Wer heute noch Mitglied der katholischen Kirche ist muss sich bewusst sein, dass er damit eine Institution unterstützt, die tausende Fälle von sexueller Gewalt nicht nur ermöglicht, sondern auch systematisch vertuscht und die Täter nach Möglichkeit bis zur Verjährung vor weltlicher Strafverfolgung geschützt hat und die bis heute durch die Verhinderung einer konsequenten externen Aufklärung und Strafverfolgung die Opfer verhöhnt.
Obwohl das 2. Kölner Missbrauchsgutachten (das von Juristen als „Gefälligkeitsgutachten“ kritisierte „Gerke-Gutachten“) öffentlich zum Download bereit steht und obwohl das Thema zwar leider viel zu spät, aber inzwischen ja doch unübersehbar in den Medien präsent ist, zeigten zumindest die überzeugten, „aktiv gläubigen“ Christen, mit denen ich mich in den letzten Monaten unterhalten habe wenig bis gar kein Interesse an den Details.
Am besten einfach ignorieren
Besonders für die Christen, die in ihrem eigenen religiösen Umfeld weder mit Tätern, noch mit Opfern zu tun hatten, scheinen die tausendfachen Verbrechen und der katastrophale Umgang der Kirche mit diesem Skandal offenbar keine Gründe zu sein, die eigene Kirchenmitgliedschaft wenigstens mal kritisch in Frage zu stellen.
Anmerkung: Der Missbrauchskandal war und ist sicher für viele Gläubige Anlass, sich von dieser Kirche zu verabschieden. Meine hier geschilderten Erfahrungen beruhen auf Gesprächen mit Christen, die nach eigener Angabe einen Austritt bisher für ausgeschlossen halten.
Der Tenor solcher Gespräche lautete meistens sinngemäß: „Ja, da gab es wohl mal was und das war wahrscheinlich auch schlimm, aber das ist ja alles schon lange her und kommt ja jetzt nicht mehr vor – und vor allem hat das alles ja nichts mit mir (oder mit unserem Pfarrer, der immer so schön Gitarre spielt) zu tun!“
Das hat doch nichts mit mir zu tun…
Die meisten der Christen, mit denen ich mich die letzte Zeit über dieses Thema unterhalten habe bewältigen den Skandal durch Ignorieren.
Und das scheint auch gut zu funktionieren. Jedenfalls so lange, wie man dem Thema entweder ganz aus dem Weg geht. Oder wenn man den Schicksalen, wenn überhaupt, nur in Form von sachlich formulierten und damit recht abstrakten „Aktenvorgängen“ wie zum Beispiel diesem begegnet:
Aktenvorgang 148
Im Juni 2012 stellte ein Betroffener einen Antrag auf Leistungen in Anerkennung des Leids für Betroffene sexuellen Missbrauchs beim Erzbistum Köln. Er gab an, zwischen den Jahren 1971 und 1974 durch den Beschuldigten sexuell missbraucht worden zu sein. Im Rahmen eines persönlichen Gesprächs teilte der Betroffene mit, dass er zur Zeit des Missbrauchs als Sekretär des Beschuldigten tätig gewesen sei. Es konnte festgestellt werden, dass der Betroffene zu diesem Zeitpunkt bereits das 18. Lebensjahr vollendet hatte. Der Beschuldigte wurde mit dem Vorwurf konfrontiert. Im Rahmen seiner Stellungnahme verwies er darauf, dass der sexuelle Kontakt einvernehmlich stattgefunden habe. Der Antrag auf Leistungen in Anerkennung des Leids für Betroffene sexuellen Missbrauchs des Betroffenen wurde Ende 2012 positiv beschieden. Im August 2013 wurde der Fall der Glaubenskongregation in Rom vorgelegt, die das Verfahren nach Köln zurückverwies. Im Februar 2014 wurde dem Beschuldigten ein Strafdekret des Erzbischofs Dr. Meisner übermittelt. Darin erteilte Erzbischof Dr. Meisner dem bereits im Ruhestand befindlichen Beschuldigten einen Verweis und sprach ein Kontaktverbot mit Minderjährigen aus. Der Beschuldigte wurde zudem verpflichtet, sich an den Kosten für die Zahlung an den Betroffenen zu beteiligen und ihn persönlich um Verzeihung zu bitten. Im Dezember 2018 wurden die Akten nachträglich der Staatsanwaltschaft übergeben. Der Beschuldigte verstarb im Jahr 2019.
(Quelle: https://mam.erzbistum-koeln.de/m/2fce82a0f87ee070/original/Gutachten-Pflichtverletzungen-von-Diozesanverantwortlichen-im-Erzbistum-Koln-im-Umgang-mit-Fallen-sexuellen-Missbrauchs-zwischen-1975-und-2018.pdf#page=690)
Wie viel Leid sich allein hinter diesem einen „Aktenvorgang“ verbirgt, lässt sich ohne nähere Informationen aufgrund der verhängten Sanktionen nur erahnen.
Hauptziel der Studie war allerdings auch nicht eine Analyse oder Aufarbeitung der tausendfachen Straftaten. Sondern eine Untersuchung des Fehlverhaltens der verantwortlichen Kirchenfunktionäre.
Und dieses vorsätzliche Fehlverhalten mit dem einzigen Ziel, Straftaten so lange wie möglich zu vertuschen um Kirche und Täter zu schützen ist in diesem Aktenvorgang allein schon durch die Jahreszahlen belegt.
…oder doch?
Bis hierher scheint der beschriebene Aktenvorgang noch abstrakt und weit genug weg zu sein, um ihn als Christ zwar zur Kenntnis zu nehmen, ansonsten aber mit einem bedauernden Schulterzucken hinnehmen zu können.
Umso erstaunter war ich, um wieviel betroffener die Reaktionen waren, wenn ich meine Gesprächspartner darüber aufklärte, dass es sich laut katholisch.de bei dem Täter aus dem Aktenvorgang Nr. 148 wohl um den 2019 verstorbenen früheren „Sternsinger-Präsident“ Winfried Pilz handelt:
Er war einer der Großen der katholischen Jugendarbeit: Als Seelsorger und Präsident der Sternsinger prägte Winfried Pilz über Jahrzehnte die Kirche. Nun ist bekannt geworden: Zur selben Zeit, als er das Lied „Laudato si“ dichtete, missbrauchte er einen Mitarbeiter – und es gibt weitere Vorwürfe.
(Quelle: katholisch.de: Neuer Missbrauchsverdacht gegen „Laudato si“-Schöpfer Winfried Pilz)
Den meisten Christen dürfte der Name „Winfried Pilz“ wahrscheinlich nichts sagen.
Umso bekannter ist jedoch der von Winfried Pilz getextete Christen-Schlager Laudato si:
Wer jemals mit christlicher Jugendarbeit in Berührung gekommen ist, dürfte diesen Song schon mal gehört und vielleicht auch selbst mitgesungen haben.
Der Text ist fester Bestandteil wahrscheinlich aller Liederbücher, die zur religiösen Indoktrinierung im Kindergarten, im Religionsunterricht am Lagerfeuer oder zur Umrahmung von Jugendgottesdiensten im Umlauf sind.
Laudato si
Und erstaunlicherweise scheint die Tatsache, dass ausgerechnet der Autor dieses Textes über mehrere Jahre als Missbrauchstäter Verbrechen begangen haben soll, für einige der Christen, mit denen ich mich unterhalten habe wesentlich schwerer zu wiegen als alle Missbrauchsstudien zusammen.
Offenbar wurde ihnen erst durch Laudato si bewusst, dass das ja doch auch irgendwie etwas mit ihnen, ihrer Kirche, ihrem Glauben zu tun hat.
Die Reaktion war wirklich bemerkenswert: Weder das unsägliche Verhalten ihrer katholischen Kirche, noch das Leid der vielen tausend Missbrauchsopfer schienen sie so betroffen gemacht zu haben wie die Erkenntnis, dass sie ihren so beliebten Kirchen-Hit jetzt nie mehr ohne das Wissen werden singen können, dass der Verfasser offenbar ein zumindest von der Kirche mehrfach bestrafter (und gleichzeitig natürlich auch von der Kirche vor einer Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft so lange wie irgend möglich geschützter) Missbrauchtstäter war.
Alles deutet darauf hin, dass Monsignore Winfried Pilz einer der „Brüder im Nebel“ war, wie der damals zuständige Erzvertuscher Kardinal Joachim Meisner die Sexualstraftäter und Kindervergewaltiger unter seinen Angestellten zynischerweise bezeichnete.
Ein ganz besonderes Gespür für die Lebenssituation benachteiligter Kinder und Jugendlicher…
A propos zynisch: Besonders zynisch erscheint im Nachhinein auch der Nachruf, den die „Sternsinger“-Bettelorganisation zum Tod von Winfried Pilz veröffentlicht hatte:
Der Nachruf des Hilfswerks nach Pilz‘ Tod im Februar 2019 war nach dieser Darstellung also in Unkenntnis der Vorwürfe verfasst. Sein Nachfolger, Prälat Klaus Krämer, würdigte den Verstorbenen als „starke Stimme für die Kinder in aller Welt“. Pilz habe ein ganz besonderes Gespür für die Lebenssituation benachteiligter Kinder und Jugendlicher in den Projektländern der Sternsinger gehabt.
(Quelle: ebenda)
Ein ganz besonderes Gespür für die Lebenssituation benachteiligter Kinder und Jugendlicher ist sicher von Vorteil, um sich an Kinder und Jugendliche heranzumachen.
Im Glauben inspiriert, bestärkt, begleitet – und vergewaltigt
Ähnlich liest sich auch der Nachruf aus dem Erzbistum Köln, wo man seit 2012 von den Vorwürfen wusste. Mit dem Strafdekret stand für das Erzbistum seit 2014 auch die Schuld fest. Dennoch würdigte auch der Personalleiter des Erzbistums, Pfarrer Mike Kolb, Pilz als „begnadeten Prediger und tiefgläubigen Charismatiker, der in der Zeit nach dem II. Vatikanischen Konzil als Diözesanjugendseelsorger und Leiter der Bildungsstätte Haus Altenberg viele junge Menschen im Glauben inspiriert, bestärkt und begleitet hat“.
(Quelle: ebenda)
Wie diese Inspirierung im Glauben, Bestärkung und Begleitung in seinem persönlichen Fall ausgesehen hatte, beschreibt ein mutmaßlich Betroffener gegenüber dem Deutschlandfunk (Hervorhebung von mir):
Der hier eingeladene mutmaßliche Betroffene hatte sich im März 2022 an den Deutschlandfunk gewandt und möchte anonym bleiben. Hier trägt er das Pseudonym Matteo Schuster. Dem Deutschlandfunk und „Christ & Welt“ berichtete er, Pilz als Leiter des Hauses Altenberg im Bergischen Land habe ihn betrunken gemacht und vergewaltigt. Er wünsche sich, dass der Fall aufgeklärt werde.
(Quelle: Deutschlandfunk: Missbrauchsfall Winfried Pilz – Zweifel an eidesstattlicher Erklärung Kardinal Woelkis)
Oliver vom MGEN-Podcast berichtete vor einigen Wochen in diesem Beitrag über den Fall Winfried Pilz:
Kein Wunder, dass die meisten Gläubigen das nicht an sich ranlassen wollen.
Die glauben ja auch alle an den „Lieben-Gott“, aufgrund von handverlesenen Halbsätzen der Bibel…
Dazu gabs in Holland mal ein Experiment, bei dem Christen aus einer als Koran getarnten Bibel die extrem brutalen Stellen vorgelesen wurden, welche sie sonst nie zu hören kriegen.
Die Empörung war gross, was für eine MENSCHENVERACHTENDE, EKELHAFTE RELIGION!!!
Als man sie dann aufklärte, dass es sich hierbei um die Bibel handelt war die Reaktion eher verhalten: „Oh das wusste ich aber nicht.“, „Waren halt andere Zeiten damals.“, „Das glaub ich nicht, muss ich erst selbst mal nachlesen.“.
!!!LESEN BILDET, DESHALB PRÜFE STETS, WAS DU ANGEBLICH BEREIT BIST, ZU GLAUBEN!!!
Und noch etwas:
DAS verzeihe ich Dir nie, ja Marc du bist gemeint!
Jetzt hab ich dieses unsägliche Lied, welches ich seit Jahrzehnten erfolgreich verdrängt geglaubt habe, als Dauerohrwurm in meinem Kopf…
…LAudaa too siiiii, oh mmmi Siignnnooree…AAAAARRRRGGGHH!
Time for some Death-Metal…. :-):-):-)
Ohne die beachtliche Fähigkeit der Gläubigen, Vernunft, Wahrheit und Moral verdrängen zu können bzw. nur sehr selektiv zu beachten, ist Religion nicht möglich. Die unglaubliche Toleranz der Kirchenmitglieder angesichts von Kindesmissbrauch und Vertuschung ist leider nur eines von sehr vielen Beispielen. Nicht zuletzt deshalb sind Religionen ja so gefährlich!
Das Lied höre ich heute übrigens zum ersten mal: Glückliche Kindheit und Jugend!
Unter welchem Stein haben Sie bisher gelebt Herr Edmüller?!
Dieses Lied ist der Soundtrack meiner religiösen Schulbildung,
und wir fandens schon in der 2.Klasse lächerlich…
Wär da nicht der verdammte „Ohrwurmcharakter“…AAAARRRRGHHH…es tut sooo weeeehhh!
Ehrlich: Ich bin froh, dass Sie davon verschont geblieben sind!
Wieso Stein? Bin im tief katholischen Niederbayern aufgewachsen … 😈
Habs mir schon fast gedacht, dass Sie aus katholischem Raum stammen, bei den Evangelen dürfen sie den Scheiss gefühlt jede 2. Unterrichtsstunde singen und danach noch im Konfirmantenunterricht…sozusagen der evangelische Doppelwumms…
Liebe Grüsse aus der Zentrale Oberfrankens!
Ich bin Christ, entsetzt von den Taten des Herrn Pilz. Dennoch singe ich das Lied „Lauda to si“ weiterhin. Ich höre auch noch Lieder von Michael Jackson. Man muss trennen zwischen Personen und ihren Werken. Sollte sich im Nachhinein Mozart als Pädophiler herausstellen, würde das seine Musik schlechter machen?
Wir Menschen heute leben in einer moralischen Hybris, die es noch nie gab in der bisherigen Geschichte. Da scheint mir die christliche Einstellung doch realistischer, dass ALLE Menschen immer wieder sich versündigen, und dass nur Jesus uns zu erlösen vermag. Es gibt am Missbrauch nichts zu beschönigen, aber von der Wahrheit und Weisheit des christlichen Glaubens lasse ich mich dadurch bestimmt nicht abbringen.
Wovon vermag Jesus uns zu erlösen?
1. Man kann in der Tat die Musik lieben, den Komponisten aber nicht. Wenn aber jemand seine moralische Hybris, um Ihre Terminologie zu benutzten, in einem Liedtext zum Ausdruck bringt, seine Taten aber in krassem Gegensatz dazu stehen, dann bringt mich auch das schönste Lied zum Kotzen. Es wird zum Symbol eines bigotten Zynismus.
2. Was ist das für eine Anmaßung, zu behaupten, WIR Menschen würden einer solchen Hybris frönen ? WIR alle ? Auch jene die Ihr Lieber Gott mit allzu geringen geistigen Gaben ausgestattet hat ? Auch jene, die mit knapper Not gerade mal überleben können ?
3. Was ist das für eine Anmaßung, zu behaupten, es habe noch nie in der bisherigen Geschichte eine solche moralische Hybris, was immer Sie darunter verstehen mögen, gegeben ? Welche belastbaren historischen Quellen haben Sie für diese Behauptung ?
4. Was ist das für eine Anmaßung, zu behaupten, ALLE Menschen würden sich immer wieder versündigen ? Ein solches Urteil stünde ja wohl in Ihrer Religion alleine Gott zu. Das Konzept der SÜNDE hat allerdings mit Realismus überhaupt nichts zu tun. Das könnte man als moralische Hybris der Religionsführer bezeichnen, dass sie irgendwelche Handlungen, ja sogar Gedanken, als Sünde definieren.
5. Wenn dieser Jesus UNS zu erlösen vermag, warum tut er es dann nicht ? Noch nichtmal von dem Hirngespinst SÜNDE hat ER UNS erlöst !
6. Wahrheit und Weisheit des christlichen Glaubens ? Das theologische Konzept der Dreifaltigkeit wird im Katechismus der Katholischen Kirche so beschrieben:
„234 Das Mysterium der heiligsten Dreifaltigkeit ist das zentrale Geheimnis des christlichen Glaubens und Lebens. Es ist das Mysterium des inneren Lebens Gottes, der Urgrund aller anderen Glaubensmysterien und das Licht, das diese erhellt. …“
Wie wollen Sie in einem Geheimnis – etwas von dem man schlicht nichts weiß, ja in diesem Fall per Definition nichts wissen kann – Wahrheit und Weisheit erkennen ? Ein Geheimnis kann man noch nicht einmal NICHT glauben !
Vom Konsum der Musik Michael Jacksons kann ich nur dringend abraten. In einer Ausgabe des „Wachtturm“ wurde bereits in den 90er Jahren eindringlich davor gewarnt. Sie enthalte -rückwärts abgespielt- Botschaften des Teufels!