Heimliche Helfer – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 5 Min.

Heimliche Helfer – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Stefanie Schardien, veröffentlicht am 23.9.23 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Heute macht Frau Schardien mal ein bisschen Reklame für den evangelischen Wohlfahrtskonzern Diakonie. Warum sie deren Mitarbeiter als "heimliche Helfer" bezeichnet, verrät sie aber nicht.

Mit der Schilderung des Schicksals eines Menschen, der Hilfe durch den evangelischen sozialen Dienstleister Diakonie erhalten hatte leistet Frau Schardien heute einen weiteren Beitrag zur Legende, die „Diakonie“ sei Ausdruck selbstloser christlicher Nächstenliebe – und nicht etwa ein gewinnorientierter, gesetzlich privilegierter, staatlich finanziell geförderter Wohlfahrtskonzern:

[…] Manche sind Opfer – oder ja: Die Nagelprobe von Nächstenliebe: Manche sind Täter geworden: Um sie alle, alle! kümmert sich die Diakonie und versucht, sie wieder reinzuholen in dieses Leben, in unsere Gesellschaft. Warum? Weil es tiefste christliche Überzeugung ist: Kein Mensch gehört an den Rand, niemand darf ausgestoßen bleiben. Alle sollen teilhaben können. Diakonia, Dienst am Menschen.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Heimliche Helfer – Wort zum Sonntag, verkündigt von Stefanie Schardien, veröffentlicht am 23.9.23 von ARD/daserste.de)

Nächstenliebe, tiefste christliche Überzeugung, Dienst am Menschen: Man sieht (ein gewisses Mindestalter vorausgesetzt, das zur Erinnerung an solche Bilder erforderlich ist) die eilfertigen Kranken-Schwestern und Nonnen förmlich über die langen Flure huschen, das Umhängekreuz allzeit griffbereit, wenn die Medizin mal versagen sollte und schnell noch irgendwelche Ad-hoc-Segnungen durchgeführt werden müssen…

Natürlich kümmert sich die Diakonie um sie alle, alle!

Die Diakonie wäre ja auch schön blöd, wenn sie sich nicht um sie alle, alle! kümmern würde. Das ist nun mal das Geschäftsmodell eines sozialen Dienstleistungskonzerns, sich um Bedürftige zu kümmern. Und das trifft natürlich genauso auch auf alle anderen Sozialdienstleister zu, die in diesen Bereichen tätig sind.

Wie schon in früheren Beiträgen angemerkt, beweist die so genannte „Nächstenliebe“ auch und gerade im Wohlfahrtsbereich ihre Untauglichkeit als Motivations- und Arbeitsgrundlage.

Um Menschen professionell – und das beinhaltet im Sozialbereich selbstverständlich auch immer: mitmenschlich, empathisch – helfen zu können, ist es nicht erforderlich, sie zu lieben.

Im Gegenteil: Wer langfristig im sozialen Bereich arbeiten möchte tut gut daran, im Interesse der eigenen psychischen Gesundheit die dafür erforderliche emotionale Distanz zu wahren. Nicht ohne Grund ist dies Bestandteil entsprechender Berufsausbildungen.

Gerade Mitarbeiter in sozialen Berufen sind wegen einer falsch verstandenen „Nächstenliebe“ sicher stärker von einer Gefährdung durch psychische Erschöpfung betroffen als zum Beispiel Rechtsanwälte, die berufsbedingt ebenfalls die Interessen von Tätern vertreten.

Nächstenliebe und tiefste christliche Überzeugungen

Die Idee der christlichen Nächstenliebe beruht ja darauf, dass sich Christen deshalb ihren Mitmenschen (gemeint sind eigentlich nur „die Kinder deines Volkes“, also die Zugehörigen der eigenen Glaubensgemeinschaft, Lev 19,18) gegenüber anständig verhalten sollten, weil diese für Ebenbilder ihres Gottes gehalten werden. Einfach nur Menschsein scheint Christen als Grund nicht auszureichen, um sich empathisch zu verhalten…

Ebenfalls höchst fragwürdig und alarmierend sind grundsätzlich immer „tiefste christliche Überzeugungen“ als Handlungsmotivation.

So waren zum Beispiel auch alle Nonnen und Priester, die in den kanadischen Missionsschulen (Residential Schools) mit unvorstellbarer Grausamkeit und Härte die Umerziehung von indigenen Kindern zu Christen (Motto: Kill the Indian in the Child„) betrieben hatten sicher absolut fest davon überzeugt, dies aus tiefster christlicher Überzeugung und zu 100 Prozent im Sinne ihres Gottes getan zu haben.

In Anbetracht der gesamten Kriminalgeschichte des Christentums zuzüglich der jüngeren Vergangenheit kann und sollte man sich also keinesfalls darauf verlassen, dass Menschen, die vorgeben, aus christlicher Nächstenliebe und aus tiefster christlicher Überzeugung zu handeln deswegen auch ethisch richtig – und: professionell – handeln.

…sind kein Garant für ethisches Handeln

Mit diesem Hinweis möchte ich natürlich keinesfalls Angestellten kirchlicher Sozialdienstleister böse Absichten oder berufliche Defizite unterstellen.

Mir ist bewusst, dass sich die biblisch-christliche Glaubensgrundlage so beliebig zurechtbiegen und selektieren lässt, dass sie zumindest oberflächlich betrachtet in keinem allzu offensichtlichen Widerspruch zu modernen ethischen Standards, Gesetzen oder auch zu beruflicher Professionalität steht.

Ein solches entkerntes, bis zur Bedeutungslosigkeit aufgeweichtes Wischiwaschi-Christentum, wie es auch die Fernsehprediger im „Wort zum Sonntag“ verkündigen dürfte wohl die größte Verbreitung unter den noch verbliebenen Schäfchen haben.

Vom früher so wirkmächtigen christlichen Belohnungs-Bestrafungs-Konzept, das heute nur noch im radikal-fundamentalistischen christlichen Spektrum anzutreffen ist sind im Grunde nur noch ein diffuses „Wir sind die Guten“- Überlegenheitsgefühl, ein paar hohle Phrasen („Nächstenliebe“, „Gottvertrauen“) und irgendeine angebliche Hoffnung auf die Erfüllung einer niemals konkretisierten „Frohen Botschaft“ übrig geblieben.

Kirchliche Wohlfahrtsverbände in Deutschland

Was mal ganz klein losging vor 175 Jahren, ist riesig geworden: Über 33 000 Einrichtungen. Mehr als 600 000 Hauptamtliche, rund 700 000 Ehrenamtliche.

Wer sich für die (ungeschönte, dafür aber faktenbasierte) Geschichte der kirchlichen Wohlfahrtsverbände interessiert, dem sei Carsten Frerks Buch „Caritas und Diakonie in Deutschland“ zur Lektüre empfohlen. Das Buch ist mittlerweile vergriffen, steht aber auf der Webseite des Autors als PDF-Dokument zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Gewohnt akribisch und umfassend belegt zeigte Carsten Frerk in diesem Buch, warum die kirchlich finanzierte Wohlfahrt eine Legende ist.

Ab Seite 71 geht Carsten Frerk auf das Thema „Ehrenamt“ ein – ein lesenswertes Kapitel, das die Schattenseiten des Ehrenamtes aufzeigt, die von Berufschristen nie angesprochen werden. Auch wenn die Zahlen inzwischen leicht veraltet sind, liefert das Buch trotzdem auch heute noch einen umfassenden Überblick zum Thema.

So geht Nächstenliebe!?

Anne, eine Sozialpädagogin in der Bahnhofsmission, sagt mir: „Es geht gar nicht nur drum, den Menschen Geld in die Hand zu drücken oder Formulare für sie ausfüllen. Auch wichtig, aber warum ich diese Arbeit mache: Ich will was weitergeben. Mir geht’s gut. Ich kann den Menschen zuhören, zeigen, dass ich mich wirklich für sie interessiere. Dann erleben sie sich als Teil von unserer Gemeinschaft und sind nicht nur außen vor.“ So geht Nächstenliebe …

Ein Beispiel dafür, was unter dem Begriff „Nächstenliebe“ noch so alles „geht“, hatte ich weiter oben schon gebracht. Und nochmal: Das christliche Glaubenskonstrukt ist vage und diffus genug, um auch professionelle Wohlfahrtsarbeit hineininterpretieren zu können.

Den bisher unverzichtbaren, ja sogar maßgeblichen Aspekt der mit dieser Arbeit verbundenen Missionierung scheint man ja inzwischen problemlos einfach weglassen zu können. Bei der hier zitierten Sozialpädagogin ist davon jedenfalls nichts mehr zu lesen.

Und ich vermute, dass auch in Bahnhofsmissionen heute wenn überhaupt eher nur noch selten missioniert wird: Ausgerechnet der gemäß biblischer Legenden eigentliche und genuin religiöse Grund, nämlich die missionarische Verbreitung des christlichen Glaubens bei der dafür prädestinierten Zielgruppe der Bedürftigen und Hilfesuchenden ist nur noch als antiquierter Begriff anzutreffen, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint.

Do ut des

Mehr als 10 Millionen Menschen jährlich nutzen die Diakonie. Wer erlebt, dass ihm geholfen wird, gibt oft gern selbst etwas weiter an andere. Herr Otto war arm und krank und brauchte viel Unterstützung – Aber: Immer hat er mir einen Kaffee serviert. Ganz allein gekocht. Weil er das selbst in diesem Haus vom ersten Moment erfahren hat – Freundlichkeit und Wertschätzung.

Wenn man sich selbst ins rechte Licht rücken möchte, dann kann man das so darstellen.

Ob Herr Otto Frau Schardien vielleicht auch unter ganz anderen Umständen, einfach so, von sich aus bei einem Besuch einen Kaffee kredenzt hätte, lässt sich nicht mehr feststellen:

Letzte Woche ist Herr Otto gestorben. Bald beerdige ich ihn. Sein Zimmer wird neu vergeben. Aber seine Geschichte soll weitererzählt werden: Als Dankeschön an alle, die in der Diakonie arbeiten oder sich engagieren.

Genau darum geht es: Eine Geschichte weiterzuerzählen. Herr Otto dient dabei allerdings nur als Statist, um den kirchlichen Wohlfahrtskonzern Diakonie in gutem Licht, genauer: als selbstlose, von christlicher Nächstenliebe getragenen Hilfsorganisation erscheinen zu lassen.

Heimliche Helfer?

Dass es in Wirklichkeit nicht um Herrn Otto, sondern genau um eine positive Außendarstellung der Diakonie geht, verrät schon der Titel der heutigen Sendung: Mitarbeiter der Diakonie sind eben keine „heimlichen Helfer.“

Sondern Menschen, die ihr Geld mit der Erbringung von Sozialdienstleistungen verdienen.

Oder welche, die meinen, mit ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit Pluspunkte fürs Jenseits sammeln zu können.

Und auch, wer sich weder das eine, noch das andere von seinem sozialen Engagement verspricht, braucht sich nicht als „heimlicher Helfer“ zu fühlen: Nicht umsonst hat die Evolution dazu geführt, dass es sich auch für Helfende einfach gut anfühlt, bedürftige Menschen zu unterstützen. Wozu also die Heimlichtuerei?

Meine Vermutung: Hier soll ein bestimmtes Bild erzeugt werden. Nämlich das von einer kirchlichen Hilfsorganisation, die ganz im Verborgenen und aus reiner christlicher Nächstenliebe Menschen – gar heimlich! – Gutes tut.

Und genau das ist (auch) bei kirchlichen Wohlfahrtsverbänden eben nicht der Fall. Bei den Angeboten handelt es sich zum allergrößten Teil staatlich finanzierte Sozialdienstleistungen.

Die Diakonie ist kein großzügiger Gönner, der einen nennenswerten Teil aus der eigenen Kasse für Soziales aufwendet. Die Mitarbeiter sind keine heimlich werkelnden Heinzelmännchen und auch keine Robin Hoods. Sondern hoffentlich gut qualifizierte Angestellte eines Dienstleistungsanbieters im sozialen Bereich.

Alles nichts, was man verheimlichen müsste – es sei denn, man beabsichtigt, sich bewusst anders darstellen zu wollen.

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1 Gedanke zu „Heimliche Helfer – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Mir scheint, dass dieser WzS-Beitrag ein Mosaiksteinchen im Rückzugsgefecht der Kirchen ist: Die Menschen laufen den Kirchen weg. Wie soll man sie halten? Offensichtlich taugen „frohe“ Botschaft, himmlische Heilsversprechen und Höllendrohungen nicht mehr, da bleibt nur noch die Drohung, dass Kirchen, denen die Steuereinnahmen fehlen, sich nicht mehr sozial betätigen können.
    „Wenn Ihr uns nicht mehr alimentiert, müssen wir Kitas, Krankenhäuser und Diakonie schließen. Das wollt Ihr doch nicht, oder?“
    Dazu passt es, im WzS das Hohelied der uneigennützig helfenden Diakonie zu singen, damit die Zuschauer:innen auch merken, was alles auf dem Spiel steht. Nicht passen würde es, die Diakonie als gewinnorientiertes Wirtschaftsunternehmen darzustellen.
    Ich glaube nur nicht, dass ein Mensch, der aus der Kirche austreten will – aus welchem Grund auch immer – wirklich diesen Wunsch fallenlässt, damit die Diakonie weiter bestehen kann (oder kircheneigene Kitas und Krankenhäuser).

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