Die große Hilfe – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 7 Min.

Die große Hilfe – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Christian Rommert, veröffentlicht am 24.7.21 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Wer beim Titel der heutigen Fernsehpredigt erwartet, Pastor Rommert würde die Summe bekannt geben, mit der die Kirchen aus ihrer eigenen Tasche die Flutopfer unterstützen, der irrt.  Stattdessen gibts eine zweckmäßig uminterpretierte Bibelstelle und einen Aufruf, Verantwortung zu übernehmen.

Mit Bezug auf die Zerstörung ganzer Dörfer und Städte durch Überflutung diagnostiziert Pastor Rommert das Phänomen, dass Menschen dazu neigen, in solchen Fällen einen Schuldigen zu suchen:

[…] Aber nicht nur der Schock über das, was da passiert ist, sondern in den letzten Tagen auch, wie wir damit umgehen. Ich merke da eine Veränderung. Zu Beginn: grenzenloses Mitgefühl, Hilfsbereitschaft. Und jetzt kommt etwas Neues dazu: wir brauchen Schuldige! Eine Erklärung für das Unbegreifliche! Irgendjemanden, irgendetwas muss es doch geben, und wenn wir die oder den finden, wenn wir hier jemanden zur Rechenschaft ziehen können, dann ist es wieder gut! Dann können wir wieder zum Alltag übergehen!
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Die große Hilfe – Wort zum Sonntag, verkündigt von Christian Rommert, veröffentlicht am 24.7.21 von ARD/daserste.de)

Genau für solche Zwecke hatten sich Menschen seinerzeit Religionen ausgedacht: Um mit dem geheimnisvollen göttlichen Willen das zu erklären und zu begründen, was ihnen unbegreiflich und unerträglich erschien.

Schuldzuweisungen sind Bestandteil monotheistischer Religionen

Speziell die monotheistischen Religionen lieferten die dualistische Ideologie, die es den Menschen ermöglichte, die Welt ohne großen Aufwand in „Gut“ (=wir) und „Böse“ (=alle Anderen) einzuteilen. Das einzig wirklich relevante Kriterium dabei war, sich dem „richtigen“ Gott untergeordnet zu haben.

Genau diese Vereinfachung, die Herr Rommert hier beschreibt, ermöglicht seine Religion. Früher wäre die priesterliche Erklärung ganz eindeutig und einfach gewesen: Die Flutkatastrophe ist eine Strafe Gottes für euer sündiges Verhalten. Bereut eure Sünden vor Gott und dann sorgt er dafür, dass es euch wieder gut geht!

Die Priester brauchten dann einfach nur abzuwarten, bis es irgendwann mal wieder besser wurde. Und schon konnten sie das ihren Anhängern als eindeutigen Beweis für die Wirksamkeit ihrer Gebete präsentieren. Was ihnen ganz nebenbei auch ihr weiteres Einkommen und ihre Deutungshoheit sicherte.

Auch heute gibt es noch christliche Abteilungen, deren Mitglieder den Standpunkt „Naturkatastrophen sind Ausdruck des Zorn Gottes“ noch genau so vertreten. Im Mainstream-Christentum ist von göttlicher Strafe freilich überhaupt keine Rede mehr. Man will sich ja nicht noch unbeliebter machen als man es sowieso schon ist.

Schuldfrage

Tja. Die gleiche Frage wird Jesus von seinen Jüngern gestellt: „Wer ist schuld daran, dass dieser Mann von Geburt an blind ist? Hat er selbst Schuld auf sich geladen oder seine Eltern?“ Boah! Auch hier: die Schuldfrage! Auch hier frage ich mich: Was bringt das hier, mit der Schuldfrage?

Boah! Schuld im rechtlichen Sinn? Oder im ethisch-moralischen Sinn?

Wer davon überzeugt ist, dass es natürlich eine göttliche Strafe sein muss, blind geboren zu werden, der stellt natürlich die Frage, wessen Schuld Gott denn hier mit Blindheit bestraft. Irgendwie muss unverschuldetes menschliches Leid ja mit der Vorstellung eines allmächtigen und gerechten Gottes in Einklang gebracht werden.

In einer Weltanschauung, in der ein allmächtiger Gott existiert, hat natürlich letztlich immer der Schuld. Weil er ja alles Leid auch verhindern könnte, wenn er wollte. Wenn dieser Gott dann aber auch noch „allgütig“ sein soll, dann kommt die Priesterschaft erstmal in Erklärungsnot.

So sind wir?

Doch so sind wir: Wer hat Schuld? Die Eltern? Gott? Das Schicksal? Und bei der Unwetterkatastrophe – wenn wir da Jesus fragen würden: Schuld? Die Behörden? Der Katastrophenschutz? Jesus, war es der Klimawandel? Oder waren es die Institutionen, die nicht ausreichend gewarnt haben, Jesus? Irgendeiner muss doch verantwortlich zu machen sein! Wer ist schuld, Jesus?

Herr Rommert, Ihre Verallgemeinerungen („so sind wir“) finde ich übergriffig und unangebracht.

Es mag ja sein, dass Sie, Teile Ihres Publikums und auch aus anderen Personengruppen zu solchen Schuldzuweisungen neigen. Mit „wir“ beziehen Sie aber auch ungefragt all jene mit ein, die möglicherweise nicht nach Schuld, wohl aber zum Beispiel nach Ursachen fragen. Oder nach Verantwortlichkeiten.

Die Feststellung von und der Umgang mit Schuld im juristischen Sinne ist ein wichtiger Bestandteil eines Rechtsstaates. Religiöse Glaubensgewissheiten spielen dafür keine Rolle. Das Kriterium ist nicht, ob bzw. welche Götter jemand verehrt. Sondern wie sich sein Verhalten auf die Mitlebewesen auswirkt.

Bescheuert

Als die Jünger diese Schuldfrage stellen, geht es um einen Blinden von Geburt an. Und ich denke: wie bescheuert ist das denn? So was kann man doch nicht fragen.

Diese Frage ist doch sehr gut nachvollziehbar. Wenn man bedenkt, dass diese Leute, wie schon gerade angedeutet, der Auffassung waren, dass irgendwer an der Blindheit schuld sein muss. Auch wenn ich eine andere Formulierung wählen würde, kann man eine solche Vorstellung natürlich schon auch als bescheuert bezeichnen. Aber: Wo kommts denn her?!

Aber ist das wirklich so etwas ganzes anderes? Stelle ich angesichts dieser Naturkatastrophe klügere Fragen als die Jünger? Eher nicht. Aber was ist jetzt die Antwort, die Jesus gibt?

Wenn Ihre Fragen dazu führen, dass dadurch die Zusammenhänge und Ursachen erkannt werden können, die zur Flutkatastrophe und auch zu deren dramatischen Auswirkungen geführt hatten, dann waren Ihre Fragen klüger als die Fragen der Jünger. Denn die daraus gewonnenen Erkenntnisse können dazu beitragen, das Verhalten zu verändern. Um so weiteres Leid nach Möglichkeit zu vermindern.

Zweck der Behinderung: Göttliche Machtdemonstration

„Wer hat Schuld, er oder seine Eltern?“ „Weder noch“, antwortete Jesus. Na jetzt bin ich aber gespannt! Und dann sagt Jesus einen rätselhaften Satz, durch den er für mich zum Vorbild wird: „Solange ich in der Welt bin, werde ich für die Menschen das Licht sein.“ Für mich klingt das wie: wenn es uns bei der Frage nach Schuld nur um die Suche nach einem Sündenbock geht, bringt uns das nicht weiter! Viel wichtiger ist die Frage, wie ich mit dem Leid und der Not jetzt umgehe! Was ich jetzt mache! Und natürlich hat Jesus diesen armen Menschen geheilt.

Das halte ich für eine geradezu hanebüchene Uminterpretierung.

In der hier zitierten Bibelstelle lässt der anonyme Autor mit Pseudonym Johannes seinen Jesus ganz klar sagen, was der eigentliche Sinn und Zweck der Übung ist (Hervorhebung von mir):

  • Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.
    (Joh 9,3 LUT)

Weder noch

Der biblische Jesus nutzt also das Leid des Blindgeborenen für eine Demonstration seiner übernatürlichen Zauberkräfte. Um damit anschließend die Judenchristen von seiner eigenen Göttlichkeit zu überzeugen:

  • Eine verbreitete Auffassung sah damals in einer Krankheit oder Behinderung eine unmittelbare Strafe Gottes für begangene Schuld. Da der Mann jedoch schon blind geboren wurde, beschäftigt die Jünger die Frage, ob er denn selbst an seiner Behinderung schuld sein kann oder ob seine Eltern Schuld auf sich geladen haben und mit der Geburt eines blinden Kindes bestraft wurden. Jesus bricht diesen Tun-Ergehen-Zusammenhang auf, indem er die Frage nach der Ursache mit „weder noch“ beantwortet und stattdessen darauf hinweist, dass die Behinderung dieses Mannes einen Zweck habe: Gottes Werke sollen – in der nachfolgenden Heilung – an ihm offenbart werden.
    (Quelle: Wikipedia: Heilung eines Blindgeborenen)

Mit anderen Worten: Jesus instrumentalisiert hier menschliches Leid nicht für Schuldzuweisungen (was ihn in Erklärungsnöte bringen würde). Sehr wohl aber für seine eigenen Zwecke.

Der Verfasser lässt den Geheilten selbst und zusätzlich auch noch dessen Eltern ausführlich bezeugen, dass dieser tatsächlich von Geburt an blind gewesen war. Auch eine zunächst von den Jüngern vermutete Verwechslung wird so ausgeschlossen.

  • Wir wissen, dass Gott die Sünder nicht erhört; sondern den, der gottesfürchtig ist und seinen Willen tut, den erhört er. Von Anbeginn der Welt an hat man nicht gehört, dass jemand einem Blindgeborenen die Augen aufgetan habe. Wäre dieser nicht von Gott, er könnte nichts tun. (Joh 6,31-33 LUT)

Jesus macht sehend – und blind

Zur Untermauerung der behaupteten Göttlichkeit findet die Heilung auch noch an einem Sabbat statt. Wenn jemand ungestraft an einem Sabbat eine solch außergewöhnliche und noch nie dagewesene Wunderheilung vollbringen kann, dann muss das ja wohl alle Judenchristen überzeugen, dass es sich hier tatsächlich um einen Gottessohn handeln muss.

Aber so schnell gibt man seine Glaubensgewissheit freilich nicht auf. Und so muss sich Jesus auch noch persönlich mit den Pharisäern anlegen, nachdem er seinem geheilten Patienten und neuem Fan erklärt hat, wie sich das mit der Blindheit verhält:

  • Jesus hörte, dass sie ihn ausgestoßen hatten. Und als er ihn fand, fragte er: Glaubst du an den Menschensohn? Er antwortete und sprach: Herr, wer ist’s, auf dass ich an ihn glaube? Jesus sprach zu ihm: Du hast ihn ja gesehen, und der mit dir redet, der ist’s. Er aber sprach: Herr, ich glaube. Und er betete ihn an. Und Jesus sprach: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, auf dass die da nicht sehen, sehend werden, und die da sehen, blind werden. Das hörten einige der Pharisäer, die bei ihm waren, und sprachen zu ihm: Sind wir denn auch blind? Jesus sprach zu ihnen: Wärt ihr blind, so hättet ihr keine Sünde; weil ihr aber sagt: Wir sind sehend, bleibt eure Sünde.
    (Joh 9,35-41 LUT)

Die ganze Geschichte ist so konstruiert, dass sie auch die kritischsten Zweifler von der Göttlichkeit des Gottessohnes überzeugen soll. Das ist die eigentliche Aussage dieses Narrativs.

Selbstlos?

Und auch bei dieser Flut gab es so viele selbstlose Helferinnen und Helfer! Echte Engel!

Dieser Vergleich hinkt gewaltig. Denn wie der Bibelstelle zu entnehmen ist, war die Hilfe von Jesus keineswegs selbstlos.

Vielmehr erinnert dieses Verhalten an das jener Idioten, die das Leid der Flutopfer dazu nutzen, um ihre idiotische Ideologie zu verbreiten.

Und so viele, die spenden. Menschen, die das leben: solange ich atme, will ich für andere Licht sein!

Sehr löblich, Herr Rommert! Da werde ich Ihnen gleich noch einen tollen Vorschlag unterbreiten, wie Sie in Ihrer Funktion als Pastor für andere richtig helles Licht sein könnten…

Verschiebung der Verantwortung

Mit der Suche nach einem Sündenbock verschieben wir nur die Verantwortung. Aber genau darum geht es jetzt: Verantwortung übernehmen!

Und mit der Erklärung menschlichen Leides zum Mittel für göttliche Machtdemonstrationen hat sichs mit der Verantwortung gleich wieder erledigt. Nicht nur mit der Suche nach einem Sündenbock kann man Verantwortung verschieben. Sondern auch, indem man so tut, als gäbe es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen magischen Phantasiewesen und der irdischen Wirklichkeit. Und genau darum geht es in der hier zitierten Bibelstelle.

Um tatsächlich Verantwortung übernehmen zu können, gilt es, zunächst einmal die eigene Weltanschauung mit der Wirklichkeit abzugleichen.

„Licht sein“ – oder zahlen und strahlen

Was kann wer verbessern? Den Katastrophenschutz, die Warnkette, ja! Und was ist mein Beitrag zum Umweltschutz? Das ist die Frage: was mache ich jetzt daraus? Licht sein. Wo muss ich Verantwortung übernehmen? Ganz konkret, jetzt, in dieser Situation?

Herr Rommert, da fallen mir spontan die etwa 250-280 Millionen Euro ein, die die evangelische Kirche in Deutschland alljährlich in Form von gesetzeswidrigen Staatsleistungen erhält. Wie viel „Licht“ könnte man damit für andere sein?

Und wenn Sie gerade dabei sind, fragen Sie doch auch gleich mal beim Erzbistum Köln an, wieviel Ihre katholischen Glaubensbrüder von ihrem auf 3,36 Milliarden Euro geschätzten Vermögen beisteuern möchten. Statt sich ausgerechnet dann, wenn es mal einen ganz akuten Bedarf an wirklich effektiver Hilfe gibt wie gewohnt zurück zu halten. Und  sich auf Spendenaufrufe, die Instrumentalisierung von ehrenamtlichem Engagement und nutzlose Gebete zu beschränken.

Mit einer tatsächlich wirksamen, nämlich finanziellen Spende kann die Kirche zwar nicht wie Jesus göttliche Macht demonstrieren. Wohl aber könnte sie damit ihre Glaubwürdigkeit steigern. Sie könnte belegen, dass es ihr tatsächlich um Menschen in Not geht. Und nicht um sich selbst. Alle Aufrufe zu Verantwortung und Hilfe („solange ich lebe!“) würden gleich viel weniger heuchlerisch erscheinen.

Nachbemerkung

Ein AWQ-Leser hatte Herrn Rommert um eine Stellungnahme zu diesem Beitrag gebeten. Herr Rommert hat uns auf unsere Nachfrage hin und dann auch sicherheitshalber nochmal dem Leser untersagt, seine Stellungnahme hier zu veröffentlichen.

Irgendwie auch verständlich: Eine anschließende Auseinandersetzung mit kritischen Stimmen ist im Wort-zum-Sonntag-Honorar nicht enthalten. Es genügt offenbar, immermal öffentlich Dialogbereitschaft zu postulieren.

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2 Gedanken zu „Die große Hilfe – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Zu dem wirklich weit herbeigeholten Bibelzitat: Es ist doch schade, dass fast alle der hier kommentierten christlichen Verkündiger immer nur Teile ihrer heiligen Grundlagentexte zitieren. Das verfälscht absichtlich die eigentlich gemeinten Botschaft, die anscheinend heutzutage nicht mehr ganz gehört werden will oder vertragen werden kann.
    Zum Glück lässt Herr Rommert die allgemein für das Christentum in solchen Situationen üblichen Gebete und Gutgemeintes weg.
    „Zahlen und strahlen!“- das gefällt mir zum Licht-Sein-Wollen.
    Diese ehrliche Antwort hätte Herr Rommert seinen Zuschauenden, die am Ende mit seiner rhetorischen Frage zurückbleiben, auch selbst geben können…

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