Atmen heißt Leben – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 4 Min.

Atmen heißt Leben – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Benedikt Welter, veröffentlicht am 14.11.2020 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Pfarrer Welters Beitrag zur ARD-Themenwoche #wieleben besteht aus der Einbildung eines atmungsaktiven Geistes und einer bis zur Unkenntlichkeit verbogenen Bibelstelle.

Die Rahmengeschichte lässt sich auch diesmal wieder kurz zusammenfassen:

Atmen ist für Sauerstoff verstoffwechselnde Lebewesen überlebenswichtig. Und gleichzeitig kann Atmen auch gefährlich sein, weil auch Viren über Atemluft übertragen werden können.

[…] Vielleicht wirkt die Pandemie deswegen auf unser Lebensgefühl so bleiern und so belastend: sogar der natürlichste Vorgang im Leben, das Atmen selbst ist gefährdet und kann gefährlich sein.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Atmen heißt Leben – Wort zum Sonntag. verkündigt von Pfarrer Benedikt Welter, veröffentlicht am 14.11.2020 von ARD/daserste.de)

Ja, vielleicht. Vielleicht auch nicht. Dass Menschen Atemnot schon nach sehr kurzer Zeit als lebensbedrohlich empfinden, hatte sich im Lauf der Evolution als überlebenswichtiger Vorteil erwiesen.

Bio- und psychologische Überlegungen begzüglich der Atmung machen freilich noch keine Kirchenwerbesendung. Da muss wie immer „noch was mit Religion“ rein:

Atmen: Mehr als nur der natürlichste Vollzug des Lebens?

Für mich als Christ ist Atmen und Atem noch mehr als nur der natürlichste Vollzug des Lebens; in der jüdisch-christlichen Bibel heißt das Wort dafür „Pneuma“. Dieses griechische Wort steht für Gottes Lebensatem.

Formulierungen wie „Für mich als Christ…“ scheinen in letzter Zeit im religiösen Mainstream immer mehr in Mode zu kommen. Auf den Anspruch, absolute und allgemeingültige Wahrheiten zu verkünden, kann man inzwischen offenbar verzichten. Nach einer solchen Einleitung kann man dann alles Beliebige behaupten. Vergleichbar mit der typischen Märchen-Eröffnung „Es war einmal…“.

Die Idee, dass das Atmen etwas mit irgendwelchen höheren oder göttlichen Sphären zu tun haben könnte, ist in vielen Kulturen anzutreffen. Die indische Entsprechung ist Prana oder Akasha, in China heißt der göttliche Windhauch Chi.

Ob es sich dabei tatsächlich um eine göttliche Macht handelt oder gar, um welche, lässt sich auch anhand einer Atemprobe nicht feststellen. Jede/r kann sich vorstellen oder einbilden, jede beliebige Gottheit ein- und auszuatmen.

Atmungsaktiver Heiliger Geist

Für Herrn Welter als katholischer Priester ist der göttliche Odem natürlich zweifelsfrei der des Wüstengottes Jahwe:

Ganz am Anfang der Bibel, in der Schöpfungsgeschichte haucht Gott dem Menschen seinen Lebensatem ein: das Pneuma; und macht den Menschen so lebendig. Und im so genannten Neuen Testament heißt dieser Lebensatem dann später auch „Heiliger Geist“. Der ist für die Menschen da, immer schon und immer weiter. Mitten im gefährlichen und gefährdeten natürlichen Atmen ist da immer noch der Heilige Geist; ein Gottes-Atem, der Leben schafft. Ob dieser Lebensatem unserem Lufthunger helfen kann?

Ein Schöpfungsakt durch eingehauchten Lebensatem? Ein Gottes-Atem, der Leben schafft? Der ist für die Menschen da, immer schon und immer weiter?

Wohl bei jeder anderen als der eigenen Religion würde sicher auch Herr Welter solche Narrative zuverlässig als Mythologie, als Phantasievorstellungen rein menschlichen Ursprungs identifizieren können.

Geht es um die biblisch-christliche Ausgabe des großzügigen, omnipräsenten (wenngleich tatenlosen) Atem-Samenspenders, dann scheinen die Grenzen zwischen religiösem Wunsch und irdischer Wirklichkeit bei Herrn Welter zumindest fließend zu sein.

#wieleben

Für Pfarrer Welter scheint das kein Problem zu sein:

Ich finde schon. Und das ist sozusagen mein Beitrag als Christ zur ARD-Themenwoche, die jetzt beginnt und die sich ja ganz der Frage widmet, wie unser Leben nach der Krise weiter gehen kann.

Sich in magische Phantasiewelten zu flüchten soll die Antwort auf die Frage sein, wie unser Leben nach der Krise weiter gehen kann? Auf den fiktiven Beistand eines Phantoms zu hoffen, das sich durch völlige Teilnahmslosigkeit am irdischen Geschehen auszeichnet? Und das lediglich als Wunschvorstellung in menschlichen Gehirnen existiert, entstanden aus Unwissenheit und Angst? Zu einer Zeit, in der die Menschen, verglichen zu heute noch keinen blassen Schimmer über die natürlichen Zusammenhänge hatten?

Das bisschen Leid…

Auf den Punkt gebracht hat es für mich der Apostel Paulus. Der schreibt an seine Gemeinde einmal: „… obwohl wir den Geist haben, seufzen auch wir in unserem Herzen… So nimmt sich der Geist auch unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, was wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern.“

Um zu wissen, worum es hier eigentlich geht, brauchen wir nur die Zeilen zu lesen, die den von Herrn Welter fragmentarisch herausgepickten voraus gehen (Hervorhebung von mir):

  1. Ich bin nämlich überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.
  2. Denn die Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes.
  3. Gewiss, die Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung hin:
  4. Denn auch sie, die Schöpfung, soll von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.
    (Röm 8, 18-21 EU)

Mit anderen Worten: Was ist schon das bisschen irdische Leid verglichen mit der himmlischen Herrlichkeit, die der liebe Gott allen nach ihrem Ableben in Aussicht stellt, die bereit sind, sich ihm exklusiv und vollständig zu unterwerfen.

Es handelt sich hier um eine, reales Leid relativierende Vertröstung auf ein illusorisches Jenseits. Und nicht um die Empathie, wie sie ein mitfühlender Mitmensch zeigen würde. Einer, der kein Arschloch ist. Schon gar nicht geht es um irgendeine Form von Hilfe, die geeignet ist, irdisches Leid effektiv zu mindern oder zu beseitigen.

Und das ist jetzt also der christliche Beitrag zur ARD-Themenwoche #wieleben zur Frage, wie es nach Corona weitergehen soll!? Ernsthaft, Herr Welter?

Gott seufzt und stöhnt mit

Ja – manchmal nimmt es mir den Atem. Manchmal bedrücken und bedrängen mich die aktuelle Lage und all die Unsicherheiten; sie machen sprachlos und hilflos: da seufzt und stöhnt Gott mit mir und mit allen, die sich so bedroht fühlen und in Gefahr sind. Gottes Lebensatem bleibt bei mir, auch wenn mir die Luft wegzubleiben droht. Das ist mein Glaube: Ich spüre Luft-Hunger und Durchatmen zugleich.

Da bleibt eigentlich nur noch zu sagen: Gute Besserung!

Selbstverständlich sei es Herrn Welter wie allen anderen Menschen auch selbst überlassen, von wem sie sich beim Seufzen uns Stöhnen unterstützen lassen. Solange alle Beteiligten volljährig und damit einverstanden sind, ist dagegen natürlich nichts einzuwenden.

Gute Besserung!

Trotzdem ist natürlich allen Menschen zu wünschen, dass sie in schweren Stunden auch wirklichen Beistand zu erfahren. Von echten Menschen.

Und sich nicht nur einbilden müssen, dass ein magisches Etwas es gut mit ihnen meint. Und dies durch Stöhnen und Seufzen zum Ausdruck bringt. Statt seinen Attributen Allmacht und Allgüte gerecht zu werden. Und Leid zu mindern oder ganz zu eliminieren. Wie es wohl jeder Mensch zumindest versuchen würde. Auch ohne Allmacht und Allgüte.

Wer nicht Mitleid, sondern, zum Beispiel bei Atemnot, medizinische Hilfe benötigt, hat hoffentlich ein funktionierendes Gesundheitssystem zur Verfügung. Mit Ärzten und Pflegern, die nicht oder zumindest nicht nur für ihn beten. Sondern die ihn professionell medizinisch versorgen. Mit Geräten, Medikamenten und Behandlungsmethoden, die tatsächlich funktionieren. Also über den Placeboeffekt hinaus. Während der Heilige Geist mitseufzt und stöhnt.

Inwiefern dieses „Wort zum Sonntag“ jetzt irgendetwas mit der Frage zu tun haben soll, wie die Menschheit nach Corona weiterleben kann oder soll, hat sich mir trotz mehrfachen Lesens leider nicht erschlossen.

Vielleicht hat jemand aus der geschätzten Leserschaft eine Idee…?

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