Wach und Aufmerksam bleiben – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 5 Min.

Wach und Aufmerksam bleiben – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Benedikt Welter aus Trier, veröffentlicht am 29.10.2022 von ARD/daserste.de und von rundfunk.evangelisch.de

Darum geht es

Weil ein Gebet zur Unterstützung von Menschen in prekären Situationen nichts bringt und um noch eine Bibelstelle unterbringen zu können, definiert Pfarrer Welter den Begriff einfach um.

Unablässig beten – oder was?

Vorab: Während der Titel der heutigen Sendung auf der ARD-Webseite noch „Benedikt Welter: Unablässig beten – nicht nachlassen“ lautet, ist der Beitrag auf rundfunk.evangelisch.de mit „Wach und aufmerksam bleiben“ überschrieben.

Das finde ich deshalb erwähnenswert, weil ich mich frage, ob vielleicht doch noch irgendwem aufgefallen war, dass es in Pfarrer Welters Beitrag gar nicht um „beten“ geht. Sondern um die Betreuung von Menschen mit Suchterkrankung.

Pfarrer Welter berichtet heute von seinen Erlebnissen in einer Caritas-Station, wo er für ein paar Tage mitgeholfen hatte. Wir erfahren, dass Menschen aus prekären Verhältnissen dort von Sozialarbeitern und Freiwilligen nicht nur praktische Hilfe beim Umgang mit Süchten, Ämtern und dem Alltag bekommen.

Die Klienten finden dort neben ganz praktischer Hilfe bei Bedarf auch ein „offenes Ohr.“ Also Menschen, die einem zuhören.

Sozialarbeit: Besser ohne Religion

Glaubensgedöns kommt in Pfarrer Welters Schilderungen an dieser Stelle nicht vor: Für eine ehrenamtliche Tätigkeit und für eine, von hauptberuflichen Sozialarbeitern professionell durchgeführte Dienstleistung im sozialen Bereich braucht es keine Religion.

Im Gegenteil: Menschen in prekären Situationen, zum Beispiel aufgrund von Armut, Obdachlosigkeit, Sucht- und anderen Erkrankungen haben schon im Diesseits genug Sorgen, als dass sie sich noch mit dem belasten sollten, was das jenseitsorientierte biblisch-christliche Belohnungs-Bestrafungskonzept zu bieten hat.

Und dass eine Ausflucht in religiöse Phantasiewelten genauso wenig Probleme löst wie eine Flucht ins Delirium, liegt auf der Hand.

Worum geht es?

Weil Glaube und Religion bis jetzt noch überhaupt keine Rolle gespielt hatten, ergänzt Herr Pfarrer Welter eben noch schnell eine ihm passend erscheinende Bibelstelle:

Von Jesus gibt es ja das Wort: „Unablässig beten – nicht nachlassen“! Was das heißen kann, erlebe ich hier, in der Neustadt 20; das lerne ich von Markus, Heiner, Julian und Mark, von Ute und Carin: nicht müde werden am Menschen, um nicht müde zu werden für den Menschen. Ich finde, das ist unablässiges Gebet.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Wach und Aufmerksam bleiben – Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Benedikt Welter aus Trier, veröffentlicht am 29.10.2022 von ARD/daserste.de, Zit. n. rundfunk.evangelisch.de)

In der hier zitierten Bibelstelle Lukas 18,1 ist mit „Unablässig beten – nicht nachlassen“ genau das gemeint.

Allezeit beten und nicht müde darin werden

Der biblische Jesus versucht, seinem Publikum mit einer leicht verständlichen Anekdote zu verklickern, wie wichtig es sei, unablässig zu beten und dabei nicht nachzulassen:

  1. Er legte ihnen dann ein Gleichnis vor, um sie darauf hinzuweisen, daß man allezeit beten müsse und nicht müde darin werden dürfe.
  2. »In einer Stadt«, so sagte er, »lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm.
  3. Nun wohnte in jener Stadt eine Witwe, die (immer wieder) zu ihm kam mit dem Anliegen: ›Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!‹
  4. Lange Zeit wollte er nicht; schließlich aber dachte er bei sich: ›Wenn ich auch Gott nicht fürchte und auf keinen Menschen Rücksicht nehme,
  5. will ich dieser Witwe doch zu ihrem Recht verhelfen, weil sie mir lästig fällt; sonst kommt sie schließlich noch und wird handgreiflich gegen mich.‹«
  6. Dann fuhr der Herr fort: »Hört, was (hier) der ungerechte Richter sagt!
  7. Sollte nun Gott nicht auch seinen Auserwählten Recht schaffen, die Tag und Nacht zu ihm rufen, auch wenn er Langmut bei ihnen übt?
  8. Ich sage euch: Er wird ihnen gar bald ihr Recht schaffen! Doch wird wohl der Menschensohn bei seinem Kommen den Glauben auf Erden vorfinden?«
    (Lukas 18, 1-8 MENG)

Hier geht es nicht um Durchhaltevermögen bei der Durchführung sozialer Dienstleistungen. Sondern tatsächlich um unablässiges Gebet. Es geht nicht um Menschen untereinander. Sondern um das Verhältnis von Mensch zu Gott. In der Hoffnung, dass dieser einen davor eventuell verschont, was er einem androht, wenn man nicht unablässig genug gebetet haben sollte.

Wem nützt’s?

Weil „Unablässig beten – nicht nachlassen“ faktisch nichts bezweckt, außer dass es menschliche Lebenszeit und -energie bindet und dem Betenden bestenfalls zumindest die angenehme Einbildung ermöglicht, etwas „getan“ zu haben, definiert Herr Welter seine gerade anekdotisch beschriebene Aussage, sinngemäß: „unablässig seine beruflichen Ziele verfolgen und auch bei Rückschlägen nicht nachlassen“ zweckdienlich um zum biblischen „Unablässig beten – nicht nachlassen.“

Diese Verquickung von irdischer Realität und religiöser Phantasy dient lediglich Herrn Welter. Denn nur solange noch genug Schäfchen die biblische Mythologie für glaubwürdig und das darauf errichtete christliche Glaubenskonstrukt für relevant erachten, brauchen Pfarrer und Priester noch nicht um ihre berufliche Zukunft zu bangen.

Ausgerechnet wenn es um die Betreuung von Menschen mit Suchterkrankungen geht, erweist sich religiöser Glaube nicht nur als entbehrlich. Sondern als potentiell gefährlich, zumindest aber als kontraproduktiv.

Schließlich geht es bei dieser Arbeit ja primär darum, Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags zu unterstützen. Und eben nicht darum, ihnen mit absurden Glaubensgewissheiten noch eine weitere Form der Realitätsflucht anzubieten.

Und genau deshalb gilt es eben nicht, unablässig zu beten. Sondern professionell zu arbeiten.

Evidenz statt Rosenkränz‘

Wie wichtig gerade in der Suchtberatung eine Überwindung pauschaler Haltungs- und Glaubenssätze (Konfession) hin zu einer evidenzbasierten Souveränität (Profession) ist, welche Maßnahmen hierzu erforderlich sind und was diese Entwicklung erschwert, beleuchtet Michael Klein in einem Beitrag auf addiction.de. Dort heißt es (Hervorhebung von mir):

  • Suchtberatung als zentraler Bestandteil der ambulanten Suchthilfe muss evidenzbasiert, innovativ und theoriebasiert mit hoher Handlungskompetenz weiterentwickelt werden. Dies ist eine Aufgabe der Praxis und Forschung einerseits sowie der Leistungs- und Kostenträger und der Politik andererseits. Der Weg dahin ist noch weit, aber er sollte sich lohnen, um den Nucleus eines modernen Suchthilfesystems zu entwickeln. Wichtig ist die Überwindung pauschaler Haltungs- und Glaubenssätzen (Konfession) und die Erreichung des Ziels evidenzbasierter Souveränität (Profession).
    (Quelle: Michael Klein via addiction.de: Suchtberatung in Deutschland – Der weite Weg von der Konfession zur Profession, posted on 12. November 2020)

Auch in diesem Bereich muss die Devise also lauten: Wissen statt Glauben.

Mit seinem heutigen „Wort zum Sonntag“ belegt Pfarrer Welter die These, dass trotz der historisch bedingt immer noch überproportionalen Dominanz kirchlicher Träger der christliche Glaube zu dem, worum es eigentlich geht, nämlich die professionelle Hilfe für Menschen mit Suchterkrankungen, nichts Brauchbares beizutragen hat.

Und deshalb bleibt Herrn Welter auch gar nichts anderes übrig, als das unzweifelhaft auf Gott bezogene Gebet umzuinterpretieren, um seine Bibelstelle unterbringen zu können.

Vom Moral-Kompass zum Fähnchen im Wind

Hier lässt sich eine interessante und aus kirchlicher Sicht dramatische 180-Grad-Wendung beobachten:

Wurden die biblischen Texte früher noch als wegen ihres angeblich göttlichen Ursprungs über alle Zweifel erhabene und ewig gültige, einzige Wahrheit, als überlegene „moralische Richtschnur“ verkauft, müssen Bibelstellen heute (zumindest im christlichen Mainstream) mit spitzen Fingern aus dem Kontext herausgepickt und so umdefiniert werden, dass sie zumindest bei oberflächlicher Betrachtung den Anschein erwecken, nicht im Widerspruch zu modernen ethischen Standards, Normen und Gesetzen zu stehen.

Viel mehr ist nicht mehr drin. Und viel höher scheint der Anspruch der Verkünder an ihren Glauben auch nicht mehr zu sein.

Die Caritas-Legende

…und zum Abschluss gilt es noch, einmal mehr die Caritas-Legende zu befeuern:

An einem Treffpunkt, wie es so viele gibt in unserer Republik; draußen an der Hauswand leuchtet das Logo der Caritas. Die ist seit genau 125 Jahren in Deutschland vielfältig unterwegs; unter dem Motto: „Das machen wir gemeinsam“.

Nicht müde werden am Menschen, wach bleiben für den Menschen …

Eine hinreichend ausführliche Begründung, warum die Selbstdarstellung des „Barmherzigkeits-Konzerns“ Caritas zurecht als Legende werden kann, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Wer sich näher mit dem Thema befassen möchte, dem sei das Buch „Caritas und Diakonie in Deutschland“ von Dr. Carsten Frerk zur Lektüre empfohlen.

Das Buch ist zwar schon etwas älter und nicht mehr im Buchhandel erhältlich, kann aber auf der Webseite des Autors als PDF kostenlos heruntergeladen werden.

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10 Gedanken zu „Wach und Aufmerksam bleiben – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Von Jesus gibt es ja das Wort: „Unablässig beten – nicht nachlassen“! Was das heißen kann, erlebe ich hier, auf awq.de: Das lerne ich von Marc, Flo, Christian, Peter …. nicht müde werden an der Aufklärung, um nicht müde zu werden für den Menschen. Ich finde, das ist unablässiges Gebet.

    Ach, Herr Welter ……..

    Antworten
      • So ganz nebenbei,
        Du überzeugst regelmässig mit nem echt guten Musikgeschmack.
        Auch wenn ich eher der Death und Black-Metal Szene zugehörig bin, so ist hab ich doch all die von dir ausgewählte Mucke bereits mit der Muttermilch aufgesogen und bin bis heute ein riesen Fan von Jethro Tull!

        Rock on you crazy Atheist!!!

        Antworten
    • Herr Edmüller,

      Vielen Dank für die Blumen, aber zuviel der Ehre…

      Ich versuche hier nur mit meinem schwarzen Humor für ein bisschen Stimmung zu sorgen und führe in meinem recht grossem privatem Umfeld regelmässig für Zündstoff und angeregte Diskussionen.
      Aber letztendlich gebührt diese Ehre Menschen wie Ihnen und Marc, die sich tagtäglich mit diesem kollektivem Wahn beschäftigen und ihre Energie in das verfassen von Blogs und Büchern stecken!

      Eure Arbeit bringt hoffentlich eines Tages die Welt und das Denken der Menschheit einen Schritt weiter!

      Mit besten Wünschen und einem leicht „diabolischem“ Lächeln,

      FLO

      Antworten
  2. Lieber Andreas,
    auch von meiner Seite einen großen Dank.
    Eine Aufklärungsarbeit, wie wir sie hier betreiben, ist auch weiterhin notwendig.
    Wie bei fast allen Sachen, die uns täglich begenen, hinterfragen wir den persönlichen Nutzen, bzw., stellen wir in Frage, ob das Angebotene, wenigstens wahr ist.
    So ein kritisches Denken und eine gewisse Skepzsis, ist in Glaubensfragen erst Recht angebracht!

    Antworten
  3. Hallo Leute,

    genau so funktioniert es: Teamwork der Vernünftigen gegen die religiösen und sonstigen Spinner! Weiter so! Jeder Kommentar zählt und ermutigt uns doch alle! 👍

    Habt Ihr übrigens schon das neue Buch von Jörn Dyck gesehen: „Ist der Papst ein Betrüger“? Sehr unterhaltsam und sehr griffig! Ich mache grade ein Interview mit Jörn für awq.de und hoffe, Marc wird es abdrucken! 😈😂

    Antworten
  4. Unablässig Beten?
    Heilige Scheisse, was stimmt denn mit diesem Gott nicht?
    Der hat ja ein schweres Aufmerksamkeitsdefizit Syndrom.
    Diese widerliche, ständige Anschleimerei hält doch der stärkste Gott nicht aus.
    Oh Gott, mach mir eine 3 in Mathe
    Oh Gott, mach den Weltfrieden
    Oh Gott, gib mir meine Jungfräulichkeit zurück
    Oh Gott, bitte mach das mein Rasenmäher anspringt
    Oh Gott, mach mir schönes Wetter
    Oh Gott, mach das ich nicht schwanger bin
    blablablablablabla
    Da hängt’s doch dem Gott den Hirnkasten aus.

    Mein Tipp, alle Christen sollten einen Tag lang mal nicht Beten, Euer Gott wird’s euch tausendmal danken!

    Antworten

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