Hingabe, nicht Aufgabe – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 3 Min.

Hingabe, nicht Aufgabe – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Benedikt Welter, veröffentlicht am 25.5.24 von ARD/daserste.de

Der religiöse Aspekt der heutigen Verkündigung von Pfarrer Welter lässt sich inhaltlich ungefähr so zusammenfassen:

Darum geht es

Wenn ein behindertes Kind vor Freude jauchzt, weil sich seine Eltern hingebungsvoll um es kümmern, indem sie es an der Erstkommunion teilnehmen lassen, dann ist dieses Jauchzen ein Gebet und noch viel mehr, weil so auch Gott, Zitat: „über seine eigene so unendliche Schöpfung Mensch“ jauchzt.

Urlaubsbedingt habe ich heute keine Muse tiefer gehende Vermutungen darüber anzustellen, was mit den Hirnwindungen passiert sein muss, um zu so einer verqueren Sichtweise kommen zu können, tippe aber auf Katholizismus.

Inklusion vs. katholisches Kirchenrecht

Andererseits beinhaltet das katholische Regelwerk Codex Iuris Canoici Vorschriften, die zumindest bisher sicher dazu angeführt werden konnten, Menschen mit kognitiven Behinderungen von der rituell-zeremoniellen Verspeisung von zu Menschenfleisch verzauberten Backoblaten auszuschließen:

Can. 913 — § 1. Damit die heiligste Eucharistie Kindern gespendet werden darf, ist erforderlich, daß sie eine hinreichende Kenntnis und eine sorgfältige Vorbereitung erhalten haben, so daß sie das Geheimnis Christi gemäß ihrer Fassungskraft begreifen und den Leib des Herrn gläubig und andächtig zu empfangen in der Lage sind.

Can. 914 — Pflicht vor allem der Eltern und derer, die an Stelle der Eltern stehen, sowie des Pfarrers ist es, dafür zu sorgen, daß die Kinder, die zum Vernunftgebrauch gelangt sind, gehörig vorbereitet werden und möglichst bald, nach vorheriger sakramentaler Beichte, mit dieser göttlichen Speise gestärkt werden. Der Pfarrer hat auch darüber zu wachen, daß nicht Kinder zur heiligen Kommunion hinzutreten, die den Vernunftgebrauch noch nicht erlangt haben oder die nach seinem Urteil nicht ausreichend darauf vorbereitet sind.

(Quelle: Codex Iuris Canonici / 1983 deutsch, Artikel 2: TEILNAHME AN DER HEILIGSTEN EUCHARISTIE, Zit. n. https://www.codex-iuris-canonici.de/cic83_dt_buch4.htm#01030102)

In Anbetracht des kontinuierlichen Mitgliederschwundes kann man es sich heute offenbar nicht mehr leisten, Eltern von behinderten Kindern zu verprellen, indem man ihren Kindern die Teilnahme an der Erstkommunion mit Verweis auf diese kirchenrechtlichen Vorschriften vorenthält.

Vernunft!?

Faktisch spielt ein Vernunftgebrauch für diese Zeremonie ja sowieso nicht nur keine Rolle; ein solcher wäre vielmehr noch hinderlich.

Denn mit Vernunft hat das Ganze nun wahrlich nichts zu tun. Und für die zwingend vorgeschriebene vorausgehende Beichte gibt es sicher auch theologisch-rhetorische Mittel und Wege, um eine solche auch mit geistig stark beeinträchtigten Menschen gültig durchzuführen.

Die Zeiten, in denen körperliche und geistige Behinderungen von Kindern als göttliche Strafe und/oder Prüfung (z.B. bezüglich Opferbereitschaft und/oder Glaubensstärke der Eltern) verkauft wurden, sind offenbar zumindest im katholischen Mainstream vorbei. Sowas findet sich heute aber trotzdem noch, zum Beispiel bei den evangelikalen christlichen Glaubensbrüdern und -schwestern, Stichwort: Hexenkinder…

Aber hat nicht auch der Gottessohn aus der biblisch-christlichen Mythologie Kranke geheilt? Laut biblischer Legende: Ja. Aber nur aus einem Grund:

…damit das Wirken Gottes an ihm offenbar würde

Warum auch ein Mensch mit Behinderung seinen Platz in der Gesellschaft haben soll, ist bei Johannes 9,2 nachzulesen: „…damit das Wirken Gottes an ihm offenbar würde.“

Für Herrn Welter und die Eltern des Kindes genügte es offenbar, dass das Wirken Gottes an dem Kind offenbar wurde, indem dieses – sehr wahrscheinlich wegen ihrer (und keiner göttlichen) Hingabe bzw. Zuwendung – jauchzte.

Was es sicher genauso getan hätte, wenn dem Jauchzer ein hinduistisches, satanisches, pastafarianisches oder sonst irgendein anderes Ereignis vorausgegangen wäre, bei dem das Kind sicher genauso die besondere Aufmerksamkeit und Hingabe seiner Eltern und des Zeremonienmeisters gespürt und entsprechend reagiert hätte.

Irgendeine Hingebung irgendeines oder gar eines bestimmten Gottes lässt sich von einer wie gewohnt ignoranten und arroganten religiösen Einbildung und rein menschlichen Wunschphantasie nicht unterscheiden.

Fazit

An der heutigen Anekdote zeigt sich, dass Berufschristen wirklich vor nichts Halt machen, wenn es darum geht, den Gott aus der biblisch-christlichen Mythologie als einen zu verkaufen, der es auf jeden Fall immer nur gut mit seinen Anhängern meint.

Wenn man regelmäßig ein (wenn auch nur inszeniertes und temporäres, dadurch aber nicht weniger brutales und unmenschliches) Menschenopfer zur eigenen Befriedigung als höchste Form göttlicher Hingabe feiert, dann liegt nahe, dass das auch in anderen Bereichen auf die vom Kirchenrecht geforderte Vernunftbegabung negative Auswirkungen hat.

Eine vernünftige Einschätzung des vom allmächtigen allgütigen Gott nicht verhinderten, unverschuldeten Leides, das Behinderungen für davon betroffene Kinder mit sich bringen schmälert in keiner Weise die Hingabe, mit der sich Angehörige um ihre Kinder kümmern.

Im Gegenteil: Solche Eltern dürfen und sollten sich gemeinsam mit ihrem Kind daran erfreuen, wenn es ihnen gelingt, die Welt ihres Kindes so zu gestalten, dass dieses glücklich ist und sich in seiner Umwelt, also von seinen Mitmenschen gut geborgen und geliebt fühlt.

Dazu braucht es keinen imaginierten mit-jauchzenden, in Wirklichkeit aber komplett taten- und interessenlosen Gott, dessen allgütiger ewiger Heilsplan hierzulande offenbar rund 10% Menschen mit schwerer Behinderung (Quelle), in Entwicklungsländern etwa 15 % (Quelle) vorsieht.

Dass Menschen mit psychischen und/oder physischen Beeinträchtigungen heute nicht mehr ausgegrenzt, sondern mit Hingabe geliebt und inkludiert werden (inzwischen sogar offenbar sogar am katholischen Kirchenrecht vorbei), ist kein Zeichen göttlicher, sondern menschlicher Weiterentwicklung.

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3 Gedanken zu „Hingabe, nicht Aufgabe – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Da jauchzt Gott vor lauter Freude über seine „perfekte Schöpfung“, die sich in dem schwerbehinderten Kind offenbart!

    Laut altem Testament, ist es diversen Behinderten ausdrücklich per Todesstrafe verboten, sich dem Altar des „Herren“ auch nur zu nähern!!

    So viel zum Thema Kirche und Inklusion!!!

    Antworten
  2. „Faktisch spielt ein Vernunftgebrauch für diese Zeremonie ja sowieso nicht nur keine Rolle; ein solcher wäre vielmehr noch hinderlich.“
    Dem kann ich nur zustimmen. Ich habe die Sendung zufällig gesehen. Geradezu absurd jenseits allen Vernunftgebrauchs waren die Sorgen, die sich der Herr Pfarrer Welter machte: Ob die geweihte Hostie nicht vielleicht von einem Behinderten ausgespuckt werden könnte !!! Als ob der realpräsente Christus nicht selbst dafür sorgen könnte, dass das nicht passiert ??? Kann ER offensichtlich nicht !!!

    Antworten
    • Also, meine Kinder haben immer gejauchzt, wenn sie Süßigkeiten bekamen oder abends länger aufbleiben durften. Götter oder Jesus-Chips wurden dafür nicht gebraucht.
      Auch in diesem WZ sieht man wieder: Religion kann den Verstand ruinieren. Zu Risiken und Nebenwirkungen von Religion fragen Sie einen versierten Atheisten oder eines der unzähligen Opfer.
      Oder um es mit den Worten von Karlheinz Deschner zu sagen: Je größer der Dachschaden, desto schöner der Blick in den Himmel.

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