Interview Christliche Missionsschulen in Kanada, Teil 1: Die Historie

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Vorbemerkung

In den meisten Beiträgen hier auf AWQ.DE untersuchen wir kritisch die Veröffentlichungen von religiösen Verkündern, hauptsächlich aus dem christlichen Mainstream.

Aus dieser inzwischen jahrelangen Auseinandersetzung mit dem, was zum Beispiel das Personal der christlichen Kirchenreklamesendung „Wort zum Sonntag“ allsamstaglich oder auch der Fuldaer Stadtpfarrer Stefan Buß alle paar Tage auf Youtube zum Besten geben, lässt sich ableiten, dass diese Verkündigungen ein übergeordnetes Ziel verfolgen:

Das Publikum dazu zu bringen, wenn schon nicht mehr an Gott, Erlösung und Auferstehung oder gar Höllendrohungen, dann aber doch wenigstens noch an die „Legende von der christlichen Moral“ und damit an irgendeine Relevanz der Kirche und ihrer „Lehren“ zu glauben.

Dieser sehr einseitig verzerrten und verharmlosenden Selbstdarstellung sei im Folgenden ein historisch belegtes Beispiel gegenübergestellt, das sich auf einen Skandal der jüngeren Kriminalgeschichte des Christentums bezieht: Das unvorstellbare Leid, das christliche Missionsschulen in Kanada verursacht haben.

In einem Interview befragte der Philosoph und Buchautor Dr. Andreas Edmüller die Expertin Monika Seiller zur Rolle der christlichen Missionsschulen, die nicht mit Nächstenliebe, sondern mit unvorstellbarer Brutalität und Grausamkeit die kanadische Assimilationspolitik betrieben haben.

Monika Seiller

geb. 1963 in Würzburg, studierte Politologie (M.A.), Anglistik, Amerikanistik, Germanistik, Soziologie und Philosophie.

1986 gründete sie den Verein Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte e.V., dessen Vorsitzende sie ist. Seit 1989 ist sie ehrenamtliche Redakteurin und Herausgeberin des Magazins Coyote über die indigene Gegenwart in Nordamerika. Sie hat verschiedene Publikationen von Indigenen übersetzt und herausgegeben, u.a. „Stimmen der Erde“, „Go Beyond“, „Lieder in der Sprache meines Feindes“, „Stimmen vom Rand der Erde“ und „an indian perspective – eine indianische Betrachtung“. Außerdem arbeitete sie mit an der Übersetzung von „Crazy Horse – das Leben und Vermächtnis eines Lakota-Kriegers“ sowie „Mamaskatch“ von Darrel J. McLeod. Ferner übernahm sie das Lektorat von „Ein Leben für die Freiheit -Leonard Peltier und der indianische Widerstand“. Ihre jüngste Übersetzung war das herausragende Werk „Highway der Tränen“ der Journalisten Jessica McDiarmid über das Verschwinden und die Morde an indigenen Frauen in Kanada.

Regelmäßig nimmt sie an den Sitzungen bei den Vereinten Nationen in New York und Genf teil und hält Vorträge über Menschenrechte und Indigene. Mit besonderem Interesse für die Situation der indigenen Frauen organisiert sie Ausstellungen, u.a. „Warrior Women statt Pocahontas“ zum Thema Gewalt an indigenen Frauen.

Monika Seiller
Monika Seiller

Christliche Missionsschulen in Kanada - Teil 1
Bild links:
Klassenzimmer mit Nonne (St.Anne’s Residential School)
Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Canadian_Indian_residential_school_system#/media/File:Students_of_Fort_Albany_Residential_School_in_class.JPG
Bild rechts:
Thomas Moore Keesick 1891 (Muscowpetung Saulteaux First Nation) kam mit 8 Jahren in die Regina Indian Industrial School, zusammen mit seinem Bruder Samuel und seiner Schwester Julia  – die christlichen Namen erhielten sie natürlich im Nachhinein.  Nach seiner Ankunft wurde Thomas nur einfach Nr. 22. Das zweite Bild dürfte ihn als 12-Jährigen zeigen – kurz bevor man ihn nachhause sandte, da er an Tuberkulose erkrankt war – ein Todesurteil zu dieser Zeit.
Bildquelle: https://leaderpost.com/news/local-news/thomas-moore-keesick-more-than-just-a-face
Hintergrundbild:
Indian Industrial School von Lebret im Qu’Appelle Valley, Assiniboia-Distrikt, Nordwest-Territorien: Eltern, die ihre Kinder besuchen wollen, kampieren außerhalb der Umzäunung vor der Schule (um 1885), zu sehen im Originalbild:
Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Quappelle-indian-school-sask.jpg

Andreas Edmüller (AE): Man hat ja immer mal wieder etwas zu den christlichen Missionsschulen in Kanada gelesen: Was ist da eigentlich genau passiert und wann war das?

Monika Seiller (MS): Das Thema tauchte lange Zeit auch in den kanadischen Medien nur gelegentlich auf. Es fehlen in der breiten Öffentlichkeit Interesse und Bewusstsein dafür, sich ernsthaft mit der kolonialen Vergangenheit und den Verbrechen an den Indigenen auseinanderzusetzen. Im Kern geht es darum: 150.000 indigene Kinder mussten vom Ende des 19. Jahrhunderts bis Ende des 20. Jahrhunderts die meist von christlichen Kirchen geleiteten Residential Schools besuchen. Dort sollte ihnen „die kanadische Lebensweise“ beigebracht werden, um alle Spuren der indigenen Kultur in ihnen auszulöschen.

Das Thema ist sehr weitreichend und komplex, weshalb man sich mit der kolonialen Geschichte Kanadas auseinandersetzen muss, um die Dimension dieser Politik, die üble Rolle der christlichen Kirchen und Orden und vor allem deren Nachwirkungen bis auf den heutigen Tag verstehen zu können.

AE: Die Zeit nehmen wir uns gerne – das Christentum und die Entfaltung seiner Lehre interessiert uns ja. Wie muss man sich die Anfänge dieser Assimilierungspolitik vorstellen?

MS: Kill the Indian, Save the Man! lautete der Slogan von Richard Pratt, dem „Erfinder“ der vergleichbaren Boarding Schools in den USA. Kanada verfolgte die gleiche Ideologie: Kill the Indian in the Child!

Die Anfänge dieser Assimilierungspolitik reichen lange vor die Gründung Kanadas im Jahr 1867 zurück. Bereits im 17. Jahrhundert wollten Mitglieder unterschiedlicher Orden wie der Jesuiten und Ursulinen im damals „Neufrankreich“ genannten Territorium die dort lebenden Indigenen zum Christentum zu bekehren. Dem lag nicht zuletzt der kolonialistische wie auch rassistische Gedanke zugrunde, es handle sich bei den Indigenen um „Wilde“, denen man die „Zivilisation“ bringen müsse.

Nach dem amerikanischen-britischen Krieg 1812 sollten die häufig nomadischen Indigenen den Weg für die weitere Besiedlung (und wirtschaftliche Entwicklung) Kanadas freimachen und zur Sesshaftigkeit gezwungen werden. Das waren natürlich keine „Wilden“, sondern Völker mit teils komplexen Gesellschaftsstrukturen und eigenen Wirtschafts- und Handelsweisen. Gleichzeitig sollten sie sich in ein neues System einordnen bzw. ihm unterwerfen, das von den christlichen Kolonisatoren geprägt war. Diesen war dabei egal, dass es häufig Indigene waren, welche den Neuankömmlingen mit Rat und Tat oder Lebensmitteln in den Anfangsjahren überhaupt ein Überleben ermöglicht hatten. Dankbarkeit steht nicht im Kanon der christlichen Kardinaltugenden.

AE: Die Christen waren also von Anfang an ein wesentlicher und sehr aktiver Akteur bei der Zerstörung der einheimischen Kulturen?

MS: Stimmt genau. Nach der Gründung Kanadas im Jahre 1867 als britische Kolonie Dominion of Canada begann man, mit den Indigenen „Verträge zu schließen“. Die kamen nicht nur einem dreisten Landraub gleich, sondern unterwarfen die Indigenen der Hoheit Kanadas und den Vorstellungen der „christlichen“ weißen Gesellschaft. Der Abschluss der sogenannten Numbered Treaties 1-11 endete dann 1921, umfasste jedoch nicht das gesamte Gebiet Kanadas; u.a. in British Columbia wurden niemals Verträge geschlossen.

Klar war dabei vor allem das Ziel: Die indigene Lebensweise musste ausgelöscht werden! Die Idee, wie dies „zum Nutzen Kanadas“ umgesetzt werden sollte, hatte Superintendent Egert Ryerson 1879, er war aber nicht der erste. Bereits im 17. Jahrhundert hatten christliche Missionare den Einfall, indigene Gemeinschaften in eigenen „Reservaten“ anzusiedeln, um sie besser unter Kontrolle zu halten und ihre Missionstätigkeiten erfolgreich umsetzen zu können. Tatsächlich begann Kanada bzw. die englische Krone mit der Schaffung von Reservaten in den 1830er Jahren.

AE: Hätte es damals schon TV gegeben, dann hätten die Christen das im Wort zum Sonntag garantiert als zivilisatorische Glanzleistung und selbstlosen Akt christlicher Nächstenliebe verkauft! Wie ging es denn in diesen Reservaten zu?

MS: Die Aufsicht über die Reservate bzw. deren Bewohner hatten meist Missionare. Die konnten z.B. entscheiden, ob sich die Bewohner – je nach „moralischem“ Verhalten – einigermaßen frei bewegen durften. Wer das Reservat verlassen wollte, um beispielsweise Verwandte zu besuchen, brauchte einen Passagierschein, der von den Missionaren ausgestellt wurde.

AE: Im Ernst? Missionare als Aufseher in Reservaten und Hüter der Moral?

MS: Stimmt. Dieser Willkürherrschaft waren vor allem die indigenen Frauen ausgesetzt, die auf eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ob ihres Lebenswandels auf die Missionare angewiesen waren. Dieser wesentliche Aspekt darf – gerade im Sinne christlicher Missionierung – nicht vergessen werden.

Während in Europa Frauen im 17. Jahrhundert überhaupt keine Rechte besaßen, gab es in indigenen Gesellschaften Frauen als Chiefs! Sie führten als Heerleiterinnen ihre Völker in Kriege, hatten in matrilinearen Gesellschaften die Verfügungsgewalt über allen Besitz und verfügten vor allem über körperliche Selbstbestimmung. Sie konnten heiraten, wen sie wollten, den Mann vor die Tür setzen und hatten Macht über Verhütung und Geburtenkontrolle – für europäische-christliche Missionare ein Alptraum. Und den haben sie mit allen Mitteln bekämpft.

AE: Zur körperlichen Selbstbestimmung ihrer „Schützlinge“ haben die christlichen Profis ja traditionell ein ganz eigenes Verhältnis. Wie entstanden denn die ersten Residential Schools?

MS: Die wachsende Wirtschaft Kanadas konnte im 19. Jahrhundert keine indigenen Gemeinschaften gebrauchen, die auf ihren Traditionen und eigenen Regeln beharrten, sondern sie brauchte „tüchtige (und billige) Arbeitskräfte“. So kam die Idee auf, die Indigenen auszubilden – natürlich nicht zu Philosophen oder Juristen, sondern zu Industriekräften, Farmarbeitern oder Haushaltshilfen. 1845 unterbreitete eine Kommission unter Leitung von Charles Bagot, dem damaligen Governor General (Vertreter der englischen Krone), einen ersten Bericht, der die Schaffung von Internatsschulen vorschlug.

Unter dem ersten kanadischen Premierminister John A. McDonald wurde dann ab 1879 das System der Indian Residential Schools landesweit eingeführt. Tatsächlich eröffnete die erste Residential School, das Mohawk Institute in Brantford (das berüchtigte „Mush Hole“), bereits 1831.

Gestützt auf den Davin-Report (1879) war McDonald der Ansicht, dass die Assimilierung der Kinder in diesen Schulen nur funktionieren würde, wenn diese von ihren Eltern und ihren Gemeinschaften konsequent getrennt würden. Besonders hart traf es dabei die Inuit im Norden Kanadas, die oft tausende Kilometer entfernt in Schulen im Süden des Landes verschickt wurden.

AE: Damit ich das richtig verstehe: Es war also Absicht und Ziel dieser christlichen Schulen, Familien und Gemeinschaften zu zerstören?

MS: Das ist richtig. Ab 1920 galt die Einweisung für alle indigenen Kinder zwangsweise. Bis zur Schließung der letzten Residential School im Jahr 1997 durchliefen 150.000 indigene Kinder in Kanada dieses Zwangssystem. Tausende kehrten nie wieder zu ihren Familien zurück! Die genaue Zahl wird sich kaum mehr ermitteln lassen. Richter Murray Sinclair, der Vorsitzende der Truth and Reconciliation Commission (TRC, 2008-2015), geht von mehr als 10.000 Toten aus.

Die Residential Schools waren keine Schulen, sondern Gefängnisse, so Cindy Blackstock (Gitxsan First Nation), Professorin an der McGill University und Direktorin der First Nations Child and Family Caring Society of Canada. Das Ziel war nicht die Ausbildung von Akademikern, sondern die Formung nützlicher und „niederer“ Arbeitskräfte, d.h. die völlige Assimilierung und die Einordnung in die unterste Ebene der kanadischen Gesellschaft.

Kanada wollte diese Internate nicht selbst unterhalten, sondern bediente sich kirchlicher Einrichtungen. Kanada zahlte und die Kirchen bzw. Glaubensgemeinschaften (allen voran die katholische Kirche) übernahmen die Leitung der Internatsschulen.

Und nicht zu vergessen: Der „Indian Act“ von 1876 ist die bis heute gültige Indianergesetzgebung, die zwar 1982 modifiziert wurde, aber immer noch in alle Lebensbereiche der Indigenen eingreift!

AE: Wie sieht denn „das große Bild“ aus: Wer hatte welche Motive, so ein dauerhaft angelegtes System aufzubauen und zu betreiben?

MS: Das System der Residential Schools muss im Kontext der gesamten Kolonialisierung betrachtet werden. Wie bereits erläutert war es ein Baustein eines großen Plans, um das Land auszubeuten und jeden Widerstand der Indigenen im Keim zu ersticken. Der religiöse Eifer der ersten Siedler in Nordamerika (nach den Verheerungen des 30-jährigen Krieges in Europa) war von Beginn der Kolonialisierung an eine treibende Kraft für die Eroberung der „Neuen Welt“.

Damals behauptete man, den Indigenen ein christlich-sinnvolles Leben zu ermöglichen, indem man ihnen half, ihre traditionellen Glaubensvorstellungen, d.h. ihren „Aberglauben“ zu überwinden. Gefragt wurden die Indigenen natürlich nicht.

Tatsächlich ging und geht es darum, das Land zum Nutzen der Siedler auszubeuten – bis heute. Kanada lebt in erster Linie von der Ausbeutung der Rohstoffe. Die finden sich meist auf indigenem Land: Wald bzw. Holz, Kohle, Teersand-Öl, Uran, Fracking-Gas oder Wasserkraft – alles Rohstoffe auf indigenem Land. Die „Zivilisierung der Indigenen“ dient somit bis heute als Rechtfertigung der Missachtung ihrer Landrechte.

Natürlich hatten die Missionare noch nicht unseren Rohstoffbedarf im Blick, aber sie waren im religiösen Wettstreit im Kampf um die „geretteten Seelen“ nicht weniger in Konkurrenz als die heutigen Energiekonzerne.

AE: Wenn es um christliche Nächstenliebe geht, sollte man sofort die nächste Frage stellen: Wie sah die Finanzierung aus?

MS: Kanada finanzierte die Einrichtungen, d.h. die Gebäude, während die Kirchen für den Unterhalt zuständig waren. Regelungen wie diese waren u.a. auch in den Verträgen mit den Indigenen festgeschrieben. So hieß es im Treaty 7 (1877) im Gebiet des heutigen Alberta: „Ihre Majestät erklärt sich bereit, Schulen in jedem Reservat zu unterhalten und das Gehalt der Lehrer zu finanzieren“.

1892 einigten sich Kanada und die Kirchen auf konkretere Zahlungsmethoden, d.h. die Kirchen erhielten $130 pro Kind und Jahr. Für die Kirchen war das ein lukratives Geschäft. So hatten die Oblaten schon 1863 die St. Mary’s Mission in der Fraser River Agency gegründet. Zum Zeitpunkt des Finanzierungsabkommens mit Kanada unterhielt der Orden bereits 42 Residential Schools. Die Folge war ein Wettbewerb der Orden und Kirchen, um möglichst viele indigene Kinder in ihren jeweiligen Internaten „unterzubringen“. Die schlichte Rechnung: Mehr Kinder, mehr Geld.

Diese skrupellose Gier führte u.a. zu gravierenden Überbelegungen und der damit verbundenen Ausbreitung von Krankheiten, insbesondere Tuberkulose. Selbst Duncan Campbell Scott (Minister für indianische Angelegenheiten 1913 – 1932) räumte 1922 ein, dass 50% der Kinder aufgrund der schlechten Lebensbedingungen und Krankheiten wohl nicht überleben würden.

AE: Was würde die Welt nur ohne die Nächstenliebe der Christen machen – warum konnte ein derartiges Verbrechersystem so lange funktionieren?

MS: In der öffentlichen Wahrnehmung – nicht nur in Kanada, sondern auch in Europa – schien der Völkermord an den Indigenen nur in den USA stattgefunden zu haben. Wir alle sind z.B. mit den Western von John Ford und John Wayne aufgewachsen, die ein stereotypes Bild der blutrünstigen Indianer verbreiten: Sie skalpieren Weiße, entführen deren Frauen oder massakrieren „unschuldige und harmlose Siedler“. Indianer waren für Hollywood diejenigen, die sich perfiderweise dem menschlichen Fortschritt, dem Eisenbahnbau oder dem Goldrausch in den Weg stellten. Und natürlich der christlichen Nächstenliebe. Sie galten als traurige Figuren der Vergangenheit, denen der Ruf der „Vanishing Race“ anhaftete. Erst in den 1970er Jahren änderte sich die Wahrnehmung – Medien berichteten zunehmend über Diskriminierung, den Widerstand von Wounded Knee und die Hippies schmückten sich mit Indianerfedern und Lederfransen.

Doch in all diesen Narrativen gab es einen blinden Fleck – Kanada. Sicherlich gab es die Lederstrumpferzählungen, aber schon darin war vom sprichwörtlich „letzten Mohikaner“ die Rede. Die koloniale Vergangenheit Kanadas drang nicht ins öffentliche Bewusstsein vor. So bekannte mir gegenüber eine Menschenrechtsaktivistin aus Kanada, dass sie sogar neben einem Reservat aufgewachsen war und keinerlei Ahnung von der Geschichte und dem Schicksal der indigenen Völker hatte – von den Residential Schools ganz zu schweigen.

Kanada – viel mehr ein Schmelztiegel als die USA – verfügt über einen ausgeprägten Nationalstolz, insbesondere im Vergleich zu den USA, denen alle Welt ohnehin jede Schandtat zutraut. Kanada gilt als Hort der Menschenrechte, ist weder Atommacht noch besonders aggressiv. Kanada pflegt dieses Image mit hohem Aufwand, und Dokus wie Michael Moore’s „Bowling for Columbine“ – in Kanada schließt keiner seine Haustüre ab, alle haben zwar Waffen, bringen sich aber im Gegensatz zu den USA nicht gegenseitig um … – unterstreichen das Image, das viele deutsche Urlauber ins Land der Seen und Wälder lockt.

Kurz: Das Selbstbild der Kanadier versinkt in Naturidylle, Ahornsirup und Mountie-Puppen. Übrigens waren es genau jene Mounties (Royal Canadian Mounted Police), die indigene Kinder „offiziell“ mit Gewalt aus ihren Familien rissen und in die christlichen Residential Schools verschleppten.

AE: Vielen Dank für diese ausführliche Erläuterung der historischen Aspekte – ich habe sehr viel dazugelernt. Im nächsten Teil des Interviews widmen wir uns der aktuellen Lage: Wie kamen diese Verbrechen ans Licht, wie stellen sich die christlichen Organisationen dazu und wie sieht es mit einer „Wiedergutmachung“ aus?

Weiter zu Teil 2: Die Gegenwart

Veranstaltungstipp

HVD

Humanistischer Campus 21.09.2023

Ein Online-Diskussionsforum des HVD Bayern
in Kooperation mit dem Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs Kortizes.

Donnerstag, 21. September 2023, ab 20.15 Uhr
Teilnahme-Link: https://zoom.us/j/84520704889
(Vor 20.15 Uhr: Warteraum. Einlass pünktlich um 20.15 Uhr.)

„Kill the Indian in the Child”

Das koloniale Erbe der Residential Schools in Kanada

Monika Seiller (M.A.)

Moderation: Tanja Reitmeier (HVD-Bayern).

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