Kommentar zu NACHGEDACHT (72) Es könnte alles anders sein

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Kommentar zu NACHGEDACHT (72) Es könnte alles anders sein, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 18.5.2014 von Osthessennews

Ist so eine Denkweise [gemeint ist der „Butterfly effect“] nicht Wahnsinn? Es ist spannend, aber auch beängstigend. Wenn jede kleinste Sache in meinem Leben – jede kleinste Veränderung, Folgen hat – und diese sind nicht abzusehen. Das bedeutet doch pure Ohnmacht.*

Beim Butterfly Effect handelt es sich genaugenommen nicht um eine Denkweise, sondern, wie der Name schon nahe legt, um die Veranschaulichung eines tatsächlich vorhandenen Effekts.

Wikipedia: Als Schmetterlingseffekt (englisch butterfly effect) bezeichnet man den Effekt, dass in komplexen, nichtlinearen dynamischen, deterministischen Systemen eine große Empfindlichkeit auf kleine Abweichungen in den Anfangsbedingungen besteht. Geringfügig veränderte Anfangsbedingungen können im langfristigen Verlauf zu einer völlig anderen Entwicklung führen.

Auch zum Beispiel in der fraktalen Geometrie trifft man auf diese „Empfindlichkeit auf kleine Abweichungen in den Anfangesbedingungen.“ Ein unvorstellbar faszinierendes und spannendes Gebiet, auch für Menschen, die mit Geometrie und Mathematik sonst nichts am Hut haben!

Die Erkenntnis, dass alles, was passiert, die Folge von etwas ist, was dieses Ereignis verursacht hat, kann tatsächlich weitreichende Folgen haben. „Pure Ohnmacht“ braucht man aber nicht zu befürchten. Unser Gehirn versteht es exzellent, uns diese unvorstellbar „komplexe, nichtlinear dynamische, deterministische“ Welt so darzustellen, dass wir uns eben nicht ohnmächtig fühlen müssen. Die Tatsache, dass wir die wirkliche Komplexität der Zusammenhänge nicht erfassen können, spielt für unseren Alltag auch meist eine eher untergeordnete Rolle. Unser Hirn filtert, gewichtet, und speichert unsere Wahrnehmungen und verknüpft sie mit schon vorhandenem Wissen, sodass wir gute Chancen haben, unseren Alltag trotz der Komplexität zu bewältigen.

Allerdings hilft diese Erkenntnis dabei, sich von verschiedenen Denkweisen zu verabschieden, die tatsächlich nur Denkweisen sind und von denen wir heute wissen, dass sie unsere natürliche Wirklichkeit nicht richtig beschreiben. Das hängt damit zusammen, dass zu der Zeit, aus der diese Denkweisen stammen, zum Beispiel der Determinismus noch lange nicht bekannt war.

Man kann den Menschen, die sich damals das Geschehen um sie herum einfach nicht erklären konnten und die sich deshalb einen göttlichen Einfluss ausdachten, keinen Vorwurf machen. Es war ein Versuch, mit der damals noch nicht erklärbaren Funktionsweise der Welt zu Rande zu kommen. Anders sieht es bei Menschen aus, die auch heute noch, gegen besseres Wissen und gegen jede Vernunft, an diesen vormittelalterlichen Ideen festhalten.

Alles, was passiert, ist die Folge von Ursachen, die dazu geführt haben. Das bedeutet (vereinfacht) der Begriff „Determinismus“ und das ist die natürliche „Mechanik“ hinter allem, was geschieht. Diese Erkenntnis ist wesentlich eleganter, schlanker, naheliegender und einleuchtender als jeder angebliche übernatürliche, göttliche Einfluss.

Natürlich muss auch der Determinismus nicht „der Weisheit letzter Schluss“ sein. Es gibt Wissenschaftler, die mit äußerst spannenden Theorien nachzuweisen versuchen, dass unsere Wahrnehmung der linearen, unumkehrbaren zeitlichen Abfolge allen Geschehens vielleicht nur eine Illusion oder eine Wahrnehmungsschwäche ist. Diese Theorien sind für Laien kaum nachvollziehbar, trotzdem kommen auch diese Theorien ohne eine beliebige „Erweiterung“ der Wirklichkeit um übernatürliche Einflüsse aus.

Jetzt könnte man natürlich auf die Idee kommen, diese „Entzauberung“ einfach „umzubiegen“ und die Komplexität oder den Determinismus als „Gott“ zu bezeichnen. Das kann man natürlich tun, allerdings wäre das ziemlich verwirrend. Wir sagen ja auch nicht, dass ein Baum eine Bachforelle  oder ein Käsebrot ein U-Boot ist. Außerdem wäre der Begriff „Gott“ viel zu indifferent, niemand kann ja sagen, wer oder was Gott überhaupt sein soll und welche Eigenschaften er, sie oder es hat.

Ein anderer Aspekt ist ebenfalls noch der Erwähnung wert: Durch moderne Computertechnik gelingt es immer besser, Wahrscheinlichkeiten von Entwicklungen „vorherzusehen.“ Dabei wird versucht, so viele Details wie möglich in die sehr komplexen Berechnungen einfließen zu lassen. Wie leistungsstark diese Vorhersagemodelle sind, sehen wir in jedem Wetterbericht oder auch in den Programmen, die die Polizei zur Vorhersage von Verbrechen heute schon erfolgreich im Einsatz hat. Leider ist es noch nicht so weit, dass man auf den Hinweis verzichten kann, dass solche „Vorhersagen“ natürlich völlig ohne jegliche hellseherische oder sonstwie überirdische Fähigkeiten auskommen.

Wir müssen aber nicht befürchten, dass in absehbarer Zeit alles, was geschieht, beliebig weit in die Zukunft hinein vorhersagbar sein wird. Schon bei der genauen Wetterprognose kommen die Vorhersagemodelle über ein paar Tage noch nicht hinaus – trotz nie dagewesener Rechenpower, die für die Vorhersagemodelle eingesetzt wird.

*Jede Woche fordert osthessennews.de unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ mit „liberal-theologischen Gedanken“ zum Nachdenken auf. Die als Zitate gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Original-Artikel von Christina Leinweber.

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