Gedanken zu: Impulse von Stadtpfarrer Stefan Buß: Jahresrückblick

Lesezeit: ~ 4 Min.

Gedanken zu: Impulse von Stadtpfarrer Stefan Buß: Jahresrückblick, veröffentlicht am 30.12.20 von osthessennews.de

Darum geht es

Pfarrer Buß im Liebestaumel: Wenn der Stadtpfarrer auf die Höhen und Tiefen des Jahres 2020 zurückschaut, sieht er „nur die Liebe“ und stellt fest, dass alles „gut und richtig, wie es war“ gewesen sei.

Jahresrückblick 2020: LiebeHeute blickt Stadtpfarrer Stefan Buß mit einem Gedicht auf das fast vergangene Jahr 2020 zurück. Er kommt zu dem banalen Schluss, das ihn alles Gute und Schlechte im zurückliegenden Jahr hatte „weiter wachsen und reifen lassen.“

Und wenn er ganz genau schaut, dann sieht er „nur die Liebe.“

Herr Buß, es sei Ihnen natürlich gegönnt, sich in Ihre private, religiös vernebelte Phantasie-Wunschwirklichkeit zurückzuziehen, die Augen zu verschließen, sich die Finger in die Ohren zu stecken, voller Inbrunst „Laudato si“ oder ein Hohelied auf die Liebe zu singen und sich von wem und wie auch immer „nur geliebt“ zu fühlen. Ihre Wunschvorstellungen sind Ihre Privatangelegenheit.

Gegen einen Aufruf, sich der Liebe bewusst zu sein, die man selbst geben konnte oder die man selbst erfahren (in „echt“ oder nur als Wunschvorstellung) durfte, ist grundsätzlich freilich ebenfalls nichts einzuwenden.

Aber lässt sich tatsächlich jegliches Geschehen nur auf die Liebe reduzieren? Oder auch nur damit in Zusammenhang bringen?

Nur die Liebe?

Ich sage: Nein. Bei aller Liebe: Die Wirklichkeit sieht anders aus.

In Wirklichkeit war nicht, wie von Ihnen behauptet alles „gut und richtig wie es war.“

Hier nur ein Beispiel, das Sie als katholischen Priester (vermutlich und hoffentlich nur indirekt, aber als solcher eben trotzdem) betrifft:

Herr Buß, zum Jahr 2020 gehört für Sie als katholischer Priester auch Ihre Mitverantwortung für die jetzt bekannt gewordenen, von Nonnen gegen Bezahlung organisierten Gruppenvergewaltigungen von Heimkindern durch katholische Priester. Sowie tausende weiterer Fälle, mit denen die Betroffenen, wenn überhaupt, erst Jahrzehnte später an die Öffentlichkeit gegangen sind.

Eigentlich schon seit 10 Jahren, als es der katholischen Kirche nicht mehr gelang, Fälle von sexueller Gewalt gegen Kinder durch katholische Priester zu verheimlichen kann niemand mehr sagen, von den Verdorbenheiten, Verbrechen und menschlichen Abgründen innerhalb der Organisation, für die Sie tätig sind nichts gewusst zu haben.

Durch Ihre berufliche Tätigkeit unterstützen Sie, wie alle anderen Kunden und Mitarbeiter dieser Kirche auch, diese Organisation, die diese Verbrechen und deren systematische, mindestens jahrzehntelange Vertuschung zu verantworten hat.

Sie tragen durch Ihre Arbeit (anders als zum Beispiel Kardinal Woelki, dazu gleich mehr) aktiv dazu bei, die katholische Kirche am Leben zu erhalten. Und damit auch einen Großkonzern mit patriarchialischen, undurchsichtigen und undemokratischen Strukturen. Wo ein Millieu entstehen konnte, das solche Verbrechen überproportional ermöglichte und oft noch begünstigte.

Und zwar durch alle Abteilungen: Vom Dorfpfarrer über Kloster- und Ordensgemeinschaften bis hin zur Führungsriege. Das Spektrum geht von Tätern über Mitwisser bis hin zu Menschen wie Bischof Woelki. Der seiner Pflicht, die ihm bekannten Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs durch einen mit ihm befreundeten Priester aus Rücksicht auf diesen nicht gemeldet hatte. Wozu er eigentlich verpflichtet gewesen wäre.

Von nichts gewusst?

Zumindest der Causa Woelki kann man einen positiven Nebeneffekt zuschreiben: Kein gegenwärtiger Funktionär der katholischen Kirche (mit Ausnahme vielleicht von Tebartz-van-Elst) dürfte hierzulande für so viele Kirchenaustritte gesorgt haben wie Kardinal Woelki.

Spätestens seit diesem Jahr 2020 kann sich kein Angehöriger oder Mitarbeiter der katholischen Kirche mehr auf die bisher üblichen Ausreden, Ausflüchte und Entschuldigungen berufen:

  • Nein, es handelt sich nicht um Einzelfälle. Die mehreren tausend bisher bekannt gewordenen Fälle sind, selbst laut Kirchenrechtlern, nur die Spitze des Eisberges.
  • Nein, die Kirche tut nicht alles, um die Aufklärung der Fälle und eine juristische Verfolgung der Täter zu ermöglichen und bestmöglich zu unterstützen. Im Gegenteil: Alle bisher diesbezüglichen Maßnahmen erscheinen wie blanker Zynismus in Anbetracht des verursachten Leides.
  • Nein, eine angemessene Entschädigung und Hilfe für die Opfer hat ebenfalls nicht stattgefunden. Und es ist auch nicht ernsthaft absehbar, dass dies irgendwann noch stattfinden wird. Sofern es für die oft lebenslängliche Beschädigung bzw. Zerstörung menschlicher Persönlichkeiten überhaupt eine angemessene Entschädigung geben kann.
  • Nein, die katholische Kirche kann bis heute nicht glaubhaft nachweisen, dass das Thema „sexuelle Gewalt gegen Kinder durch katholisches Personal“ der Vergangenheit angehört. Und solange die Kirche noch ihre eigene Parallel-Justiz betreiben darf, werden daran auch immer Zweifel bleiben.
  • Nein, Sie sind nicht damit entschuldigt, dass Sie (vermutlich und hoffentlich) weder Täter noch direkter Mitwisser von konkreten Gewalt- und Missbrauchsfällen sind.
  • Nein, Sie sind auch nicht damit entschuldigt, dass Ihr Einkommen davon abhängt, weiterhin für diese Organisation zu arbeiten. Und dass ein Kirchenaustritt für Sie natürlich gravierendere Konsequenzen hat als für jemand, der sein Gehalt nicht von der Kirche bezieht. Und der die Chance nutzen sollte, noch dieses Jahr seinen Austritt zu erklären. Um sich später auf dieses Datum berufen zu können, auch wenn der zugehörige Verwaltungsakt wegen der Überlastung der Ämter aufgrund der aktuellen Austrittswelle erst später stattfinden kann.

Herr Buß, bitte beantworten Sie mir diese drei Fragen:

  1. Wie schaffen Sie es, allein schon in Anbetracht der jahrzehntelangen und bis heute andauernden systematischen Vertuschung der tausenden bekannt gewordenen Fälle von sexuellem Missbrauch und Gewalt gegen Kinder durch katholische Berufschristen rückblickend auf das Jahr 2020 „nur die Liebe“ zu sehen? Welche und wessen Liebe soll das sein?
  2. In welcher Welt leben Sie, wenn Sie allen Ernstes behaupten, dass alles (!) „gut und richtig wie es war“ gewesen sei? Haben Sie mal eine Sekunde darüber nachgedacht, was allein dieser Satz bei Licht betrachtet impliziert?
  3. Und wenn Sie schon so für die Liebe schwärmen: Wieso haben Sie sich dann ausgerechnet für das zölibatäre Dasein als katholischer Priester entschieden? Wieso verzichten Sie auf tatsächlich spür- und wahrnehmbare menschliche Liebe und bilden sich stattdessen die Liebe eines eifer-, rach- und kriegssüchtigen Wüstengottes mit Faible für innerfamiliäre temporäre Todesfolterungsopfer ein? Dessen Liebe keine Liebe, sondern Nötigung wäre, wenn es ihn gäbe? Was versprechen Sie sich davon?

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1 Gedanke zu „Gedanken zu: Impulse von Stadtpfarrer Stefan Buß: Jahresrückblick“

  1. Chapeau, wahrlich grosse und berechtigte Worte zu diesem mehr als ernstem Thema!
    Immer mehr frage ich mich, ob diese Leute -wirklich ernsthaft- das glauben, was sie predigen.
    Wenn ich für die Mafia arbeite, habe ich durchaus eine berechtigte Angst, zu physischem Schaden zu kommen, sollte ich dieser Organisation den Rücken kehren.
    Doch hier sitzt der Kern tiefer…
    Ist dies tatsächlich die viel zu tief sitzende Indoktrination, oder das bewusste Festhalten an bestehenden Machtstrukturen?

    Wehret den Anfängen, und entfernt endlich religiöse Indoktrination aus Kindergärten und Schulen!!!

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