Abseits des Weges – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 6 Min.

Abseits des Weges – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Annette Behnken (ev.), veröffentlicht am 27.2.2021 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Frau Behnken erzählt heute von allen möglichen positiven Auswirkungen des Fastens. Ausgerechnet die religiösen Aspekte scheinen dabei für sie offenbar praktisch keine Rolle mehr zu spielen. Wir empfehlen: Glaubensfasten!

Zunächst eröffnet Frau Behnken einen Allgemeinplatz, um ihr fastenfaules Publikum abzuholen. Sie verrät, wie schwer es auch ihr fällt, in der Fastenzeit auf bestimmte Dinge zu verzichten.

Nach dieser Einleitung gehts erstmal ins Kloster:

[…] Aber wenn es [das Fasten, Anm. v. mir] gelingt, dann ist es – kaum zu beschreiben – vielleicht ein bisschen so: Wenn ich zu Besuch in einem Kloster bin, erzählen mir die Ordensleute, die Nonnen oder Mönche, etwas sehr Erstaunliches. Fast immer, wenn ich frage, wie es für sie ist, auf so vieles zu verzichten im Kloster – Armut ist ja eines der Gelübde, das sie ablegen – höre ich: Verzichten macht frei. Nicht, dass es leicht wäre, so reduziert zu leben. Verzicht bleibt nun mal Verzicht. Aber es gibt ein großes Geschenk dafür. Das höre ich von vielen Ordensleute. Der Verzicht auf Möglichkeiten führt zu einer ganz anderen Art von Freiheit. Und ein bisschen geht es mir beim Fasten so. Fasten ist für mich wie eine Art Mini-Klosterzeit, also wirklich mikromini, aber immerhin!
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Abseits des Weges – Wort zum Sonntag, verkündigt von Annette Behnken (ev.), veröffentlicht am 27.2.2021 von ARD/daserste.de)

„Ein großes Geschenk“, „Eine ganz andere Art von Freiheit“ – das sind freilich noch eine sehr allgemeine Formulierungen.

Religiös motivierter Verzicht

Was den Verzicht auf weltliche oder materielle Annehmlichkeiten in Klöstern angeht, so steht hier zweifellos die Annahme bzw. Einbildung im Vordergrund, dass dies förderlich, bzw. sogar Voraussetzung für ein noch intensiveres und innigeres Verhältnis zum jeweils geglaubten Gott sei.

Die für einen aus religiösen Gründen minimalistisch lebenden Menschen positiven Auswirkungen auf ihn selbst sind bestenfalls Nebenwirkungen: In allererster Linie gehts um die möglichst ablenkungsfreie, umfangreiche und dauerhafte Fokussierung auf einen Gott.

Besonders ihre Monogötter hatten sich Menschen als welche ausgedacht, die ein unbändiges Aufmerksamkeitsbedürfnis haben. Der Mechanismus „Leid und Not ist die göttliche Strafe für mangelnde menschliche Zuwendung und Unterwerfung“ ist grundlegender Bestandteil besonders im Monotheismus.

Unterwerfung und eingebildetes Gottvertrauen

Je nach Ausprägung wird klösterliche Armut auch als Zeichen der Selbstdemütigung verstanden:

  • Arm zu sein, kann bedeuten, meine eigene Bedürftigkeit, meine Ohnmacht und mein Versagen anzunehmen und dies auch den anderen zuzugestehen.
    (Quelle: Ordensgemeinschaft der Alexanierbrüder: Ordensgelübde)

…oder als Ausdruck eines absurden Gottvertrauens, bei dem ausgerechnet einem Gott dafür gedankt wird, dass die Allgemeinheit einen durchfüttert, damit sich diese Leute ganz ihrer göttlichen, in Wirklichkeit aber nur imaginären und deshalb strikt einseitigen Liebesbeziehung widmen können:

  • Grundsätzlich gilt für das Armutsgelübde dasselbe wie für das Gehorsamsgelübde: Es beruht auf dem Vertrauen auf Gott, dass er mir das zum Leben Notwendige schenkt, durch eigener Hände Arbeit und durch die Hand der Menschen.
    (Quelle: ebenda)

Die Behauptung, Götter würden ihren Priestern das zum Leben Notwendige durch die „Hand der Menschen“ schenken (!), ist ein bis heute erstaunlich erfolgreiches Geschäftsmodell. Gerade in Religionen, in denen die Abhängigen noch an die Wirksamkeit von Opfergaben glauben, fällt für die Priesterkaste mehr als nur „gerade genug zum Überleben“ ab.

Ablenkungsstrategien

Mit ihrem Verhältnis zu ihrem Gott hat Fasten bei Frau Behnken offenbar nichts zu tun:

Fasten holt mich aus Gewohntem raus. Die üblichen Ablenkungsstrategien, was weiß ich, Zigaretten gegen Liebeskummer, Rotwein zur Entspannung, Schuhe und Schokolade zur Belohnung – lasse ich weg. Schwer genug.

Frau Behnken, wenn Sie die hier genannten Dinge und Angewohnheiten stören oder belasten, wieso ändern Sie Ihr Verhalten dann nicht grundsätzlich und dauerhaft? Warum „leiden“ Sie die meiste Zeit des Jahres unter Ihren diversen „Ablenkungen?“ Alles Dinge, die Sie selbst in der Hand haben und demzufolge jederzeit ändern könnten, wenn Sie das möchten?

Und noch schwerer: Wenn ich aufhöre, mich abzulenken, fühle ich alles direkter. Autsch, nicht schön. Aber die Chance ist: Ich kann mich auch viel direkter damit auseinandersetzen. Dinge viel besser klären.

Das halte ich für einen konstruierten Widerspruch: Beeinträchtigt ein Stück Schokolade tatsächlich die Fähigkeit, sich mit der Wirklichkeit direkt auseinanderzusetzen? Und lassen sich manche Dinge nicht vielleicht sogar mit einem Glas Wein noch besser klären als mit einem Glas Leitungswasser?

Und dann geht es ja noch weiter. Abseits meiner ausgetretenen Pfade betrete ich unbekanntes Gelände. Muss mich neu orientieren. Der Blick wird weiter. Und ich nehme viel feiner, reicher, wacher wahr. Alles. Auch, was schön ist und wie schön es ist. Fasten, so erlebe ich es, ist Stille für das ganze System. Eine Stille, die sensibilisiert und feinfühlig macht.

Frau Behnken, wie wärs mal mit Glaubensfasten?

Aktion GlaubensfastenUnter dem Motto „40 Tage ohne Götter“ könnten Sie mal ausprobieren, sich abseits Ihres ausgetretenen Glaubenspfades neu zu orientieren. Weiten Sie Ihren Blick.

Und nehmen Sie viel feiner, reicher, wacher wahr, dass es auch Ihren Gott bis zum Beweis des Gegenteils nur als ein wunschgemäß umgedeutetes mythomotorisches Narrativ in Ihrem Kopf gibt.

Statt Ihre Zeit damit zu verbringen, diesem imaginären Himmelswesen Bitt- und Dankgebete entgegenzubringen, sensibilisieren Sie sich und werden Sie feinfühlig für die irdische natürliche Wirklichkeit.

Sobald sich die innere Stimme, die Sie für Ihren Gott halten bei Ihnen meldet, stellen Sie sich vor einen Spiegel und fragen Sie sich, wer da gerade wirklich zu Ihnen „spricht.“

Immer dann, wenn Sie meinen, irgendein Indiz für einen göttlichen Eingriff in Ihre Wirklichkeit wahrgenommen zu haben, fragen Sie sich, ob es dafür nicht auch eine Erklärung gibt, die ohne magisch-esoterische Annahmen auskommt. Oder fragen Sie sich dann mal, was es bedeutet, dass es für die Wahrnehmung vermeintlich göttlicher Eingriffe völlig egal ist, an welche Götter jemand glaubt.

Die Zeit, die Sie durch den Wegfall von religiöser Verkündigung und vor allem sowieso un-erhörter Götterverehrung gewinnen, können Sie zum Beispiel dazu nutzen, um Ihr Leben zu genießen, die faszinierende Schönheit der Natur zu entdecken… Und natürlich auch, um sich im Interesse Ihrer Mitlebewesen um eben diese zu kümmern.

Ein vorübergehender, bewusster Verzicht auf Ihren Götterglauben, mit dem Sie sich von der Wirklichkeit ablenken (auch wenn Sie das vermutlich anders sehen), könnte es Ihnen tatsächlich ermöglichen, sich viel direkter zum Beispiel mal mit der Unterscheidung von religiösem Wunschdenken und irdischer Wirklichkeit auseinanderzusetzen.

Einziger Haken: Als Berufschristin müssten Sie sich für dieses Experiment vermutlich Urlaub nehmen. Ob die Kirche einen Urlaub zum Glaubensfasten wohl als Bildungsurlaub anerkennen würde…?

Ein spannendes Experiment

Ich fände es a) wirklich mutig, wenn Sie dieses Experiment wagen würden. Denn schließlich stehen ja nicht nur Ihre persönlichen Glaubensgewissheiten, sondern auch Ihr Beruf auf dem Spiel.

Und b) fände ich es unglaublich spannend, welche Erfahrungen Sie in dieser Zeit sammeln würden. In welchen Situationen Sie Ihre Glaubensgewissheiten vermissen würden. Und ob bzw. wie sich das im Lauf des Experimentes vielleicht ändern würde.

Besonders interessieren würde mich, ob, und falls ja wie es Ihnen anschließend gelingt, wieder auf Ihren ausgetretenen religiösen Pfad zurückzukehren.

Es geht nicht um Zwang und es geht nicht um Selbstoptimierung, keine spirituelle Magersucht. Es geht um eine Chance.

Ganz genau!

Letzte Woche am Aschermittwoch hat die christliche Fastenzeit angefangen und dauert bis Ostern. 40 Tage. 40 Tage brauchen die wichtigen Dinge in der Bibel.

Demzufolge war die angebliche Schöpfung der Erde, des Universums und des ganzen Restes kein „wichtiges Ding“? Weil ja laut biblischer Mythologie innerhalb weniger Tage erledigt?

Umwandlungen von Sichtweisen

Eine große Chance für einen kleinen Veränderungsprozess. Es muss ja nicht der klassische Verzicht auf feste Nahrung sein. Wir könnten zum Beispiel Klima-Fasten, Macht-Fasten, Hass-Fasten… – wenn wir etwas brauchen, um mit den Herausforderungen dieser Zeit gut umzugehen, dann sind es Umwandlungen. Von Sichtweisen. Von zerstörerischen Zeitgeistern, Lebensweisen, vermeintlichen Selbstverständlichkeiten.

Ob Sie es in 40 Tagen schaffen, von Ihren, vermutlich seit dem Säuglingsalter vermittelten Glaubensgewissheiten zu befreien, halte ich für fraglich.

Nach meiner Erfahrung dauert der Prozess einer Umstellung von einem religiös vernebelten auf ein möglichst realitätskompatibles Weltbild, von vermeintlicher göttlicher Abhängigkeit auf selbstbewusste Selbstverantwortlichkeit länger als 40 Tage.

Und eine weitere Erfahrung ist in diesem Zusammenhang auch zu nennen: Ich kenne keinen einzigen Menschen, der sich nach seiner Befreiung von religiösen Glaubensgewissheiten noch vorstellen kann, wie er an diese Dinge jemals ernsthaft glauben konnte. Oder gar, irgendwann mal wieder dorhin zurückzukehren.

Religiös verschlackter Geist

Fasten wird Welt und Menschheit nicht retten. Aber es könnte eine Möglichkeit sein, anzufangen. Es könnte ein Anfang sein, unseren Geist zu entschlacken, den Blick zu klären und Mitgefühl zu üben.

Frau Behnken, auch wenn die Vorstellung von „Schlacke“ im Körper längst als Humbug erkannt wurde: Als Bild für die Art und Weise, wir religiöser Glaube Gehirne verkleistern kann, finde ich „Schlacke“ durchaus passend. Deshalb: Entschlacken Sie, klären Sie Ihren Blick und üben sie Mitgefühl Ihren Mitlebewesen gegenüber – und um Ihrer Mitlebewesen willen!

Ihr Gott ist ja allmächtig, der wird mal 40 Tage auf Ihre Verehrung verzichten und sich um seine Angelegenheiten und Bedürfnisse selbst kümmern können.

Denn das wirkliche große Fasten liegt noch vor uns. Wir werden uns einschränken müssen. Zu vieles haben wir schon zerstört, verbraucht, aus dem Gleichgewicht gebracht. Das wirkliche große Fasten liegt noch vor uns. Aus Verantwortung gegenüber unseren Kindern. Aus Ehrfurcht vor der Schöpfung. Damit die Schöpfung auch für kommende Generationen noch genug zum Leben bereithält.

Frau Behnken, falls Ihnen der Erhalt der Erde als lebenswerter Lebensraum für Sauerstoff verstoffwechselnde Lebewesen auch dann ein Anliegen ist, wenn Sie ohne das Fantasy-Argument „Ehrfurcht vor der Schöpfung“ auskommen und wenn Ihnen daran gelegen ist, dass Ihr Einsatz für dieses Ziel auch tatsächlich etwas bewirkt, dann haben Sie erst recht einen guten Grund, von einem magisch-esoterisch erweiterten auf ein möglichst wirklichkeitskompatibles Weltbild umzustellen.

Und was mögliche berufliche Konsequenzen dieses Schrittes angeht: Hier finden Sie Hilfe.

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1 Gedanke zu „Abseits des Weges – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Die Idee mit dem Glaubenfasten finde ich einfach nur super!!!
    Und dann sollte sich die/der jeneige mal objektiv fragen, was jetzt anders ist!

    Antworten

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