deren Gültigkeit man heute noch postuliert als das behandeln, was sie sind: Naive Phantasien eines vergleichsweise primitiven Wüstenvolkes der ausgehenden Bronzezeit.

Narrative, die sich Menschen aus Unwissenheit, Angst und Hoffnung und zur einfacheren Führung ihres Stammes ausgedacht hatten. Mythen und Legenden über einen mächtigen, später allmächtigen Kriegs- und Rachegott, der es exklusiv mit ihnen gut meint. Nichts, was für die Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert noch von besonderer Bedeutung wäre.

Religiöse Reklame

Herr Severin könnte sicher auch tatsächlich stichhaltige, gute Gründe nennen, warum er sein Geschäft am Sonntag geschlossen lässt. Sinnvollere und menschlichere Gründe als den Narzissmus eines eifersüchtigen Rachegottes. Mit exklusivem Verehrungsanspruch. Und äußerst fragwürdigen Moralvorstellungen.

Was aber veranlasst den Unternehmer, mit einer sicher nicht gerade billigen Zeitungsanzeige darauf aufmerksam zu machen, dass sein Geschäft am Mantelsonntag nicht geöffnet hat?

Klar: Das ist gar nicht die eigentliche Botschaft. Ginge es um das Geschäft, dann wäre ja nur ein Hinweis auf einen verkaufsoffenen Sonntag sinnvoll.

Es geht nicht um das Geschäft. Sondern um die Religion:

„Seht her, ich bin nicht nur ein (wieder) erfolgreicher Unternehmer! Sondern auch ein bibeltreuer Christ! Und ich kann es mir leisten, mein Faible für die Realitätsflucht in die biblisch-christliche Mythologie, die ich mir nach meinen Wünschen und Vorstellungen zurechtgebogen habe über mein wirtschaftlich-unternehmerisches Geschäftsinteresse (und das meiner Angestellten) zu stellen.“

Das kann man natürlich machen.

Cartoon: Perscheid via hpd
Cartoon: Perscheid via hpd.de

Wahrscheinlich gibt es sogar auch 2019 neben der stetig steigenden Zahl derer, denen es völlig egal ist, ob und vor allem warum das Würzburger Modehaus SEVERIN am Mantelsonntag geöffnet hat oder nicht auch noch irgendwen, der das sicher ganz toll findet. Und der dann eben am Montag zum Einkaufen in die Domstraße strömt.

Konsequenterweise sollte man dann freilich auch zum Beispiel Notärzte nicht zur Sonntagsarbeit anstiften, wenn – Gott bewahre –  der liebe Gott ausgerechnet am Sonntag beschließt, das Gottvertrauen seines Schäfchens durch einen Herzinfarkt auf die Probe zu stellen.

Und wenn es – ebenfalls Gott bewahre – doch mal wieder kritisch werden sollte, dann kann man zur Not ja doch wieder mal die Umsätze eines verkaufsoffenen Sonntages mitnehmen:

Dass Götter in Wirklichkeit in keinem nachweisbaren ursächlichen Zusammenhang mit dem irdischen Geschehen stehen, ist für ihre Anhänger von unschätzbarem Vorteil. Denn nur dank der Nichtexistenz ihres Gottes können sich Christen ihre Wirklichkeit mit biblisch „begründeten“ Behauptungen aller Art so zusammenbasteln, wie sie ihnen gefällt. Weil sich faktisch ja niemals etwas ändert.

Dass man sich damit auch ziemlich lächerlich machen kann, stört Gläubige zumeist nicht. Schließlich sind sie ja überzeugt davon, dass ihr Verständnis und ihre Auslegungen der biblischen Narrative natürlich genau so und nicht anders richtig sind.

Ihr Glaubensverständnis entspricht genau ihren Vorstellungen, Ängsten und Wünschen. Und es erscheint ihnen so schlüssig, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, die Grundlagen ihrer Glaubensgewissheiten mal kritisch zu hinterfragen. Verständlich: Sie wollen sich ja gar nicht ent-täuschen. Sondern glauben.

Dass sie heutzutage den größten Teil der biblischen Gesamtaussage ignorieren und verschweigen müssen, wenn sie nicht als realitätsbefreite religiös-fundamentalistische Spinner gelten möchten, bereitet bibeltreuen Christen für gewöhnlich keine größeren Kopfschmerzen.

Das alles wäre ja völlig harmlos und irrelevant. Ein Fall aus der Kategorie: „Die Gedanken sind frei“.

Wenn die vergleichsweise sicher harmlosen Gläubigen wie die Severins damit nicht eine Ideologie künstlich am Leben erhalten würden, die eben auch religiös-fundamentalistischen Spinner perfekt für ihre unmenschlichen und unethischen Zwecke gebrauchen können.

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