Hiobs Botschaften – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 7 Min.

Hiobs Botschaften – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Lissy Eichert, veröffentlicht am 28.8.2021 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Diesmal präsentiert Frau Eichert die wie gewohnt uminterpretierte biblische Hiob-Mythologie und empfiehlt ihren Jenseitsglauben zur Realitätsflucht in ausweglosen Situationen.

Während Hasen, anders als im heiligen „Wort Gottes“ behauptet nicht wiederkäuen, bleibt Berufschristen offenbar nichts anderes übrig, als genau das immer und immer wieder mit ihren biblischen Mythen und Legenden zu tun.

Diesmal ist Hiob an der Reihe. Wobei Frau Eichert ihrem Publikum die eigentliche Kernaussage dieser Geschichte, wie im christlichen Mainstream üblich, verschweigt.

Die Hiob-Erzählung gehört, wie etwa auch das Arche-Noah-Narrativ zu den alttestamentarischen Mythen, die, zumindest im christlichen Mainstream, heute praktisch nur noch in einer verharmlosend zurechtgekürzten und entschärften Version präsentiert werden.

Hiobs Botschaften in der Eichert-Version

So auch bei Frau Eichert:

Diese Zeit geht an keinem von uns spurlos vorüber. Diese Kette von Schreckensmeldungen: Überschwemmungen, Waldbrände, Afghanistan, Haiti, die Pandemie und, und, und. Eine Hiobsbotschaft jagt die nächste. Hiobsbotschaft. Der Begriff geht auf Hiob in der Bibel zurück. Hiob – rechtschaffen, gottesfürchtig, wohlhabend – erhält eine Schreckensnachricht nach der anderen. Er verliert alles; seine Kinder, den Besitz, die Gesundheit.

Freunde wollen ihm beistehen, quatschen ihn aber nur mit religiösem Zeug voll. Geben ihm selbst die Schuld an seinem Elend. Was Gott übrigens schwer verärgert. Tapfer hält Hiob am „nicht schuldig“ fest – und an seinem Gott.

Diesem Gott klagt er alles Leid. Er will Antworten. Rebelliert. Tobt. Aber – er trennt sich nicht! Auch nicht, als seine Frau ihn provoziert: „Hältst Du immer noch fest an Deiner Frömmigkeit? Verfluche Gott und mach Schluss.“ Doch genau das tut er nicht, der Hiob. Er hält an seiner Sicht der Dinge fest. Und akzeptiert schließlich das Unbegreifliche. Dass Gott größer ist – größer auch als Leid, Tod oder Unrecht – wenn nur der Kontakt nicht abreißt.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Hiobs Botschaften – Wort zum Sonntag, verkündigt von Lissy Eichert, veröffentlicht am 28.8.2021 von ARD/daserste.de)

Der eigentliche Clou an der Geschichte ist, dass das Leid, das Hiob widerfährt, durch eine Art Wette zwischen Satan und Gott verursacht worden war.

Hiob-Mythologie: Moralisch höchst problematisch

Die moralische Problematik dieses Narratives und dessen fatale Auswirkungen hatte Jörn in einem Kommentar zu einem früheren Beitrag wie folgt zusammengefasst:

  • Der ganze Witz dieser Erzählung besteht darin, dass der arme Hiob gequält wird, obwohl er völlig tadellos ist. Die Geschichte will darauf hinaus, dass selbst größtes Leid und größte Ungerechtigkeit nicht kritisiert werden dürfen, und dass Gott das Recht hat, selbst völlig unbescholtene Menschen zu demütigen, wann immer er Lust darauf hat. Der Mensch ist hingegen rechtlos.
  • Die christliche Lehre bedient sich hier eines Winkelzugs, der auf den ersten Blick nicht leicht zu durchschauen ist. Die Lehre sagt zweierlei: Erstens, dass die Würde eines Menschen nicht von *anderen* Menschen genommen werden kann. Das könnte nur Gott. Zweitens, selbst wenn Gott das ganze Füllhorn seiner Boshaftigkeit über einem Menschen auskippen würde, behielte dieser Mensch dennoch einen Rest an Würde, weil er ja immer noch zum Ebenbild Gottes geschaffen wurde.
  • Mit dieser seltsamen Konstruktion hat die katholische Kirche jahrhundertelang die Sklaverei legitimiert. Man argumentierte, dass ein Sklave trotz allem immer noch das Ebenbild Gottes wäre, und folglich würde die Versklavung nicht die Würde schmälern. Folglich wäre es legitim.
    (Quelle: Kommentar von Jörn auf AWQ.DE vom 24.12.2019)

Um den Bogen in die Gegenwart zu spannen, berichtet Frau Eichert nun noch von den Aufzeichnungen des Regisseurs Christoph Schlingensief. Der hatte seinen Kampf gegen den Krebs schriftlich dokumentiert. Und auch, wie er nach den symptomatischen Phasen des Zweifelns und Verzweifelns wieder zum Festhalten an seinem zweckdienlich uminterpretierten christlichen Wunschgottesbild zurückfindet.

Hauptsache die Realität ausgeblendet

Frei im Moment radikaler Unfreiheit? Diese Vorstellung ist ihm dann doch zu „wirr“, zu „kompliziert“, schreibt er. Aber „Hauptsache, ich bin wieder in Kontakt und in Frieden mit den Dreien, mit Maria, Jesus und Gott“.

Das dürfte einer Berufsgläubigen runtergehen wie Öl: Schaut her, da ist einer in existentieller Not – und nach allem Zweifel und Widerstand ist es sein größtes Anliegen, wieder religiös gläubig sein zu können! 

Der „Heilige Geist“, der ja eigentlich der/die/das Dritte im dreieinigen Bunde an Mariä statt sein soll, schien Herrn Schlingensief offenbar keiner Erwähnung wert gewesen zu sein. Er bevorzugte stattdessen den Kontakt zur mythologischen Gottesmutter.

Unterwegs im schizophrenen Gedankenwald

Ein Blick in das hier zitierte Kapitel mit der Überschrift „Sich nicht im schizophrenen Gedankenwald verirren!“ gibt weiteren Aufschluss über das innere Ringen, das der Verfasser dieser Zeilen durchgemacht haben muss und was er sich von seiner religiösen Realitätsflucht verspricht (Hervorhebungen von mir):

  • Aber eins ist klar: Ich bin kein Atheist. Und ich kann jetzt auch nicht sagen, na gut, das Universum ist irgendwie so etwas Höheres. Nee, ich brauche das konkreter: Mit Maria, Jesus und Gott, mit diesen dreien, möchte ich auf alle Fälle weiterleben. Das ist die Hauptsache. Die genaue Differenzierung der drei ist nicht so wichtig, da fängt man schnell an, sich zu widersprechen. Das Wichtige ist jetzt erst mal, dass ich mit ihnen meinen Frieden habe, dass ich wieder Kontakt habe und sie bitten kann, mich vor weiteren Schlägen dieser Art hier zu bewahren. Und dass ich geliebt werden will. Und dass ich mich selbst lieben will. Und dass ich mich nicht mehr bestraft fühlen möchte, weder von anderen noch von mir selbst. Das will ich einfach nicht. Dass ich jetzt Krebs habe, gut, das ist scheiße. Wer da was verbockt hat, weiß ich nicht, warum das so ist, weiß ich auch nicht. Aber es handelt sich nicht um eine Bestrafung, vor allen Dingen nicht um eine Selbstbestrafung. Wenn ich das begreife, kann ich mich auch in die Hände von Jesus, Maria und Gott begeben. Diesen Schritt muss ich für mich gehen. Ich bin nicht stark, ich will mich lieber fallen lassen. Ich muss nur aufpassen, dass ich mich dabei nicht in diesem schizophrenen Gedankenwald verirre, der auf der einen Seite so angenehm schimmert und auf der andern Seite nur Dornen hat. […]
    (Quelle: Christoph Schlingensief: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!)

Angenehmer Schimmer

Herrn Schlingensief schien also durchaus bewusst zu sein, dass er sich vom kritischen Denken verabschieden muss, wenn er sich in diese Illusion „fallen lassen“ möchte. In seinen Überlegungen lassen sich noch die unangenehmen Implikationen erkennen, die die kognitive Dissonanz zwischen Glauben und Wissen hervorrufen können.

Da muss man sich als ansonsten vernünftig denkender Mensch überwinden, um die Vernunft über Bord zu werfen, um sich von der „dornigen“ Wirklichkeit in die religiös schimmernde Phantasiewelt begeben zu können.

Bewerten möchte ich dieses Vorgehen nicht: Die Flucht in religiöse Phantasiewelten fällt unter persönliche Glaubens- und Gedankenfreiheit. Festzuhalten ist nur, dass es eben nichts mehr ist als das. Auch dann, wenn Frau Eichert gleich noch Andeutungen zur biblisch-christlichen Jenseitsfiktion ins Spiel bringen wird.

Einem Geheimnis trauen?

Und wenn doch was dran ist an den „wirren“ Gedanken? Die Entscheidung Hiobs ist ja auch „verrückt“. Er entscheidet für sich, diesem Geheimnis, manche nennen es Gott, zu trauen. Auf Du und Du mit dem Ewigen kämpft es sich so ganz anders durch die Zumutungen des Lebens.

Na klar ist was dran an den wirren Gedanken.

Wer sich wie Schlingensief darüber freut, dass er seine imaginären Freunde darum bitten kann, dass diese ihn vor weiteren Schicksalsschlägen bewahren mögen, der profitiert sicherlich von dem gleichen Wohlfühleffekt, den auch der Alkoholkranke verspürt, wenn er gerade auf Du und Du mit der zweiten oder dritten Flasche Schnaps ist.

Selbst dann, wenn ihnen insgeheim bewusst ist, dass sie weder bei Göttern, noch bei Alkohol auf eine tatsächliche Linderung ihrer Leides hoffen können.

Ein Quantum an Freiheit

Hiob und Schlingensief – beide erahnen: Selbst in der Katastrophe bleibt ein Quantum an Freiheit. Beide erzählen von der Freiheit, das Schicksal einmal mit anderen Augen zu betrachten:

Klar: Irgendwann bleibt nur noch die Freiheit, sich seinem Schicksal zu ergeben.

Es ist dies genau diese „Freiheit“, die auch christliche Sklaventreiber ihren Sklaven, sauber biblisch untermauert, versprochen hatten. Oder auch die geradezu perverse Form von Hiobs „Freiheit“, sich durch die gottgewollten Schicksalsschläge nicht in seinem Götterglauben erschüttern zu lassen.

Was Schlingensief angeht: Ich kann mir vorstellen, dass man womöglich irgendwann im Leben an einen Punkt kommen kann, an dem einem eine noch so absurde Illusion bedeutsamer wird als die eigene intellektuelle Redlichkeit und Vernunft. Nämlich dann, wenn einem bewusst wird, dass jetzt sowieso schon alles zu spät ist. Und wenn diese Illusion einem dann irgendwie hoffnungsvoller erscheint als die Faktenlage.

Es ist dies der Moment, in dem man die Trugvorstellung, der geglaubte Gott würde vielleicht doch noch alles zum persönlichen Guten wenden nicht mehr aufrecht erhalten kann.

Der Glaube an einen lieben, sprich: wenn schon untätigen, dann wenigstens doch eventuell wohlmeinenden Gott oder an ein absurdes jenseitiges postmortales Weiterleben bietet dem, der bereit ist, daran zu glauben, somit einen scheinbaren Ausweg aus einer als unerträglich wahrgenommenen Realität in eine religiöse Phantasie-Wohlfühl-Vorstellungswelt.

Wer als gläubiger Christ in diese Situation kommt, muss dann freilich noch die Angst vor ewiger göttlicher Bestrafung mit physischen und psychischen Höllenqualen bei vollem Bewusstsein für ein möglicherweise nicht ausreichend gottgefälliges Leben verdrängen.

Schafft hier das Leben gut und schön, kein Jenseits ist, kein Aufersteh’n.

Ein Sprichwort heißt: „Augen, die geweint haben, sehen weiter.“ Sie können vom Tod zum Leben sehen. Ich staune, wie viele Menschen so einen Perspektivwechsel wagen. Und allen Hiobsbotschaften zum Trotz der Botschaft vom Leben trauen.

Und ich staune, mit welcher Selbstverständlichkeit jemand ein solches Geschwurbel in eine Fernsehkamera sprechen kann.

Wenn das Sprichwort aussagen soll, dass Menschen aus Krisensituationen mitunter gestärkt hervorgehen, dann kann man dem sicher zustimmen.

Die Formulierungen „vom Tod zum Leben sehen“ und  „der Botschaft vom Leben trauen“ legen die Vermutung nahe, dass Frau Eichert hier nicht das irdische Leben meint.

Sondern das, was Gläubige gemäß des von ihr propagierten Glaubenskonstruktes nach deren Tod erwartet.

Wird das Jenseits noch gebraucht?

Da sich redlicherweise kein Wirkzusammenhang zwischen irgendwelchen oder bestimmten Göttern und dem irdischen Geschehen feststellen und nachweisen, wohl aber erfinden und dementsprechend beliebig behaupten lässt, bleibt dieses fiktive Jenseits der einzige und deshalb wohl unverzichtbare Ort, um die Erfüllung religiöser Heilsversprechen und die Vollstreckung von Höllendrohungen dorthin zu verlegen. Um die vermeintlich „frohe Botschaft“ überhaupt noch irgendwie aufrecht erhalten zu können. Wenigstens theoretisch. Und um sie dort vor einer kritischen Überprüfung in Sicherheit zu bringen.

Ich fände es mal interessant zu erfahren, ob die Vorstellung eines Jenseits im biblisch-christlichen Sinne für Frau Eicherts Glauben noch unverzichtbar ist.

Oder ob es ihr auch schon gelingen würde, ihren christlichen Glauben noch weiter so zu verbiegen, dass sie auch keine Jenseitsvorstellung mehr benötigt. Eine Vorstellung, die ihr offenbar selbst so absurd erscheint, dass sie sie lieber, wie hier gerade einmal mehr gezeigt, mit allerlei vagen theologisch-rhetorischen Vernebelungen kaschiert.

Den biblisch-christlichen göttlichen Bestrafungsaspekt hat sie, zumindest in ihren Fernsehpredigten, ja auch schon komplett aus ihrer Verkündigung eliminiert.

In der Einleitung hatte Frau Eichert die Voraussetzung für diese Glaubensvorstellungen genannt: Die Selbsttäuschung funktioniert, „…wenn nur der Kontakt nicht abreißt.“ Genau genommen handelt es sich nicht um einen tatsächlichen Kontakt. Sondern um die Einbildung eines solchen.

Und genau das beschreibt den Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Wirklichkeit ist das, was auch dann noch da ist, wenn jemand nicht dran glaubt.

Schon allein die riesige Vielfalt an Religionen mit ihren höchst unterschiedlichen Gottes- und Jenseitsmythen zeigt, wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, dass auch nur eine davon tatsächlich richtig liegt.

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