Erntedank – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 7 Min.

Erntedank – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Benedikt Welter aus Trier, veröffentlicht am 30.09.2023 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Zum Erntedank präsentiert Pfarrer Welter drei Geschichten, die zum Staunen einladen sollen, um damit Ehrfurcht vor Gott zu bewerben.

Ein Strohmann zum Erntedank

Los gehts heute wiedermal mit einem alt bekannten Strohmann, den Herr Welter zu Zwecken der Ablenkung selbst gebastelt hat:

Äpfel, Brot und andere Lebensmittel; mit viel Liebe arrangiert zu einem Erntedank-Altar. So sind viele Kirchen an den beiden ersten Sonntagen im Oktober geschmückt.

Das ist schön anzusehen. Manche finden allerdings solche Arrangements eher kitschig und aus der Zeit gefallen: zu idyllisch. In unseren postindustriellen Zeiten gäbe es doch andere, wichtigere Themen als den Blick auf Äpfel, auf Brot und liebevoll arrangierte Lebensmittel…

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Erntedank – Das Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Benedikt Welter aus Trier, veröffentlicht am 30.09.2023 von ARD/daserste.de)

Also, mir fällt niemand ein, der Lebensmittel-Arrangements als „eher kitschig und aus der Zeit gefallen: zu idyllisch“ bezeichnen würde.

Im Gegenteil: Supermärkte, Bäckereien und andere Anbieter von Lebens- und Genussmitteln überbieten sich doch geradezu darin, ihre Produkte so appetitlich und verlockend wie möglich zu präsentieren.

Aus der Zeit gefallen: Erntedank-Altäre

Was man freilich sehr wohl als aus der Zeit gefallen bezeichnen kann, ist es, Lebensmittel in Kirchen zu drappieren.

Nicht, weil es kitschig oder zu idyllisch wäre.

Sondern wegen des eigentlichen Grundes: Absurderweise dem Gott aus der biblisch-christlichen Mythologie dafür zu danken. Ausgerechnet dem.

Statt zum Beispiel der Evolution. Und natürlich den Leuten, die diese Lebensmittel kultiviert, gezüchtet, geerntet oder hergestellt, verbessert, verpackt und geliefert haben.

Erntedank: Vermutlich eines der ältesten Feste überhaupt

Danke, Jesus...
Quelle: Netzfund

Zeremonien und Riten zum Dank für die Ernte dürften wohl zu den ältesten Kulthandlungen der Menschheitsgeschichte überhaupt zählen.

Es musste sich nur erst jemand irgendein imaginäres höheres Wesen ausgedacht und andere Leute dazu gebracht haben zu glauben, dass diesem fiktiven Wesen der Dank für eine gelungene Ernte gebühren würde.

Und im gleichen Zug war auch das erforderliche Vorgehen bei Ernteausfällen erfunden wurden: Noch mehr Gebete, noch weitere Opfergaben – die die Priester stellvertretend für ihre jeweils verkündigten Götter schon immer gerne selbst entgegennahmen.

Obwohl also wahrscheinlich genau hier sogar der Ursprung von Religion an sich zu verorten ist, gilt das Erntedankfest bis heute nicht als offizielles kirchliches Fest.

Stattdessen zeugen viele regional unterschiedliche Bräuche noch davon, dass sich das Christentum auch hier einfach mal wieder das, was im Volk an Ritualen schon vorhanden war unter den heiligen Nagel gerissen hatte.

Der religiöse Aspekt von Erntedank, also die Idee, Gott für die Ernte zu danken spielt in Herrn Welters Fernsehpredigt erstmal keine Rolle.

Äpfel, Pausenbrot, Halbe Portion

Stattdessen bringt Herr Welter erstmal eine Apfel-Anekdote: Der Duft und die sorgfältige Aufreihung von Boskoop-Äpfeln im Keller hatten Herrn Welters Mutter ein Gefühl von Sicherheit vermittelt, als diese sich während des Krieges dort mit ihren Eltern vor den Bombenangriffen verstecken musste.

Wenn das mal kein Grund ist, dem lieben Gott für das Schöpfen von Boskoop-Äpfeln zu danken!

Wobei wir diese Apfelsorte, die mit vollem Namen Schöner aus Boskoop heißt in Wirklichkeit der Evolution zu verdanken haben. Und natürlich dem bekannten Pomologen Kornelis Johannes Wilhem Ottolander:

Der Schöne aus Boskoop ist 1856 als Zufallssämling von dem Pomologen Kornelis Johannes Wilhelm Ottolander als fruchtender Trieb eines Wildlings in Boskoop, Niederlande, entdeckt worden. Er ist seit 1863 eine weit verbreitete Standardsorte.

(Quelle: Wikipedia – Schöner aus Boskoop)

…und wieder was gelernt!

Eine Aktion in meiner Pfarrei

Auf dem Erntedankaltar liebt neben den Äpfeln ein Brot. Für mich steht es auch für „Pausenbrot“. So nennt sich eine Aktion in meiner Pfarrei. […] Alle Kinder wirken daran mit. Organisiert hat die Aktion Pausenbrot das Stadtteilbüro; die finanzieren es aus Spenden-Mitteln.

Wenn es sich beim Stadtteilbüro um das Stadtteilbüro Alt-Saarbrücken handelt, dann ist der Träger eine Tochtergesellschaft des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Das nur zur Ergänzung – nicht dass jemand irrtümlich den Eindruck gewinnt, Pfarrer Welters Pfarrei habe etwas mit dieser Aktion zu tun.

Die Pfarrei von Pfarrer Welter könnte hier freilich auch tätig werden. Natürlich nicht durch die Finanzierung von Aktionen säkularer Wohlfahrtsverbände. So dicke hats die katholische Kirche schließlich auch nicht.

Das geht auch zum Nulltarif. Zum Beispiel durch das In-Aussicht-Stellen von göttlicher Unterstützung:

  1. Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: ›Was sollen wir essen, was trinken, womit sollen wir uns kleiden?‹
  2. Denn auf alles derartige sind die Heiden bedacht. Euer himmlischer Vater weiß ja, daß ihr dies alles bedürft.
  3. Nein, trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, dann wird euch all das andere obendrein gegeben werden.
(Mt 6,31-33 MENG)

Mit anderen Worten: Werdet katholisch, dann ergibt sich der Rest!

Und weil aller guten Dinge drei sind, kommt gleich noch ein weiteres Geschichtchen hinterher, das Herrn Welter offenbar als passend zum Thema „Erntedank“ erschien: In Hamburg gibts eine Organisation „Halbe Portion“, die sich dafür einsetzt, dass Gastronomen auch kleinere Portionen anbieten, damit nicht so viel weggeworfen werden muss.

Pfarrer Welter möchte, dass gestaunt wird

Boskoop-Äpfel, Pausenbrot und Halbe Portion aus Achtung vor Lebensmitteln. Das scheinbar Selbstverständliche ist viel mehr als selbstverständlich: es ist staunenswert.

Was genau soll denn daran staunenswert sein?

  • Bei der Apfel-Story triggern die Anordnung und der Geruch von Äpfeln einer bestimmten Sorte im Luftschutzkeller eine Erinnerung an eine Geschichte, die Herr Welter vermutlich von seiner Mutter oder von seinen Großeltern erzählt bekommen hatte.
  • Dass ein Wohlfahrtsverband da hilft, wo es nötig ist, kann kaum erstaunen. Ebenfalls nicht staunenswert, sondern kritik- und diskussionswürdig empfinde ich die Ursachen, wegen derer solche Aktionen überhaupt erforderlich sind.
  • Und was gibt es bei der Achtung von Lebensmitteln zu staunen?

Staunen ist ein beliebtes Hintertürchen, über das Glaubensverkäufer versuchen, ihren Götterglauben einzuschleusen.

Wer immer nur staunt, hat nie was gelernt

Ein Pfarrer, der sein Publikum in Staunen versetzt, ist dabei in bester Gesellschaft: Denken wir nur an Bühnenmagier, Trickbetrüger, Verkäufer von „Wundermitteln“ aller Art… Sie alle profitieren davon, wenn ihr Publikum erstaunt ist.

In seinem sehr unterhaltsamen und sehenswerten Bühnenprogramm „Über Wüsten-Religionen, Wissen, Respekt und Kränkungen“ warnt Günther „Gunkl“ Paal vor der Staunerei:

Wir sollten in diesem Zusammenhang übrigens auch das Staunen verlernen – nach und nach auf jeden Fall. Der Poet forderte gern, dass wir das Staunen nicht verlernen dürfen. Das halte ich für gefährlich. Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen sich wundern und staunen. Wer sich wundert, sieht gerade etwas, das mit dem, was er über die Welt weiß, nicht übereinstimmt. Wer staunt, sieht gerade etwas, was er überhaupt nicht kennt. Wer immer nur staunt, hat nie was gelernt.

Youtube: Günther „Gunkl“ Paal: „Über Wüsten-Religionen, Wissen, Respekt und Kränkungen“ –

Staunen als Vorstufe des religiösen Glaubens

Staunen ist der erste Schritt zur „Ehrfurcht“.

Ganz zu Beginn der Menschheitsgeschichte waren unsere Vorfahren sicher sehr oft sehr erstaunt – zum Beispiel über hin und wieder auftretende Gewitter.

Die Folge dieses Erstaunt-Seins war nicht etwa der Versuch, die tatsächliche Ursache zu ergründen. Vielmehr hatte das Staunen Ehrfurcht zur Folge.

Und von da war es dann nur noch ein kleiner Schritt zu dem, was religiösen Glauben ausmacht: Das zugegebenermaßen sehr erfolgreiche Geschäftsmodell aller Medizinmänner, Gurus, Schamanen und Priester einschließlich Pfarrer Welter war erfunden.

Sie alle profitieren bis heute davon, wenn es ihnen noch gelingt, ihr Publikum in Staunen zu versetzen. Und ihm vorzugaukeln, sie wüssten dank ihrer besonderen Stellung mehr als das staunende Fußvolk. Sie behaupten einfach, dass ihre Dank- und Bittgebete wirksamer seien als die vom gemeinen Fußvolk.

Alles für den Club, alles für den Dackel…

Wie kaum anders zu erwarten, nutzt auch Pfarrer Welter sein gerade zurechtkonstruiertes Erstaunen direkt zum eben beschriebenen Zweck:

Der heilige Paulus schreibt dazu kurz und knapp: Ob ihr esst oder trinkt, tut alles zur Ehre Gottes.

Und schon haben wir den Beleg für die These, dass Staunen bestens zur Erzeugung von Ehrfurcht gegenüber angeblichen Göttern geeignet ist.

Fun fact am Rande, bzw. im Kontext dieses Bibelfragments: Dieser Satz ergänzt nur die im Text vorausgehende Anweisung, dass Christen zwar alles essen sollen, was es auf dem Markt zu kaufen gibt – nicht jedoch Opferfleisch für andere Götter. Denn das könnte man dann ja schlecht zur Ehre des eigenen Gottes verzehren. Hätten Sie’s gewusst?

Der hier zitierte Korintherbrief hat es sowieso in sich: Im Anschluss an den zitierten Satz kommt dann noch die Stelle, in der klar gestellt wird, daß das Haupt jedes Mannes Christus ist, das Haupt der Frau aber ist der Mann, und das Haupt Christi ist Gott.

Weder diese Rangordnung, noch die darauf folgenden detaillierten Vorschriften bezüglich Frisuren und Kopfbedeckungen von Frauen und Männern waren meines Wissens jemals Thema im „Wort zum Sonntag“. Obwohl sie laut christlicher Behauptung ja genauso Teil der göttlichen Offenbarung oder wenigstens Inspiration sein sollen…

Zum Erntedank blickt Pfarrer Welter viel tiefer

Ich sehe so vermeintlich selbstverständliche Dinge wie Äpfel, Brot und andere Lebensmittel beim Erntedank vor mir und blicke viel tiefer; ich entdecke Geschichten und Aktionen, die in wirren Zeiten ein neues Gefühl von Sicherheit und Menschlichkeit und Nähe vermitteln.

Dass vermeintlich selbstverständliche Dinge Menschen zu tief greifenden Überlegungen, Erkenntnissen oder auch zur Erschaffung epochaler Kunstwerke inspirieren können, wissen wir spätestens, seit Douglas Adams die „Ode an einen kleinen grünen Kittklumpen, den ich eines Sommermorgens in meiner Achselhöhle fand“ des Dichterfürsten Grunthos der Aufgeblasene in einem seiner Bücher erwähnt hatte.

Die – freilich nicht direkt ausgesprochene – Argumentation von Herrn Welter lautet sinngemäß: Weil mir zu Dingen im Zusammenhang mit Erntedank positive Geschichten und Aktionen einfallen, trägt Erntedank dazu bei, „in wirren Zeiten ein neues Gefühl von Sicherheit und Menschlichkeit und Nähe zu vermitteln.“ – Und wer kann dazu schon Nein sagen!?

Was das alles mit einem Dank an einen Gott für eine gute Ernte zu tun haben soll, verrät Pfarrer Welter nicht. Dieser eigentliche Sinn eines religiösen Erntedankfestes spielt für ihn offenbar gar keine Rolle.

Genauso gut hätte der Fernsehpfarrer auch zum Beispiel mal in der Schachtel von Herrn Wachtel nachschauen können. Darin befinden sich, wie wir alle wissen, ein Bluntschli, eine Birne und ein Knopf, dazu ein blauer Bleistiftspitzer.

Wer weiß, was ihm dazu Erbauliches oder Tröstliches eingefallen wäre…?

Nichtselbstverständlich selbstverständliche Lebensgewissheit. So oder so ähnlich.

Sie geben mir eine nichtselbstverständlich selbstverständliche Lebensgewissheit – und laden zum Staunen ein.

…wohl eher zum sinnfreien Aneinanderreihen von Phrasen. Um so den Anschein zu erwecken, es handle sich um irgendetwas sehr sehr Tiefgründiges, Bedeutsames. Dafür empfängliche Menschen kann man auch mit Geplapper in Erstaunen versetzen.

So oder so ähnlich wünsche ich auch Ihnen einen staunenswert selbstverständlich schönen Sonntag – und danke für die Ernte, auch für die leckeren Äpfel.

So oder so ähnlich. Genau.

Hauptsache, vier Minuten irgendwas zum Thema „Erntedank“ erzählt, ohne mit einem Wort darauf eingegangen zu sein, warum es sinnvoll oder angebracht sein sollte, dem sowieso für allmächtig und allgütig gehaltenen Gott aus der biblisch-christlichen Mythologie für irgendetwas zu danken. Denn diese Idee ist nicht nur grundlegend un-, sondern sogar widersinnig.

Und wieder erscheint ausgerechnet der religiöse Aspekt so armselig, dass man fast Mitleid bekommen könnte mit Pfarrer Welter bei seinen verzweifelten Versuchen, sein Glaubenskonstrukt noch als irgendwie relevant und bedeutsam darzustellen.

Solange aber die Allgemeinheit die Kosten für diese Versuche zu tragen hat, hält sich zumindest mein Mitleid in sehr engen Grenzen.

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3 Gedanken zu „Erntedank – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Seit 1954 bis heute sind fast 2500 WzS über die deutschen Fernsehbildschirme geflimmert.

    In dieser Zeit ging die Mitgliederzahl der grossen christlichen Konfessionen um ca. 50 % zurück (gesamte BRD).

    Eine erfreuliche Korrelation.
    Weiter so, Herr Welter, Frau Enxing, Frau Prumbaum, Herr Höner …
    😉

    Antworten
  2. 😱 Oh ich Trottel, ich habe meine Tomaten und Gurken den ganzen Sommer gegossen und gedüngt.
    Und um mein Brot hat sich immer der Bäcker um die Ecke gekümmert. Wenn ich gewusst hätte, das sich um das ganze Grünzeug und Brot, dieser dreiteilige Gott kümmert, wäre ich doch längst wieder in die Kirche eingetreten.
    🤔 Herr Welter, ist das dann eigentlich egal ob man katholisch oder evangelisch ist? Naja, lieber katholisch, dann bin ich in der richtigen Religion, dieses evangelische ist mir dann doch wie im Swingerclub „Alles kann, nichts muss.“ Nicht dass mir dann mit der falschen Religion das Gemüse verwelkt.

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