Buchkritik von Sybille: Heino Falcke mit Jörg Römer: „Licht im Dunkeln“ Schwarze Löcher, das Universum und wir, Klett-Cotta, 2020
Mit dem Spiegel-Redakteur Jörg Römer verfasste der Astrophysiker Heino Falcke ein Buch, das sich in einem Teil um die Entstehungsgeschichte einer inzwischen weltberühmten Aufnahme von einem Schwarzen Loch dreht. Zu den wissenschaftlichen Aspekten gibt es schon zahlreiche Rezensionen.
Das Buch ist zügig geschrieben und bleibt spannend. Detailverliebt wird öfter auch Nebensächliches etwas reißerisch geschildert. Zudem werden sehr viele Namen genannt, die man eher in einer wissenschaftlichen Abhandlung vermutet.
Auf über 40 Seiten Anhang kann man Belege finden, Personen und ein hilfreiches Glossar, auch zu den Abkürzungen. Falcke findet viele Vergleiche und Beispiele, um die nicht einfache Thematik auch schon „Erstsemestern“ zugänglich zu machen.
Unverständnis auf der Seite säkularer Leser_innen dürfte allerdings die Verquickung mit der Religion hervorrufen. Während seine wissenschaftlichen Erkenntnisse von vielen Fachleuten ausgelotet werden, bleibt sein religiöser Glaube weitgehend unhinterfragt.
Hier fällt Falckes stark religiöser, fast schon missionarischer Hintergrund auf. Einen Gegensatz zum Beispiel kann sich jeder vorstellen, auch ohne „Engelchen und Teufelchen“. Wer sich mit der Jesus- und speziell der Kreuzigungsgeschichte so penibel befassen würde, wie Astrophysiker mit ihrer Materie, würde damit nicht an die Öffentlichkeit gehen.
Gewagte Thesen
„Schwarze Löcher bringen uns dem Jenseits näher“ (273) halte ich für eine sehr gewagte These. Hier müsste zunächst einmal der Begriff des „Jenseits“ geklärt werden. Er findet sich aber, wie auch der Begriff „ Gott“, nicht im Glossar.
Es gäbe sogar viele Tore zum Jenseits, meint der Autor. Als Naturgelehrter sollte man die religiösen Dichtungen nicht mit dem wissenschaftlich Erforschten verknüpfen. Auch wenn das in alten Zeiten der Fall war, da ehemals nur die Kirchen einen gewissen Zugang zu Wissen hatten.
Ob sich Heino Falcke vorstellen kann, dass jemand in einer natürlichen, nicht religiös geprägten Umwelt aufwächst, ganz ohne indoktrinierte erdichteten Geschichten, wie Jenseits- und Gottesvorstellungen? Solche Menschen kümmert ein Jenseits nicht.
Zur Untermauerung oder Bestätigung seines religiösen Weltbildes zieht der Autor von „Licht im Dunkeln“ die Totenrituale anderer Weltreligionen heran.
Ein bildnerisch mit großem Aufwand festgehaltenes „Schwarzes Loch“ als Jenseitsmythos auszugeben, erscheint mir absurd. Den Menschen eine solche Märchenwelt zu offerieren, ist unverantwortlich.
Erschaudern vor dem Tod?
Dem Autor nach zu schließen, „erschaudern“ Menschen vor dem Tod, besonders wohl die gläubigen, da sie die Endabrechnung befürchten…
Säkulare Menschen sehen in ihm das natürliche Ende eines Lebensweges. Und wenn mal dereinst auch die Erde und somit auch unsere Bausteine in einem Schwarzen Loch verschwinden, sind wir doch – salopp gesprochen – gut aufgeräumt.
Das Bild mit dem dargestellten „Ereignishorizont“, von dem das Buch hauptsächlich handelt, entspricht laut Autor nicht der Wirklichkeit. Es ist ein mit viel Mühe und technischen Raffinessen der Wirklichkeit angenähertes Kunstwerk, das seine Publikumswirksamkeit auch dank der ausgeklügelten Unternehmenskommunikation bekommen hat.
Ja, ich würde mir das Kunstwerk auch aufhängen, aber nicht als Höllenschlund. Mir sagen Form und Farbe zu und ich denke an all die Mühe, die sich Wissenschaftler und Techniker weltweit damit gemacht haben.
Immer wieder faszinieren die fast kindgerechten Vergleiche, etwa vom Bogenschützen mit seinen Pfeilen, um Quantenteilchen zu erklären.
Hang zur „Kirche im Kopf“
Doch schon bei der Darstellung der wissenschaftlichen Fakten fällt ein gewisser Hang zu „Kirche im Kopf“ auf. Warum verwendet der Autor im Zusammenhang ausgerechnet mit Hawking die Begriffe Hölle, Fegefeuer, Auferstehung, schwarzes Höllenloch (289)?
Mühelos wechselt er von dort zu einem ganz realen Krematorium, aus dem wohl auch dereinst seine Reste übrig sein werden.
Oder: Es mangelt „an einem klaren Fingerzeig Gottes“ … „Wie Gottvater selbst schauen wir von oben herab auf die Erde.“ (300) … „Können wir Gott den Schleier der Verborgenheit vom Antlitz reißen?“
Neben diesem seltsamen Gottesbegriff und der Kirchensprache kommen zum Glück immer wieder auch realistische Aussagen, „was dahinter liegt, bleibt immer noch dem Reich der Mathematik überlassen.“ … „Wir verdanken der Gravitation unser Sein.“
Warum wird dann eigentlich in keiner Religion die Gravitation angebetet? Liegt es an der frühen Entstehungszeit der Religionen?
Freier Wille und alt bekannte Scheinargumente
Länger befasst er sich mit dem so genannten freien Willen, den er zwar teilweise vom Determinismus abgrenzt, aber an den er doch glaubt. Er unterscheidet nicht zwischen Handlungsfreiheit, die auch von den Einflüssen der Umgebung und der Persönlichkeit abhängen und einer absoluten Freiheit, die gar nicht erreicht werden kann. Zwar sei der Mensch Naturgesetzen unterworfen, sei aber „in seinem tiefsten Inneren…ganz grundsätzlich frei.“ Wer zieht hier die Grenzen zum tiefsten Inneren?
Zustimmung will er wohl mit dem polemischen Satz erheischen: „Hat der Urknall beschlossen, dass ich jetzt meinen Finger warnend hebe?“
Sein allen Aufgeklärten bekanntes Argument für seinen Gott: Die Atheisten könnten Gott auch nicht beweisen…
Zum x-ten Mal vergleicht er Gott mit den Gravitationsgesetzen, die real seien, weil ein Apfel fällt. Gott sei real, „weil die Welt entstanden ist.“
Doch auch ohne Gott kann man nach dem Woher, Wohin und Warum fragen, als Ur-Instinkt unseres Ich-Seins. Sein religiöses Weltbild wurde sicher frühzeitig intensiv grundgelegt.
Wer die Bibel als Literatur, bestenfalls poetisch sieht, weiß, dass die Gottesbeschreibungen aus Zeiten, Kulturen und „erlebten Wirklichkeiten“ stammen, die für uns heute nur noch bruchstückweise Bedeutung haben. Gerne suchen sich die Kirchen die jeweiligen Bruchstücke heraus und umgehen damit die Gesamtaussage. Das ist eine Möglichkeit, aber nach meiner Meinung, eine unlautere.
Wenn man weiß, mit welchen Mitteln diese so genannten „Menschheitserfahrungen“ der Menschheit übergestülpt wurden, kann man die angesprochene Demut des Autors nicht verstehen.
Der persönliche Gott: Licht im Dunkeln?
Zum guten Schluss kommt, wie bei jedem versierten Prediger oder bei jeder gläubigen Prädikantin das gläubigste i-Tüpfelchen: Der persönliche Gott!
Es ist natürlich das gute Recht des Autors, Protonen mit seinem Gott zu verknüpfen. Vielleicht wird auch eine erste Ursache Geist, Sinn und Verstand haben, was aber sicher nicht mit menschlichen Fähigkeiten vergleichbar ist.
In der evangelischen Verkündigungszeitschrift Chrismon könnten solche Gedanken die Leserschaft durchaus erstaunen und überzeugen.
Aber wie der Autor schon selbst befürchtet, sind es die „agnostischen oder atheistischen Physiker, die an ihm zweifeln“, und nicht nur die! Säkulare, im Hier und Jetzt lebende Menschen schließen sich an.
Religiös vernebelte Astrophysik? Ein Fall für Harald Lesch!
Auf den letzten Seiten überwiegen seine religiösen Überzeugungen. Er spricht von der „Schöpfung“ so real wie von der „Hingabe des Menschensohnes Jesus Christus.“
Wie die theologisch-historische Forschung herausgefunden hat, ist Jesus eine im Nachhinein von Paulus zielgerichtet hochgepuschte Figur eines jüdischen Endzeitpredigers, was auch Astrophysikern bekannt sein dürfte. Das lässt sich doch nicht alles von einem gebildeten Menschen beiseite schieben. Notgedrungen lässt er wenigstens Zweifel zu.
Wie fast zu erwarten war, darf Harald Lesch mit Paulus (der übrigens auch im Glossar auftaucht) und mit dessen Dreigestirn Glaube, Hoffnung, Liebe das Schlusswort der auf vielen Seiten wissenwerten „Reise ins All“ sprechen.
Der letzte Satz in „Licht im Dunkeln“, dass ohne uns dem All etwas Wertvolles fehlen würde lässt sich leicht hinterfragen: Fehlt uns Menschen im Hier und Heute etwas von eventuell untergegangenen Planeten?
Fehlt uns etwas schon an einem nicht gezeugten Menschen?
„Licht im Dunkeln“ – Mein Fazit
Die so genannten „letzten großen Fragen der Menschheit“ dürften weniger die nach dem Woher und Wohin sein. Es müssten die nach dem Wie sein, das natürlich ein Wohin mit einschließt, wenn auch nicht in Milliarden Lichtjahren gerechnet.
Ginge man die Fragen der Armutbekämpfung, der Wasserresourcen, des Flächenverbrauches,der Energiegewinnung, der Instandhaltung der Erde mit dem gleichen Elan, dem Einfallsreichtum, dem weltweit gebündelten Wissen und dem Geld vieler Investoren an, wäre diesem kleinen blauen Planeten am Rande der Milchstraße und seiner Flora und Fauna sicher auch ein großer Dienst erwiesen.
– Sybille
Heino Falcke mit Jörg Römer:
„Licht im Dunkeln“ – Schwarze Löcher, das Universum und wir
- Herausgeber : Klett-Cotta; 5. Druckaufl. 2020 Edition (24. Oktober 2020)
- Sprache: Deutsch
- Gebundene Ausgabe: 384 Seiten
- ISBN-10: 3608983554
- ISBN-13: 978-3608983555
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