Irgendwann ist’s auch mal gut. Niemals! – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 5 Min.

Irgendwann ist’s auch mal gut. Niemals! – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Julia Enxing, veröffentlicht am 28.01.2023 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Heute spricht Frau Prof. Enxing darüber, was sie beim Gedenken an den Holocaust alles „schön“ fände. Die Erinnerung an die Rolle der Kirche gehört nicht dazu.

Anlässlich des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocaust mahnt Frau Prof. Enxing, Professorin für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie der Technischen Universität Dresden diesmal dazu, dieses Gedenken aufrecht zu erhalten.

Das wars eigentlich schon.

Religion egal für Menschenwürde

In der heutigen Kirchen-Werbesendung kommt Religion nur an zwei Stellen vor.

Frau Enxing fände es schön, wenn „wir alle“ verstanden hätten, dass u. a. auch Religion für die Menschenwürde keine Rolle spielen dürfe:

{…] Schön wär’s, wenn wir alle verstanden hätten: alle Menschen, egal welcher Religion, Weltanschauung, Hautfarbe, Herkunft, egal welchen Geschlechts, Alters und welcher sexuellen Orientierung haben die gleiche Würde. Ohne „wenn und aber“: alle Menschen. Punkt! Nein – Ausrufezeichen!

Wenn bei Frau Enxing die Religion für die Menschenwürde keine Rolle mehr spielt, dass steht sie moralisch deutlich über ihrem Gott (genauer: über den Menschen, die sich diesen Gott und dessen angebliche Eigenschaften ausgedacht hatten).

Die Unterscheidung und Abgrenzung von Menschen ist integraler Bestandteil des christlichen Monotheismus: Die Zugehörigen, also die „Rechtgläubigen“ werden zu „Kindern Gottes“ überhöht. Die, die Gott ganz besonders lieb hat und die erlöst werden (oder schon erlöst wurden, so genau wissen sie das selber nicht…).

Im Gegensatz dazu stehen alle anderen. Die, die an andere Götter oder an keinen Gott glauben. Das im „Neuen Testament“ ergänzte Konzept von der Hölle, detailliert auch in vielen der Jesus-Gleichnisse beschrieben, beantwortet die Frage nach der Menschenwürde unmissverständlich und für biblische Verhältnisse erstaunlich eindeutig.

Diskriminierung im Namen Gottes

Aber nicht nur dem Gott der biblisch-christlichen Mythologie ist Frau Enxing mit Ihrer Einstellung moralisch haushoch überlegen: Sie übertrifft damit auch alle ihre Glaubensgenossinnen und -genossen, die – natürlich stets sauber biblisch-christlich begründet – die Menschenwürde ihrer Mitmenschen aus unterschiedlichsten und auch nicht-religiösen Gründen mit Füßen getreten hatten, solange sie noch die Macht dazu hatten. Also eben nicht nur wegen deren nicht-christlichen Weltanschauung. Sondern auch wegen der Hautfarbe, Herkunft, wegen des Geschlechts oder wegen ihrer sexuellen Orientierung.

Leider ist die Diskrimierung von Menschen auf Grundlage religiöser Scheinargumente kein Thema, das heute als überwunden angesehen werden kann. Im Gegenteil.

Versuche, die biblische Textsammlung so zurechtzubiegen und -stutzen, dass sie zumindest vordergründig so erscheint, als sei sie mit modernen ethischen Standards (Stichwort: Menschenwürde) vereinbar, sind allesamt zum Scheitern verurteilt.

Es bleibt einfach nichts mehr übrig von dem, was da nun mal steht und was damit eben auch gemeint ist. Und da hängt die Menschenwürde unzweifelhaft vom „richtigen“ religiösen Bekenntnis ab (vgl. Mk 16,16, Joh 14,6 u. v. m. ).

Woher kommt die Erkenntnis?

Frau Enxing, erklären Sie doch mal, wie es Ihnen gelungen war zu erkennen, dass Menschenwürde über Ihrer Religion steht? An welchen Werten haben Sie sich dabei orientiert?

Und warum war das Christentum da eigentlich nicht schon früher drauf gekommen, als es noch alle Macht der Welt gehabt hätte? Also in den Jahrhunderten vor Aufklärung und Säkularisierung?

Und wenn Sie schon dabei sind, dann machen Sie doch bitte mal eine Sondersendung zur Frage, warum der Vatikan bis heute nicht die Voraussetzungen erfüllt, um die UN-Menschenrechtscharta zu ratifizieren?

Es braucht sehr viel Mut auf der richtigen Seite zu stehen?

Schön wär’s, wenn wir 2023 nicht mehr daran erinnert werden müssten, dass wir es sind, die Fanatismus und Faschismus ein Stopp-Schild entgegenhalten müssen. Das braucht unter Umständen viel Mut. Ja, es braucht sehr viel Mut auf der richtigen Seite zu stehen.

Es braucht sehr viel Mut, sich öffentlich gegen Fanatismus und Faschismus auszusprechen?

Für Menschen, die unter einer faschistischen Regierung leben oder die von politischem oder religiösem Fanatismus bedroht sind mag das sicher zutreffen.

Inwiefern es hierzulande „sehr viel Mut“ erfordern soll, „auf der richtigen Seite zu stehen“, also sich öffentlich zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und gegen Fanatismus und Faschismus zu bekennen, erschließt sich mir nicht.

Die Grenzen der Toleranz

Nichts desto trotz gilt es, die offene Gesellschaft gegen Bestrebungen von Leuten zu verteidigen, die diese Freiheit nutzen möchten, um ihre Anti-freiheitlichen Ziele zu erreichen.

Ein in diesem Zusammenhang lesenswertes Buch sei hier kurz erwähnt:

  • Die Grenzen der Toleranz: warum wir die offene Gesellschaft verteidigen müssen
    Die offene Gesellschaft hat viele Feinde. Die einen streiten für „Allah“, die anderen für die Rettung des „christlichen Abendlandes“, letztlich aber verfolgen sie das gleiche Ziel: Sie wollen das Rad der Zeit zurückdrehen und vormoderne Dogmen an die Stelle individueller Freiheitsrechte setzen. Wie sollen wir auf diese doppelte Bedrohung reagieren? Welche Entwicklungen sollten wir begrüßen, welche mit aller Macht bekämpfen? Michael Schmidt-Salomon erklärt, warum grenzenlose Toleranz im Kampf gegen Demagogen auf beiden Seiten nicht hilft und wie wir die richtigen Maßnahmen ergreifen, um unsere Freiheit zu verteidigen.
    (Quelle: Michael Schmidt-Salomon: Die Grenzen der Toleranz, Klappentext)

Einmal mehr erweist sich Religion auch in diesem Zusammenhang als Teil des Problemes. Und nicht der Lösung.

Erst nachdem eine Gesellschaft den Einfluss religiöser (und natürlich auch quasireligiös-politischer) Ideologie überwunden hat, kanns mit Würde und Freiheit los gehen. Mehr zu diesem Thema gibts zum Beispiel hier.

Jedes beendete Leben ist es wert, betrauert zu werden?

Niemals dürfen wir aufhören, der Toten zu gedenken, um sie zu trauen, sie zu betrauern. Nicht im Land der Täter und auch sonst nirgends. Jedes Leben ist von Gott gewollt. Jedes Leben ist es wert, geachtet, respektiert und geschützt zu werden. Und jedes beendete Leben ist es wert, betrauert zu werden.

Also – mein Totengedenken in Bezug auf zum Beispiel den Menschen Adolf Hitler unterscheidet sich deutlich von meinem Betrauern anderer beendeter Leben.

Ob ein Leben angeblich von einem Gott gewollt ist oder nicht, ist für mich dabei kein Kriterium.

Ehrlich wär’s…

Der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust nimmt auch den heutigen, aktuellen Antisemitismus und Antijudaismus in den Blick. Schön wär’s, würde die Diskriminierung und Verfolgung, die Abwertung und Stigmatisierung und die Gewalt an Jüdinnen und Juden der Vergangenheit angehören.

Nicht schön, aber ehrlich wäre es, wenn der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (oder, noch passender, Frau Prof. Enxing im „Wort zum Sonntag“) auch die besondere Mitschuld der christlichen Kirchen am Antisemitismus und Antijudaismus in den Blick nehmen würde.

Diese Mitschuld ist in der Fachliteratur umfassend dokumentiert, wird aber praktisch nie in religiösen Verkündigungen thematisiert. Hier scheint man keinen allzu großen Wert aufs Erinnern zu legen.

Niemals vergessen!

Eine gute Zusammenfassung bietet zum Beispiel Gerhard Czermak in seinem Buch „Problemfall Religion. Ein Kompendium der Religions- und Kirchenkritik“ im Kapitel C 1 (S. 133-145).

Aus diesem Buch hier exemplarisch nur drei Zitate:

  • Der Schoa zu gedenken, bedeutet aber für alle Christen die Erkenntnis, dass sie Folge und Kumulation eines fast zweitausendjährigen fehlgeleiteten Verhältnisses zum Judentum ist.
    (Quelle: Rat der EKD, „Christen und Juden III“, 2000, Zit. n. Gerhard Czermak: Problemfall Religion. Ein Kompendium der Religions- und Kirchenkritik, S. 209) [„Fehlgeleitet“ ist freilich eine Frage der Perspektive, Anm. v. mir]
  • Ihr habt den Teufel zum Vater, und ihr wollt das tun, wonach es euren Vater verlangt. Er war ein Mörder von Anfang an […] er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge.
    (Jesus [angeblich] zu den Juden, nach Joh. 9,12/44, Zit.n. Problemfall Religion, S. 133)
  • Ohne die nahezu 2000 Jahre christlicher Judenfeindschaft ist Auschwitz nicht möglich gewesen […]. Der Antijudaismus der Christen […] entlarvt sich in jeder Form als Ideologie.
    Lexikon der Religionen, 1987; 3. Aufl., 1999, Herder Verlag, Art. Antijudaismus / Antisemitismus, Zit. n. Problemfall Religion, S. 133)

Irgendwann ist’s auch mal gut? Hoffentlich auch in diesem Zusammenhang: Niemals!

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3 Gedanken zu „Irgendwann ist’s auch mal gut. Niemals! – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Die Frau „Professorin“ ist sicher nicht dumm.
    Was könnte sie u. U. Segensreiches leisten oder geleistet haben, wenn sie nicht irgendwann mal falsch abgebogen wäre.

    Sei es, wie es sei.

    Jedenfalls trägt sie – und alle anderen Theologie-„Professoren und -rinnen“ auch – den Professorentitel zu unrecht.
    Es ist schlicht und ergreifend eine Beleidigung für die Wissenschaft.
    Diesen Etikettenschwindel musste ich einfach mal wieder in Erinnerung rufen.

    Zur Sache:
    Dieser Kommentar von Frau Enxing unterscheidet sich in nichts von den zahllosen Gedenk- und Erinnerungsreden, die zum Thema Holocaust schon gehalten wurde und noch werden.
    Damit ist nichts gegen solche Rituale gesagt. Ein solcher Gedenktag ist wichtig und notwendig.
    Nur hätte ich von einer Kirchenvertreterin und Religionsexpertin mehr erwartet als das Einstimmen in die übliche Betroffenheitsrhetorik.
    Wie wäre es gewesen, wenn sie das Theodizee-Problem oder die 2000-jährige Judenfeindschaft der christlichen Kirchen – Stichwort Christusmörder – thematisiert hätte.

    Das wäre mutig gewesen.

    Antworten
  2. Es ist in der Tat sehr mutig von Frau Enxing, mit Ihrer Aussage die Religion als überflüssig zu bezeichnen, obwohl sie von diesem System der Ausgrenzung profitiert und damit Ihr Gehalt verdient.
    Würde sie nur ein klein wenig nachdenken und mal wortgetreu nachlesen, was in der Bibel steht (sola scriptura), wäre sie womöglich schon zwei Schritte weiter.
    Doch leider bedeutet ein Theologiestudium nur, die unangenehmen Passagen geschickt zu umschiffen oder sie durch reichhaltige Wortgirlanden ins Gegenteil zu verkehren bzw. abzumildern…

    Was nicht passt wird halt passend gemacht…

    (Und das so lange, bis man die eigene Interpretation evtl. für richtig hält, bis dabei am Ende der „personal Jesus“ rauskommt!)

    Antworten

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