Das Virus, die Fundamentalisten und die moderne „Religion light“: Glaube fressen Denken auf

Lesezeit: ~ 6 Min.

Gastbeitrag von Rainer Schreiber: Das Virus, die Fundamentalisten und die moderne „Religion light“: Glaube fressen Denken auf

corona kircheZeiten der Krise sind immer auch Zeiten, in denen Verschwörungstheorien, Weltuntergangsvisionen und ideologischer Unsinn aller Art aufzublühen beginnen.

Dabei bemühen sich die Religiösen, ihren historisch verbürgten Spitzenplatz auf dem Jahrmarkt magischer Sinnstiftungen und abwegiger Erklärungen zu sichern: Die einen, gerne „Fundamentalisten“ oder „Hardliner“ genannt, frohlocken, sie hätten es ja schon immer gesagt, dass ihr jeweiliger Gott – es gibt da ja je nach Zufall der Geburt und Geschmack ein breites Angebot – das böse Treiben der Menschheit bestrafen werde. Warum das Virus allerdings nun beispielsweise diesen Menschen um die Ecke bringt, jenen hingegen ungeschoren davon kommen lässt, können sie, im Unterschied zur Wissenschaft, nicht einmal mit begründeten Wahrscheinlichkeiten beziffern, sondern nur im Nachhinein behaupten: Der, der bestraft wurde, wird es schon verdient haben, was ja allein schon der Tod, also seine Bestrafung zeigt! Da der Glaube der Sache nach mit der Vernunft seit jeher auf Kriegsfuß steht, hat er sich vom Nachweis zirkulärer Beweisführung noch nie beeindrucken lassen. Das war Gott, basta!

Magische Rituale als vermeintlicher Schutz gegen die neue Seuche

Weltweit finden sich zudem quer über alle Bekenntnisse hinweg Leute, die glauben, ihr Gott und die für seine Beeinflussung eingerichteten magischen Rituale, von extra dazu ermächtigten bis auserwählten himmlischen Kontaktvermittlern, sogenannten Pfarrern, Imamen, Rabbis, Lamas und Schamanen aller Art ausgeführt, könnten ihnen Schutz gegen die neue Seuche bieten. Dabei werden zweckmäßige Vorsichtsmaßnahmen und medizinisch gebotene Anweisungen nicht selten in einem gemeingefährlichen Maße ignoriert, wodurch sich zeigt, wie schnell Religion nicht nur wissensfern, sondern auch gesundheitsschädlich sein kann. Beispielsweise beim Abendmahl der griechisch-orthodoxen Kirche aus dem gleichen Kelch trinken und dem Virus damit traumhafte Verbreitungschancen eröffnen: Unsinn! Es handelt sich schließlich um das Blut Jesu Christi und das kann per definitionem nicht ansteckend sein! Ohne ein Machtwort der Staatsgewalt findet derart lebensgefährliches Treiben daher auch kein Ende.

Corona ist keine Strafe Gottes! – sind Sie da sicher, Herr Bedford-Strohm?

Die aufgeklärten Vertreter der „Religion-light„-Variante, die der moderne bürgerliche Staat im Zuge der „Aufklärung“ seinen Kirchen als neues Rollenmodell und geförderte Existenzbedingung vorgeschrieben hat, lächeln da nur überlegen: Sooo wörtlich darf man das alles nicht nehmen; sie wissen nämlich: „Corona ist keine Strafe Gottes!“, wie z.B. der ev. Landesbischof Bedford-Strohm – stellvertretend für viele – betont. Man möchte dann sofort fragen: Woher weiß er das eigentlich? Direkter Draht zum Allerhöchsten? Bedford-Strohm twittert ja z.B. gern und zeigt sich als in den Neuen Medien zuhause, ganz ausgeschlossen scheint das von daher nicht zu sein… Aber wenn es nur eine Vermutung ist: Was bewegt den jeweiligen Gott stattdessen? Führt er einen Großversuch, ein Experiment durch? Wird ein bewährtes Unterhaltungsangebot für die himmlischen Heerscharen wieder aufgelegt?

Theodizee…

Denn, nun mal ganz im Ernst: Wenn er, der Gott, gar nichts mit der Sache zu tun hat: Ist er dann überhaupt allmächtig? Wenn er aber doch allmächtig ist – warum verhindert er den ganzen Wahnsinn nicht? Ein Gott, der nichts bewirken will oder kann, ist entweder ein bösartiger Zyniker (erster Fall) oder bestenfalls ein machtloser Untergott, so eine Art weisungsgebundener Sachbearbeiter (zweiter Fall). Aber ein machtloser Gott ist verzichtbar; für eine derart handlungsunfähige Figur kann man sich die über Generationen hinweg ausgetüftelten Beeinflussungsrituale, vom Gebet über das Opfer bis zur Dankprozession, einfach schenken, da sie dann sowieso nutzlos sind.

Argumente übrigens, wie sie schon die alten Griechen vor etwa zweieinhalbtausend Jahren formuliert haben. Der christliche Apologet Lactantius (250-317) fasst diese „Theodizee“ genannte, wahrscheinlich auf die sophistische Philosophie zurückgehende Argumentation prägnant zusammen:

Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht:
Dann ist Gott schwach, was auf ihn nicht zutrifft
Oder er kann es und will es nicht:
Dann ist Gott missgünstig, was ihm fremd ist
Oder er will es nicht und kann es nicht:
Dann ist er schwach und missgünstig zugleich, also nicht Gott,
Oder er will es und kann es, was allein für Gott ziemt:
Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht hinweg?

…tut Christen nicht weh

Aber das ficht gerade moderne Gläubige nicht an, die sich ihren Glauben längst so verpsychologisiert haben, dass er nur noch als verquaste Gemeinschaftsideologie mit Freizeitprogramm und sedierendem Sinnangebot herüberkommt: Man spricht in seiner Einbildung mit einer anthropozentrisch personalisierten Macht, einer vorgestellt allwissenden – das mit dem allmächtig hatten wir ja gerade – Vaterfigur, die doch stark an Sigmund Freuds Bild von einem „Über-Ich“ gemahnt, dann aber praktischerweise oft lieber mit dem Staat als höherer Instanz identifiziert wird, dem ein guter Christ zu gehorchen hat, solange er seinen moralischen Maßstäben zu entsprechen schient. Da es hier Auslegungsspielraum gibt, kommt bisweilen auch religiöse Opposition zustande; natürlich bevorzugt in Staaten, die ihre Gewalttaten nicht religiös verbrämen.

Göttliche Guidance

Dazu passt auch, dass die Lutheraner und die ihnen nachfolgenden evangelikalen Sekten ihr Verhältnis zu Gott im Kontrast zum Katholizismus genau auf diese Weise bestimmt haben: Als individuelle, geradezu intime Beziehung zu einem vorgestellten, dem Menschen nachgebauten Subjekt, zu dem man betet und das man damit um Rat und Hilfe, moderner: Guidance bittet – wobei sich der Rat, wenn er sich innerhalb der eigenen Vorstellungswelt einstellen sollte, als „innere Stimme“ als selbstentfremdete eigene Überlegung erweist, da weit und breit kein Gott wahrzunehmen, sinnlich zu erfahren ist.

Gut, auch Kategorien und Abstraktionen der Wissenschaft sind nicht unmittelbar zu sehen – selbst die Abstraktion „Baum“ existiert so nicht, sondern kennzeichnet die Gemeinsamkeit unzähliger verschiedener, wirklicher Pappeln, Gummibäume, Eichen, Kiefern usw.. Die Wahrheit wissenschaftlicher Abstraktionen erweist sich jedoch daran, dass eine Theorie nachweislich empirische, wirklich existente Phänomene erklärt: So bestätigte z.B. das Auffinden des legendären „Higgs-Bosom„, eines Elementarteilchens, vor einigen Jahren das bisher der Physik zugrundegelegte Atommodell: Die Physiker prognostizierten die Notwendigkeit der Existenz dieses Teilchens, sollte ihr Atommodell richtig sein. Wäre das Teilchen nicht in absehbarer Zeit gefunden worden, wären Zweifel an der Wahrheit des herrschenden Modells angesagt gewesen. Auch hier sind empirische Phänomene und die theoretische Modellierung ihres inneren Zusammenhangs durch das nachweisliche „Zusammenpassen“ beider verbunden.

Religionen: Nichts prognostizieren, nichts erklären, nichts beweisen

Gläubige dagegen können mit ihrer Religion nichts prognostizieren, nichts erklären, nichts beweisen; das ficht sie aber nicht an, da sie ihren Übervater, der allen astrophysikalischen, biologischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen der letzten 200 Jahre, werden diese ernst genommen, Hohn spricht – das zeigt z.B. der Naturwissenschaftler Richard Dawkins recht schön, weshalb er so massiv angefeindet wird -, als Akt einer puren Behauptung jenseits allen vernünftigen Argumentierens, als „Glaube“ euphemistisch ins Recht gesetzt, aufgestellt wissen wollen.

Ein ubiquitäres Prinzip, das auch jenseits der Religion gute Dienste zu leisten vermag: In diversen Ländern sprengen derzeit wildgewordene Bürger 5G-Masten weg, um die von diesen angeblich ausgehende Durchseuchung mit Coronaviren zu unterbinden. Ein absurder Scherz bzw. eine bildungsferne Verrücktheit für alle, die von der prinzipiellen Differenz zwischen „Computerviren“, die wegen ihres analog der Natur wahrgenommenen Verbreitungsmodus metaphorisch so genannt werden, und den Viren der biologischen Welt wissen. Verschwörungstheorien bemühen das gleiche Prinzip wie die Religionen: Glauben, Behauptungen über Zusammenhänge, die gerade wegen ihres unbegründeten Charakters gegen jedes sachliche Argument immun sind. Daher feiern auch im 21. Jahrhundert Theorien zur Scheibenform der Erde oder der Herrschaft von reptiloiden Aliens fröhliche Urständ.

Religiöses Denken ist bar jeder Rationalität.

Nicht ohne Grund sind alle Versuche, die Existenz eines Gottes zu beweisen, gescheitert, da es sich eben um ein unsinniges Unterfangen handelt: Man kann keine Existenzbeweise führen – die Existenz eines Dings ist bestenfalls der Ausgangspunkt für Fragestellungen, die zu Erklärungen bezüglich seiner Beschaffenheit, Funktion, seinem Verhältnis zu anderen Dingen oder was auch immer führen; seine Existenz ist somit die gegebene Grundvoraussetzung für alle Nachforschungen und Rätsel, die sich um seinen Charakter ranken mögen. Der dagegen von Joseph A. Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI. vorgebrachte Einwand, man könne aber auch nicht beweisen, dass es keinen Gott gibt, ist wissenschaftstheoretisch hanebüchen und sollte, als Argument präsentiert, schon im allerersten Philosophieseminar des Studiums zu Stirnrunzeln führen: Man kann die Nichtexistenz von etwas nicht beweisen, da dieses etwas eben – nicht existent ist! Wie will man beweisen, dass z.B. keine Einhörner existieren?! Wer daraus nun ein Argument für Einhörner verfertigt und deren Existenz penetrant verkündet, riskiert mindestens einen vorsichtigen Hinweis auf psychiatrische Therapieangebote – bei Einhörnern gelten gesellschaftspolitisch andere Maßsstäbe als bei Göttern, denen sogar unter Beteiligung der Bundeskanzlerin offiziell gehuldigt wird.

Was bleibt…?

Mal alle Ironie beiseite: Was bleibt dann von einer Religion, die ihren ursprünglichen Erklärungs- und Sinngebungswert für Mitglieder vorwissenschaftlicher Zivilisationen, die sich, jenseits gesicherter Naturerkenntnis angesiedelt, dennoch wie alle Menschen einen Reim auf für sie so unerklärliche wie gefährliche Naturphänomene machen wollten, eingebüsst hat? Wie schon angedeutet: Sie bietet neben der Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die sich wie alle in geschlossenen Gedankengebäuden Eingehausten gegenseitig in ihren Auffassungen bestätigen, Trost und Hoffnung jenseits der Beunruhigungen, Risiken des Denkens; sie propagiert bezüglich der Herausforderungen einer so erratischen wie gefahrvollen Welt die denkbar einfachste, kindliche Lösung, nämlich auf einen Übervater zu vertrauen, der es schon richten wird, wenn man seine Gebote erfüllt – wobei der moderne Gläubige natürlich weiß, dass er wie im bürgerlichen Wirtschaftsleben auch zuallererst selbst gefordert ist; aber wenn er sich anstrengt, dann zeigt sich ihm nicht zuletzt in seinem Erfolg Gottes Zuwendung und Gnade.

Archaische Gleichnisse

Wer jetzt einwendet, das sei ja in den Heiligen Schriften von Gott alles nur symbolisch, sozusagen „pädagogisch“ trickreich formuliert bis metaphorisch gemeint, der möge sich darauf hinweisen lassen, dass es nicht den geringsten Anlass für die Vermutung gibt, Gott lasse die Hirten- und Kriegervölker in den ihm zugeordneten Geschichten zu Schwertern greifen, fordere sie zum Menschenopfer des eigenen Sohns auf, um sich dann mit der unterwürfigen Bereitschaft dazu zufrieden zu geben, setze Gebote im Gewande archaischer Verhältnisse in die Welt usw. usf., um beispielsweise Religionslehrer des 21. Jahrhunderts dadurch von seiner Existenz zu überzeugen, dass er all dies trickreich als symbolische Rätsel für postmoderne Literaturwissenschaftler konstruiert hat: Warum gerade im Rahmen archaischer Gleichnisse? Da kommen einem ja die Fundamentalisten noch klüger, da konsistenter vor. Denn so sehen nur Götter aus, die sich die Menschen vor ein paar tausend Jahren ausgedacht haben.

– Rainer Schreiber

Weitere Beiträge zum Thema Religion und Corona

  • heise.de: Pandemie und Pantomime
    Kommentar von Marcus Hammerschmitt über das Versagen der Religion in der Corona-Krise, 13. April 2020
  • spiegel.de: Gebete gegen das Virus – Heilige Corona, hilf!
    Jens Glüsing, Katrin Kuntz und Katharina Graça Peters Rio de Janeiro, Hamburg und Seoul, 27.03.2020
  • taz.de: Coronavirus in Russland: Gottesmutter im Autokorso
    Klaus-Helge Donath, 15.04.2020
  • mdr.de: Theologische Debatte: „Corona ist keine Strafe Gottes“
    Michael Hollenbach, 22. März 2020

 

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2 Gedanken zu „Das Virus, die Fundamentalisten und die moderne „Religion light“: Glaube fressen Denken auf“

  1. Durch das Vertrauen in die Liebe Jesu und sein Wort, wurde ich psychisch geheilt von den traumatischen Folgen von Mißbrauch, und den dadurch entstandenen schweren Depressionen und Ängsten, und von Schizophrenie. Ich erlebe täglich Gottes sanftes Reden, seine Hilfe bei selbst kleinen alltäglichen Problemen, habe sehr tiefe wertvolle Freundschaften mit Menschen, die Sein Herz kennen, erlebe durch seinen Geist sehr persönlichen Trost, Ermuti-gung und Geborgenheit. Haben Sie da für mich eine Alternative oder ein besseres Angebot? Haben Sie einen besseren Freund? Der hat sich bei mir noch nicht gemeldet … Ich wünsche Ihnen alles Liebe! Ich werde gerne für Sie beten

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    • Hallo Nicole, wir freuen uns, dass es dir wieder besser geht und wünschen dir auch weiterhin alles Gute! Nein, wir haben keinen besseren Freund für dich im Angebot.

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