Hoffnung als Vertröstung: Wenn Gebete die Politik ersetzen sollen

Lesezeit: ~ 3 Min.

Gedanken zu „Impuls: Hoffnung lässt nicht zu Grunde gehen – Weltmissionssonntag“ von Stadtpfarrer Stefan Buß aus Fulda, veröffentlicht am 26.10.2025 von osthessennews.de

Darum geht es

Buß ersetzt konkrete politische Forderungen und materielle Hilfe für Myanmar durch folgenlose Gebete und verwandelt reales Leid in religiöse Spendenrhetorik, während seine transzendente „Hoffnung“ die Menschen genau dort lässt, wo sie sind: in der Katastrophe.

Der Fuldaer Stadtpfarrer Stefan Buß nutzt den Weltmissionssonntag für eine Meditation über Hoffnung angesichts des Bürgerkriegs in Myanmar. Was auf den ersten Blick wie mitfühlende Anteilnahme wirkt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als das, was Religion seit jeher am besten kann: reales Leid in spirituelle Erzählungen umdeuten und konkrete Hilflosigkeit durch transzendente Versprechen kaschieren.

Die Hoffnung, die nichts ändert

„Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen“ – dieser Satz aus dem Römerbrief ist die Kernbotschaft von Buß‘ Impuls. Doch was bedeutet er konkret für die drei Millionen Geflüchteten in Myanmar? Was nützt „Hoffnung“ dem Mädchen Rosanna, wenn Bomben auf ihr Internat fallen?

Die bittere Wahrheit: Hoffnung allein hat noch nie eine Bombe gestoppt, noch nie eine Diktatur beendet, noch nie ein Erdbeben verhindert. Was den Menschen in Myanmar tatsächlich hilft, sind materielle Ressourcen, politischer Druck auf das Militärregime, internationale Sanktionen, humanitäre Hilfskorridore und diplomatische Interventionen. Doch davon ist in Buß‘ Text kein Wort zu finden.

Stattdessen: „Der Herr ist mit uns, er unterstützt uns, er ist die Quelle unserer Hoffnung.“ Ein Gott, der „mit uns ist“, während Krankenhäuser und Kirchen bombardiert werden, während die Kathedrale vom Militär besetzt ist, während Kinder im Dschungel versteckt werden müssen – was für ein zynisches Gotteskonzept offenbart sich hier?

Das systematische Problem religiöser Krisenrhetorik

Buß‘ Text folgt einem klassischen Muster religiöser Krisenverarbeitung:

  1. Emotionalisierung: Das Leid wird bildhaft dargestellt (das flüchtende Mädchen, die zerstörten Dörfer)
  2. Spiritualisierung: Die Krise wird in einen religiösen Deutungsrahmen übertragen („Heiliges Jahr im Exil“)
  3. Transzendierung: Die Lösung wird ins Metaphysische verlagert (Gott als „Quelle der Hoffnung“)
  4. Handlungsentlastung: Konkrete politische Forderungen werden durch Gebete ersetzt

Das Ergebnis: Die Gläubigen fühlen sich emotional beteiligt, haben aber nichts Konkretes getan. Das Gebet wird zum Ersatz für politisches Handeln, die Spende an die Mission zur Beruhigung des Gewissens.

Wenn sich die Kirche selbst als Opfer darstellt

Besonders bemerkenswert ist die Selbstviktimisierung: Die Kathedrale ist vom Militär besetzt, die Gläubigen „im Exil“, das Heilige Jahr kann nicht gefeiert werden. Die Kirche inszeniert sich als Opfer – und übersieht dabei elegant, dass sie jahrhundertelang selbst auf der Seite der Mächtigen stand, Eroberungen segnete und „Missionen“ betrieb, die von kultureller Auslöschung kaum zu unterscheiden waren.

Der „Weltmissionssonntag“ selbst ist ein Relikt dieser Geschichte: Ein Tag, an dem die wohlhabenden Kirchen des globalen Nordens Geld für die „Mission“ im globalen Süden sammeln. Was früher offene Kolonialisierung war, nennt sich heute „Solidarität“ – doch die Machtverhältnisse bleiben asymmetrisch.

Was Myanmar wirklich braucht

Wenn wir Menschen in Myanmar tatsächlich helfen wollen, brauchen wir:

  • Politischen Druck auf die Militärjunta und ihre Unterstützer (insbesondere China und Russland)
  • Humanitäre Hilfe durch professionelle Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, UNHCR oder das Rote Kreuz
  • Aufnahme von Geflüchteten in sichere Drittstaaten
  • Waffenembargos und wirtschaftliche Sanktionen gegen das Regime
  • Öffentliche Aufmerksamkeit für den Konflikt, der in westlichen Medien kaum stattfindet
  • Unterstützung der demokratischen Opposition und zivilgesellschaftlicher Strukturen

Was Myanmar nicht braucht:

  • Gebete an einen Gott, der zuschaut, wie Krankenhäuser bombardiert werden
  • Hoffnungsrhetorik, die reales Leid in spirituelle Erzählungen umdeutet
  • Passivierung der Gläubigen durch die Suggestion, Gott würde es schon richten

Die Perversion der Hoffnung

„Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen“ – dieser Satz ist nur halb wahr. Ja, Hoffnung kann Menschen psychologisch stabilisieren und ihnen Kraft geben. Aber Hoffnung ohne Handlung ist Opium. Sie betäubt den Schmerz, ohne die Ursache zu bekämpfen. Sie tröstet, ohne zu verändern. Sie verspricht, ohne zu liefern.

Ernst Bloch, der atheistische Philosoph der Hoffnung, unterschied zwischen „abstrakt-utopischer“ und „konkret-utopischer“ Hoffnung. Erstere ist Wunschdenken, letztere ist Hoffnung, die in realistische Handlungsperspektiven eingebettet ist. Buß‘ religiöse Hoffnung ist rein abstrakt: Sie vertraut auf einen Gott, fordert aber keine konkreten Schritte.

Das unanständige Geschäft mit dem Leid

Am Ende bleibt ein schaler Beigeschmack: Der Weltmissionssonntag instrumentalisiert das Leid der Menschen in Myanmar für die Spendenakquise der Kirche. Das Mädchen Rosanna auf dem „Aktionsplakat“ wird zur Werbefigur für kirchliche Fundraising-Kampagnen. Ihr „Luftsprung“ illustriert nicht ihre tatsächliche Situation, sondern das, was die Spender sehen sollen: Hoffnung, die durch kirchliches Engagement möglich wird.

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Die zynische Formel lautet: Zeige genug Leid, um Betroffenheit zu erzeugen. Zeige genug Hoffnung, um die Betroffenheit nicht in Verzweiflung umschlagen zu lassen. Zeige die Kirche als Hoffnungsträgerin. Bitte um Spenden.

Fazit zum Weltmissionssonntag-Beitrag

Stefan Buß‘ Impuls ist exemplarisch für die gesellschaftliche Funktion von Religion: Sie bietet emotionale Deutungsmuster für unerträgliches Leid, ohne konkrete Lösungen anzubieten. Sie aktiviert Empathie, kanalisiert sie aber ins Transzendente statt ins Politische. Sie tröstet die Ohnmächtigen, statt ihre Ohnmacht zu bekämpfen.

Die Menschen in Myanmar brauchen keine Gebete. Sie brauchen Taten. Sie brauchen keine transzendente Hoffnung, sondern konkrete Perspektiven. Sie brauchen keine Mission, sondern Solidarität.

Und wir brauchen keine Geistlichen, die uns sagen, wir sollten „den Weg zu Gott neu finden“. Wir brauchen Bürgerinnen und Bürger, die ihre Regierungen zwingen, endlich wirksam gegen Unrechtsregime vorzugehen.

Denn eines ist sicher: Nicht Hoffnung lässt zugrunde gehen – sondern Gleichgültigkeit, politische Untätigkeit und die Illusion, Gebete könnten Bomben stoppen.


Wer den Menschen in Myanmar tatsächlich helfen will, kann bei säkularen Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, UNHCR oder an das Deutsche Rote Kreuz spenden – oder sich politisch für einen Kurswechsel in der Myanmar-Politik engagieren. Beides ist wirksamer als jedes Gebet.

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2 Gedanken zu „Hoffnung als Vertröstung: Wenn Gebete die Politik ersetzen sollen“

  1. Wäre mal schön, die Öffentlichkeit über ALLE Medienanstalten wissen zu lassen wie viel Geld denn die Kirche in ihrer grenzenlosen Barmherzigkeit tatsächlich für humanitäre Hilfe vor Ort ausgibt. Nur so könnte man den Leuten mal die Augen öffnen!

    Der darauf folgende gesellachsftliche Aufschrei wäre wohl ohrenbetäubend. Aber das bleibt wohl leider ein Traum, da allen voran der Öffentlich-Rechtliche-Rundfunk viel zu stark mit den Kirchen verbunden ist.

    Aber man darf ja noch HOFFEN…

    Antworten
  2. Ich vermute, der Stadtpfarrer will uns etwas ganz anderes unterjubeln, aber er traut sich nicht, es laut und deutlich auszusprechen, weil das in unserer heutigen Welt nicht mehr so gut ankommen würde wie vielleicht noch vor hundert Jahren. Und weil er nicht wirklich sagt, was er meint, kommt der ganze Sermon auch so bemüht und unglaubwürdig rüber.

    Was er wirklich meint, ist schlicht und einfach Folgendes:
    Die Welt ist schlecht, wir Christen sind die Opfer, Gott wird aber diejenigen von diesem Übel der Welt erlösen, die fest an ihn glauben und gehorsam das tun, was ihnen die Kirche vorschreibt. Wir können in dieser Welt nichts ändern und wollen es auch gar nicht. Wir sollten unser Schicksal annehmen, es ist ohnehin von Gott von Anfang bis zum Ende vorherbestimmt. Es ist nicht der Christen Anliegen und Aufgabe, die Welt zu verbessern, sondern in der H o f f n u n g zu leben, dass im Jenseits alles Übel ausgelöscht ist und der gläubige Christ bis in alle Ewigkeit die Wonnen des himmlichen Paradieses geniessen wird.

    Das wäre offen und ehrlich, Herr Buss. So aber erkennt man nur die Absicht und ist verstimmt.

    Antworten

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