Du bist es wert, gesehen zu werden! – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Johanna Vering, veröffentlicht von ARD/daserste.de am 14.12.2024
Darum geht es
In ihrer Debut-Sendung bringt die katholische Pastoralreferentin Johanna Vering gleich drei verschiedene frohe Botschaften durcheinander.Mit Pastoralreferentin Johanna Vering tritt diesmal ein weiterer Neuzugang im Wort-zum-Sonntag-Verkündigungsteam an, um den christlichen Glauben bzw. Verings Interpretation davon offenbar auch einem jüngeren Publikum schmackhaft zu machen.
Nach dem altbekannten Wort-zum-Sonntag-Schema startet Frau Vering ihr Sendungsdebut mit einem gegenwärtigen gesellschaftlichen Thema: Die Spaltung der Gesellschaft aufgrund mangelnder Empathie. Um auf diesem Weg ihren Glauben als relevanten Beitrag ins Spiel bringen zu können.
Für einen extra niederschwelligen Einstieg gehts erstmal mit Positiv-Beispielen los:
Was brauchen Menschen?
Frage an eine Bestatterin, einen Herrenschneider, eine Psychiaterin und einen Schlagersänger: Was brauchen die Menschen?
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Du bist es wert, gesehen zu werden! – Wort zum Sonntag, verkündigt von Johanna Vering, veröffentlicht von ARD/daserste.de am 14.12.2024, Zit. n. https://rundfunk.evangelisch.de/das-wort-zum-sonntag-am-14122024-13919)
Die Frage ist genauso gestellt worden bei einer Podiumsdiskussion zum Thema: Was brauchen Menschen?
Jetzt aber die Antworten: alle vier waren sich unabgesprochen einig und haben so geantwortet: Die Bestatterin hat gesagt: „Wahrnehmen, was Trauernde brauchen.“ Der Herrenausstatter meinte: „Wahrgenommen werden.“ Die Psychiaterin, die mit Heroinabhängigen arbeitet, hat gesagt: „Gesehen werden.“ Und der Schlagersänger Thomas Kuhn: „Liebe geben und Liebe empfangen.“
Unabhängig davon, ob diese Podiumsdiskussion tatsächlich stattgefunden hat (online war dazu nichts zu finden) oder ob sie der Phantasie Frau Verings entspringt: Für den beruflichen Erfolg aller vier Protagonisten ist es erforderlich, sich mit den Bedürfnissen ihrer Kunden auseinanderzusetzen.
Die Binsenweisheit, dass der Wurm dem Fisch schmecken muss und nicht dem Angler, gehört zum Grundwissen aller Leute, die mit Marketing zu tun haben.
Über Marketing möchte Frau Vering freilich nicht sprechen:
Hinsehen und liebevoll handeln, damit es Menschen besser geht?
Ich hatte das so nicht erwartet. Eher etwas, das mit ihren Berufen zusammenhängt. Aber so: hinsehen und liebevoll handeln, damit es Menschen besser geht!
Auf die Wünsche ihrer Kunden einzugehen hängt natürlich mit den Berufen zusammen: Anbieter, die das nicht tun, könnten sich nicht lange am Markt behaupten. Die Aufmerksamkeit, die Verkäufer ihren Kunden widmen – egal ob aufrichtig oder gespielt – wirkt sich immer positiv auf den Umsatz aus.
Je besser ein Produkt oder eine Dienstleistung die Bedürfnisse eines Kunden befriedigt oder dessen Probleme löst, desto besser geht es ihm damit. Und desto mehr Geld ist er bereit dafür auszugeben.
Allein schon aus diesem simplen Zusammenhang ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, als Verkäufer oder Dienstleister hinzusehen, wo der Schuh drückt. Und natürlich auch, was sich ein Kunde vom Erwerb unabhängig vom reinen Nutzen des Produktes oder der Dienstleistung verspricht.
Viele Güter (oder auch Dienstleistungen) haben in erster Linie keinen wirklichen praktischen Nutzen, sondern dienen hauptsächlich der Befriedigung ganz anderer Wünsche und Sehnsüchte. Wie etwa dem Wunsch nach Bewunderung und Anerkennung.
Das kleine 1×1 der Verkaufspsychologie
Ein guter Autoverkäufer zum Beispiel sieht sehr genau hin, welche absichtlichen, vor allem aber auch unbewussten Signale er bei einem Kaufinteressenten wahrnimmt: Was ist ihm wichtig, worauf kommt es ihm an, was verspricht er sich davon?
Um dann das für den Kunden passende Auto zu finden, ist es jedoch nicht erforderlich, liebevoll zu handeln. Es genügt, eine wertschätzende Vertrauensebene aufzubauen und dem Kunden zu vermitteln, dass man alles tut, damit er genau das für ihn passende Auto bekommt.
Das bedeutet nicht, dass das Interesse eines Verkäufers an seinem Kunden deshalb weniger ehrlich gemeint sein muss als bei einem Menschen, der sich tatsächlich aus reiner Liebe und Empathie für seine Mitmenschen interessiert. Es dient einfach nur dem Erreichen seiner geschäftlichen (oder therapeutischen) Ziele.
Besonders in Berufen, wo es um Menschen geht, also etwa in der Pflege, in der Beratung und Therapie, bei Priestern oder auch bei der Sexarbeit ist es sogar dringend angeraten, genau zwischen „professionell“ und „liebevoll“ zu unterscheiden. Zumindest dann, wenn man „liebevoll“ so interpretiert, dass das auch etwas mit den eigenen Gefühlen des Anbieters zu tun hat.
Ein weiteres Beispiel, wo das wohl genaueste Hinsehen überhaupt nicht aus Liebe, sondern aus rein geschäftlichen Erwägungen erfolgt, ist Google: Der Konzern tut wirklich alles, um so viel wie möglich über seine Nutzer zu erfahren, damit er ihnen die für sie relevantesten Suchergebnisse liefern kann.
Wie antiquiert die Vorstellung eines allwissenden Gottes heute erscheint, wird deutlich, wenn wir die Leistungsfähigkeit von KI-Modellen betrachten, die schon heute, als noch ganz am Anfang dieser technologischen Epoche näher an Allwissenheit sind als alle brennenden Dornbüsche zusammen…
Der einleitenden Worte sind genug gesprochen – höchste Zeit für das eigentliche Thema:
Von Gott gesehen
Das ist ja genau meine christliche Grundüberzeugung: Wir Menschen werden von Gott gesehen.
Das psychische Leid, das das Christentum unzähligen Menschen, insbesondere Kindern schon allein nur durch die Behauptung eines allwissenden Gottes, der alle und alles, also auch die geheimsten Gedanken sieht angetan hat, scheint Frau Vering nicht zu interessieren.
Auch die sich sofort aufdrängende Frage, warum ein Gott, der, sollte es ihn geben, alle Menschen sieht, sich trotz angeblicher Allmacht und Allgüte exakt so verhält, als gäbe es ihn nicht bleibt erwartungsgemäß unbeantwortet. Was hilft es, unter Dauerbeobachtung eines allmächtigen, allgütigen Gottes zu stehen, wenn er trotzdem jegliches Leid kommentar- und tatenlos geschehen lässt?
Und wie zur Hölle schafft man es trotzdem, zu einer solchen Grundüberzeugung zu kommen und auch noch bis ins Erwachsenenalter daran festzuhalten?
Bei Bedarf wird Gott zu Jesus gemacht
Wie immer, wenn es gar nicht um biblisch-göttliche, sondern um menschliche Eigenschaften geht, für die Gläubige ihre Götter loben wollen, lässt auch Frau Vering den lieben Gott einen (nur sprichwörtlich guten) Mann sein, und zwar im wahrsten Wortsinn:
In ganz vielen der biblischen Erzählungen rund um Jesus passiert genau das. Er sieht die Menschen und erkennt, was sie brauchen. Und dann schafft Jesus es, eine Verbindung herzustellen. Er geht hin, fragt nach, hört zu, er heilt und holt Menschen wieder in die Gesellschaft zurück. Dabei nimmt er die Leute ernst und entlässt sie nicht aus der eigenen Verantwortung. Manchmal gibt er ihnen sogar noch einen Auftrag mit. Und erst dann geht Jesus weiter und entlässt die Menschen in ihr Leben.
Das absurde Konstrukt des dreifaltigen Gottes bietet christlichen Glaubensverkäufern die Möglichkeit, göttliche und menschliche Eigenschaften nach Belieben zu kombinieren. Je nachdem, was gerade gebraucht wird: Erst ein Gott, der alle(s) sieht. Und dann aber ein Mensch, der genau hinsieht.
In praktisch allen biblischen Jesuslegenden geht es darum, darzustellen, dass die bedingungslose Unterwerfung unter den einzig wahren Gott der einzige Schlüssel zum persönlichen Glück, zu Heilung von Krankheit oder gar zur Auferweckung vom Tod ist. Auf den Punkt bringt es z. B. die Stelle Lukas 7,50: Dein Glaube hat dich gerettet.
Je drastischer die Schilderung des Leides, sei es durch Krankheit oder Ausgrenzung, desto mächtiger und größer erscheint der Wert des Götterglaubens, der die Linderung oder Aufhebung dieses Leides bewirkt haben soll.
Und das erklärt auch sehr plausibel die Ausführlichkeit, mit der das jeweilige Leid der verschiedenen Menschen, die von Jesus wegen ihres festen Glaubens „geheilt“ oder resozialisiert wurden in den biblischen Legenden detailliert beschrieben wird.
Zweckdienliches Interesse
Die vier Personen auf dem Podium tun genau das auf ihre Weise. Sie tragen dazu bei, dass Menschen bestmöglich durch ihr Leben kommen. Die Bestatterin sieht hin und findet heraus, was individuell nötig ist, damit man sich gut von geliebten Menschen verabschieden kann. Der Herrenschneider sieht genau hin und fertigt ein Kleidungsstück, das perfekt zu einem passt und in dem man sich gerne zeigt. Die Psychiaterin sieht hin und unterstützt Patientinnen und Patienten auf ihrem steinigen Weg, weg von Drogen hin in ein selbstbestimmtes Leben. Und der Schlagersänger sieht hin und beschert den Menschen einen musikalischen Partyabend, an dem alles andere im Leben nach hinten rückt.
Vor allem tragen sie damit dazu bei, selbst bestmöglich durch ihr Leben zu kommen. Was ja auch völlig legitim ist, aber überhaupt nichts mit liebevoll zu tun haben muss.
Bischof von Mallorca
Ich war selbst schon auf Konzerten von ihm. Das ist wirklich eine richtige Party.
Na, wenn Sie auf Ballermann stehen, dann habe ich hier was für Sie, Frau Vering: Kennen Sie schon den Bischof von Mallorca?
Welche frohe Botschaft?
Vier Menschen, die hinsehen und was tun, damit es anderen besser geht. Für mich ist das frohe Botschaft ganz konkret. Und diese Botschaft finde ich sensationell!
Wie inzwischen schon mehrfach geschrieben: Diese vier Menschen verdienen ihr Geld damit, die Probleme ihrer Kunden möglichst zielgenau zu lösen. Das gelingt nur, wen sie genau hinsehen.
Demnach besteht die frohe Botschaft also ganz konkret darin, dass Menschen ihren Job gut machen, weil sie sich mit den psychologischen Aspekten, sei es im Verkauf, in der Therapie oder auf der Schlagerbühne auskennen? Und was genau soll daran jetzt sensationell sein?
Die nun folgende Aussage hat mit dem bisher Gesagten überhaupt nichts zu tun:
Von Gott geliebt? Von wegen.
Nochmal aus einer anderen Perspektive formuliert: Du bist von Gott geliebt! Du bist gut und richtig und Du bist es wert, genau angesehen zu werden.
Genau das steht eben nicht in der Bibel. Vom biblischen Romanheld Jesus bist du es nur wert, genau angesehen zu werden, wenn sich an dir ein Exempel statuieren lässt, das die Unverzichtbarkeit der bedingungslosen Unterwerfung unter den „richtigen“ Gott demonstriert.
Die theologisch-rhetorischen Tricks hat Frau Vering jedenfalls drauf: Erst war von Gott die Rede, der alle Menschen sieht. Dann von Jesus, der bei allen Menschen genau hinsieht. Und jetzt wieder von Gott, von dem alle Menschen geliebt sind. Wie es eben gerade am besten in den Kram passt.
Wie Wischiwaschi-Christen auf das schmale Brett kommen, ausgerechnet der Gott aus der biblisch-christlichen Mythologie würde alle Menschen lieben, erschließt sich mir nicht.
Entweder haben diese Leute eine bizarre, vielleicht auch perverse Vorstellung von der Bedeutung des Wortes „Liebe.“ Stichwort: Höllendrohung.
Oder sie ersetzen das, was ihnen ihr dauerbeleidigter zorniger Rachegott in ihrer Heiligen Schrift über sich geoffenbart hat durch eine individuell zusammengesponnene Version, die ihre Sehnsucht nach Beachtung und Liebe seitens einer imaginären Vaterfigur befriedigt.
Dass diese dann nichts mehr mit dem biblisch-christlichen Belohnungs-Bestrafungskonzept zu tun hat, scheint ihnen genauso egal zu sein wie ihrem Gott.
Spalter!
Um die Fallhöhe zwischen angeblich göttlichem und menschlichem Verhalten noch etwas zu erhöhen, ist ein wenig Gesellschaftskritik hilfreich:
Aber eigentlich beobachte ich was ganz anderes. Ich beobachte, wie gespalten unsere Gesellschaft in Deutschland, und auch international ist. Es fällt mir so schwer zu verstehen, warum Menschen sich Parteien oder Gruppen zuwenden, die andere zwar in den Blick nehmen, aber nur, um sie dann zu bewerten und auszuschließen – vielleicht weil sie sich selbst für wertvoller halten.
Diese Kritik ist so allgemein gehalten, dass sich nur schwer etwas dazu sagen lässt. Klar: Man möchte sich ja kein Eigentor schießen.
Frau Vering scheint nicht bewusst zu sein, dass das, was sie hier kritisiert, genau so grundlegender Bestandteil der meisten monotheistischen Religionen im Allgemeinen und des Christentums im Besonderen ist: Andere in den Blick nehmen, aber nur, um sie – genauer: ihren Glauben – zu bewerten und auszuschließen – weil sie sich – wegen ihres Glaubens – selbst für wertvoller halten.
Denn in Wirklichkeit ist es natürlich kein Gott, der genau hinsieht. Das übernehmen die Priester in den Beichtstühlen für ihn.
Völlig wertfrei?
Die vier Podiumsgäste haben mich beeindruckt, weil sie genau das nicht tun. Sie sehen hin und unterstützen Menschen völlig wertfrei – und liebevoll.
Leider komme ich nicht umhin, mich nochmal zu wiederholen: Die vier Podiumsgäste verhalten sich berufsbedingt so. Eine persönliche, charakterliche Bewertung ihrer Kunden spielt für ein Verkaufsverhältnis keine Rolle.
Dem Herrenausstatter kann es völlig egal sein, ob sein Kunde ein liebenswerter Kerl oder ein fieses Arschloch ist.
Für ihn zählt nur: Kann ich ihn so gut beraten, dass ich das für ihn passende Sakko finde, mit dem er so glücklich ist, dass er bald wieder bei mir einkauft und mich mit einer Fünf-Sterne-Bewertung weiterempfiehlt? Und: Kann er es sich das Teil auch leisten?
Und auch ein Schlagerstar auf Malle tut vermutlich gut daran, seinem besoffenen Publikum wertfrei gegenüberzutreten, wenn er dessen Sehnsucht nach Liebe befriedigt… Eine Wertschätzung findet hier vermutlich in erster Linie in Form einer Abschätzung des Wertes statt – zumindest seitens der Konzertagentur.
Bedingungslos geliebt?
Also meine frohe Botschaft oder mit der Frage vom Anfang gesprochen: Was brauchen wir Menschen? Gesehen werden und spüren, du bist bedingungslos geliebt. Wenn das kein Grund zur Freude ist…
In diesem „Wort zum Sonntag“ mag so gar nichts zueinander passen: Die Aussagen der vier Protagonisten zeugen von Professionalität, die eben nichts mit einem liebevollen zwischenmenschlichen Verhältnis oder gar bedingungsloser Liebe zu tun hat, um die es Frau Vering offenbar geht.
Und ein solches Verhältnis hat wiederum nichts mit dem Gott aus der biblisch-christlichen Mythologie (egal in welcher seiner drei Darreichungsformen) zu tun:
So, wie der liebe Gott in der Bibel durchgängig geschildert wird, erfüllt dessen Verhalten den Straftatbestand der Erpressung (§ 253 StGB, insbes. Absatz 4) in Verbindung mit dem Straftatbestand Androhung einer Straftat (§ 126 StGB), zusammengefasst in Markus 16,16.
Einen solchen Gott, dessen Liebe laut aller biblischen Schilderungen und Jesus-Gleichnisse alles andere als bedingungslos ist auch noch zu verehren, hat meines Erachtens nichts mit Liebe, sondern eher mit einem Stockholm-Syndrom zu tun. Und das ist nun wahrlich kein Grund zur Freude…
Menschen können verantwortlich handeln, Götter handeln überhaupt nicht
Mit der frohen Botschaft ist ein Anspruch verbunden. Menschen wirklich zu sehen, heißt auch: Zu sehen, was sie brauchen und dann auch etwas zu tun – verantwortlich handeln!
Falls der Gott aus der biblisch-christlichen Mythologie tatsächlich existieren und sehen sollte, was Menschen brauchen, dann müsste er sich nicht zuletzt wegen seiner angeblichen Allmacht und Allgüte erst recht vorwerfen lassen, eben nichts zu tun.
Den Anspruch, verantwortlich zu handeln, wenn jemand etwas braucht, können nur Menschen erfüllen. Keine Götter.
Auch aus dieser Perspektive wird nochmal deutlich, wie unpassend die vier Podiumsdiskussionsteilnehmer als Protagonisten geeignet sind. Die handeln zwar auch verantwortlich – aber ihren eigenen Interessen (oder denen ihrer Firma oder ihrer Arbeitgeber) gegenüber.
Willkommen in der Wohlfühl-Bubble
Ich erlebe das ja selbst so: wenn ich irgendwo hinkomme und werde so gesehen und angenommen, wie ich bin, dann fühle ich mich gleich wohl.
Auch hier wieder: Sobald Ihnen jemand etwas verkaufen (oder Sie effektiv therapieren) möchte, wird er natürlich immer versuchen, mit Ihnen eine Ebene herzustellen, auf der Sie sich wohl und verstanden fühlen.
Anders sieht es im zwischenmenschlichen Bereich aus: Da fühlt man sich natürlich unter Gleichgesinnten am wohlsten. Also in Ihrem Fall vermutlich dort, wo man Ihre religiösen Ansichten teilt oder zumindest nicht hinterfragt oder gar kritisiert.
Nochmal anders ist der Fall gelagert, wenn Sie im Namen und Auftrag einer Kirche im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu einer inzwischen überwiegend nicht mehr christlichen und schon gar nicht mehr katholischen Bevölkerung sprechen: Da müssen Sie in Kauf nehmen, dass jemand – wie von Ihnen gefordert – genau hinsieht, Ihre öffentlichen Behauptungen hinterfragt und auch Kritik an Ihren öffentlichen Aussagen (nicht an Ihnen persönlich!) übt.
Etwa dann, wenn Sie Ihrem Publikum vorgaukeln, der Gott aus der biblisch-christlichen Mythologie sei ein liebevoller, aufmerksamer Gott, der es ausnahmslos gut mit allen Menschen meint.
Dabei geht es nicht darum, Sie ausgrenzen zu wollen. Sondern zum Beispiel darum, nach einem von Ihnen postulierten genauem Hinsehen, gut begründet aufzuzeigen, dass das von Ihnen vertriebene Produkt nicht Ihren Werbeversprechen entspricht.
Wäre das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb auch auf religiöse Anbieter anwendbar, käme wohl ein Verstoß gegen § 5 UWG – Irreführende geschäftliche Handlungen in Betracht.
Kostenpflichtiges Angebot
Und jetzt zum Schluss: Was ganz Persönliches, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer. Das war mein erstes Wort zum Sonntag.
Und wenn ich Sie auch nicht sehe, freue ich mich aber, dass Sie mich gesehen haben und ich Ihnen meine Gedanken zur frohen Botschaft anbieten konnte.
Bis zum nächsten Mal, gute Nacht und einen frohen dritten Adventssonntag!
Vorab: Die Veröffentlichung Ihrer Gedanken ist kein Angebot, sondern eine bereits von der Allgemeinheit bezahlte Dienstleistung. Anders wäre es, wenn Sie Ihre Gedanken auf eigene Kosten (oder auf Kosten Ihrer Arbeitgeberin) veröffentlichen würden.
Welche „frohe Botschaft“ meinen Sie jetzt konkret?
Die, dass professionell arbeitende Menschen ihr verkäuferisches, therapeutisches oder unterhaltendes Geschäft beherrschen?
Oder die, dass manche Menschen ohne finanzielle Absichten, sondern einfach so, im Interesse Ihrer Mitmenschen (und natürlich auch in ihrem eigenen Interesse an einem guten Gefühl, etwas Gutes getan zu haben) deren Leid nicht nur wahrnehmen, sondern auch versuchen, es zu mindern? Statt die Verantwortung zum Beispiel an ein fiktives magisches Himmelswesen abzugeben, das sich ein halbnomadischer Wüstenstamm in der ausgehenden Bronzezeit aus früheren Gottesbildern zurechtgezimmert hatte?
Die erste Botschaft hat mit beruflicher Professionalität und die zweite mit Mitmenschlichkeit zu tun.
Beide Botschaften haben wiederum nichts mit der „frohen Botschaft“ des biblisch-christlichen Glaubenskonstruktes zu tun:
Die besteht darin, dass Gott Menschen, die sich ihm zu Lebzeiten bedingungslos und exklusiv unterwerfen möglicherweise davor bewahrt, was er ihnen androht, wenn sie es nicht tun. Damit dies überhaupt erst möglich wurde, war es unumgänglich, dass er sich vor rund 2000 Jahren in einer inszenierten – wenn auch nur vorübergehenden – Todesfolterung seinen eigenen Stiefsohn als Menschenopfer zu seiner eigenen Befriedigung im Interesse Dritter dargebracht hatte. So jedenfalls behauptet es die Bibel.
Menschen sind es wert, gesehen zu werden – von anderen Menschen.
Die vielen tausend Götter, die sich Menschen schon ausgedacht haben, mögen sich, sollten sie wider Erwarten auch außerhalb menschlicher Phantasie existieren, um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Die sind alt genug. Wie Menschen miteinander umgehen, ist deren Sache.
Fazit
Meine Kritik an Ihrem Wort-zum-Sonntag-Debut besteht in erster Linie darin, dass Sie Ihrem Publikum durch eine bewusst verunklarende und mehrdeutige Verwendung des Begriffes „frohe Botschaft“ vorgaukeln, die frohe Botschaft des Christentums sei etwas anderes als das, was ich hier gerade an biblischer Gesamtaussage sinngemäß zusammengefasst habe.
Diese zugunsten einer verharmlosenden und ethisch aufwertenden, aber eben auch ins Gegenteil verzerrten Darstellung wiegt meines Erachtens noch schwerer als die Verwechslung von beruflicher Professionalität und selbstloser Mitmenschlichkeit, also den beiden Aspekten, die Sie für Ihre Zwecke diesmal miteinander vermengt und zur Glaubensreklame instrumentalisiert haben.
Diese Kritik bezieht sich nicht auf Sie persönlich, sondern auf Ihre öffentlichen Äußerungen, die Sie mir – auch auf meine Kosten – präsentiert haben.
Ich habe – genau wie von Ihnen empfohlen und gewünscht – genau hingesehen, Sie beim Wort genommen und geschaut, welche Fragen und Anmerkungen es aus säkular-humanistischer Sicht braucht.
Sie sind, wie alle Ihre Kolleginnen und Kollegen auch, immer herzlich eingeladen, unserer geschätzten Leserschaft und uns von AWQ.DE Ihre Gedanken dazu in Form eines Kommentares direkt unten auf der Seite zu verraten.
Sie brauchen sich also zumindest hier keineswegs unwohl oder ausgegrenzt zu fühlen, sondern nur beim Wort genommen – und herzlich willkommen!
P.S.:
Auf Ihrer Vorstellungsseite schreiben Sie:
„Wir haben so eine sensationelle Botschaft: Ich will dazu beitragen, dass sie auch gesagt wird – und zwar verständlich.“
(Quelle: https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/wort-zum-sonntag/sprecher/johanna-vering-kath100.html)
Frau Vering, dann verraten Sie uns doch bitte mal in eigenen, verständlichen Worten und mit Quellenangabe, wie Ihre sensationelle Botschaft lautet!
Auf meine Nachfrage per E-Mail antwortete mir Frau Vering, dass ich in meinen Kommentaren ja immer zum selben Ergebnis kommen würde und dass wir auf völlig unterschiedlichen Standpunkten stünden. Ich solle meinen behalten und sie ihren.
Meine Antwort:
Guten Tag Frau Vering,
vielen Dank für Ihre Mail. Dass meine Kommentare am Ende alle zum gleichen Ergebnis kommen, ist dem Umstand geschuldet, dass praktisch jedes „Wort zum Sonntag“ nach dem gleichen Schema aufgebaut ist: Ein gesellschaftliches Thema wird emotional aufgeladen und oft problematisiert, um dann den christlichen Glauben und Kirche als (praktisch immer einzige) Lösung ins Spiel zu bringen.
So unterschiedlich sind unsere Standpunkte vermutlich gar nicht, was Werte und Ethik angeht. Da ich diese Werte für sehr wichtig halte, finde ich es für umso wichtiger, dass diese auf einer stabilen und verbindlichen Grundlage basieren, die möglichst mit der irdischen Wirklichkeit übereinstimmt.
Ein Unterschied besteht darin, dass ich diese Werte von einem naturalistisch-humanistisch-säkularen Weltbild ableite, womit diese Werte mit guten Argumenten für alle Menschen unabhängig von ihren Glaubensgewissheiten gelten und von ihnen eingefordert werden können. Nach über 600 von mir kommentierten Sendungen erlaube ich mir die Einschätzung, dass es oft grotesker rhetorischer Winkelzüge bedarf, um die religiösen Aspekte diesbezüglich relevant erscheinen zu lassen, was ja auch kaum erstaunen kann: Die Gesellschaft hat sich in den letzten 2000 Jahren weiterentwickelt. Daran lässt sich erkennen, wie schwer, um nicht zu sagen unmöglich es offenbar ist, das biblisch-christliche Glaubenskonstrukt heute noch als relevant, zumindest aber als unverfänglich darzustellen und das auch argumentativ und allgemein verständlich begründen zu können. Vom ursprünglichen biblisch-christlichen Belohnungs-Bestrafungskonzept ist da nicht mehr viel übrig geblieben.
Natürlich ist es Ihre Sache, ob Sie auf meine Fragen eingehen oder nicht; anders als alle mir bekannten religiösen Webseiten biete ich jedenfalls die Möglichkeit und die Gesprächsbereitschaft dazu an.
Wenn Sie nicht mal die Frage beantworten können oder wollen, was denn nun Ihre sensationelle Botschaft ist, bei der Sie dazu beitragen möchten, dass sie auch gesagt wird – und zwar verständlich, dann frage ich mich, warum Sie diese Möglichkeit nicht nutzen. Oder richtet sich Ihre Botschaft, gemäß Matthäus 15, 24-26 vielleicht nur an die verlorenen Schafe Israels? Dann frage ich mich, warum Sie mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein Medium nutzen, das eine überwiegend säkulare Gesellschaft erreicht.
Welche Wirkung, welche Reaktionen erhoffen Sie sich von Ihrer Verkündigung auf diesem Kanal, zumal, wenn Sie nicht bereit sind, auf Nachfragen und Kritik zu Ihrer Verkündigung einzugehen? Ist die Botschaft vielleicht bei Licht betrachtet doch gar nicht so sensationell? Oder lässt sie sich vielleicht doch nicht so einfach in verständliche Worte fassen?
Genau das ist es!
Die kuschelig zusammenfantasierte Individualversion eines weichgespülten, massenkompatiblen Paulianismus, welcher fast nichts mehr mit dem Urchristentum zu tun hat, ausser dem Bezug auf ein Buch dessen Inhalt frei interpretiert wird.
Und keiner, der „Personal-Jesus-Jünger“ merkt, dass er bzw. sein ganzer Kulturkreis gar nicht gemeint ist, nicht errettet wird von diesem Monstergott.
Denn es geht in der Bibel nur um das Volk Israel und niemand anderen sonst!
Wie ich schon mal hier schrieb:
In den Kirchen gibt es exakt genau so viele Jesusse wie die Anzahl der Gläubigen!
Noch mal aus einer anderen Perspektive formuliert? Ist das die Übersetzung für „Ich verdrehe den Inhalt und lüge ihnen etwas vor“?
Liebe Frau Vering,
noch mal aus einer anderen Perspektive formuliert: Das ist religiöser Stuss gepaart mit Kalenderweisheiten.
Sehen Sie mal, Frau Vering, Sie haben jetzt die vorgestellten Berufsangehörigen so freundlich und als so hilfreich dargestellt, – und Sie würden das sicher auch bei einer Vielzahl anderer Berufe genauso tun -, dass man sich nun unwillkürlich fragt:
Wofür um alles in der Welt brauchen wir dann noch den Beruf des Klerikers?
Ich sag`s Ihnen: für nichts. Der ist so überflüssig wie der Heizer auf einer E-Lok.
Alles, was der anbietet, wird auch von einschlägigen anderen Berufen (Psychotherapeut, Psychoanalytiker, Trauerredner, Berater verschiedenster Art, Showmaster, Alleinunterhalter, Sozialarbeiter, Palliativberufe, etc.) abgedeckt. Und das auch noch viel professioneller und ohne transzendentes Geschwurbel. Sogar für das Märchenerzählen gibt es weltliche Experten. 😉
Aber ich denke, das Problem löst sich ohnehin von selbst, wenn der Andrang zu den geistlichen Berufen weiter so anhält wie bisher. 😉
Zu allem anderen in Ihrem Vortrag hat schon der Webseiten-Betreiber ausführlich Stellung genommen.
Ui ja – Gott hat auch die ganzen Wasserleichen gesehen, die er mit seiner Sintflut zu verantworten hat. Warum kommen die bei Frau Vering nicht vor?