Lebensmut in der Trauer – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 4 Min.

Lebensmut in der Trauer – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Annette Behnken, veröffentlicht am 27.08.2022 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Obwohl Trauer eine „gar nicht so schlechte“ Einrichtung ihres Gottes sei, muss Frau Behnken ihn trotzdem manchmal verfluchen.

Nachdem Frau Prumbaum letzte Woche schon das Thema Tod und Trauer gewählt hatte, um ihren Glauben als doch noch irgendwie relevant ins öffentlich-rechtliche Fernsehen zu bringen, legt Frau Behnken heute nochmal zum gleichen Thema nach.

Der größte Teil ihres freien Assoziierens über Trauer, einen Grönemeyer-Song und eigene Erfahrungen mit Tod und Trauer sagt im Grunde nichts weiter aus als diese wenig aussagekräftige Erkenntnis von Frau Behnken:

[…] Die Trauer verwandelt mich. Ich weiß noch nicht, wie und was das bedeutet. Aber Trauer verwandelt.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Lebensmut in der Trauer – Wort zum Sonntag, verkündigt von Annette Behnken, veröffentlicht am 27.08.2022 von ARD/daserste.de)

Ja – und jetzt?

Jede Wahrnehmung, jede Empfindung „verwandelt“, oder genauer: verändert Menschen.

Vereinfacht gesagt: Alle Wahrnehmungen und Empfindungen verändern laufend die Hirnstruktur. Was sich auf das Unterbewusstein und damit auch auf das Bewusstsein auswirkt. Die Auswirkungen dieser biochemischen Vorgänge bezeichnen wir als Lernen, Erinnern, Vergessen oder auch Prägung.

Warum Frau Behnken behauptet, durch Trauer verwandelt zu sein, obwohl sie noch gar nicht sagen kann, woran sie diese Verwandlung feststellen kann, bleibt erstmal unklar.

Irgendwie spiritueller… oder so

Stattdessen darf sich auch Herbert Grönemeyer als einer outen, der Dinge behauptet, von denen er nicht sagen kann, was sie bedeuten sollen:

Er [Herbert Grönemeyer, Anm. v. mir] wurde gefragt, ob dieser Verlust ihn spiritueller gemacht habe. Ja, sagt er. Auch wenn er noch nicht genau wisse, was das bedeute.

„Spiritualität“ gehört zu den Begriffen, mit denen alles Mögliche gemeint sein kann – oder auch etwas ganz anderes.

Es erleichtert die Kommunikation ungemein, wenn man in etwa sagen kann, was man mit den Begriffen meint, die man verwendet. Und wenn man auf Formulierungen verzichtet, von denen man nicht genau sagen kann, was sie konkret bedeuten.

Während manche mit „spirituell“ einfach nur „geistig“ im Sinne von „gedanklich“ meinen, bedeutet Spiritualität für andere immer irgendwas religiös oder anders Esoterisches.

Eine solche sprachliche Vernebelung, zumal wenn sie bewusst verwendet wird, ist immer ein Indiz dafür, dass hier Dinge ohne Beweis behauptet werden. Die dann folglich ebenfalls ohne Beweis verworfen werden können.

Personifizierte Trauer

[…] Trauerarbeit heißt es. Es ist Arbeit, zu trauern. Knochenarbeit. Aber: Ich muss nicht an der Trauer arbeiten. Die Trauer arbeitet an mir. Für mich. Wenn sie durch mich hindurchfließt, tut sie ihr Werk. Sie weiß besser als ich, wie Heilwerden geht. Und wie lange es braucht. Und sie verwandelt mich. Ganz allmählich. Ich weiß noch nicht wie. Und was das bedeutet.

Eine Personifizierung von Gefühlen, Stimmungen oder Dingen, die man sich nicht anders erklären kann, ist typisch für Mythologie – und für mythologisch basierte Ideologien.

Denken wir nur an „Dämonen“ oder „Teufel“ als die „Vermenschlichung“ des Bösen. An „Väterchen Frost“ und „Frau Sorge.“ Oder an die Vorstellung des Schöpfergottes aus der biblisch-christlichen Mythologie.

Warum also nicht auch einfach mal die Trauer zu einer (besser-)wissenden, selbständig handelnden Entität machen? Eine eigenständig handelnde Akteurin, die irgendetwas nach bestimmten Regeln und mit irgendeiner bestimmten Absicht tut?

Das kann man natürlich alles machen. Der menschlichen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Und zu Zeiten, in denen die Menschheit noch nicht mal ansatzweise über das Wissen verfügte, das wir uns bis heute erarbeitet haben, mag eine falsche Erklärung angenehmer gewesen sein als keine Erklärung.

Wer sich heute noch mit solchen absurden Vorstellungen an die Öffentlichkeit wendet, muss sich fragen lassen, was er oder sie damit bezwecken möchte.

Wem verdankt Frau Behnken ihr Leben?

Was Frau Behnken angeht, wird der Zweck dieser Vernebelung gleich klar:

Aber irgendwie hat das der, dem ich mein Leben verdanke, gar nicht so schlecht eingerichtet. Auch wenn ich ihn manchmal verfluche, weil es so sinnlos ist, weil es so wehtut.

Frau Behnken, was hat denn Ihr biologischer Vater mit der Einrichtung des menschlichen Trauerprozesses zu tun?! Und wieso reden Sie nicht einfach mal mit ihm, statt ihn zu verfluchen?!

…genauso selbstverständlich wie diese Reaktion ist für gläubige Christen offenbar die Vorstellung, dass sie ihr Leben nicht ihren Eltern, sondern dem Gott verdanken, der fast immer der Gott ist, der auch schon von den Menschen geglaubt wird, von denen man großgezogen wurde.

Tja, Frau Behnken. Mal abgesehen von der Absurdität der Vorstellung, jemand, dem Sie Ihr Leben verdanken sei auch für die Einrichtung des Trauerns zuständig:

Hätte Ihr lieber Gott auch eine Welt ohne Trauer erschaffen können? Oder wenigstens mit ein ganz klein weniger Sinnlosigkeit und Schmerz? Warum nur „gar nicht so schlecht“? Und nicht „richtig gut“? Wie man es von einem allmächtigen und allgütigen Wesen erwarten würde?

Hier haben wir ein weiteres Beispiel für eine religiöse Personifizierung: Diesmal ist es Gott himself, der Frau Behnkens Frust in Form von Verfluchungen abbekommt. Dabei sollte Frau Behnken ja eigentlich wissen, dass ihr Gott äußerst allergisch darauf reagiert, von seiner bevorzugten Trockennasenaffenart verflucht zu werden.

Fassen wir zusammen:

Frau Behnken behauptet also, dass die Fähigkeit zu Trauern ein „gar nicht so schlechtes“ Werk eines Gottes sei. Und zwar zufällig genau der Gott aus der biblisch-christlichen Mythologie, an den auch Frau Behnken glaubt.

Ich behaupte, dass sich Trauern zur Bewältigung von Verlust und Leid evolutionär bewährt hatte. Offensichtlich hatten Menschen in Gesellschaften, in denen getrauert wurde bessere Überlebens- bzw. Fortpflanzungschancen als jene, die nicht trauerten.

Welche dieser beiden Erklärungen ist plausibler? Und warum?

Lebensmut durch Realitätsverweigerung?

Der Überschrift zufolge möchte Frau Behnken ja Lebensmut in der Trauer propagieren. Dagegen ist ja grundsätzlich sicher nichts einzuwenden.

Allerdings frage ich mich, ob eine irrationale Personifizierung von Trauer (bzw. eines angeblichen „Schöpfers“, den man dann bei Bedarf auch mal verfluchen kann, wenn religiöser Wunsch und irdische Wirklichkeit aufeinanderprallen) tatsächlich dazu beitragen kann, in einer Trauerphase wieder Lebensmut zu fassen.

Ich fände es interessant zu erfahren, wie Leute, die sich nicht mythologisch-theologisch, sondern psychologisch-wissenschaftlich mit Trauerbewältigung befassen die Vorstellungen von Frau Behnken einschätzen würden.

Den Rest der heutigen Verkündigung, bestehend aus eine Aneinanderreihung irgendwelcher Wortfetzen und Begriffen rund um das Themengebiet „Trauerbewältigung“ erspare ich mir und der geschätzten Leserschaft.

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3 Gedanken zu „Lebensmut in der Trauer – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Aber Frau Behnken, es gibt doch überhaupt keinen Grund zum trauern, nach ihrem Glauben geht die ganze Sache doch unendlich weiter im Himmel.
    Oder in Ihrem speziellen Fall in der Hölle, da sie gerade ihren Gott verflucht haben, was laut ihrem Märchenbuch die einzige Sünde ist, die niemals vergeben wird.
    Also Kopf hoch, machen sie sich ein paar warme Gedanken, denn für sie wirds bald extrem heiss hergehen, in ewiger Qual, für alle Ewigkeit…
    Genau so wie das ihr „lieber Gott“ in seiner grenzenlosen „Gnade“ geplant hat!

    Oder glauben sie den ganzen Müll, den sie erzählen am Ende doch nicht selbst?!

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  2. Aus dem WzS Frau Behnkens: „Letzte Woche hat meine Kollegin hier im Wort zum Sonntag über den Tod und die Trauer gesprochen und viele von uns damit erreicht – mich auch.“

    Meine Vermutung: Die kommunizieren jetzt in erster Linie untereinander und bestätigen sich dann jede Woche, wie wertvoll und berührend und erhebend das ist/war. Das hat sicher den Vorteil, dass endlich mal positive Rückmeldungen kommen und die Truppe dann auch in bewährter Kritik- und Hirnresistenz für immer in der Endlosschleife an Wehleidigkeit, Trauer und Dauergejammer um sich selber kreisen kann … nur blöd, dass wir den Unfug finanzieren müssen.

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