Gedanken zu: Impulse von Stadtpfarrer Buß: „Das kleine Ich bin Ich“

Lesezeit: ~ 5 Min.

Gedanken zu: Impulse von Stadtpfarrer Buß: „Das kleine Ich bin Ich“, veröffentlicht am 20.10.21 von osthessennews.de

Darum geht es

Entweder hat Pfarrer Buß selbst ein Identitätsproblem – oder er hat das Kinderbuch „Das kleine Ich bin Ich“ einfach nur nicht verstanden. Seine religiöse Umdeutung der Geschichte wirft bedenkliche Fragen auf.

Wer die Geschichte „Das kleine Ich bin Ich“, um die es diesmal geht nicht kennt, findet bei Wikipedia eine kurze Zusammenfassung des Inhaltes. Und auch den vollständigen Text gibts online.

Fabelwesen auf Identitätssuche

Das beliebte Kinderbuch aus dem Jahr 1972 handelt von einem Fabelwesen auf der Suche nach seiner Identität.

[…] Schließlich stellt es sich die Frage, ob es überhaupt existiert, da es scheinbar nirgends dazugehört. Doch plötzlich bleibt es mit einem Ruck auf der Straße stehen und meint: „Sicherlich gibt es mich: Ich bin Ich“. Von diesem Augenblick an hat es seinen Platz unter den Tieren gefunden. Es hat sein Selbstbewusstsein, seine Eigenständigkeit und Einzigartigkeit entdeckt.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Impulse von Stadtpfarrer Buß: „Das kleine Ich bin Ich“, veröffentlicht am 20.10.21 von osthessennews.de)

Bis hierher ist gegen die Interpretation eigentlich nichts einzuwenden: Die eigene Identität hängt eben nicht von Gemeinsamkeiten mit anderen ab. Ich bin ich, weil ich ich bin. Ganz egal, wie ich bin.

Aversion gegen Individualismus

Nun wissen wir aus früheren Impulsen, dass Herr Buß eine offenbar religiös induzierte, ausgeprägte Aversion gegen Individualismus hegt.

In seiner katholisch vernebelten Vorstellungswelt haben Menschen keine Chance, von sich aus auf einen grünen Zweig zu kommen. Sondern nur, indem sie ihre Individualität aufgeben und sich der „richtigen“ Gemeinschaft unterordnen.

Ganz im Sinne dieser Agenda deutet Pfarrer Buß die Kernaussage des Buches nun zweckdienlich ins genaue Gegenteil um:

[…] Das kleine „Ich bin Ich“ hat gemerkt, dass es nicht gut ist, sich durch die Unterschiede den anderen gegenüber zu definieren, sondern dass es ihm besser bekommt, durch die Verschiedenheit das eigene Ich mit vielen Gemeinsamkeiten zu entdecken.

Ich wüsste gerne, auf welche Stelle im Buch sich Herr Buß hier bezieht.

Nachdem ich mir die Kindergeschichte und auch eine ausführliche Inhaltsanalyse (veröffentlicht von Mag.rer.nat. Gudrun Maria Kiesenhofer auf psychologen.at) aufmerksam durchgelesen habe, komme ich zu keinem anderen als dem Schluss, dass diese Interpretation von Herrn Buß völlig absurd ist.

Selbst erworbenes Selbstbewusstsein

Die eigentliche Aussage der Geschichte ist: Ich bin ich, ganz unabhängig von eventuellen Gemeinsamkeiten mit anderen. Und genauso auch unabhängig von meinen (äußerlichen) Verschiedenheiten.

Sein Selbstbewusstsein gewinnt das Fabelwesen aus der nur scheinbar trivialen Selbsterkenntnis: „Ich bin Ich.“

Ein solches selbst-verständliches und vor allem selbst erworbenes Selbstbewusstsein scheint für Herrn Buß unvorstellbar zu sein.

Klar: Für ihn, wir erinnern uns, gewinnt der Mensch erst dadurch an Wert, dass er sich der „richtigen“ (gemeint ist natürlich die christliche) Gemeinschaft unterordnet. In der er sich dann zum göttlich bevorzugten Ebenbild dieses Gottes überhöhen und auf seine „Erlösung“ hoffen kann.

A propos Unterschiede: Religionen, speziell die meisten Monotheistischen ermöglichen es ihren Anhängern, sich durch Unterschiede den anderen gegenüber zu definieren. Also genau das, was Herrn Buß‘ Interpretation zufolge die schlechte Erfahrung des kleinen Ich bin Ich gewesen sein soll. Dazu gleich noch mehr.

Gottes Gerechtigkeit

Doch bei dieser Themaverfehlung bleibt es nicht. Wie schon fast kaum anders zu erwarten, pappt der Stadtpfarrer von Fulda jetzt noch seinen Gott untendran:

Ich bin überzeugt, dass jeder von uns einmal guten Gewissens als „Ich bin Ich“, als einzigartiger Mensch mit Vorzügen und Schwächen, vor Gott hintreten kann und dass jeder auf seine Weise Gottes Gerechtigkeit erfahren wird.

Die „Gerechtigkeit“ des Gottes, um den es hier geht, wird in der Bibel unmissverständlich beschrieben, zusammengefasst in Mk 16,16.

Jedem das Seine…

Die Botschaft dieses Gottes und zugleich biblische Kernaussage lautet sinngemäß: Wenn du dich mir vollständig unterwirfst und wenn du mich von deiner unbedingten Unterwerfung überzeugen kannst, dann bewahre ich dich vielleicht vor dem, was ich dir antue, wenn du es nicht tust: Zeitlich unbegrenzte psychische und physische Dauerfolter mit Höllenqualen bei vollem Bewusstsein und ohne Einspruchsmöglichkeit.

Wenn Herr Buß jetzt also seine Überzeugung äußert, dass „jeder auf seine Weise Gottes Gerechtigkeit erfahren wird“, dann impliziert das genauso auch jenen unvorstellbar grausamen und unmenschlichen Bestrafungsaspekt.

Wie so oft lässt sich auch hier nicht sicher sagen, ob wir es mit einem geradezu widerwärtigem Zynismus (im Sinne von: Jedem das, was er verdient), mit klerikal-ignorantem Realitätsverlust oder einer Kombination aus Beidem zu tun haben.

Fragen über Fragen…

Sätze wie diese werfen für mich einmal mehr die Frage auf, ob es nicht vielleicht angebracht wäre, wenn nochmal irgendwer über die Impulse des Stadtpfarrers drüberschaut, bevor Osthessennews sie veröffentlicht. Jemand, der oder die vielleicht noch ein bisschen mehr in der weltlichen als in der katholischen Wirklichkeit zuhause ist.

Außerdem sollte sich die katholische Kirche als seine Arbeitgeberin fragen, ob es generell eine gute Idee ist, Berufsgläubige mit solchen Botschaften (explizit und implizit) in ihrem Namen irgendetwas veröffentlichen zu lassen.

Und Eltern, die ihre Kinder zu selbstbewussten und vernünftigen Menschen erziehen wollen, sollten sehr gut überlegen, ob sie ihre Kinder wirklich dem Einfluss von Leuten aussetzen möchten, die ihren Kindern eine solche absurde und inhumane Ideologie vermitteln: Alleine bist du nichts, nur in der „richtigen“ Gemeinschaft kannst du darauf hoffen, dass der liebe Gott dir dereinst deine Eigenarten verzeiht!

Gottes Barmherzigkeit?!

Und vielleicht gelingt es uns im Wissen um Gottes Barmherzigkeit, immer mehr nicht das Trennende, sondern das Verbindende zwischen den Menschen, Religionen, Kulturen und Völkern zu finden.

Der Gott der Bibel ist alles Mögliche. Aber ganz sicher nicht barmherzig.

Diesen Gott lassen seine Erfinder sich selbst detailliert als eifersüchtigen Rachegott mit narzisstisch-tripolarer Persönlichkeitsstörung beschreiben. Als einen, der ein inszeniertes innerfamiliäres Menschenopfer zu seiner eigenen Befriedigung nötig hat, um so seinen Anhängern seine Liebe zu beweisen.

Dieser Gott wäre, wenn es ihn gäbe, sogar das genaue Gegenteil von barmherzig. Nur wer seine selbstsüchtigen Bedingungen (über-)erfüllt, wird laut biblischer Mythologie vielleicht vor seiner Strafe verschont. Die Liebe dieses Gottes ist keine Liebe, sondern Erpressung und Nötigung.

Dieser Gott verzeiht niemals. Mit dem „Fegefeuer“ haben sich die Katholiken deshalb noch ein Zusatzspiel ausgedacht, in dem sie nochmal mit Gott um die Errettung der Seelen ihrer Verstorbenen mit unklarem Erlösungsstatus pokern können. Was soll an einem Gott barmherzig sein, der sich auf ein solches Spiel einlässt?

Bibelgott: Unbarmherzig und ungerecht

Dieser Gott wäre, wenn es ihn gäbe, auch kein gerechter Richter. Der einzig relevante Maßstab für ihn ist der Grad der Unterwerfung unter ihn.

Es ist nicht gerecht, Menschen wegen ihres Glaubens zu verurteilen. Wobei es hier ja gar nicht um einen irgendwie fairen Verurteilungsprozess geht: Niemand hat die Möglichkeit, Einspruch gegen das göttliche Urteil einzulegen. Ein Urteil, das für alle, die keine oder andere Götter verehren noch schlimmer als ein Todesurteil ist.

Es ist mir unbegreiflich, wie man auf die verwegene Idee kommen kann, ausgerechnet die angebliche Barmherzigkeit ausgerechnet dieses Gottes als Vorbild für Verständigung und friedliches Miteinander anzuführen.

Und der Vollständigkeit halber: Es gibt kein Wissen um göttliche Eigenschaften. Wenn man hier irgendetwas wissen könnte, brauchte man es ja nicht zu glauben. Zur inhaltlichen Entstellung eines Textes kommt hier also noch eine glatte Lüge dazu.

Trennung ist integraler Bestandteil von monotheistischen Religionen

Die Trennung von Gesellschaften ist integraler Bestandteil der biblisch-christlichen, monotheistischen Ideologie:

  • Wir, die Guten, Gottes Volk, die Auserwählten, die Rechtgläubigen, die, die erlöst werden, die ingroup auf der einen Seite.
  • Und auf der anderen Seite alle anderen, die Bösen, die Falschgläubigen, die Frevler, die Verdammten, die, die unser gerechter Gott dereinst völlig unangemessen (aus Sicht der Frommen freilich: völlig zurecht) dauerbestrafen wird, weil sie nicht unseren Glauben geteilt hatten, die outgroup.

Somit schafft das Christentum künstlich eine zusätzliche Trennung, die zwar nur auf rein menschlicher Fiktion beruht. Und die aber trotzdem bis heute ausreicht, seine Anhänger dazu zu bringen, auch millionenfaches Leid zu verursachen. Immer in der felsenfesten Glaubensüberzeugung, damit genau das einzig Richtige zu tun.

Fazit

Mit seiner Uminterpretation verkehrt Herr Buß die eigentliche Aussage des Buches ins Gegenteil und missbraucht seine Umdeutung zudem für seine Glaubensreklame. Kaum vorstellbar, so etwas zu tun, ohne es selbst zu bemerken.

Wer ist eigentlich inhaltlich verantwortlich für die Impulse des Fuldaer Stadtpfarrers?

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1 Gedanke zu „Gedanken zu: Impulse von Stadtpfarrer Buß: „Das kleine Ich bin Ich““

  1. So langsam drängt sich mir der Verdacht auf, Herr Buß möchte sich mit seinen so irrwitzigen wie moralisch extrem fragwürdigen Elaboraten für die Speerspitze christlicher Lebensweisheit qualifizieren: Das Wort zum Sonntag.

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