Das Sterbehilfe-Urteil – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Wolfgang Beck, veröffentlicht am 29.1.2020 von ARD/daserste.de
Das Leben eines jeden Menschen ist kostbar. Diese Überzeugung gehört für mich zum Kern menschlicher und christlicher Werte. Deshalb finde ich es richtig, wenn wir Christen ohne Wenn und Aber für den Schutz menschlichen Lebens eintreten und uns auch schützend vor die stellen, bei denen diese gleiche Würde infrage gestellt wird.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Das Sterbehilfe-Urteil – Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Wolfgang Beck, veröffentlicht am 29.1.2020 von ARD/daserste.de)
Menschliche und christliche Werte
Christliche Werte sind Gehorsam, Glaubenszwang und Zucht. Fairness, Menschlichkeit und Toleranz sind die Werte der Aufklärung.
Berufsgläubige verbreiten heute unermüdlich die Legende, die humanistischen Werte seien genuin christlichen Ursprungs. Damit sind sie so erfolgreich, dass selbst heute noch erstaunlich viele Menschen an die Legende von der christlichen Moral glauben. Sogar solche, die mit Religion ansonsten gar nichts am Hut haben. Und natürlich Politiker der c-Parteien.
Mit seinem Einstieg ins Thema suggeriert Herr Beck, dass die menschliche Würde durch das Sterbehilfe-Urteil infrage gestellt würde. Dabei bedient er sich des leicht durchschaubaren rhetorischen Tricks, an dieser Stelle noch gar nicht direkt von Sterbehilfe zu sprechen. Sondern ganz allgemein vom „Schutz menschlichen Lebens.“
Mit einem solchen Allgemeinplatz sichert sich der Fernsehpfarrer zunächst die General-Zustimmung seines Publikums. Das Leben eines jeden Menschen ist kostbar – wer wird dazu schon nein sagen wollen?
Voraussetzungen zur Teilnahme an Debatten zu ethischen und moralischen Fragen
Aus diesem Grund gab es in der Vergangenheit immer wieder heftige Debatten zu ethischen und moralischen Fragen in unserer Gesellschaft.
Natürlich sind auch Christen dazu aufgefordert, sich an dieser Debatte zu beteiligen. Allerdings sollte ihnen bewusst sein, dass die biblisch-christliche Lehre nicht mal die Mindeststandards erfüllt, um ihrerseits als Moralquelle für die Menschheit im 21. Jahrhundert überhaupt nur in Betracht zu kommen.
Vor fünf Jahren fanden die Mitglieder des Bundestags einen tragfähigen Beschluss mit dem Verbot gewerblicher Sterbehilfe.
Wenn ein Beschluss gekippt wird, dann bedeutet das, dass der Beschluss eben nicht tragfähig war. Wäre er tragfähig gwesen, hätte er nicht gekippt werden können.
Kritik aus den großen Kirchen
Deshalb war die Kritik aus den großen Kirchen an der Entscheidung zur Erlaubnis der Sterbehilfe in den letzten Tagen groß.
Damit sind die „großen Kirchen“ ziemlich allein auf weiter Flur, um es biblisch zu formulieren.
Laut dieser fowid-Studie hatten 2016 Dreiviertel der Bundesbürger das Recht auf aktive und passive Sterbehilfe befürwortet. Und laut der YouGov-Studie von 2019 waren 75% der Befragten für passive Sterbehilfe und 69% für die Legalisierung des assistierten Suizids.
Mit dem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird nun also neu darüber zu sprechen sein, wie wir in unserer Gesellschaft mit dem Ende des Lebens umgehen. Der Suizid soll nun zum Recht auf Selbstbestimmung jedes einzelnen Menschen gehören.
Der Suizid gehörte schon immer zum Recht auf Selbstbestimmung jedes einzelnen Menschen. Aussagen wie diese lassen vermuten, dass Herr Beck offenbar nicht wirklich so genau weiß, worüber er hier redet. Denn um eine Rechtmäßigkeit von Suizid im Allgemeinen geht es, zumindest gemäß dem Titel der heutigen Sendung, ja auch gar nicht.
Belastende Aufgabe
Die Hilfe dazu darf also nicht generell verwehrt werden. Und Ärzte stehen künftig vor einer belastenden Aufgabe: Sie sollen nicht mehr nur Schmerzmedikamente verordnen, sondern auch mit dem Bereitstellen des tödlichen Giftes das Sterben ermöglichen.
Sie sollen dies legal tun dürfen.
Die Frage, wie belastend die Situation für die Ärzte war, die in der Vergangenheit gerne straffrei und legal Sterbehilfe geleistet hätten, und natürlich auch für die Menschen, denen bewusst war, in welche Situation sie ihren behandelnden Arzt durch ihre Bitte um Unterstützung beim selbstbestimmten und würdevollen Sterben bringen würden, stellt Herr Beck sich und seinem Publikum freilich nicht.
Die Methode, aus der Option der selbstbestimmten Sterbehilfe eine Verpflichtung zu konstruieren, ist immer wieder anzutreffen, wenn sich Gegner dieser höchstpersönlichen Entscheidungsfreiheit zu diesem Thema äußern.
Es geht um Leben und Tod
Aber welche Kriterien sollen für einen berechtigten Suizid-Wunsch gelten? Muss es eine unheilbare Krankheit sein oder genügt das subjektive Empfinden? Gibt es eine Altersgrenze? Wie ist es mit den Menschen, die unter psychischen Krankheiten leiden? Oder soll ganz einfach der persönliche Wunsch ausreichen, weil das Sterben als reine Privatsache angesehen wird? Schwerwiegende Fragen.
Keine Frage: Bei diesen Fragen geht es im wahrsten Wortsinn um Leben und Tod. Es ist Sache der Menschen, auszuhandeln und festzulegen, wie diese Fragen im Einzelnen zu beantworten sind.
Zur Entwicklung ethischer und auch rechtlicher Standards bedarf es einer soliden Wertegrundlage, die als verbindlich und allgemeingültig erklärt werden kann. Schon allein deshalb scheiden Religionen als eine solche Grundlage aus. Denn sie setzen ja den Glauben an das jeweils behauptete imaginäre magische Überwesen voraus. Außerdem mangelt es ihnen an einer verbindlichen Grundlage, von der man klare und eindeutige Aussagen ableiten könnte.
Ja hoffentlich!
An ihnen wird deutlich, dass mit dem Urteil von Karlsruhe die Diskussionen um die einzelnen Regelungen erst beginnen werden.
Ja hoffentlich! Eine unaufgeregte, enttabuisierte, vernünftige Diskussion auf der Grundlage von ethischen und humanistischen Aspekten ist auch in diesem Bereich längst überfällig.
Denn bisher war eine solche Debatte zumeist unterbunden worden. Hauptsächlich durch Leute, die mit der Realität ähnlich umgehen wie Herr Beck:
Ich hätte mir gewünscht, dass es bei dem klaren Nein geblieben wäre – auch weil ich heute selbst nicht weiß, wie ich mit schweren Schmerzen und Krankheit denken und fühlen werde.
Das muss man sich mal gedanklich auf der Zunge zergehen lassen: Weil es Herrn Beck offenbar zu anstrengend ist, sich mit ethischen Fragen auseinanderzusetzen, wäre ihm ein (mit absurder Wüstenmythologie begründetes) Verbot lieber gewesen.
Trotz mehrfachen Lesens erschließt sich mir der Sinn dieser Argumentation nicht. Gerade, wenn ich doch beginne, über mein eigenes mögliches Schicksal nachzudenken, dann sollte es doch in meinem Interesse sein, mir einen Standpunkt zu diesen Fragen zu entwickeln. Statt mir zu wünschen, dass es bei dem klaren Nein geblieben wäre. (Ein Nein, das, nebenbei bemerkt, dann doch gar nicht so klar war wie hier behauptet…)
Was ist eine solche Aussage anderes als ein intellektueller Offenbarungseid?
Wenn Kirchen „Fehlentwicklungen“ anprangern…
Es wird in dieser Situation nun auch für die Kirchen anspruchsvoller: Einerseits warnen sie vor weiteren Fehlentwicklungen. Dafür braucht es nicht viel Fantasie, wenn der Suizid eben doch die günstige Alternative zur teuren Palliativmedizin und anspruchsvollen Sterbebegleitung wird.
Die katholische Kirche ist nun wahrlich nicht in der Position, vor irgendetwas zu warnen, außer vor sich selbst. Wer mit Wesen aus der magisch-esoterischen Phantasiewelt zu ethischen Debatten antritt, der kann nicht erwarten, als Gesprächspartner ernst genommen zu werden.
Dass Herr Beck wieder nicht zwischen Suizid und Sterbehilfe unterscheidet lässt auch hier wieder vermuten, dass er nicht wirklich weiß, worüber er spricht. Dass ihm ein (mit so absurden Argumentationen wie etwa der einer angeblichen Gottesebenbildlichkeit oder des Leidens als fromme Tugend begründetes) Verbot lieber gewesen wäre als eine differenzierte und sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema, hatte er gerade ja schon eingeräumt.
Auf den Aspekt, dass es für die Kirchen deshalb anspruchsvoller werden könnte, weil sie als Anbieter von teurer Palliativmedizin und anspruchsvoller Sterbebegleitung auch in diesem Geschäftsbereich einen Rückgang der Nachfrage zu befürchten haben, wollte Herr Beck mit diesem Statement vermutlich nicht anspielen.
…wenn ihr das möchtet
Und es wird anspruchsvoller auch gegenüber den schwerkranken und sterbenden Menschen deutlich zu signalisieren: Wir begleiten Euch in der Seelsorge und in der Pflege, wenn ihr das möchtet – selbst dann, wenn die Art Eures Lebensendes nicht unsere Zustimmung findet.
Es wird euch wohl nichts anderes übrig bleiben, wenn ihr auch in Zukunft im Sozialbereich mitverdienen (und natürlich immer auch noch, wenn möglich, ein bisschen herummissionieren) wollt. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass eine deutliche Mehrheit hierzulande selbstbestimmtes Sterben in Würde befürwortet und dieses Recht auch für sich einfordert.
Auch kirchliche Einrichtungen haben in den letzten Jahren den Ausbau der Sterbebegleitung in Hospizen und der Palliativmedizin sehr stark unterstützt.
Das mag sein, allerdings ist bei solchen Behauptungen immer ein genauerer Blick angebracht. Allzu gern schmücken sich die Kirchen mit fremden Federn. Hier wäre jetzt zu recherchieren, wie groß der Anteil des Aufwandes für soziales Engagement der Kirchen ist, der tatsächlich aus eigenen Mitteln stammt. Denn die allermeisten kirchlichen Einrichtungen werden zum allergrößten Teil staatlich finanziert. Aber eine Vertiefung dieses Themas würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen.
Sterben ist Privatsache. Punkt.
Sie müssen nun auch den Spagat vollbringen, einerseits eine klare Haltung gegen den Suizid als eine Form der Selbstbestimmung auszudrücken und andererseits einfühlsam diese Menschen in der Pflege, in Hospizen und in der Seelsorge zu begleiten. Einerseits also eine klare Position gegen die Selbsttötung. Andererseits das deutliche Signal an alle, die in Krankheiten und Schmerzen zu verzweifeln drohen: wir begleiten euch in der Pflege und in den Hospizen, in der Palliativmedizin und in der Seelsorge. Wir begleiten euch auch dann, wenn ihr eine Entscheidung für eine Selbsttötung trefft, die wir nicht gutheißen können.
Sicher wird es auch in Zukunft noch Menschen geben, die für sich selbst die Option, ihr Leben unter bestimmten Bedingungen selbst zu beenden kategorisch ausschließen. Und dabei ist es völlig egal, ob sie sich aus religiösen oder aus welchen Gründen auch immer so entscheiden. Sterben ist Privatsache.
Herr Beck, Suizid war und ist schon immer eine Form der Selbstbestimmung.
Beim Thema Sterbehilfe geht es primär nicht um die Selbsttötung an sich. Sondern darum, dass die, im Juristendeutsch als „gewerbsmäßig“ bezeichnete Unterstützung bei einer würdevollen, selbstbestimmten Beendigung des eigenen Lebens legal zu sein hat.
Selbsttötung und Sterbehilfe
Wenn es Ihnen in Ihrer heutigen Fernsehpredigt um eine ethisch-moralische Bewertung der Selbsttötung geht, dann haben Sie wohl die falsche Überschrift gewählt. Und wenn es tatsächlich um Sterbehilfe gehen soll, dann wäre Ihr Beitrag zum Thema Suizid eine Themaverfehlung.
Der geradezu gebetsmühlenartige Hinweis auf die Leistungsfähigkeit moderner Palliativ-Versorgung verfehlt regelmäßig. Trotz aller Fortschritte kann auch die modernste Palliativversorgung eine vollkommene Schmerzfreiheit in einem Bewusstseinszustand, der noch ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht nicht garantieren.
Wer es – aus welchen Gründen auch immer – vorzieht, sein Leben bis zum letzten Moment selbst dann noch zu erleiden, wenn dies nur noch im (dann hoffentlich bis zur Bewusstlosigkeit) sediertem Zustand erträglich ist, der findet hier genauso das passende Angebot wie der, der professionelle Pflege und psychologische Betreuung bis zum Schluss bewusst wahrnimmt und dann sicher auch zu schätzen weiß. Ob mit oder ohne Rosenkranz.
Angebot und Nachfrage
Inwieweit sich kirchliche Palliativmedizin und Sterbebegleitung damit arrangieren muss, dass Menschen jetzt zum Glück ihr Recht auf ein würdevolles, selbstbestimmtes Lebensende zurückbekommen haben, hängt vermutlich hauptsächlich davon ab, wie lange es sich kirchliche Einrichtungen noch leisten können, auf den schon jetzt überwältigend großen Anteil an potentiellen Kunden zu verzichten, die genau dieses Recht für sich einfordern.
Dass die biblisch-christliche Mythologie und die darauf basierende Glaubenslehre immer weniger mit er Lebenswirklichkeit von immer mehr Menschen zu tun hat, dürfte der Kirche auch in diesem Bereich immer mehr zum Verhängnis werden.
Keine Frage: Ein komplexes Thema wie das der Sterbehilfe erfordert eine gewissenhafte und differenzierte Betrachtung und Debatte. Wenn man aber die Würde und Freiheit des Menschen als oberste Werte ansetzt, dann kommt man nicht umhin, diese Debatte zu führen. Auch wenn das anstrengender sein mag als ein: „Der liebe Gott hats verboten.“
Kein Paradox: Sterbehilfe ist Lebenshilfe
Zum Abschluss sei noch auf einen ganz wichtigen Aspekt hingewiesen, der von Sterbehilfe-Gegnern gerne verschwiegen wird:
Selbst für Menschen, die nie in die Situation kommen, ihr Leben tatsächlich selbst (alleine oder mit fachlicher Assistenz) zu beenden, kann allein schon die Gewissheit, dies jederzeit tun zu können ungemein beruhigend und erleichternd sein. Somit kann schon nur das Wissen um die Option eines selbstbestimmten, würdevollen Lebensendes maßgeblich dazu beitragen, die Lebensqualität zu verbessern.
Weiterlesen
- letzte-hilfe.de: Mein Ende gehört mir
- Broschüre: Letzte Hilfe (PDF)
- Beiträge zum Stichwort palliativ auf AWQ.DE…
Danke für dieses gewichtige WzWzS!
Ich wollte schon einen dicken Kommentar schreiben, da taucht es *doch* noch auf, im letzten Absatz, dieses mE verdammt schwerwiegende (ge)wichtige Argument!
Ja, auch ich denke, und für mich wäre es und wird es sein: Die zweifellos wichtigste Entlastung, Beruhigung uvm, daß ich mich im Fall des Falles (wenn ich darauf angewiesen bin) darauf verlassen kann, eben nicht jämmerlich und unter Verlust meiner Würde vor mich hin verrecken muß, sondern im Vertrauen auf diese Option gelassen bleiben kann; höchstwahrscheinlich länger als ohne diese Option.
Das gilt mE insbesondere für die sog. Bilanz-Suizide. Die dürften dann mE -entgegen der Befürchtungen der Gegner- weniger werden u/o später in Anspruch genommen werden.
Und zualleroberst: Diese Option ist ein Recht!, keine Pflicht!
BTW: Diese WzS wären zum Brüllen komisch, würde dieses Theolügen-Gefasel nicht von so vielen Leuten tatsächlich ernst genommen würde!