Gedanken zu: Impulse von Stadtpfarrer Stefan Buß: „Die kleine Raupe Nimmersatt“

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Gedanken zu: Impulse von Stadtpfarrer Stefan Buß: „Die kleine Raupe Nimmersatt“, veröffentlicht am 2.11.2020 von osthessennews.de

Darum geht es

In seiner heutigen Videoverkündigung muss „Die kleine Raupe Nimmersatt“ für theologische Zwecke herhalten.

Ob der „tiefe theologische Hintergrund“ vom Erfinder der Geschichte beabsichtigt oder von Herrn Buß dazuerfunden wurde, konnte ich nicht ermitteln.

Die kleine Raupe Nimmersatt aus theologischer Sicht

Zunächst bereitet sich Herr Buß die Kindergeschichte jedenfalls zweckmäßig vor:

Sie [die kleine Raupe Nimmersatt, Anm. v. mir] frisst jeden Tag mehr; am Samstag frisst sie verschiedenste menschliche Lebensmittel und fühlt sich danach schlecht. Am Sonntagmorgen frisst sie nur ein grünes Blatt und da geht es ihr viel besser. Dann frisst sie nichts mehr, sondern verpuppt sich und schlüpft nach zwei Wochen als Schmetterling. Die kleine Geschichte ist nicht nur ein pädagogisch wertvolles Buch, sondern auch mit tiefem theologischem Hintergrund.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Impulse von Stadtpfarrer Stefan Buß: „Die kleine Raupe Nimmersatt“, veröffentlicht am 2.11.2020 von osthessennews.de)

Die kleine Raupe Nimmersatt
Die kleine Raupe Nimmersatt…

Die von Herrn Buß gewählte Formulierung legt die Vermutung nahe, dass die beabsichtigte Message diese sein dürfte: Was der Mensch selbst hervorbringt, kann nur zu einem schlechten Gefühl führen. Erst der Verzehr eines grünen Blattes, das nicht Menschen-, sondern nach christlicher Vorstellung ja gottgemacht ist, führt dazu, dass sich die Raupe besser fühlt und sich schließlich verpuppt, um als Schmetterling „aufzuerstehen.“

Das Diskreditieren menschlicher Errungenschaften und sozio-kultureller Leistungen aller Art gehört zur Königsdisziplin entsprechend ausgerichteter Theologie.

Verständlich: Nur wer sich für unwürdig, unvollkommen, unfähig und sündig hält, kann ein Interesse daran haben, davon durch eine höhere Macht erlöst zu werden.

Metamorphose…

Welche Symbolik die Verwandlung der Raupe zum Schmetterling in der christlichen Mythologie enthält, beschreibt Herr Buß so:

Der Schmetterling ist ein uraltes christliches Symbol für die Auferstehung. Die Raupe als Bild für das Erdenleben und es wandelt sich im Tod und schlüpft in die neue Wirklichkeit, das neue Leben bei Gott.

Die kleine Raupe Nimmersatt
Schmetterling…

Dieser Vergleich ignoriert den kleinen, aber entscheidenden Unterschied zwischen „Metamorphose“ und „Tod.“

Wenn es sich dabei, wie Herr Buß mit einem Beispiel belegt, um ein „uraltes christliches Symbol“ handelt, dann ist freilich nachvollziehbar, dass den Leuten solche Vorgänge damals mehr als wundersam vorgekommen sein müssen. Die plausibelste Erklärung war folglich die, mit der sie sich auch alles andere erklärten, was sie sich (noch) anders nicht erklären konnten: Da muss unser Gott seine Finger im Spiel haben!

Die erstaunliche Erkenntnis, dass sich eine Raupe während ihrer Verpuppung im Kokon zunächst fast vollständig in einen glibberigen Brei auflöst, aus dem das Tier dann im Falterstadium hervorgeht und dass dabei – noch erstaunlicher – wohl auch die Erinnerung an die als Raupe gemachten Erfahrungen erhalten bleiben, wie Versuche belegen, ist noch recht neu. Fest steht, dass das Tier eben nicht stirbt. Sondern dass sich „nur“ seine körperliche Erscheinungsform grundlegend verändert.

Wie wir heute wissen, durchläuft auch jeder Mensch im Mutterleib etliche evolutionäre Stadien, bis sich die typisch menschlichen Merkmale einstellen. Nur in seltenen Fällen werden Zwischenstufen wie Kiemen, Schwänze oder Fell bis zur Geburt nicht vollständig zurückgebildet. Eine Evolution im Schnelldurchlauf, sozusagen.

…vs. Tod

Tote Schmetterlinge
Tote Schmetterlinge

Die zum Schmetterling verwandelte Raupe erwartet allerdings kein „ewiges Leben.“ Sondern durchschnittlich nur ein paar Wochen oder Monate. In denen es gilt, zu überleben, um sich möglichst erfolgreich fortzupflanzen.

Und um dann genauso und vor allem genauso endgültig zu sterben wie ausnahmslos jedes andere Lebewesen auch.

Eine „Auferstehung“ ließe sich dann höchstens noch auf atomarer oder molekularer Ebene darstellen: Irgendwann und irgendwo werden die Bausteine, aus denen ein Schmetterling zum Zeitpunkt seines Abflatterns zusammengesetzt war schon wieder mal Teil irgendwelcher anderen Lebewesen werden. Nach aktuellem Forschungsstand ist nicht davon auszugehen, dass dabei die Persönlichkeit des Schmetterlings mit übertragen wird.

Als Metapher für eine Auferstehung im biblisch-christlichen Sinn ist die Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling nur geeignet, wenn man die Details ignoriert. Und wenn man vor allem das wohl auch noch bis auf Weiteres unausweichliche, ganz natürliche Ende der Geschichte weglässt.

Potential zur Verwandlung? Natürlich von Gott!

Für jeden Menschen hält Gott das Potential zur Verwandlung und Auferstehung bereit.

Auch für jeden Schmetterling? Oder ist es nicht vielmehr ganz einfach so, dass sich das „Potential zur Verwandlung“ als evolutionärer Vorteil durchgesetzt hatte? Ein Vorteil, der es allen Lebewesen ermöglicht, sich an veränderte Lebensbedingungen anzupassen, wenn dies erforderlich sein sollte? Und weil die Lebewesen, die dieses Potential nicht ausschöpfen, sehr wahrscheinlich früher oder später aussterben werden oder schon längst ausgestorben sind?

Woher kommt das Potential, sich vom gläubigen Menschen zum rational-kritisch denkenden Menschen zu verwandeln? Auch von Gott?

Die nicht belegte und auch nicht belegbare Ad hoc-Behauptung, dass es ein bestimmter orientalischer Stammesgott sei, dem Menschen ihr Potential zur Verwandlung zu verdanken haben, ist ein starkes Indiz dafür, dass es sich dabei um eine unsinnige Behauptung handelt.

Weil sich dieses Potential mit „natürlichen“ Mitteln, also ohne Zuhilfenahme von magisch-esoterischen Annahmen wesentlich plausibler aufgrund der Faktenlage erklären lässt, kann diese Behauptung als rein menschliche religiöse Wunschvorstellung bis zum Beweis des Gegenteils getrost verworfen werden.

Wenn sich der Geist entfaltet…

Vielleicht ist es das Schönste, was man einem Menschen wünschen kann: Dort, wo das Leben verpuppt, versteinert und starr erscheint, kann sich ein neuer Geist entfalten, entsteht neues Leben. Auferstehung!

Hier stimme ich Herrn Buß zu: Allen Menschen ist zu wünschen, dass es ihnen gelingen möge, sich aus starren Dogmen und von ihren Glaubenslehren zu befreien, die ihr Denken „versteinern“. Selbst dann, wenn sie ihr Dasein im religiösen Kokon dank des damit verbundenen Denkverzichtes und der Abschirmung von der restlichen irdischen Wirklichkeit womöglich als angenehm wahrgenommen haben sollten.

Das ist unsere Hoffnung, die besonders in diesen Tagen beim Gedenken an unsere lieben Verstorbenen uns tragen soll.

Herr Buß und andere Gläubige können sich vermutlich nur schwer vorstellen, wie absurd die Idee von außen betrachtet erscheint, Menschen würden nach ihrem Tod in dem Sinn wieder auferstehen, wie es ausgerechnet die biblisch-christliche Mythologie behauptet.

Gottlos glücklich statt illusorisch hoffnungsvoll

Diese Fiktion nicht zu teilen bedeutet keinesfalls, deswegen an den natürlichen Gegebenheiten zu verzweifeln.

Im Gegenteil: Mit dem Verzicht auf die bestenfalls hoffnungsvoll erscheinende Einbildung einer endlosen und damit sicher auch endlos langweiligen Götterschau in Dauerschleife verpufft auch jede damit verbundene Angst und Ungewissheit bezüglich Höllendrohungen und Reinigungsfeuern aller Art. Also bei den Hinterbliebenen. Die Verstorbenen haben solche Sorgen mangels funktionierender biologischer „Hardware“ ja sowieso nicht mehr.

Das wiederum bedeutet freilich nicht, dass man seine lieben Verstorbenen nicht in guter Erinnerung behalten kann, wenn man das möchte.

Und womöglich kann einen gerade das Bewusstsein der Endlichkeit und Einmaligkeit der eigenen Existenz sogar dazu motivieren, sich ein paar mehr Gedanken über die Gestaltung und Nutzung der paar Jahre bzw. Jahrzehnte zu machen, die man mit diesem Gehirn und dieser Persönlichkeit hienieden unterwegs ist.

Bis man sich – nicht verpuppt und man auch nicht „von den Toten zum ‚Jüngsten Gericht‘ auferweckt“ wird.

Sondern bis man sich – ganz natürlich – wieder in den Zustand „verwandelt“ hat, den man schon vor seinem Leben hatte. Was um alles in der Welt soll denn daran nur so schlimm sein, dass man sich eine hanebüchene Story ausdenken muss, um diesen Umstand bewältigen zu können!?

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