Schuld sind immer die Anderen – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 5 Min.

Schuld sind immer die Anderen – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Alexander Höner aus Berlin, veröffentlicht am 7.10.23 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Würde sich Pfarrer Höner selbst beim Wort nehmen, dann müsste er sich erstmal um den religiösen Balken in seinem eigenen Auge kümmern – und sich dann einen neuen Beruf suchen.

Pfarrer Höner widmet sich heute der Frage, was man mit Leuten tut, die keine Fehler zugeben:

Tja, was tun mit solchen Leuten, die keine Fehler zugeben? Die biblisch gesprochen den Splitter im Auge des anderen sehen, aber den Balken im eigenen nicht.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Schuld sind immer die Anderen – Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Alexander Höner aus Berlin, veröffentlicht am 7.10.23 von ARD/daserste.de)

Naja, man könnte ihnen zum Beispiel mal den Dunning-Kruger-Blues vorspielen…

Von Balken und Splittern

Für den nicht bibelfesten Teil seines Publikums zitiert Pfarrer Höner die Bibelstelle:

„Du siehst den Splitter im Auge deines Gegenübers. Bemerkst du nicht den Balken in deinem eigenen Auge? Wie kannst du zu deinem Gegenüber sagen: ›Komm her! Ich zieh dir den Splitter aus deinem Auge.‹ Dabei steckt doch in deinem eigenen Auge ein Balken! Du Scheinheiliger! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge. Dann hast du den Blick frei, um den Splitter aus dem Auge deines Gegenübers zu ziehen.“

Das hat Jesus gut auf den Punkt gebracht.

Als Theologe weiß Pfarrer Höner natürlich, dass die so genannte Bergpredigt, aus der er hier zitiert nichts ist, was tatsächlich „Jesus gut auf den Punkt gebracht“ hat.

Der Text stammt nach Ansicht der meisten Bibelforscher von einem anonymen Autor mit Pseudonym Matthäus. Er wurde vermutlich in den 80er Jahren des 1. Jahrhunderts nach Christus irgendwo in Syrien verfasst.

Hier haben wir schon den ersten Hinweis auf einen Balken im eigenen Auge des Pfarrers: Er setzt nicht nur ganz selbstverständlich die Existenz des in den biblischen Gottessohnlegenden beschriebenen Drittelgottes voraus. Sondern erweckt mit einem Zitat in wörtlicher Rede auch noch den Eindruck, es handle sich um ein solches von eben diesem.

Dieser unredliche Umgang mit der eigenen schriftlichen Glaubensgrundlage (und mit dem Publikum) erfüllt mit Sicherheit schon für sich genommen das Prädikat „Balken im eigenen Auge“.

Guck‘ erst mal bei dir selbst

Wenn du einen Balken im eigenen Auge hast, siehst du nicht gut, ist dein Urteilsvermögen eingeschränkt. Deshalb guck‘ erst mal bei dir selbst. Mach‘ deinen Blick frei! Sieh‘ dich nicht immer gleich als Opfer. – Das ist aber total schwierig anzusprechen. Viele machen da dicht.

Stimmt genau. Zum Beispiel Gläubige, wenn es um die Plausibilität, um die Glaub-Würdigkeit ihrer eigenen religiösen Glaubensgewissheiten geht. Dass da viele dicht machen und sich als Opfer sehen ist eine Folge der kognitiven Dissonanz: Die Erkenntnis (oder wenigstens Ahnung), dass das Geglaubte nicht mit Wissen und Vernunft vereinbar ist.

Dichtmachen oder Vertuschen verändert nichts. Es verbraucht nur Energie.

Wie viel Energie es wohl verbraucht, um zum Beispiel den Glauben an das biblisch-christliche Glaubenskonstrukt aufrecht zu erhalten?

Gerade dann, wenn man nicht „dichtmacht“ und vor sich selbst vertuscht, dass der geglaubte Gott und dessen angeblichen Absichten und Handlungen rein menschliche Phantasieprodukte sind? Wenn man also das eigene vernünftige und kritische Denken umgeht, sobald es gilt, die Plausibilität absurder religiöser Glaubensgewissheiten zu prüfen?

Genau das ist die bevorzugte Methode von Gläubigen, um an ihrem Götterglauben festhalten zu können.

Keinen Bock mehr…

Und ich merke als Seelsorger, dass ich mich immer weniger auf diese Strategie einlassen will. Es sind nicht immer die anderen schuld. Punkt aus. Ich will diese Haltung nicht auch noch mit falschem Mitgefühl stärken.

Hier stellt sich mir einmal mehr die Frage, inwieweit eine Ausbildung zum „Seelsorger“ dazu qualifiziert, professionell psychosoziale Dienstleistungen zu erbringen. Von Professionalität zeugen solche Aussagen jedenfalls nicht…

Ein Mal falsch abgebogen…

Im Kleinen wie im Großen: Mensch, warum ist es z.B. in Politik und Kirche so schwer, eigene Fehler zuzugeben? Dass jemand mal die falsche Richtung eingeschlagen hat und die Verantwortung dafür übernimmt, was er oder sie verzapft hat. Wovor haben diejenigen Angst? Als schwach zu gelten? Als inkompetent? Macht zu verlieren?

Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie frappierend zielsicher und ganz selbstverständlich Christen solche Fragen stellen ohne, biblisch gesprochen, ihren eigenen Glaubensbalken im Auge (oder genauer: im Kopf) zu bemerken.

Damit praktiziert Pfarrer Höner genau das, was er hier so wortreich hinterfragt.

Solange es um Politik und Kirche geht, fällt es ihm offenbar nicht schwer, diese Fragen zu stellen. Aber wie sieht es aus, wenn wir zum Beispiel mal über sein christliches Glaubensbekenntnis sprechen? Und über die Prämissen, die dieses voraussetzt?

Klar: Hier wäre es für Herrn Höner ungleich gravierender, zuzugeben, dass hier etwas nicht stimmt. Denn bei ihm ginge es ja nicht nur darum, vielleicht als schwach oder inkompetent zu gelten. Für ihn würde nichts weniger als sein Beruf auf dem Spiel stehen.

Religiöser Glaube vs. intellektuelle Redlichkeit

Indem Religion von ihren Anhängern verlangt, Dinge für wahr zu halten, die selbst Gläubige niemals für wahr halten würden, wenn es sich dabei nicht um die Grundlagen ihres eigenen Glaubens handeln würde, bringt sie Menschen in eine Zwickmühle. Zur Bewältigung haben Gläubige verschiedene Strategien entwickelt.

Eine Methode besteht darin, solchen Fragen nach Möglichkeit einfach aus dem Weg zu gehen: Man hält sich an die Bibel, die ja nicht ohne Grund von Erwachsenen verlangt, „wie die Kinder“ zu sein. Und redet sich ein, dass religiöser Glaube kein Denkfehler, sondern eine grundsätzlich tugendhafte und positive Angewohnheit sei.

Wie Herr Höner es gerade beschrieben hatte: (Nach außen) Dichtmachen und (vor sich selbst) vertuschen.

Ein anderes Manöver ist es, auf kritisches Hinterfragen wie ein beleidigtes Kleinkind zu reagieren.

Und hier zitiere ich, weil es gerade so perfekt passt, Pfarrer Höner: Es sind nicht immer die anderen schuld. Punkt aus. Ich will diese Haltung nicht auch noch mit falschem Mitgefühl stärken.

I can see clearly now…

Ich bin davon überzeugt: Es ist genau anders herum! Meine Projekte und ich haben sich am meisten entwickelt, wenn ich Fehler offen eingestanden habe. Natürlich fällt es auch mir nicht leicht. Aber ich habe gemerkt, dass es so viel Energie kostet, den Balken in meinem Auge für mich und andere unsichtbar zu machen, zu vertuschen. Und was es für eine Befreiung ist, den Balken ehrlich rauszuziehen, wieder klar zu sehen und Energie für das Wesentliche zu haben.

Herr Höner, wenn Ihr Ziel tatsächlich ist, klar zu sehen, dann wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als sich selbst beim Wort zu nehmen.

Und sich anschließend einen neuen Beruf zu suchen.

Einen, in dem Sie nicht länger so tun müssen, als gäbe es den Gott, den Sie verkündigen tatsächlich. Irgendeinen Beruf, in dem Sie nicht länger Ihren Mitmenschen vorgaukeln müssen, der von Ihnen propagierte Gott würde Menschen nachts vor irgendetwas oder irgendwem behüten:

Ich wünsche Ihnen eine behütete Nacht.

Vom Glauben befreit

Tipp: Menschen in Berufen mit Religionsbezug, die nicht mehr an Übernatürliches glauben (also auch solche, die es als Befreiung empfinden, endlich wieder klar zu sehen), können sich vertrauensvoll an clergyproject.de wenden.

Ob Ihnen es je gelingen wird, Ihren Blick auf die Welt von religiöser Vernebelung zu befreien, weiß ich nicht.

Eins kann ich Ihnen aber schon jetzt versichern: Sollten Sie es irgendwann schaffen, werden Sie sich rückblickend nicht mehr vorstellen können, dass Sie das, was Sie als Christ zu glauben und als Pfarrer zu verkündigen haben jemals geglaubt haben.

Fazit

Pfarrer Höner zeigt heute, offenbar ohne dass es ihm auch nur ansatzweise bewusst ist, selbst exakt das von ihm kritisierte Verhalten: Er kümmert sich, nochmal biblisch gesprochen, um die Splitter in den Augen seiner Mitmenschen. Darauf, dass der von ihm beworbene Götterglaube der Balken in seinem eigenen Auge ist, scheint er überhaupt nicht zu kommen.

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4 Gedanken zu „Schuld sind immer die Anderen – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Die meisten Bibelsprüche, von denen viele zum sprachlichen Allgemeingut wurden, sind Kalenderweisheiten, Plattitüden, passend für alles und jeden.
    Dazu gehört auch die von Pfarrer Höner rausgepickte Binsenweisheit des Splitter-Balken-Gleichnisses. Ein anderer nichtssagender Spruch ist „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Den haben z. B. in einer herrlichen Szene Monty Python im „Das Leben des Brian“ auf die Schippe genommen.
    Die Bibel ist voll von diesen sinnvoll-sinnlosen Sentenzen.
    Solange man ihren abstrakten Charakter nicht antastet, kann man um einen solchen Spruch herum ein ganzes Wort zum Sonntag stricken, ohne auch nur im geringsten konkret werden zu müssen.
    Das einzig Konkrete in dieser Höner-Predigt war der Witz mit dem Geisterfahrer.
    Aber der hat wahrlich nichts Transzendentes an sich.

    Nützlich, spannend und inhaltsreich würde der Splitter-Balken-Slogan erst, wenn er dazu Beispiele aus dem religiösen Leben gebracht hätte, wie es ja auch der Kommentator angemahnt hat, anstatt ständig nur den Bibelspruch rauf und runter zu zitieren.

    Man hätte gleich mit dem grössten Balken anfangen können, der da lautet:
    „Du sollst keine fremden Götter neben mir haben.“

    Antworten
  2. Zitat „Dichtmachen oder Vertuschen verändert nichts. Es verbraucht nur Energie.“

    Vielen Dank Herr Höner, für Ihren „Beitrag“. Natürlich hat keine andere Sekte, als Ihre, so profunde Kenntnisse und Erfahrung über Dichtmachen und Vertuschen.
    Allerdings, im Angesicht dieser widerlichen massen haften Kindervergewaltigungen (Kindesmissbrauch halt ich für unpassend und verniedlichend, da es ja keinen ordnungsgemäßen Gebrauch von Kindern gibt), ist darüber zu predigen, abstoßender Zynismus.

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